Widuwilt

Feuilleton
zitiert nach: Hans Bender [Hrsg]: Klassiker des Feuilletons, Stuttgart 1967. S. 154-156.

Widuwilt, so heißt er. Und kann von dem herrlichen Namen so selten Gebrauch machen. Er sitzt nämlich meistens im Gefängnis oder im Irrenhaus. Man kann sich eine Dame vorstellen, die flüstert: „Mit wem habe ich das Vergnügen?“ Und lautet die Antwort süß und mild: „Widuwilt -“ - wie sollte sie da widerstehen?

Das Merkwürdigste aber: er nennt sich in den seltensten Fällen mit diesem schönen und bewegenden Namen. Er sagt viel einfacher Koch oder Schulze - und die Sache klappt auch. Er ist nämlich Heiratsschwindler. Nur wenn er wahnsinnig ist, dann genügt ihm weder Schulze noch Widuwilt, dann nennt er sich den flammenden Sohn Zarathustras.

Der Fall, der zur Anklage steht, betrifft eine verwachsene Dame von einigen vierzig Jahren, Kriegerwitwe. Sie erzählt sehr warmherzig und naiv: „Nach dem Kriege war ich im Reichswirtschaftsministerium, dann wurde ich abgebaut. Beim Abschied sagte man mir im Ministerium, ich solle mich wieder verheiraten.“ Also sah sie sich um und erspähte Widuwilt.

Ein Teil ihres Vermögens bestand aus Zwanzigmarkstücken mit dem Bilde Kaiser Friedrichs. Als der Krieg ausbrach, lieferte sie sie der Reichsbank ab, unter der Bedingung, daß man sie ihr nach dem Kriege wiedergäbe. Da ruhten sie während der schrecklichen Zeit in den Tresors der Jägerstraße - und am Ende gab man sie ihr wirklich zurück. Dann aber kam Widuwilt; kam, sah weg, siegte. Und nahm die schönen Goldstücke.

Die Sache liegt prozessual verwickelter, als es den Anschein hat. Widuwilt ist auch in leidlich gesunden Tagen ein schwerer Psychopath, das bekunden die Ärzte, fügen aber hinzu, daß er für seine verbrecherischen Handlungen verantwortlich ist. Sowie er aber im Gefängnis sitzt, wird er wirklich wahnsinnig, dann bricht eine unzweifelhafte Psychose bei ihm aus. Also wandert er ins Irrenhaus. Entläßt man ihn, so wird er sofort wieder gesund und begeht einen Heiratsschwindel nach dem andern. Nimmt man ihn fest, wird er gleich wieder wahnsinnig.

Sogar seine Strafakten haben etwas Widerwilliges an sich; man kann sie nicht zusammenbekommen.

Niemand weiß recht, wie und wo er schon verurteilt wurde. Und man zögert, ihn wegen der verwachsenen Dame extra zu verurteilen. Offenbar hat er zur gleichen Zeit viel Ähnliches begangen und ist schon im einzelnen abgeurteilt worden, so daß der Richter geneigt ist, wegen offenbar fortgesetzter Handlung das Verfahren einzustellen. Also wird vorläufig vertagt.

Widuwilt hat ja auch keine Eile. Er sitzt im Irrengefängnis, ist leidlich wahnsinnig und wartet ab, was die außerhalb der Anstalt Befindlichen im Namen der Vernunft über ihn beschließen. „Ein unglücklicher Mensch“ - sagt der weise und gütige Psychiater.

Ach ja.

Nur möchte man bemerken: ist auch mit den Wahnsinnigen nicht viel anzufangen - gäb’s doch ein Mittel, das wenigstens die Vernünftigen verständig macht!