Das Schweigen der Pilze

Kritik
zuerst erschienen am 07. Oktober 2011 in Der Freitag
Ein erschreckender Bildband zeigt das Wohnhaus des Schriftstellers Peter Handke

Wenn sich Peter Handke nicht in Serbien aufhält, wo er mit Kriegsverbrechern wie Radovan Karadžić den örtlichen Pflaumenschnaps zu trinken pflegt, lebt er in einem verfallenen Häuschen zwischen einer Bahnlinie und einer Landstraße an der Pariser Peripherie. Sobald die Dämmerung über die Vorstadt fällt, huscht Handke in die nahen Wälder hinein, auf der Suche nach Pilzen, Nüssen, Eicheln, Ästen, Federn, Schwämmen, Moosen und Flechten, die er in großen Mengen zusammenklaubt, um sie in seinem Haus zu horten.

Dementsprechend sieht es dort auch aus, wie der Bildband Peter Handke. Portrait des Dichters in seiner Abwesenheit der Fotografin Lillian Birnbaum dokumentiert. Und wie dieser Titel bereits verrät, ist Handke selbst im Buch nicht zu sehen, allein die letzte Seite zeigt seine ledrigen Literatenhände beim behutsamen Zurechtstutzen eines Steinpilzes. Ansonsten zeigen die Fotografien eine beklemmende Verwahrlosung, als sei der Komposthaufen auf einer Woge aus Weltschmerz in die Wohnräume hineingeschwappt. Um wie Birnbaum darin eine „geheimnisvolle Ordnung“ zu erkennen, „Installationen“ sogar, die „anziehend schön“ sind, muss man zuvor wohl eine von Handkes magischen Pilzpfannen zu sich genommen haben.

Nirgends im Haus ist ein Abfalleimer zu sehen, das Haus selbst ist der Abfalleimer. Es sieht aus wie bei einem auf sich selbst gestellten Pensionär, dessen Rente zum Erwerb herkömmlicher Lebensmittel nicht ausreicht, sodass er zum Überleben auf öffentliche Waldflächen angewiesen ist. Auf staubigen Tischplatten drängen sich Schalen mit Nüssen und Pilzen und Schnecken und diversen Nachtschattengewächsen in unterschiedlichen Stadien der Verwesung. Zu diesem fragwürdigen Speiseplan, offenbar von dem eines Nagetiers inspiriert, passt wiederum auch der ungeheure Fundus angebissener Bleistiftstummel, die Handke in jeder Schublade zu bunkern scheint, neben Münzen und Federn und undefinierbaren Knollen.

Wie aber ist das einsame Überraschungs-Ei zu erklären, das sich an den Rand eines Vanitas-Büfetts verirrt hat? Soll das Ei vielleicht die verlorene Kindheit symbolisieren? Wohl eher nicht, denn vor 60 Jahren, als Handke ein Kind war, gab es noch keine Überraschungseier. Zudem hat Handke seine Kindheit eigenen Angaben zufolge in „unerschlossenen Grotten“ verbracht, die von „ewignassen“ Tropfsteinen durchwachsen waren und in denen der kleine Peter aus Hunger und Zorn „ganze Steinwälder“ abzuschlagen pflegte, sodass als Symbol für die verlorene Kindheit wohl nur ein solcher „kostbarer Steinzapfen“ infrage käme. Ist das Ei vielleicht als christliches Symbol zu verstehen, das für Auferstehung steht, da es Leben in sich trägt? Diese Frage wiederum wäre nur in Kenntnis der darin verborgenen Überraschung zu beantworten. In Anbetracht dessen, dass dieses Ei sein Verfallsdatum wahrscheinlich um Jahre überschritten hat: Mag es gar für Jugoslawien stehen?

Heikle Fragen, aber solche ließen sich im Kontext mit Handke noch nie vermeiden. Er lebt im Wald, in einem knorrigen Häuschen, seine Vorfahren stammen aus dem Harz, den er gerne wandernd durchstreift und der Heimat der Walpurgisnacht ist, er hat wirres langes Haar, besitzt eine gesteigerte Empfindsamkeit, er verkehrt mit Verbrechern, ernährt sich von Zauberpilzen und so stellt sich doch auch die folgende Frage: Ist Handke eine Hexe? Garstig genug ist er ja, schmettert er doch Interviewern, die ihn nach seiner jeweils gerade verstoßenen Schauspielerin befragen, schon mal ein kerniges „Gehen Sie sich doch ficken!“ entgegen. Aber wenn er eine Hexe wäre, dann hätte er auch einen Besen, und eines ist sicher: Kein Besen hat Handkes Hexenhäuschen in den letzten Jahren von innen gesehen.

Überhaupt, was Handkes Frauen betrifft: von einigen Schnappschüssen abgesehen sind in seiner Casa Funghi keine Spuren einer Gefährtin zu entdecken. Es ist das stille Örtchen eines Einsamen, und je länger man dieses betrachtet, umso deutlicher ruft sich die schauerliche Masturbationsszene aus Handkes Der kurze Brief zum langen Abschied in Erinnerung. Man könnte darin ohne Weiteres auch ein Remake von Das Schweigen der Lämmer drehen, als österreichisch-französisch-serbische Koproduktion. Und ohne Zweifel wäre Handkes morbider Waldkosmos auch ein ideales Versteck für General Ratko Mladić gewesen, den „Schlächter vom Balkan“, der vor Kurzem in Serbien verhaftet wurde und den in Frankreich wohl niemand vermutet hätte. An einem Tisch in Handkes Unkrautgarten hätte er sich ungestört seinen Memoiren widmen können, von den Pilzpfannen seines Gastgebers dazu inspiriert, das resultierende Werk etwa Die Shiitake von Srebrenica zu nennen.

Aber nein, bei aller Sympathie, Mladić in seinem Garten, das wäre Handke zu viel der Intimität gewesen, als Dichter braucht er die Einsamkeit, und so trifft es sich gut, dass auch seine Frauen ihn nur selten besuchen, wegen der Unordnung sicher, darüber hinaus aber wohl auch aufgrund seiner aktenkundigen Neigung, sie mit Schlägen und Tritten zu traktieren. „Ich höre noch meinen Kopf auf den Steinboden knallen“, schreibt etwa eine Verflossene, „ich spüre noch den Bergschuh im Unterleib und die Faust im Gesicht.“ (Handke legt Wert auf die Feststellung, dass er der Dame nicht in den Unterleib, sondern lediglich „in den Arsch“ getreten habe.) Dass ein weiterer Faktor in seiner Vereinsamung eine krankhaft übersteigerte Ich-Bezogenheit sein dürfte, darauf lassen die zerfledderten Bücher schließen, die sich überall im Haus stapeln: Neben Wörterbüchern und obskuren Pilzfibeln scheint Peter Handke vor allem Peter Handke zu lesen.

Für Handkes Messietum, das Klauben, Horten und Bunkern, mag es allerdings eine positive Erklärung geben. Könnte es nicht sein, dass Handke an seinem letzten großen Roman arbeitet, den er aus der Perspektive eines Eichhörnchens zu erzählen plant? Könnte es nicht sein, dass er sich in ein solches daher schon seit Jahren einzufühlen versucht, unter Aufbietung des vollen Maßes seiner außergewöhnlichen Empfindsamkeit? Ein derartiges Vorhaben würde schließlich auch Handkes strikte Nagetierdiät erklären. Sein moosiges Lager für den Winterschlaf sucht man in Birnbaums Bildband allerdings vergebens.

Nach Veröffentlichung dieser kompakten Buchkritik schlug Schimmelbusch in 126 Online-Kommentaren der blanke Hass entgegen:

Er sei ein „selbstzufriedener kleiner Spießer“, der mit diesem „Schlamm-Artikel kläglich gescheitert“ sei. Kein Wunder bei einem „ehemaligen Investmentbanker“ der seine Zeit damit verbringe, in London „Champagner mit Wirtschaftskriminellen“ zu trinken. „Der Staubflöckchenkritiker des Freitag“, der wohl „lieber Sushi als Pilze“ fresse, lege ein „unangenehm elitäres Gehabe“ an den Tag, dabei sei er ein „Lump“ und nur als „armselig“ zu bezeichnen. Schimmelbusch, der fortan als „no-go“ gelten müsse, habe „einen der primitivsten Texte über Handke seit langem“ geschrieben, ein „billiges Artikelchen im Stürmer-Stil“, „fürchterlich oberflächlich“, strotzend vor dem „Machtgepose des Möchtegern-Alphamännchens.“ Gleichzeitig sei es, „als ob eine Hausfrau mit Waschzuber ausgeschickt wurde, um die Welt des Peter Handke zu kommentieren.“

Nach wiederholter Aufforderung seitens der Redaktion, sich konstruktiv in die Debatte einzubringen, postete Schimmelbusch schließlich folgenden Beitrag:

„Fruchtbarer als infantile Kommentare wäre beispielsweise die Vorstellung, Mladić hätte tatsächlich Zuflucht bei Handke gefunden, unter dem Tarnnamen Radoslav Massengrabić hätte er tagsüber einen Stand für regionaltypische Pilze auf dem Markt in der Pariser Rue Mouffetard betrieben, um nachts mit dem episch-lyrischen Schriftsteller in den Wäldern die Fährten zu lesen.

Man muss sich nur folgende Meldung in der New York Times vorstellen: After being recognized by staff during a boozy visit to the Michelin-starred Le Srébrénice, widely considered a fine choice for Serbian haute cuisine in Paris’ tony 6th Arondissement, sources close to the UN war crimes tribunal confirmed today, Massengrabić was tailed home by French security forces and apprehended while ambling aimlessly through a mossy mushroom orchard in the forest close to his residence. He was wearing a jet-black Mobutu-style Abacost suit by Yohji Yamamoto, hiking boots by Ludwig Reiter and clutching an Austrian-made Glock-69 machine pistol and a dog-eared copy of And Justice For Serbia, a crude manifesto of artsy-fartsy mumbo-jumbo by Serbian nationalist and fellow shroom aficionado Peter Handke, who, perhaps due to the onset of Mu-Err season, did not respond to repeated requests for comment yesterday.

In diesem Sinne.”