Bademantelgedanken

Feuilleton
zitiert nach: Hans Bender [Hrsg]: Klassiker des Feuilletons, Stuttgart 1967. S. 38-43.

Es gibt keinen glänzendern Beweis dafür, „daß Mann und Weib ein Leib ist“, als das Badeleben überhaupt, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen; denn kaum ist zum Beispiel die Frau acht Tage in Baden, so spürt der Mann in Wien schon eine Erleichterung! Während sich die Frau in Baden zerstreut, kann sich der Mann in Wien sammeln, und was der Mann in Wien sammelt, kann die Frau in Baden zerstreuen! Das Badner Heilwasser, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, übt vorzüglich einen großen Reiz auf die Haut, deshalb geht vielleicht manche reizlose Haut hierher, in der Meinung, sie wird hier einen neuen Reiz bekommen; die Kraft aber, welche das Bad auf die aufsaugenden Gefäße ausübt, erstreckt sich Wieder von der Frau auf den Mann, denn ihr Aufenthalt in einem Badeorte saugt oft seine Silber- und Goldgefäße in der Stadt auf!

Nach dem Bade öffnen sich nicht nur die Hautporen, sondern auch die Herzensporen; der Mensch im Bademantel ist wahrer als der Mensch im vollen Anzuge, und besonders die Frauenzimmer, je mehr sie fremden Flitter anziehen, desto mehr ziehen sie von ihrem eigenen schönen „Ich“ aus; sie sind wie ein Magnet, je mehr sie anziehen, desto schwächer wird ihre innere Kraft; deshalb suche man die Frauenzimmer nie zu rühren oder zu versöhnen, wenn sie in Gala sind: die Frauenzimmer und die Ungewitter sind im Anzuge am fürchterlichsten! Wenn die Frauen aufs Land gehen, nehmen sie von der Stadt nichts mit, als alles - das heißt Schneider, Schuster, Marchand de modes, und lassen gar nichts zurück, als nichts, das heißt ihre Wirtschaft und ihren Mann.

Die Wiener Ehen sind, wie die Krebse, am besten in den Monaten Mai, Juni, Juli, August, da gehen die Frauen aufs Land, und die Männer genießen in der Stadt den allgemeinen Landfrieden. Die Wiener Frauen sind im Sommer wie echter Malaga, sie werden nicht eher gut, als bis sie die Linie passiert haben! - Indessen, wie sieht’s mit dem Land- und Badeleben der Männer aus? Wie kommt’s, daß unsere Männer nie trockner sind als im Bade? Daß sie nie weniger Leben haben als im Landleben und daß sich jeder von ihnen nie mehr langweilt, als wenn sie gerade zusammenkommen, um sich zu unterhalten? Unsere Männer glauben, wenn sie in einem Badeorte herumlaufen, in einem leinenen quadrillierten Kittel wie eine schottische Ballade, so haben sie alles getan, was die Menschheit für den Glanz eines Badeortes tun kann; aber es gibt schönere Talente als einen gewürfelten Drillrock und liebenswürdigere Eigenschaften als grüne Pantoffel! Es ist in einem Badeorte nicht genug, daß man sich warm hält, man muß auch die Gesellschaft warm halten, und es reicht nicht hin, alle Tage im Park von zwölf bis ein Uhr hin und wieder zu gehen, sich dann auf eine Bank bescheiden selbst in Schatten zu setzen; denn so ist die Konversation durch die Bank dahin!

Viele unserer jungen Badeherren, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, sind wie die Badekessel, sie geben nicht eher einen Ton von sich, bis sie voll von Wasser sind und man ihnen einheizt, daß sie kochen. Wie sie sich dem schönen Geschlechte nähern und umgehen sollen, lernen sie weder im Frauenbad noch im Dunstbad, und sprechen sie eine an, so glaubt sie gewiß, er kommt aus dem Tropfbad! - Anstatt den Umgang mit dem schönen Geschlecht praktizieren sie den Herumgang um das schöne Geschlecht! Überhaupt sind die Wirkungen der Schwefelbäder auf Liebe, Geselligkeit, Umgang, Geist und Grazie sehr verschieden. Zu einem Liebesgeständnis ist ein Schwefelbad wie vorgeschrieben, denn es macht bei dem galanten Ritter: erst Angstgefühl, dann Brustbeklemmung, dann geht’s in einen Schwindel aus, und verweilt man zu lange, überfällt einen ein kleiner Schauer. Gewiß wirken die Bäder nicht bloß auf Milz und Leber, sondern auch auf Herz und Hirn! Warum soll der Schwefel bloß eine Leberverhärtung kurieren und nicht auch eine Herzverhärtung? - Es ist sonderbar, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, daß die Natur es mit den unedlen Leidenschaften besser gemeint hat als mit den edlen; der Sitz des Hasses, des Zornes, der Galle ist groß und bequem in Milz und Leber, und wie klein ist das Herz, der Sitz der Liebe und der Großmut? Wenn die Leber verdorben ist, zeigt es die Natur gütig durch Leberflecken an, aber wenn das Herz noch so verdorben ist, kommen keine Herzflecken hervor!

Das Herz, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, hat zwei Kammern. Die Frauenzimmer haben eine zur Garderobe und die andere zur Kaffeestube gemacht. Die Männer machen aus der einen ein Spielzimmer und aus der anderen ein Rauchzimmer. Zum Glück nehmen die Herzkrankheiten unserer Männer einen ganz anderen Verlauf als ihre Leberkrankheiten. Die Leberkrankheiten endigen meistens mit Wassersucht, die Herzkrankheiten mit Weinsucht! Es geht dem kranken Herzen unserer Männer, wie es einem meiner Bekannten mit seiner kranken Leber ging. Dieser litt nämlich lange an seiner Leber, er konsultierte alle Ärzte vergebens, endlich reiste er nach Berlin zu einem berühmten Arzte, der untersuchte ihn und rief endlich erstaunt aus: „Es ist unerhört! Sie haben gar keine Leber!“ Man kann sich den Schrecken meines Freundes denken, der wegen plötzlichen Mangels an Leber ganz trostlos War. Nachdem ihn auch dieser Arzt lange erfolglos behandelte, reiste er nach Heidelberg zu einem renommierten Professor der Medizin, dieser untersuchte ihn noch strenger und länger und rief endlich noch erstaunter aus: „Es ist unerhört! Sie haben zwei Lebern!“

So sind die Herzkrankheiten unserer Männer, entweder weil sie gar keines oder weil sie mehrere haben. Wenn unsere Männer ihr Herz verschenken, so machen sie es wie die guten Wirte, wenn sie einem eine Flasche Wein verehren: das leere Herz bitten sie sich wieder zurück! Der Mann schneidet gleich aus dem Sterbekleide einer alten Liebschaft schon Windeln für eine neuzugebärende Liebschaft. Die Frauen hingegen lieben bloß einmal aus Spaß und einmal aus Ernst. Das erste Mal messen sie ihr Herz bloß, um zu sehen, wieviel hineingeht, und dann füllen sie es aus mit dem rechten Inhalt. Das Weibliche Herz liegt leider da wie ein Einschreibbuch auf dem Brocken- oder Schneeberg. Wie wenig Männer zeichnen da etwas Erhabenes ein, und kommt auch einmal jemand, der einen Göttergedanken in ein solches Herz einschreibt, so schreibt gleich auf der Rückseite jemand eine Gemeinheit, einen rohen Scherz usw., und da bleibt dem armen weiblichen Herzen nichts übrig, als das ganze Blatt mitsamt dem göttlichen Gedanken herauszureißen!

Die Wirkung des Schwefelbades auf die Kokettierorgane ist erstaunlich!

Ich habe Frauenzimmer gekannt, die mit völliger Lähmung der Augenlider hieherkamen; ich glaubte, ihre Augen hätten Eisenbahnaktien, so niedergeschlagen waren sie immer, sie hatten von der Augensprache so wenig gewußt, als ob sie ihre Muttersprache wäre. Also, sie kokettierte so ganz und gar nicht, daß sie ihre Blicke beim Kopf nahm und zu Boden schlug. Nach den ersten acht Tagen gingen die Blicke schon im Park herum, ohne Krücken, und nach abermals acht Tagen hatten sie mit dem linken Aug‘ alle Männer umzingelt, mit dem rechten sie zu Gefangenen gemacht, und noch mit einem dritten Aug‘, welches ich früher gar nicht gesehen habe, sie auf Ehrenwort entlassen, daß sie keiner anderen Fahne dienen wollen.