Nieder mit dem Elfenregime

Feuilleton
zuerst erschienen am 30. Juli 2008 in Frankfurter Allgemeine Zeitung, S. 36
Mit schwarzen Models und kunsthistorischen Anspielungen tritt die italienische "Vogue" gegen die Harmlosigkeit des Frauenbilds der Modeindustrie und ihren fundamentalen Rassismus an

Die außerhalb des Landes nur von Modeinsidern wahrgenommene italienische „Vogue“ hat ihre Juli-Ausgabe nachdrucken müssen: In England und den Vereinigten Staaten stehen die Kioske kopf. Man reißt sich um die Hochglanzzeitschrift, auch wenn die Leser von den Textbeiträgen kein Wort verstehen mögen. Der Grund ist ein „Black Issue“, die ungewöhnliche Entscheidung des Condé-Nast-Verlags, Mode ausschließlich an schwarzen Models zu zeigen.

Ein Soloheft ist diese „Vogue“ auch für den renommierten Modefotografen Steven Meisel, der alle Geschichten betreute. Er und Chefredakteurin Franca Sozzani begnügten sich nicht damit, in gewohnter Weise verschiedene Frauentypen anzusprechen, sie machten das ganze Heft zum Pamphlet für einen Typus, den es so in der kollektiven Phantasie noch nicht gab. Ihre Models, allen voran Naomi Campbell, treten als weibliche Inkarnationen des Ghetto-Fabulous-Trends auf, der um die letzte Jahrhundertwende die Modegemüter bewegte und mit der hemmungslosen Vorliebe der Hip-Hop-Gemeinde für Luxus und Glitzer verbunden war.
Doch alles ostentativ Neureiche ist aus der italienischen Vorstellung gelöscht. „Vogue“ injiziert den Damen die Grandezza der fünfziger Jahre, jenes vorläufig letzten Aufbäumens der Haute Couture, die nun überraschend ihre Wiederkehr feiert. Und sie verleiht ihnen jene Gefährlichkeit, die mit Helmut Newton in die Fotografie kam und zu der ihn nur nordisch weiße Models inspirieren konnten.
An Anspielungen ist kein Mangel, wenn Steven Meisel Naomi Campbell im üppigen Interieur eines südlichen Landhauses fotografiert. Überwältigend sinnlich liegt sie mit entblößter Brust einladend auf einem majestätischen Daunenbett, orgiastisch umringt von verstreuten exotischen Früchten - ein Augenzwinkern Richtung Jürgen Teller, der sich gemeinsam mit Charlotte Rampling bei einem ähnlichen Petit-fours-Exzess im Pariser Hotel Crillon ablichtete. Aber Rampling spielte die bleiche, unnahbare Geheimnisvolle, die der Bubenreuther Landsknecht mutwillig umgarnte. Campbell führt selbst Regie, nur ein Herrenjackett liegt vorn auf dem Fauteuil, während sie, angetan mit nichts als Overknee-Stiefeln, Perlenschnüren und einem schwarz verschleiernden Gesichtsnetz, auffordernd in die Kamera blickt. Ihre fast schmerzliche Odalisken-Schönheit ruft Claude Manets Olympia in Erinnerung. Doch bei Steven Meisel verschmilzt das ausgebreitete Aktmodell mit Manets schwarzer Haremssklavin und das Bouquet, das diese anreicht, steht nun auf der Bettkonsole.
Andere Bildstrecken zeigen säulenhoch gewachsene Models in graphischer Kleidung mit exorbitanten Hüten, breiten Armbändern und, leicht irritierend, auf Olympias Halsband und das Sklavenjoch verweisenden Halsbandagen: Stück für Stück sind folkloristische Assoziationen und die Attribute der Leibeigenschaft in kühle Modernität und selbstbewusst individuelle Eleganz übersetzt.
Zum offensiven „Fürchte nichts“-Konzept des Black Issue gehört auch der großzügige Einsatz von Pelzen. Drama ist das Hauptwort dieser Modegeschichten, die ihre Energie von solchen Showbiz-Kanonen wie Josephine Baker, Aretha Franklin, Valaida Snow und Grace Jones ausleihen. Die seit langem erfolgreiche Antidiskriminierungsstrategie, das pejorative Klischee provozierend umzukehren, funktioniert auch hier. Meisel spielt das Animalische, Triebhafte souverän aus, wenn er sein makellos gepflegtes Model mit Pelz und Korsage in eine Hochburg des Machismo - in eine Autowerkstatt und unter chromblitzende Motorräder - versetzt. Die Männer, die im unverwüstlichen James-Dean- und „East of Eden“-Mythos noch so an blonde Sodafountain-Collegegirls gekettet sind wie Barbie an Ken, werden hier zur staunenden Staffage, wenn Model Toccara Jones im Marilyn-Monroe-Stil Rock und Federboa liftet, einen Kleinwagen stemmt und sich mit opulenten African-Mama-Brüsten und einer diskreten Einladung im Blick auf dem Seitensitz einer Limousine darbietet.
Das Potential dieser „Vogue“-Ausgabe wird vollends deutlich, wenn man das Heft von Anfang an durchblättert. Dort sind die Werbeseiten vor dem editorischen Teil wie harmlose Eunuchen postiert. Plötzlich kommt einem das Frauenbild in der geläufigen Werbefotografie ganz unerträglich vor. Mädchenhaft scheu, sehnsüchtig mit offenem Mund, weniger Lolita als Sterntalerkind, harmlos lieblich wie in Hugh Hefners Caféhausschürzen oder einst auf dem orientalischen Sklavenmarkt, den Blick demütig empfangend, ganz überraschte Susanna im Bade, so bieten sich die Models an - und man meint, einen Fundamentalismus zu spüren, den westliche Hybris entschieden weiter östlich angesiedelt hatte.
Hinzu kommt eine aus der Soft-Pornographie vertraute Vorliebe für latent lesbische Szenarien. Bestenfalls treten die „Freundinnen“ wie bei Max Mara in einer etwas verängstigten Hommage an Helmut Newtons paramilitärischen Yves-Saint-Laurent-Shoot „Sie kommen“ auf. Sonst umhalsen sich die Models wie siamesische Zwillinge oder bilden andere spiegelbildliche Formationen: Ihr Terrain ist der pubertäre Narzissmus, ihre Funktion wie schon vor hundert Jahren das männliche Accessoire.
In Steven Meisels italienischen Fotogeschichten sucht man vergeblich nach dieser Geisha-Attitüde des westlichen Werbemarkts, da ist keine Selbstbescheidung, kein jungfräuliches Zittern vor dem zudringenden Blick, kein Betteln und kein Zweifeln. Da ist die pure Kraft der Trümmerfrauen, die in der Fotografie der Fünfziger zum Dekor erstarrte und von den Sechzigern abgeräumt wurde, um das Regime der Elfen zu installieren. Schwarze Superstars wie Lauryn Hill, Beyoncé Knowles und Mary J Blige haben dieses Frauenbild längst hinter sich gelassen, doch bisher fand dieser weibliche Paradigmawechsel jenseits der Mode und ihrer Runways statt. Yves Saint Laurent engagierte schwarze Models, der aus Israel stammende Designer Alber Elbaz gestaltete einmal eine ganze Show mit ihnen, auch Michael Michalsky zeigte jüngst mehrere schwarze Frauen und begründete das nach seinem Berliner Defilee mit dem Bedürfnis, die bunte Mischung seines Freundeskreises symbolisch zum Ausdruck zu bringen. Doch meist ist das gelegentliche schwarze Model in der Mode nichts als ein Statement zur politischen Korrektheit.
Der Ansturm auf das Juli-Heft der italienischen „Vogue“ hat etwas von einer Nelkenrevolution, vom spontanen Auftauchen einer kollektiven Energie, die nur auf ihren Sammelruf gewartet hat. Noch ihre März-Ausgabe konnte die amerikanische „Vogue“ mit dem heftig kritisierten Titelbild einer Gisele Bündchen in den Armen des schwarzen, kingkonghaft bleckenden Zwei-Meter-Handballers LeBron James eröffnen. Doch zurzeit ist die Modestarfotografin Annie Leibovitz für das Condé-Nast-Magazin „GQ“ als Wahlkampfbegleiterin von Barack Obama unterwegs. Der Präsidentschaftskandidat beschleunigt einen Erdrutsch, der sich längst angebahnt hat.
Der Modejournalismus reagiert auf die überraschende Black-Issue-Nachfrage, indem er die Schuld am weißen Status quo den Modelagenturen zuschiebt, die sich nicht die Mühe machen, nach schwarzen Frauen zu suchen, und ihnen die eher auswechselbaren Schönheiten aus dem slawischen Raum vorziehen. Auch hier kriselt es schon, seit die BBC 1999 eine mit versteckter Kamera aufgenommene Reportage über die führenden Köpfe der Pariser Agentur „Elite“ gesendet hat. Dabei ging es nicht nur um von minderjährigen Model-Kandidatinnen eingeforderte Liebesdienste, sondern auch um eine private Bemerkung Xavier Moreaus, der bei einem Essen sagte: „Afrika wäre okay, wenn dort alle weiß wären. Ich mag keine schwarzen Mädchen.“ Die Chefin der Agentur „Mahogany Model Management“ brachte jetzt die Situation auf den Punkt: „Unsere Modeindustrie ist institutionell rassistisch.“
Vielleicht hat man die Ironie nicht verstanden, mit der die amerikanische „Vogue“ den ersten schwarzen Mann überhaupt auf ihr Cover brachte, denn sie ist von derselben Art wie Meisels Tour de Force. Längst ist das Magazin der Anna Wintour Vorreiter darin, auch dickere, ältere, kürzere oder sonst weniger als ideal proportionierte Frauen zu zeigen. Damit die italienische „Vogue“ nicht einfach schwarzen gegen weißen Elitismus eintauscht, setzte Steven Meisel das kurvenreiche Model Toccara Jones durch. Doch im Black Issue geht es nicht um Varietät, sondern um Varieté im Sinne der explosiven Naturen und charismatischen Persönlichkeiten. Es könnte sein, dass wir an der Schwelle zu einer neuen Modeästhetik stehen, die sich nicht damit begnügt, den immer gleichen Prototypen ein zusehends individuelles Styling angedeihen zu lassen, sondern diese Unkonventionalität auch von innen fordert.