Wie ein Insekt im Bernstein

Interview
zuerst erschienen am 05. August 2012 in Welt am Sonntag, S. 10
Henriette von Bohlen und Halbach ist die Witwe des letzten Krupp-Erben Arndt von Bohlen und Halbach. Dagmar von Taube traf sie anlässlich des 200. Krupp-Jubiläums in ihrem Traumpalast in Marrakesch zum Gespräch über das süße Leben des Jetsets in den 70ern, wilde Partys mit den Gettys und Mick Jagger - und die Knute der Krupps, unter der sich ihr exzentrischer Mann Zeit seines Lebens zu ducken hatte

Die Reise nach Marokko fing schon ungewöhnlich an. Es ging damit los, dass die fast 80-jährige Henriette von Bohlen und Halbach eine E-Mail schickte - Absender: Jodlfeld.com. Sie freue sich sehr über Besuch in der Wüste. Doch statt sich dort den Temperaturen entsprechend auf eine eisgekühlte Limonade zu treffen, schlug die Gastgeberin vor, Borschtsch mit ihr zu essen - eine russische Wintersuppe! „Mein Nachbar Wynn Chamberlain, der Filmemacher, der kocht die beste und bringt mir immer einen Topf vorbei“, hatte sie vorausgemailt. „Rufen Sie mich einfach an, wenn Sie hier sind, der Chauffeur holt sie ab. Eile grüßend zum Pool, Hetti.“

Wenig später stoppt ein klappriger Mercedes vor einem geschnitzten Tor. Dahinter blüht und duftet ein saftgrüner Garten - Dattelpalmen, Kakteen, Jasmin und Zitronenbäume. Es summt, quakt, zwitschert und plätschert um die Villa herum, die lachsfarben in den stahlblauen Himmel ragt: der berühmte Krupp-Palast „BIed Targui“ in Marrakesch, einst ein Geschenk von König Hassan II. an Alfried Krupp, den letzten Patriarchen des Stahlkonzerns, der ihn wiederum seinem Sohn Arndt von Bohlen und Halbach vermachte. Und der empfing sie alle hier: Andy Warhol, die Rolling Stones, Yves Saint Laurent, die Gettys aus dem Ölimperium. Heute hütet seine Wtwe das herrliche Haus. Hetti, ganz in Quitte, steht schon winkend in der Tür: Brokat bis auf den Boden - bei 46 Grad Hitze. Die fächert sie lächelnd weg. Auf der Terrasse lümmeln sich jede Menge Sitzmöbel, eine Art Wohnzimmersituation im Freien: Teppiche, Bambussessel, bunte Kissen. Auf Tischchen marokkanische Klatschmagazine und einige Fotorahmen - König Bhumibol von Thailand, Kaiser Franz Joseph, die junge Hetti Prinzessin von Auersperg, so ihr Mädchenname. Riesenaschenbecher dienen als Vide-poches, darin allerlei Nützliches: silberne Eiswürfelzangen, Fliegenklatschen, Mückenspray, viele Brillen.

Henriette von Bohlen und Halbach: Kommen Sie, setzen wir uns rein in den Salon, da ist es kühler. Ich habe zwar Besuch, aber die Damen können sich ja etwas am Pool vergnügen, während wir es uns drinnen bequem machen.

Hier, meinen Sie, auf dem Fußboden - wie bei Peter Scholl-Latour?

Weso nicht? Ich mag keine steifen Stühle. Selbst die Königsfamilie sitzt bei mir auf dem Boden.

Zu Hause bei Peter Scholl-Latour, dem großen Kriegsberichterstatter, ist ja sogar die Bar auf dem Boden -wenn Menschen ein bisschen gereist sind, bringen sie ja gern mal so eine asiatische oder orientalische Sitte mit. Bei ihm liegt so ein kleiner Teppich am Rand, da stehen lauter Flaschen drauf.

Na klar, auf dem Fußboden ist es doch viel lockerer, und der Gast soll sich ja wohlfühlen - wozu sollte er sonst kommen, nicht wahr? Es gibt nur eine Freundin, die wiegt, glaube ich, 160 Kilo. Die muss man dann in einen Sessel setzen … Aber Sie müssen aufpassen, neulich wäre ich fast auf einen Skorpion getreten. Er hatte sich im Flokati verfangen, ein Riesending! So, jetzt trinken wir aber erst mal was: Rose, Wodka …?

Am besten beides!

Ein Glasl ist ja nix gegen früher. Ich sag‘ Ihnen, früher, da hat sich der Gast im Salon eine gerollt wenn er wollte, das war nichts anderes als eine Zigarette.

Da sieht man mal, wie gesund wir inzwischen geworden sind: Früher wurde Kette gekifft, heute raucht nicht mal mehr jeder.

Ja gut, Kiffen war auch eine andere Sache hier.

Inwiefern?

Der Europäer kann ja gar nicht richtig rauchen, der kriegt die Dosierung nicht hin. Man soll ja auch nur Tee dazu trinken. Und dann bekommt er plötzlich Wahnvorstellungen und meint, er müsse sich aus dem Fenster stürzen, weil er glaubt, er könne fliegen. Hier dagegen ging dann plötzlich irgendwo furchtbar das Gelächter los, andere lümmelten sich in der Bibliothek. Das ist ja das Nette an so einem Haus, dass man so viele Plätzchen zum Plauschen hat. Manchmal musste ich am nächsten Morgen noch die Letzten unter den Bäumen wecken, Keith Richards schnarchte immer unter den Kakteen. Mick Jagger wiederum konnte nur schlafen, wenn es stockdunkel um ihn war. Wenn er das Haus hier gemietet hatte, mussten wir immer sämtliche Tür- und Fensterritzen mit Alufolie zustopfen.

Typisch für Depressionen.

Zur Not hatte ich meinen Graupapagei, der konnte so gut meine Stimme imitieren. Der krächzte dann, wenn ich wirklich keine Lust mehr hatte: „Good night, good night now, friends!“ Dann gingen die Leute auch.

Das klingt so, als ob Sie die Einzige waren, die nüchtern geblieben ist.

Drogen haben mich nicht interessiert. Einmal habe ich so ein Teufelskraut probiert. Ich weiß noch, ich nahm einen Zug, wir sitzen in einer Diskothek, reden, trinken, lachen. Ich gehe tanzen, dreh‘ mich um - und sitze immer noch da. Scheußlich war das. Irgendwann habe ich noch mal LSD versucht. Ich dachte, ich würde vielleicht Antwort auf gewisse Fragen finden - ob Gott wirklich allmächtig ist oder warum Sterben für die Ewigkeit sein soll, wenn doch das Leben endlich ist? Ein beeindruckendes Erlebnis, plötzlich war mir alles klar! Das war - also …

Besser als ein Gottesdienst?

We bitte? Nein, natürlich nicht, ich bin ein streng gläubiger Katholik. Aber man sieht plötzlich hinter alles, man begreift, wozu alles da ist. Danach hat man ein für alle Mal das Leben verstanden.

Und, was haben Sie erfahren?

Die Sache war, als ich wieder aufwachte, habe ich nichts mehr gewusst. Ich habe nur noch gewusst, dass ich alles gewusst habe. Aber gut, wir waren auch nicht wie diese Timothy-Leary-Anhänger, den ich zwar gekannt habe. Aber die haben ja richtige Bewusstseins-Experimente gemacht, damit hatten wir nichts zu tun. Wir waren Hippies, frei …

… sorglos, leicht und „populärer als Jesus Christus“, wie John Lennon 1966 vor seiner ersten Amerika-Tour der „Beatles“ sagte.

Wir waren uns selbst genug - wir, die Stones, die Yves Saint Laurents, Paul Getty, Serge Lutens, der große Parfümeur. Es waren die späten 60er- und frühen 70er-Jahre. Und zusammen haben wir diesen Boheme-Lifestyle erfunden. Wir sind in Karawanen gereist, nicht wie heute touristisch organisiert. Man brach einfach auf Richtung Süden und schloss sich für zwei, drei Tage immer wieder einem neuen Tross an. Tagsüber hast du dich auf einem Kamel wund geritten, nachts bist du unterm freien Himmel von den Mücken fast zerstochen worden. Da gab es diesen Hippie-Trail, auf dem sie damals über die Seidenstraße bis nach Indien und Afghanistan gegangen sind in diesen bunten Gewändern.

Während die Welt anderswo protestierte, gegen Vietnam, Kapitalismus, Amerika - hat Sie alles nicht berührt? Sie waren nicht politisch?

Wir waren Romantiker. Schöngeister, Träumer. Wobei, dass man nicht zur Arbeit ging, sondern auf einer Bühne stand und Gitarre spielte - das war auch eine politische Tat. Das hat ja weltweit die Leute ermutigt, überhaupt so etwas zu werden wie Hippies oder Künstler. Davor sind alle mit der Aktentasche herumgelaufen oder waren Soldaten. Wir lebten in unserer Welt. Computer gab es noch nicht, Gott sei Dank, und die Zeitungen haben wir ignoriert, die schrieben eh nur Blödsinn, vor allem über uns. Ich habe nicht mal viele Fotos von uns aus dieser Zeit. Das war damals nicht so, dass man sich ständig wie heute in Siegerpose fotografierte. Andy Warhol, Mick Jagger, Sie waren einfach um einen herum.

Aber Sie lesen marokkanische Klatschmagazine, wie ich sehe.

Die „Hola“ hab‘ ich gekauft, weil da der König drauf ist. Ich kannte ihn noch sehr gut als Kronprinz, ein wundervoller Mann. Das sind dann so Erinnerungen … Aber kein Mensch hatte doch so ein albernes Fototelefon oder überhaupt ein Handy in den 70ern! Ein Freund hatte mal so einen grauenhaften Gegenstand, eine riesige Kiste, mit der er dauernd versuchte zu funken - nie hat’s geklappt. Mir war das richtig unheimlich. Man wollte so etwas auch gar nicht besitzen - wozu? Es war nur störend. Viele hatten ohnehin einen Sekretär, der sich um alles kümmerte.

Im Funkloch hat man auch mehr Zeit zum Feiern. Wie kamen all die Rockstars und Künstler überhaupt zu Ihnen?

Adolfo de Velasco hatte die Boutique damals im Hotel „La Mamounia“ - Kaftane, Schmuck, Antiquitäten. Dort hat er immer die Leute eingesammelt: Alles, was im Hotel an neuen „Leckerbissen“, wie er sie nannte - also an amüsanten, interessanten und schönen Gästen -, neu angereist kam, schwupp, ist sofort eingeladen worden. Vor allem Hoheiten hat er gesammelt. Soraya, Comte de Paris, jeder ist von ihm eingefangen worden. Und dann saß er hier zufrieden in der Ecke und hat sich alles angeschaut. Ich kann mir eh keine Namen merken und fragte immer: „Wer ist denn das nun wieder? Stell mir den oder die doch mal vor.“ Meist wusste er es selbst nicht mehr: „This is Majesty he“ und „This is Majesty she“, sagte er immer und die Majestys fanden’s herrlich, so unprätentiös alles. Und dann gab’s das „Cafe de Paris“ auf der Djemaa el-Fna, das war n’bissel wie die „Harry’s Bar“. Da trafen sich die Herren immer so um sechs Uhr abends und haben nicht zu knapp ihre Drinks genommen. Die Damen sind derweil in den Suk gegangen und haben sich für den Abend die Verkleidungen gekauft: Turbane und diese herrlichen marokkanischen Kleider. Und dann hieß es: „Wo gehen wir heute hin?“ Mal ging es zu den Gettys, mal zu uns, mal zu Adolfo, eigentlich war überall „open house“.

Marrakesch heißt „das Tor zum Süden“, es hätte wohl korrekter „das Tor zur Sünde“ geheißen. Aber mal ehrlich, war es nicht auch deprimierend manchmal, ein Leben zu führen, das jeden Abend auf eine Megafeierei hinauslief? Darum schien es ja im Grunde zu gehen: Geld auszugeben, damit man sich lustig anziehen konnte, um sich zu berauschen.

Ach was, nein, es ging um das gemeinsame Erlebnis. Marrakesch war wie ein junges St. Tropez in der Wüste, prachtvoll in seiner Schönheit, seinem Klima und seinen Farben. Touristen kamen noch nicht hierher. Es war nur diese kleine Truppe verrückt-genialer Leute, über die man bis heute in größter Verehrung spricht. Wer hier lebte, war sofort angeschlossen an einen Strom ständig An- und Abreisender aus aller Welt. Gemeinsam war man so etwas wie eine Schicksalsgemeinschaft Mensch und feierte den Glamour des Geistes. Damals hatte man auch noch Zeit, Stress wie heute gab es noch nicht so. Wir konnten uns fallen lassen und ein bisschen zum Fenster rausflattern ….

Einige haben leider nicht mehr zurückgefunden: Talitha Getty, die Frau von Paul Getty, starb 1971 an einer Überdosis Heroin.

Sie war wunderschön, die Thalita. Und so wahnsinnig nett.

Bill Willis, ein berühmter Architekt in Marrakesch, hat so ziemlich alles geschluckt.

„He burned the candles on both ends.“ Er war ein ganz enger Freund. Unsere Kamine hier sind noch von ihm und der Hamam. Er hat auch Teile des Hauses von Yves Saint Laurent eingerichtet.

Der Modedesigner hatte ein wunderschönes Haus hier, seit vier Jahren ist hier sein Grab. Zwei Flaschen Johnny Walker Blue am Tag, plus Schlaftabletten, plus Kokain …

Wir haben seine Asche in den Jardin Majorelle an der Rue Yves Saint Laurent verstreut. Alle nicht mehr da. Ich bin der Dinosaurier von Marrakesch.

Von Goethe stammt das Wort: „Es wandelt niemand ungestraft unter Palmen.“ Warum können die Menschen mit der Schönheit nichts anfangen, warum müssen sie sich so betäuben, dass sie sie möglichst nicht mehr sehen?

Menschen sterben, mein Kind. Wir waren Tanzende auf einem Vulkan. Manche sind - gestürzt. Nicht wahr?

Yves Saint Laurent stammte aus dieser Gegend. Er wuchs in Algerien auf, bevor er als Modeschöpfer nach Paris ging. Wie haben Sie ihn erlebt?

Yves war ein Genie, aber schwer neurotisch, geplagt von irrsinnigen Ängsten. Er hatte Angst vor seinen Schauen, Angst vor Menschen, Angst davor, immer reicher zu werden.

Das muss furchtbar sein.

Das meinte er nicht protzig, er hatte Angst, den Überblick zu verlieren. Eigentlich hat man ihn gar nicht erlebt, man wusste kaum etwas von ihm.

Vielleicht war da außer Mode gar nicht mehr.

Er konnte irre nett sein: „Hetti, ma cherie …“ - als ob es nur dich auf der Welt gab. Es bedeutete nichts. Er hatte seine Musen um sich herum: die Betty Catroux, der er den berühmten Smoking geschneidert hat, die Loulou de la Falaise und die Mutter von der Loulou. Die haben ihn bewundert. Selbst saß er immer nur da wie eine Puppe, wächsern im Gesicht, mit dieser dicken Brille.

Die immer ein bisschen wirkte wie Scheuklappen bei einem ganz empfindlichen Pferd. Die Bügel waren so dick, dass er gerade mal nach vorn sehen konnte.

Er hatte ja auch Depressionen und zog sich immer mehr zurück. Eine Zeit lang wollte er nur noch unter den Brücken von Paris schlafen und lauter so verrückte Sachen. Das war alles nicht leicht für den Pierre Berge, seinen langjährigen Lebensgefährten. Durch Medikamente hat sich Yves immer mehr verändert. Er hat nur noch so vor sich hin gemurmelt, man verstand kein Wort. Man hat eigentlich nur mit ihm gesprochen, bis einem dann auch nichts mehr einfiel, und das Gespräch …

… erlosch wie eine Kerze.

Ich sah ihn zuletzt hier bei einem Mittagessen, er mochte dieses Haus sehr. Die ganze Gegend hat ihn überhaupt sehr inspiriert: Das „Rose de Marrakech“, das Dattelrot und das Pink der Blüten. „Bled Targui“ war übrigens ursprünglich eine Orangenfarm.

Und ein Geschenk 1967 von König Hassan II. an Ihren Schwiegervater, den letzten Krupp-Inhaber.

Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, ja, der aber nie hier war. Der König hat damals vielen ein Haus hier geschenkt, unter anderem Jackie Kennedy, die auch nie gekommen ist und sich nicht mal bedankt hat, was den König sehr beleidigt hat. Er wollte interessante Menschen nach Marrakesch locken. Winston Churchill kam dann in den späten 60ern hierher, wegen des Lichts. Er wohnte immer im „La Mamounia“, wo er dann gemalt hat. Oder die Gräfin Boul de Breteuil, die Grande Dame de Marrakech. Sie führte eine Art Salon in ihrem Palast. Da saß sie in ihrem weißen Kaftan und hielt Hof.

Ihr Mann Arndt von Bohlen und Halbach, der dieses Haus von seinem Vater Alfried erbte, muss es geliebt haben hier in der Wärme - fernab von der Kruppschen Kälte zu Hause in Essen-Kettwig - eingebettet zwischen all den Selbstdarstellern.

Ganz im Gegenteil. Arndt mochte es überhaupt nicht, wenn all die Leute zu uns kamen. Er fühlte sich dann ausgeglitzert. Der Getty war ihm zu reich, Keith Richards zu verrückt, Warhol zu degeneriert. Er wollte seinen eigenen Hofstaat, der ihn bewunderte. Die Indoor-Palasttore hier im Salon, die man unten und oben aufklappen kann, damit der König früher in seinem Palast auch auf seinem Pferd durchreiten konnte, hat er hier damals einbauen lassen. Seine Suite war im linken Flügel, sehr dunkel, Arndt mochte kein Licht. Da saß er oft allein in diesen schweren Möbeln vom Velasco, Löwenthrone und Holztruhen silbern bemalt. Ich hab‘ sie später nach seinem Tod blau angepinselt, in Silber war es mir wirklich zu kühn.

Sein marokkanisches Neuschwanstein. Über dem Bett seines Schlafzimmers hängt noch ein Porträt von ihm in Lebensgröße: Er als Kindkönig, mit Orden geschmückt.

Er hat es in Thailand malen lassen, ich hab’s noch nie sehr gemocht. Er hat immer davon geträumt, ein König zu sein.

Stahl-Baron war nicht genug?

Arndt war homosexuell, aber das wurde in der Familie lange vertuscht. Er hatte diese Königsfantasie, das hat er sich so eingebildet. Kein Wunder bei der Mutter: „Du bist der Schönste, der Reichste“, hat sie ihm immer vorgebetet. Daraus muss eine Art Königsgedanke gewachsen sein. Er hat sich mit Orden geschmückt und auch Orden verliehen, wenn ich nicht da war, um es zu verhindern - Orden an seine thailändischen Diener in „Blühnbach“, dem Jagdschloss, wo wir eigentlich lebten. Für Ordnung, Fleiß und Pünktlichkeit. Richtige Krönungen hat er da zelebriert. Ich bin dann immer abgereist, das war mir wirklich zu krass. Er wollte sich auch selbst krönen lassen. Was er auch liebte, war am Sonntag mit der Kutsche zur Messe zu fahren - die hundert Meter vom Schloss in die Kapelle.

Wie haben Sie Arndt von Bohlen und Halbach kennengelernt?

Ich war jung und in München, wo ich mit Mühe hoffnungslose Jobs machte. Eigentlich bin ich Salzburgerin, aber ich lebe seit ich 15 bin in Kitzbühel. Acht Jahre habe ich in einer strengen Klosterschule, dem Sacre Coeur in Bregenz, verbracht, bis ich mit 18 ausgelassen wurde auf den sogenannten Münchner Heiratsmarkt, unter der Fuchtel meiner Großmutter.

Die klassische Höhere-Töchter-Karriere.

So ungefähr, obgleich meine Familie nicht viel Geld hatte. Mein Vater, er war Diplomat, war der jüngste von acht Söhnen. Der Älteste hat alles geerbt. Da galt es gut zu heiraten oder einen guten Beruf zu machen. Nur damals ist man als Frau noch nicht so auf gute Berufe getrimmt worden - die Männer machten Karriere, die Frauen engagierten sich nützlich in häuslichen Bereichen. Und so jobbte ich beim „Brutscher“, einem Antiquitätenhändler in der Nähe vom Bayerischen Hof - ich, die ich nicht mal einen Sessel von einem Schrank unterscheiden konnte! Im gleichen Haus hatte die „Stucki“, die berühmte Modeschöpferin Renate Stuckenberger ihr Atelier. Die lud mich einmal ein zu einem Essen im „Humpelmeier“ - „damit sich der Arndt nicht so langweilt mit all den Alten“, wie sie sagte. Da war Arndt 27 und ich 30.

Und noch immer nicht unter der Haube?

Nein. Ich hatte viele Freunde und Verehrer, wie zum Beispiel Johannes von Thurn und Taxis, ein sehr lieber Freund von mir.

Tolerant waren Sie wohl schon immer.

Er hatte nur Streiche im Kopf: Der sprühte zum Beispiel irgendwelchen Damen in der Oper Enthaarungsmittel in den Pelz. Oder baute Blasrohre aus ganz vielen Strohhalmen und pustete damit im Flugzeug wildfremden Passagieren sechs Reihen vor ihm ins Ohr. Was hatten wir Spaß! Meinen Eltern allerdings, die sich immer in alles einmischten, gefiel das weniger. Ich könne nicht jahrelang mit einem Mann ausgehen, ohne zu heiraten, haben sie gesagt. Und dann stand Arndt eines Tages vor mir - ein wohlerzogener, eleganter, schüchterner Mann. Er hatte so etwas Sanftes, unglaublich Liebenswertes, das hat mich gleich berührt. Er studierte in Essen, und wenn er nach München kam, gingen wir aus. Irgendwann suchte ich wieder mal einen Job und fragte Arndt, ob er mir nicht eine Rutsche legen könne für die Lufthansa oder so? Da guckt er mich an und fragt: „Warum heiratest du mich nicht?“

War er nicht an Männern interessiert?

Natürlich war er das, und ich sagte: „Ja, Arndt, ich mein‘ … was soll denn das für eine Ehe werden?“ - „Wieso?“, gab er zurück, „wir verstehen uns gut. Ich brauche eine Hausfrau für Blühnbach. Du führst dein Leben, ich meins, und manchmal führen wir es auch zusammen.“

Das ist die Ehe!

Ich kenne einige Ehen, wo der Mann homo- oder bisexuell war - „ä voile et ä vapeur“, wie es so elegant im Französischen heißt: mit Segel und Dampf. Und das waren nicht unbedingt die Schlechtesten …

Liebe ist ein schönes Hobby, macht aber nicht satt.

Wir hatten eine Lebensgemeinschaft. Der Arndt war nicht eifersüchtig. Ich habe machen können, was ich wollte. Wir hatten Platz, Häuser in München, Palm Beach, Marokko. Und Blühnbach war unser Zuhause, wo wir zusammenkamen. Warum eigentlich nicht, habe ich gedacht? Außerdem, welches Mädchen träumt nicht davon, einmal reich zu sein?

Prinzessin waren Sie ja schon - wie wichtig war das umgekehrt für ihn, der ja davon träumte, ein König zu sein?

Arndt war das Produkt seiner strengen Familie, verschlossen, fast autistisch. Er hat nie darüber gesprochen, aber man hat ihm angemerkt, dass er wirklich Furchtbares mitgemacht hat. Ich war eine lebenslustige Österreicherin - bei diesen Krupps hat’s mich wirklich oft geschüttelt: Arndts Vater Alfried, der sich nie für seinen Sohn interessiert hat und das mit jeder Geste zum Ausdruck brachte. Alfried Krupp von Bohlen und Halbach war ja selbst eine tragische Person durch die Erziehung seiner Mutter Bertha, die ihre ganze Härte an ihm ausließ. Er gab es weiter an seinen Sohn. Dieses Tänzelnde am Arndt, damit konnte er natürlich nichts anfangen. Und dann die Mutter, die ihren Sohn schon als Kind in Nachtclubs geschleppt und dermaßen verhätschelt hat. Sie hat ihn nie losgelassen, gleichzeitig hat sie ihn klitzeklein gemacht. Das hat Arndt seelisch zerstört.

Annelise Bahr war die erste Frau von Alfried Krupp von Bohlen und Halbach.

Die aber nie Krupp hieß, sondern nur von Bohlen und Halbach. Als sie mit Alfried verheiratet war, war er ja noch kein Firmeninhaber - Bertha lebte noch. Sie konnte Annelise nicht ausstehen und drängte ihren Sohn dann auch zur Scheidung. Annelise bekam eine Abfindung und ging. Aber ihre Rache war bitter: „Aus Arndt mache ich die größte Waffe gegen Krupp“, hat sie gesagt. Das hat sie auch geschafft. Arndt und ich wären gut miteinander ausgekommen, wäre da nicht diese Eifersucht der Schwiegermutter gewesen. Sie war wirklich bös‘, die Mutsch. So hat sie geheißen. Sie kam zum Beispiel zu uns nach Blühnbach und hat dann heimlich meine Sachen packen lassen, um sie wegzugeben - von meinen eigenen Maids, in meinem eigenen Haus. Sie hätte ja nie gedacht, dass ihr Arndt jemals heiraten würde.

Warum hat er Sie für sein Leben auserwählt?

Ich habe nie versucht, ihn zu erziehen, ich habe ihn sein Leben leben lassen. Wir waren ein gutes Team. Wir hatten zum Beispiel immer viele Gäste in Blühnbach, zu den Jagden, zur Festspielzeit. Arndt aber hat gern lange geschlafen, gegen Mittag ist er dann mal erschienen. So war er halt. Er hat alle eingeladen und dann nicht gewusst, worüber er mit den Leuten reden sollte - Jagd, Sport, interessierte ihn alles nicht. Er fühlte sich überhaupt selten verantwortlich, was viele als Großzügigkeit deuteten. Hauptsache, es war was los. Darum ja auch immer Feste und Krönungen - damit was los ist. Darum hat er geheiratet - damit was los ist. Er ist katholisch geworden - damit was los ist. Nach ein paar Tagen reiste er dann wieder ab, nach Palm Beach, wo er ein Haus hatte, und ich war wieder allein.

Ein einsames Leben für Sie.

Liebe, Glück, so kompliziert habe ich nie gedacht. Ich hatte ein Haus zu führen. Blühnbach war meine ganze Wonne und so groß wie ein Kreuzfahrtschiff, alles musste funktionieren. Ich habe Arndt wirklich sehr gern gehabt. Er war wahnsinnig amüsant, sehr gescheit. Er war nur oft gelangweilt. Sein Tag bestand daraus, zum „Böttner“ in München Mittagessen zu gehen. Das Nächste war dann erst wieder am Abend: umziehen fürs Abendessen. In Blühnbach trug man ja immer langes Kleid oder lange Tracht. Und seine ganze Freude war dann, all seinen Schmuck anzulegen. Die Blicke können Sie sich vorstellen. Die Krupps, diese freudlos-protestantische Familie, hat man nie mit großem Schmuck gesehen, es gibt auch keinen Kruppschen Familienschmuck. So etwas gönnte man sich nicht. Das galt als eitel, die waren entsagungsfroh auf eine seltsam christliche Art und Weise.

Der Prunk war die Leere bei den Krupps, die hat Arndt versucht, auszuglitzern.

Ohne Schmuck und Schminke fühlte er sich nackt vor der Welt. Ungeliebt. Später trug er auch lange Gewänder, Frauenkleider fast, und schminkte sich schließlich auch. Sie kennen sicher noch die Fotos aus den Illustrierten damals, Arndt ganz in Weiß, mit weißer Handtasche und getuschten Augen. Alle meine Freundinnen haben immer Schminkunterricht bei ihm genommen.

Haben Sie je einen Fuß in die Villa Hügel gesetzt, den ehemaligen Familiensitz der Krupps in Essen-Kettwig?

Einmal nur. Ein finsterer Kasten, die Zimmer so überdimensioniert groß, nur dunkles Holz, nichts an den Wänden. We eine Riesengruft. Dort sind sie aufgewachsen … Gebaut wurde sie ja von Alfred Krupp, dem Sohn des Firmengründers, 1873. Sie galt damals als das modernste Haus Europas: der erste Aufzug, erste Klimaanlage. Aber nichts hat funktioniert, die ganze Villa war eiskalt. Alle sind dauernd krank geworden. Der war ja wirklich verrückt, der Krupp. Der war in seinem Modernitätswahn so wirr, der hat sogar Geschwindigkeitskontrollen für Reiter eingeführt. Jedenfalls, als Arndt und ich uns verlobt hatten, sind wir damals nach Essen geeilt, um uns bei Berthold Beitz vorzustellen. Er war ja der engste Vertraute von Alfried Krupp.

Der ihn 1953 zum Generalbevollmächtigten des Unternehmens machte.

Nicht jeder hat den Beitz unbedingt geliebt in der Familie. Er hat sich vielleicht auch in der einen oder anderen unternehmerischen Entscheidung, vor allem was das Auslandsgeschäft betraf, ein bisschen weit aus dem Fenster gelehnt und Krupp damit in Schwierigkeiten gebracht. Beitz wurde Krupp, das hat vielen nicht geschmeckt. Wie man hört, will er sich auch auf dem Kruppschen Friedhof begraben lassen - und dem Arndt war es verwehrt. Gut, der wollte auch nie in die Krupp-Gruft.

Da war er ja auch schon aufgewachsen. Ihr Mann, Alfrieds einziger Sohn, wäre der nächste Erbe gewesen. Berthold Beitz war es, der 1966 erreichte, dass Arndt auf alles verzichtete - etwa vier Milliarden Mark, so viel war das Unternehmen damals wert.

Ja, das war hart für Arndt, man hat ihn quasi entmündigt. Er sollte sich nicht mal mehr Krupp nennen dürfen. Alfried und Beitz glaubten nicht an sein unternehmerisches Talent. Eines muss man fairerweise sagen: Arndt hat das Produkt Krupp auch nie wirklich verstanden. Ohne seinen Verzicht wäre die Situation des Unternehmens ganz sicher gefährdet gewesen.

Als Entschädigung bekam Arndt neben dem Jagdschloss Blühnbach bei Salzburg auch dieses Haus hier in Marokko sowie eine Apanage von jährlich zwei Millionen Mark. Sie schwammen im Geld.

Wie sich das anhört, schreiben Sie das lieber nicht, da regen sich die Leute nur wieder auf. Arndt war immer schon großzügig, für manche natürlich auch verschwenderisch: Selbstverständlich wurden unsere Gäste mit dem Rolls-Royce vom Flughafen abgeholt. Der Service in Blühnbach war kolossal. Trotzdem, ich selbst habe mir aus Geld noch nie viel gemacht, egal, ob ich weniger oder mehr zur Verfügung hatte. Es macht ja doch auch nicht glücklicher. Lustig war’s einfach. Ob ich beim „Billa“ Obst und Gemüse einkaufen ging oder einen Ring bei einem Juwelier kaufen wollte: Unterschrift reichte.

Lang bevor es Kreditkarten gab, konnten Sie schon bargeldlos bezahlen. Bei Ihnen reichte es einfach aus, „Krupp“ zu sagen?

Ich habe mich nie Krupp genannt, aber wir waren bekannt. Ich gab dann meine Visitenkarte, auf der stand: H. v. B & H, und drunter Prinzessin Auersperg. Die Rechnung landete in Arndts sogenanntem „Arbeitszimmer“. Ich weiß noch, mein Vater hat immer schmunzelnd gesagt: „Wieso Arbeitszimmer? Was arbeitet denn der Arndt da?“ Da gab es dann eine Mappe mit all den Rechnungen, die Arndt natürlich nie angeschaut hat. Das Teuerste, das ich mir einmal geleistet habe, war immer noch harmlos: eine Cartier-Uhr, eine „Tank“. Die verschenkten wir damals zu Weihnachten an zehn besondere Freunde, da habe ich mir dann eben noch eine elfte selbst geschenkt.

Reichtum kann auch ein Mühlstein sein.

Viele sprachen immer vom rührenden Arndt, das war er auch. Aber er hat sich oft auch missverstanden und ausgenutzt gefühlt. Dann hat man aufpassen müssen mit ihm, er konnte sehr hart sein. Erst hat er Leute groß gemacht, und dann hat er sie fallen lassen, indem er zum Beispiel Kreditkarten an „Freunde“ verschenkte. Die konnten dann Essen gehen auf seine Kosten und machen, was sie wollten. Bis er sie ihnen plötzlich wieder weggenommen hat. Einmal in Cannes standen wir vor einem Juwelier. Es war mittags. Und Arndt hatte wieder mal einem Freund versprochen, er dürfe sich etwas aussuchen. Dummerweise hatte der Juwelier geschlossen, und so trommelte der Freund wie ein Kind an die verdammte Tür. Ich möchte den Namen hier nicht nennen, ein weltberühmter Schauspieler, das war schon interessant … Nein, das Einzige, was ich wirklich vermisse, ist, erste Klasse zu reisen. Und schöne Hotels. Arndt hat sich in Thailand sehr für karitative Dinge stark gemacht, Schulen gebaut und Krankenstationen. Da wohnten wir dann monatelang im „Oriental“ in Bangkok.

Und eines Tages klopfte das Finanzamt an die Tür.

Das war schlimm. Als es plötzlich hieß, er müsse alles versteuern. Das hat ihm das Genick gebrochen.

Das weiß man doch.

Ihm war das nicht klar.

Er war ja auch König in seinem eigenen Reich, da muss man nicht versteuern - oder wie?

Keine Ahnung, er dachte, das Geld sei schon versteuert. Er hatte jedenfalls nie etwas zurückgelegt, immer alles ausgegeben. Gut, dass er nicht wirklich mit Geld umgehen konnte, war bekannt. Er hat oft genug bei Beitz angeklopft, dass es nicht reichen würde. Aber hier ging es um seine Apanage aus zig Jahren, um viele Millionen Mark, die er plötzlich nachträglich versteuern sollte! Blühnbach, Wohnungen, Gemälde - alles verkauft.

Das muss ihm das Herz gebrochen haben. Ist er darum so früh gestorben, mit 48 Jahren?

Nein, er hatte Krebs, Mundbodenkrebs. Gestorben ist er im Mai 1986 in München-Harlaching. Er hat noch seine eigene Todesanzeige verfasst: Arndt Krupp von Bohlen und Halbach hat er draufgeschrieben. Berthold Beitz sagte damals: „Was ist das für ein Blödsinn, jetzt hört doch mal endlich auf, euch Krupp zu nennen.“ Euch, hab ich gesagt? Ich habe mich nie so genannt, ich habe genug schöne Namen. Aber Arndt hatte ein Recht darauf.

Wie füllen Sie seither Ihre Tage?

Ich lebe noch hier, in dieser alten Welt. We ein Insekt im Bernstein. Aber ich habe ja noch die Karawane! Und die zieht immer weiter. Morgen packe ich für Kitzbühel, da hab ich eine Wohnung, eine klitzekleine. Ein Nest. Was freue ich mich auf meine Butterblumenwiesen! Da schließe ich dann das Haus hier zu. Vorher kriegen die Angestellten noch einen donnernden Vortrag von mir, die Armen, die scheren sich dann bei 49 Grad Hitze hier in den Ramadan rein. Und dann vermiete ich Bled Targui. Dieser Elefant frisst mich sonst auf: neue Wasserhähne, Mosaiken in der Dusche reparieren. Gott sei Dank habe ich keine Pfauen mehr. Die hupen ja wie Autos, du wirst sofort wach, das geht schon um drei Uhr morgens los. Die Männer waren eh scheußlich, nur drei struppige Federn. So ein Haus macht Arbeit, es kostet alles Geld. Seitens der Firma oder der Stiftung habe ich keine Unterstützung. Zum Glück hilft mir mein Neffe, der Sohn meines Bruders Alfi Auersperg, der mit Sunny von Bülow verheiratet war. Pfui, ich muss mich entschuldigen, da ist schon wieder so ein fetter Brummer.

Wer ist da?

Ich habe das Gefühl, alle Fliegen fliegen momentan mit Autopilot. Man erwischt sie ganz leicht, sie sind ganz müde. Zu müde wie wir alle, um uns die Nächte um die Ohren zu schlagen. Die Party ist vorbei. Aber ich hol‘ uns jetzt mal die Borschtsch - Sie bleiben doch noch ein bisschen?