Thomas Schühly versus Leni Riefenstahl

Portrait
zuerst erschienen 2003 in Qvest

Als das Time Magazine in diesem Herbst die besten Filme „aller Zeiten“ auflistete, befand sich unter den hundert Meisterwerken nur eines von weiblicher Hand: Olympia I und II, gedreht von Leni Riefenstahl im Umfeld der Olympiade von 1936, war bereits zu der Zeit seiner Veröffentlichung ein Kritikererfolg, der auf dem Filmfest in Venedig noch vor Walt Disneys Schneewittchen und die Sieben Zwerge – bekanntlich ein Lieblingsfilm Joseph Goebbels‘ – ausgezeichnet wurde.

Zweifellos hat die Künstlerin Leni Riefenstahl als Regisseurin und Fotografin Hervorragendes geschaffen. Ganz klar, dass ihre Person durch die Produktion von Nazipropaganda über ihren Tod hinaus unmöglich geworden war. Aber es ist dieses Schillern zwischen Totem und Tabu, das die Faszination für die Figur Leni Riefenstahls am Leben hält.

In der Kunstwelt macht sich seit dem Tod Riefenstahls im September 2003 eine steigende Nachfrage an Editionen und Vintage-Prints ihrer Fotografien bemerkbar. Die Galerie Camerawork in Berlin bietet gerade das letzte Exemlar einer 25er Edition, das Portrait eines Diskuswerfers, betitelt Lebendige Antike, für 13 200 Euro an, ein Portfolio steht für 70 000 im Katalog – was geradezu preiswert erscheint angesichts eines Angebotes des Benedikt Taschen Verlages: Ein weltweit auf 10 Stück limitierter Prachtband inklusive zweier Künstlerabzüge kostet 150 000 Dollar. Soviel zum Totem.

Nun das Tabu: Auf der Website des Taschen Verlages wird das Problem durch ein Zitat des Dokumentarfilmers Kevin Brownlow beschrieben: „If Leni Riefenstahl had done nothing but visit Africa and bring back her photography, her place in history would be secure“. Weil dem nicht so war, mag die Würdigung ihrer Kunst mittlerweile zwar verbreitet sein. Nun, da die Künstlerin tot ist, gewinnt ihr Werk eine Aura, die als weniger brisant erscheint. Es bekommt eine klassische, von der darüber verstrichenen Zeit gemilderte Qualität. Das bedeutet aber noch längst nicht, dass es eine Versöhnung mit Riefenstahls Person gegeben hat. Heidi Klum, die ihre Tochter Leni nannte, beabsichtigte dadurch wohl eher weniger, ihren Beitrag zu einer Ikonisierung Riefenstahls leisten. Obwohl Leni Riefenstahl mit ihren pathetischen Inszenierungen perfekter Körper durchaus zur Schutzpatronin der Beauty-Industrie taugen würde. Wahrscheinlich aber manifestiert sich in der Namenswahl der Mutter Klum noch eher das unbefangen gewordene Nationalbewußtsein einer kosmopolitisch agierenden Deutschen, deren Heimatgefühl eben auch nicht mehr von schwarz, rot und-, sondern ausschließlich vom Golde bestimmt ist.

Die Pläne, den Riefenstahl-Stoff fürs Kino zu verfilmen, entstehen so nicht unzufällig auf zwei Kontinenten zu gleicher Zeit. 1999 läßt der deutsche Produzent Thomas Schühly die Odeon-Film verkünden, er mache einen Film über Leni Riefenstahl, der auf ihren in den achtziger Jahren erschienen Memoiren basieren wird. Kurze Zeit später vermeldete Jodie Fosters Produktionsfirma Egg Pictures, daß Frau Foster ebenfalls eine Verfilmung von Riefenstahls Leben vorhabe. Natürlich würde in dem amerikanischen Film Jodie Foster die Hauptrolle spielen. Schühly hatte einen Vertrag mit Sharon Stone geschlossen. Mit einer deutschen und einer amerikanischen Sichtweise im Rennen, zwei mehrfach oscarprämierten Diven in der Pole Position, vor allem all dies noch zu Lebzeiten der kontroversesten Künstlerin des zwanzigsten Jahrhunderts – Seite an Seite unterwegs zu einem letzten Tabu: Für ein paar Monate sah alles nach dem Duell der Filmgeschichte schlechthin aus; mittlerweile hat sich die Aufregung aber sehr gelegt.

Was keineswegs an Thomas Schühly liegt. Der Mann ist sozusagen heiß. Ein an sich unauffälliger Typ, der aber die Schultern hochzieht, sobald er zu erzählen beginnt. Er stürzt sich förmlich auf den jeweiligen Stoff, denn er dann vor sich auf dem Tisch zu sehen scheint. Eins kommt zu anderen, er gerät vom Hundertsten ins Tausendste und die Pointe gerät ihm stets ähnlich: Alle anderen sind zu feige, sie zögern, manche sind ihm auch einfach zu blöd. Es war ja nicht allein die Geschichte der Riefenstahl, die er verfilmen wollte, mit der Ankündigung der Odeon-Film provozierte Schühly gleich im Doppelpack: Auch In Stahlgewittern von Ernst Jünger stand zu jener Zeit auf seinem Plan.  Der Riefenstahl-Stoff wollte er übrigens als eine Abenteuergeschichte à la Indiana Jones umsetzen: Leni Riefenstahl bricht auf nach dem tiefsten Afrika, in eine Wildnis ohne Gesetze und Straßen, um dort die Schönheit zu finden. Bei Ernst Jünger sah die Sache etwas schwieriger aus. Werner Herzog hatte sich wohl bereit erklärt, die Regie zu übernehmen, aber es fehlte lange Zeit an einer Inszenierungsidee für dieses Kriegstagebuch, das aus einem einzigen, kühl erzählten Monolog besteht. „Mit dem Herzog des Aguirre hätte ich den Film noch machen können“, bedauert Schühly. Mit dem Herzog der Gegenwart aber ging es nicht – zu zögerlich, kapriziös und so fort. Bei Indiana Riefenstahl wiederum stößt er auf ein anders geartetes Problem: An Regisseuren schweben ihm Francis Ford Coppola oder Oliver Stone vor. Stone fällt aus, da Schühly überraschend ein weiteres Großprojekt realisieren kann: „Alexander“, ein epischer Sandalenfilm, dessen Finanzierung im Fahrwasser von Ridley Scotts „Gladiator“ zustande kommt. Schühly und Stone verbraten 150 Millionen Dollar für ihren Film, „gegen den Gladiator ein Singspiel war“. Die Dreharbeiten verlaufen für Schühly nicht nur zufriedenstellend, da Oliver Stone sich nicht an Schühlys Briefing hält, und die Geschichte Alexanders des Großen tiefenpsychologisch motiviert als eine Rechtfertigung vor seiner eigenen Mutter inszeniert. „Ich habe ihm noch gesagt: Oliver, laß den Siggi raus!“ – er spricht hier von Sigmund Freud. Aber Stone kann nicht anders. Schühly versucht noch am Set zu retten, was zu retten ist, er tröstet den ratlosen Hauptdarsteller Colin Farrell – eigentlich, so gibt Thomas Schühly zu verstehen, führte er da bereits die Regie.

Mit Francis Ford Coppola wäre ihm das nicht passiert, da ist er sich sicher. Aber Coppola erweist sich für Riefenstahl als zu wenig tiefgründig, geradezu brutal: Zwar sagt er zu, dies aber nur unter der Bedingung, dass er „die Leni und den Adolf beim Vögeln zeigen darf“. Genau das aber will Schühly nicht. Außerdem ist es genau das, was Leni Riefenstahl, von der er die Rechte „mit warmer Hand“ erhalten hat – Ernst Jünger hatte er zu diesem Zweck ebenfalls mehrfach zuhause in Wilflingen besucht -, nicht wünscht: Nicht nur kein Sex, sondern auch keinen Hitler in diesem Film.

Für Thomas Schühly wäre das kein Problem gewesen. Dann aber wachsen scheinbar die Hindernisse. Ihm fällt ein dramaturgischer Kniff ein, mithilfe dessen er den Nazi-Hintergrund aufscheinen lassen könnte, ohne dadurch seine Indiana Riefenstahl-Idee zu gefährden. Außerdem hat er ja noch Sharon Stone. Irgendwann aber hilft das alles nichts. „Mein amerikanischer Agent rief mich an und fragte: Willst Du den Film wirklich machen? Ich sagte ja. Er sagte: Dann ist deine Karriere beendet.“ Schühly überlegt nicht groß. Alexander frisst ihn beinahe auf. Die Riefenstahl-Verfilmung ist fortan tabu.

Keine Bitternis. Wenn Thomas Schühly vom Scheitern erzählt, dann gibt er sich heiter. Er, der seine Widersprüchlichkeit mit seinem Katholizismus begründet, ein Mensch eben, der über sich hinauswachsen will, obschon er glaubt, dass ihm dies nicht gestattet sein wird, sieht sich als einen Helden. Umgeben von Kleinbürgern, die aus lauter sozialer Verantwortung vor der Größe mancher Stoffe nichts als zurückschrecken können. Auch Jodie Foster sei ja letztendlich daran gescheitert.

Woran?

An der sogenannten Moral. Thomas Schühly weiß, dass „der Rabbi der jüdischen Gemeinde von Los Angeles unvorstellbaren Druck auf die Foster ausgeübt habe. In der amerikanischen Presse hat es eine heftige Kampagne gegen ihr Riefenstahl-Projekt gegeben. Die konnte gar nicht anders, als die Finger davon zu lassen.“ Und das, obwohl das Drehbuch von Ron Nyswaner (Philadelphia) ein angeblich „moralisches Kammerspiel“ vorsieht, wie Schühly erzählt.

„Thomas Schühly hat kein Drehbuch von uns gelesen“, sagt Gabriela Bacher, die österreichischstämmige Produzentin von Jodie Foster bei diesem Projekt. Und entgegen aller Mutmaßungen ist dieses Projekt eines Verfilmung mit Jodie Foster als Leni Riefenstahl alles andere als tot: „Uns geht es gut und wir sind mehr denn je dran. Auf einem sehr guten Weg.“

Gewiss, es gab diese Proteste. Im November 2001 baute sich eine Gruppe von Demonstranten vor dem Gelände der Paramount Pictures auf und hielt Schilder hoch, auf denen zu lesen stand „Jodie Foster wants to glorify a Nazi“ oder „Stop Jodie’s project now“. Aber als Pressesprecher der Paramount vor den Zaun traten, um zu erklären, dass Fosters Firma hier lediglich Räume angemietet habe, die Paramount also inhaltlich nichts mit „Egg Pictures“ zu tun habe, verzog sich der Pulk. Marvin Hier, der Rabbi des Simon-Wiesenthal-Centers in Los Angeles, gab darauf in einem Artikel für das LA Jewish Journal zu Protokoll, dass Jodie Foster die Nazi-Vergangenheit Riefenstahls nicht ignorieren sollte – im Grunde also lediglich eine Furcht vor Verklärung der Künstlerbiographie. Und eigentlich war es das dann auch gewesen mit dem Widerstand.

Gabriela Bacher ist Produzentin mit reichem Erfahrungsschatz. In den 90ern leitete sie die Niederlassung der Kirch-Gruppe in L.A., dann arbeitete sie dort für Bernd Eichinger als Senior Vice President in der Produktion, um Anfang 2000 nach Babelsberg geholt zu werden. Auf dem ehemaligen UFA-Gelände plante sie eigentlich den Riefenstahl-Film zu produzieren, doch der französische Vivendi-Konzern trennte sich ganz überraschend von ihr. Sicherlich hatte diese Entscheidung nichts mit dem Riefenstahl-Vorhaben zu tun. Doch selbst eine erfahrene Produzentin wie sie sieht an diesem Projekt ein großes Problem: „Es wird ein Film für eine intellektuelle Zuschauergruppe. Das allein macht ihn schon schwierig. Und natürlich ist Frau Riefenstahl auch in den USA eine unheimlich umstrittene Person. Aber auch hier hat sich das Bild gewandelt. Man konnte es ja auch in den deutschen Nachrufen auf ihren Tod erkennen. Und ich hoffe, dass diese reflektierende – nicht die versöhnliche! – Betrachtungsweise hier einmal ähnlich sein wird.“

Was eigentlich aber bedeutet, dass dieser Film, von dem Jodie Foster in einem Interview mit dem Daily Telegraph sagte „It’s a project to die for“, wohl kaum ein solcher Blockbuster werden wird, wie Thomas Schühly ihn sich vorgenommen hatte.

Er hat mittlerweile wieder ganz andere, dabei ganz ähnliche Pläne: Das Leben des Georges Bernanos will er verfilmen. Als eine Via Mala des katholischen Schriftstellers – allerdings in Amerika angesiedelt „In Frankreich, wo Bernanos eigentlich lebte, hätte das heute keinen Sinn mehr“. Für dieses Projekt möchte er Mel Gibson gewinnen „Bloß als Fürsprecher bei den Financiers. Mitmachen soll er bitte nicht, der ruiniert mir den Film.“

Sein eigentliches Traumprojekt aber wäre eine Verfilmung nach dem Buch des jüdischen Universalgelehrten George Steiner The Portage to San Cristobal of A.H. Der schöne, aber aufgrund einer Verfügung des Autoren nie ins Deutsche übersetzte Text birgt für Schühly ein schädelaufsprengendes Potential. „Aber das kann man vergessen“, ruft er und wirkt dabei wieder so wunderbar heiter und über seine verklemmten Zeitgenossen beinahe schon mitleidig, auf jeden Fall gerührt. Es ist ein Buch der Superlative: „Steiner hat es in 48 Stunden hingeschrieben – er war im Rausch! Mit beiden Händen hat er in den Dreck hineingegriffen, um die Wahrheit über den Mensch Adolf Hitler herauszuholen.“

Thomas Schühlys Hände verkrampfen sich dabei um etwas, das in seinen Worten dieser Dreck ist. Dabei sitzt er in Grünwald, in der Bar Italia. Und zwischen seinen Fingern, da ist nichts als Luft.