Richard Dawkins

Interview
zuerst erschienen im Februar 2013 in Interview, S. 66-69
Wenn dieser Mann eine Kirche betritt, kocht das Weihwasser: Richard Dawkins ist der führende Atheist der westlichen Welt. Seine Anhänger verehren den Evolutionsbiologen aus Oxford als Gegenpapst. Benedikt XVI. selbst hat die Gefahr längst erkannt, die von Dawkins ausgeht. Und der Professor? Lässt sich in seinem Kreuzzug im Dienste der Wissenschaft nicht beirren. Sein neues Buch, ein Kinderbuch, soll die Jüngsten gegen das Gift des Glaubens wappnen.

[66] Professor Dawkins, wie haben Sie Weihnachten gefeiert?

Ich weiß, worauf Sie hinauswollen: Wieso feiert ein erklärter Atheist Weihnachten? Die Antwort ist sehr simpel: wegen der Konventionen. Was nichts mit Glauben zu tun hat. Wir haben im Kreise der Familie gefeiert. Wie es sich gehört.

Sie waren nicht in der Kirche?

Nein.

Aus Angst, das Weihwasser könne anfangen zu kochen?

Das ist albern.

Warum tragen Sie einen Pin mit dem Buchstaben A?

Das A steht für Atheist.

Muss man im dritten Jahrtausend den Nichtglauben so öffentlich zur Schau stellen?

Ja, da man sonst als Atheist gerne übergangen wird. Das A ist zudem das Zeichen meiner Out-Kampagne: Es ist an der Zeit, für den Nichtglauben einzustehen, ihn öffentlich zu machen, Rechte für Nichtgläubige einzufordern, sich dazu zu bekennen. In gewisser Weise ist es vergleichbar mit dem Coming- out von Homosexuellen.

Atheisten dürfen aber heiraten.

Das stimmt.

Und Präsident Obama vergaß auch nicht, die Nichtgläubigen in seiner Inauguration zu adressieren.

Ich habe diese Anerkennung wohlwollend zur Kenntnis genommen. Dennoch werden wir in aktuellen politischen Diskussionen und was unsere Rechte angeht viel zu oft übersehen. Es gibt beispielsweise viel weniger Juden als Nichtgläubige. Das sage ich nicht, um den Juden etwas vorzuwerfen. Ich sage es, weil wir, die Agnostiker und Atheisten, uns viel zu selten als Gruppe zu Wort melden.

Gibt es eigentlich nicht ein passenderes Wort für Nichtgläubige als Atheisten? Ihr großes Vorbild Charles Darwin nannte sich selbst Agnostiker.

Ich habe mich auch schon des Öfteren als Zahnfee-Agnostiker bekannt. Einfach, weil ich die Nichtexistenz von Gott nicht beweisen kann, seine Existenz jedoch so wahrscheinlich finde wie die der Zahnfee oder des fliegenden Spaghettimonsters.

Das heißt aber, dass Sie sich eine Hintertüre für eine mögliche Existenz eines höheren Wesens offen halten.

Wenn Sie an die Zahnfee glauben, dann haben Sie recht, dann lasse ich eine Hintertüre offen (lacht). Darwin nannte sich einen Agnostiker, weil er in einer anderen Zeit lebte und vorsichtig sein musste. Er zweifelte fundamental an der Erkennbarkeit Gottes. Ich glaube aber, man tut ihm nicht Unrecht, wenn man ihn als Atheisten bezeichnet.

Hat Darwin nicht Theologie studiert?

Man muss nicht an Gott glauben, um Theologie zu studieren.

Glauben Sie, Ihr Bestseller Der Gotteswahn hätte ihm gefallen? Darin erklären Sie aus darwinistischer Sicht, warum der Glaube an ein höheres Wesen ein grober Irrtum ist.

Wahrscheinlich nicht so sehr wie meine anderen Bücher über die Evolution. Darwin war ein Gentleman, ihn hätte an Der Gotteswahn mit Sicherheit gestört, dass das Buch an manchen Stellen die Gefühle anderer Leute verletzen kann.

Verletzt es Sie eigentlich, wenn man Sie Darwins Rottweiler nennt?

Nein. Rottweiler sind schöne Hunde.

Aber zurück zu Ihrer Frage nach einer passenden Bezeichnung für Nichtgläubige: Ein befreundetes Paar aus Kalifornien schlug den Namen Brights vor.

Brights hat einen sehr elitären, nicht gerade sympathischen Beigeschmack. Ich habe nichts gegen Elitäres, solange es sich nicht ausschließend verhält. Im Mensa-Magazin gab es eine Metastudie, die 43 Studien untersucht hat, die zum Thema Bildung/IQ und Religion durchgeführt worden waren. Das Ergebnis: Je schlauer ein Mensch, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass er oder sie Atheist ist. Das besagen 39 der 43 Studien. So gesehen trifft es der Begriff Brights ziemlich gut (lacht).

Sie sind der bekannteste Fürsprecher des Atheismus. Haben Sie keine Angst, dass Sie als eine Art Gegenpapst der Atheisten zum Anführer einer eigenen Bewegung werden könnten?

Bloß nicht! Ich will auf keinen Fall der Anführer eines Kults werden. Ich schreibe Bücher und freue mich, wenn ich helfen kann, den Blick einiger Menschen zu schärfen.

Und trotzdem verkünden Sie Ihren Atheismus mit einer Inbrunst wie einst Paulus das Evangelium.

Aber mit einer anderen Botschaft: Ich fordere Menschen dazu auf, für sich selbst zu denken, den eigenen Kopf zu gebrauchen und nach Beweisen zu fragen. Paulus predigte den Leuten, was sie zu denken haben. Das ist ein gewaltiger Unterschied.

Ist Atheismus Ihrer Prägung nicht auch eine Spielart der Religion?

Ein Bekannter von mir behauptet auch, dass eine Glatze eine Frisur sei.

Immerhin scheint der Papst die Atheisten als alternative Glaubensrichtung und damit Ihre Division ernst zu nehmen. Bei seinem Staatsbesuch in Großbritannien 2010 machte Papst Benedikt in seiner Ansprache die Atheisten für Hitler verantwortlich.

Was eine absolute Frechheit war. Vor allem von jemandem, der Mitglied der Hitlerjugend war. An seiner Stelle würde ich mich in Sachen Hitler nicht allzu weit aus dem Fenster lehnen!

Gemeinsam mit Christopher Hitchens bezichtigten Sie den Papst, er habe Verbrechen an der Menschheit begangen, und wollten vor seinem Besuch in Großbritannien ein Verfahren anstreben, ähnlich dem gegen den chilenischen Diktator Augusto Pinochet. Das klingt, entschuldigen Sie meine Wortwahl, nach einer mediengeilen Propagandamaßnahme.

Nein. Christopher unterbreitete mir die Idee der Anklage gegen den Papst wegen seiner offenkundigen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in einem Brief, und natürlich hatte er recht mit der Grundthese. Dennoch ließen wir das schnell fallen, berieten uns mit einem Anwalt für Menschenrechte und überlegten, ob man ihn nicht anklagen könne, da er Missbrauchsfälle innerhalb der katholischen Kirche bewusst unter den Teppich gekehrt hatte.

[68] Der Papst hat sich dafür entschuldigt.

Wow, eine große Geste. Die Untersuchungsergebnisse des Vatikans zu den Missbrauchsfällen übergibt er dennoch nicht den ermittelnden Behörden.

Professor Dawkins, Sie gelten als einer der profiliertesten Evolutionsbiologen unserer Zeit. Warum hegen Sie eigentlich diesen tief sitzenden Groll gegen Religion?

Weil Religionen uns lehren, damit zufrieden zu sein, dass wir die Welt nicht verstehen, dass wir nicht die Verantwortung für unser Handeln tragen und alles Irdische dem Willen eines Schöpfers folgt. Religionen geben keine zufriedenstellenden Antworten, ihre Welterklärungsmodelle taugen wissenschaftlich gesehen nicht mal als Witz. Zumal es für die meisten vermeintlichen Fragen doch wunderschöne wissenschaftliche Antworten gibt. Seit Darwin verstehen wir die Prinzipien der Evolution, warum sollten wir dann noch an einen Schöpfungsmythos glauben, warum weiter diesem Irrsinn folgen? Warum den gesunden Menschenverstand einfach an der Garderobe abgeben? Ohne Not, ohne Zwang! Das ist doch total absurd. Noch dazu im 21. Jahrhundert! Außerdem finde ich den Gedanken absurd, dass Menschen nur an etwas glauben, weil sie Angst davor haben, nach dem Tod in die Hölle zu kommen. Und wenn Eltern das aus Furcht vor Gott ihren Kindern erzählen und es so immer weitergegeben wird, verbreitet sich Glaube wie ein Virus.

Sie finden also, dass Eltern, die einem bestimmten Glauben angehören, diesen nicht an ihre Kinder weitergeben sollten?

Nein, wieso denn auch? Kinder suchen nach Antworten. Und wenn sie fragen, warum dies oder jenes falsch ist, kann man antworten: Du willst doch auch nicht, dass ein anderer Mensch dir so was antut. Kants kategorischer Imperativ als goldene Verhaltensregel. Ich finde, verantwortungsbewusste Eltern sollten Kindern nur das an Wissen weitergeben,was wissenschaftlich bewiesen ist. Beispielsweise kann man den Kindern erklären: Das ist Evolution. Dieser Vogel ist ein Seeadler. Der Baum am Ende des Gartens ist eine Birke. Gerne auch, dass es Menschen gibt, die an Religion glauben, dass es unterschiedliche Religionen gibt. Aber ihnen zu erklären, dass es nur den einen schöpferischen, allmächtigen Gott gibt, der die Erde in sechs Tagen erschaffen hat, halte ich für Kindesmissbrauch.

Haben Sie deswegen Der Zauber der Wirklichkeit geschrieben, ein Kinderbuch?

Unter anderem. Ich wollte Kindern die Schönheit der Logik, das Wundervolle der Wissenschaft, die schlagende Kraft von Fakten und Beweisen näherbringen. Jedes Kapitel behandelt eine Frage: Elementare Grundsätzlichkeiten wie „Sind wir allein?“, „Wer war der erste Mensch?“, „Warum gibt es so viele Tierarten?“ und dergleichen. Zuerst beantworte ich die Frage, wie dies Mythen, Märchen und Religion tun …

… um diese Annäherungen wenige Seiten später in sehr kurzweiligen, wissenschaftlich fundierten Erklärungen zu zertrümmern.

Ich argumentiere mit Wissenschaft, Wahrheit und Verstand.

Manchmal vielleicht ein wenig zu zielorientiert für Kinder.

Ich hätte das Buch geliebt mit zwölf! Meine Tochter ebenso.

Wie haben Sie denn Ihrer Tochter erklärt, dass es keinen Weihnachtsmann gibt? Und keine Zahnfee?

Nach den Gesetzen der Logik. Als sie alt genug war, sagte ich zu ihr: Komm, wir rechnen jetzt aus, wie viele Schornsteine es gibt auf der Welt. Und dann rechneten wir aus, wie schnell der Weihnachtsmann sein muss, um alle zu beliefern. Schneller als das Licht!

Das ist auf eine Art auch ganz schön grausam. Hat Ihre Tochter nicht geweint?

Das wäre sehr traurig gewesen. Aber: Kinder wollen nicht belogen werden! Kinder sind neugierig. Und sie schätzen nichts mehr als eine direkte, nachvollziehbare, ehrliche Antwort. Sie wollen Beweise! Und ich finde, dass sie Beweise verdienen. Auch deshalb habe ich das Kinderbuch geschrieben.

In einem Ihrer Bücher schreiben Sie, dass Sie als Kind in die Kirche gegangen sind. Wann haben Sie das erste Mal von Darwins Evolutionstheorie gehört?

Ich wurde in Nairobi geboren, mein Vater arbeitete dort als Botaniker. Die ersten Jahre unterrichtete meine Mutter mich, sie und mein Vater erzogen mich zur Neugierde und zu wissenschaftlichem Interesse, später hatte ich das Glück, einige der besten Schulen Großbritanniens zu besuchen. Und die waren in dieser Zeit noch anglikanisch. Das heißt: tägliche Gebete und Bibelstunden. Mit 13 wurde ich konfirmiert, mit 15 entdeckte ich Darwin.

Und kamen mit Darwin die Zweifel?

Eigentlich schon vorher. Wir zogen, als ich acht Jahre alt war, zurück nach England. Als Neunjähriger verstand ich, dass es unterschiedliche Religionen gibt. Dass aber nicht alle recht haben können, war das Erste, was mir aufstieß. Später dann, als ich Darwin für mich entdeckte, war mir schnell klar, dass es keinen Gott im Sinne eines Schöpfers geben kann.

Haben Sie Darwins Theorie der Evolution sofort verstanden?

Anfangs fand ich sie kompliziert, aber das legte sich schnell. Ich wollte einfach verstehen, wie Evolution vonstattengeht.

Wir sind mit einem Seepferdchen, einer Palme und dem Königspudel also tatsächlich verwandt.

Eine komische Vorstellung, dennoch zutreffend.

Ist es Ihrer Meinung nach sinnvoll, die darwinistische Lehre auf andere Bereiche, etwa die Weltwirtschaft und die seit 2008 anhaltende Bankenkrise, anzuwenden?

Grundsätzlich bin ich kein Freund davon, Darwin zu sehr zu strapazieren: Wenn man die Dinge lange genug hin- und herdreht, kann man mit ihm alles erklären.

So auch die pseudowissenschaftliche Rassenlehre der Nationalsozialisten.

Sozialdarwinismus hat durchaus Potenzial, missbraucht zu werden. Ich glaube jedoch nicht, dass Hitler und seine Schergen von Darwin motiviert wurden. Sie haben Versatzstücke seiner Lehre für ihre eigene Ideologie entwendet, um diese

aufzuwerten.

Die anglikanische Kirche hat sich im Herbst 2008 offiziell dafür entschuldigt, das Werk Darwins nicht anerkannt zu haben. Wie erklären Sie sich diesen Schritt?

Immerhin war die einen Deut schneller als die Konkurrenz: Die katholische Kirche hat sich erst vor wenigen Jahren für den Prozess gegen Galileo 1633 entschuldigt.

Wäre die Erde denn ein angenehmerer Ort ohne Kirchen, ohne Religion?

Stellen Sie sich so eine Welt doch mal vor: keine Selbstmordattentäter, kein 11. September, keine Kreuzzüge, keine Hexenverfolgung, kein Krieg zwischen Israelis und Palästinensern, kein Blutbad unter Serben, Kroaten, Muslimen, keine Verfolgung von Juden als Christusmörder, keine Ehrenmorde, keine Fernsehprediger im Glitzeranzug.

Aber auch keine Sixtinische Kapelle, keine Kantaten von Bach, kein Requiem von Mozart.

Einverstanden, vielleicht wären uns einige großartige Kunstwerke entgangen. Aber Kunst folgt immer dem Geld. Und wenn nicht Kirchenfürsten den Auftrag erteilt hätten, dann hätte es eben ein König getan. Michelangelo oder Mozart hätten auch anderswo Inspiration gefunden, vielleicht in der Natur. Oder, wie ich, in der Wissenschaft.

Früher hieß es: Die Religion fragt nach dem Warum, die Wissenschaft nach dem Wie.

Entschuldigung, aber das ist totaler Schwachsinn. Auch Darwin fragte nach dem Warum: Warum haben Vögel Flügel? Um ein Beispiel zu nennen.

[69] Gemeint waren die großen Fragen wie: Warum sind wir hier? Was ist der Sinn des Lebens?

Das sind Fragen, die keine Antworten verdient haben. Zumal die Tatsache, dass wir hier sind, Antwort genug gibt.

Aber das sind doch die Fragen, die sich jeder Mensch irgendwann stellt. Vielleicht sagt Ihr Kollege, der Evolutionsbiologe Stephen Jay Gould, deshalb, Evolutionstheorie und Religion sollten eine friedliche Koexistenz anstreben, da diese zwei völlig unterschiedliche Domänen besetzen. Er denkt, Ihre aggressive Rhetorik würde die Lage nur verschlimmern.

Ja, das postuliert er. Und politisch mag das sinnvoll erscheinen, vor allem in Amerika, da man sich gewisse religiöse Gruppen damit nicht automatisch zum Feind macht, da auch diese Gruppen an die Evolution glauben, allerdings noch immer mit einem allmächtigen Schöpfer im Hintergrund. Nach Goulds Version können also Wissenschaft und Religion prima nebeneinander existieren – was in meinen Augen absoluter Nonsens ist.

Immer noch besser als die Aussicht, amerikanischen Schülern Darwins Lehre in den Schulbüchern vollständig vorenthalten zu müssen.

Das hieße, den Krieg zu verlieren, weil man eine Schlacht gewinnen will. Nicht mit mir.

In einem früheren Interview sagten Sie, die Wissenschaften werden der Religion ohnehin unterliegen.

Das habe ich gesagt? Ich hatte wohl einen freien Tag!

Ihre Kritiker werfen Ihnen vor, sich nicht den führenden Köpfen der Kreationistenseite stellen zu wollen. Warum verweigern Sie Ihren schärfsten Kritikern eine faire Diskussion?

Weil diese schmutzig argumentieren, also irrational und unwissenschaftlich.

Dennoch könnten Sie sich auf lange Zeit viele Argumente sparen …

… indem ich der Gegenseite Respekt verschaffe? Allein die Tatsache, diesen Irrsinn als argumentative Grundlage anzuerkennen, schönt den Lebenslauf meiner Kritiker unverhältnismäßig mehr als meinen.

Wie lauten denn die Argumente der Gegenseite?

Schwachsinn wie: Wenn wir von Schimpansen abstammen – wie erklären Sie, dass es heute noch Schimpansen gibt?

Und?

Das zu erklären liegt weit unter meinem Niveau. Dafür ist mir meine Zeit wirklich zu schade.

Lassen Sie uns das Spielfeld wechseln: Viele Menschen finden Trost im Glauben. Wer soll Trost spenden, wenn nicht Gott?

Jeder Einzelne kann Menschen trösten. Die Religionen besitzen keinen Alleinanspruch auf Nächstenliebe oder andere moralische Konzepte. Nächstenliebe war nicht die Erfindung irgendeiner Glaubensgemeinschaft, sondern ist Teil des Verhaltenskanons der Menschheit. Außerdem: Als tröstend habe ich Gott nie empfunden. Der Gott des AltenTestaments ist ein ziemliches Scheusal. Ein eifersüchtiger,bösartiger, übellauniger Kerl, der wahrscheinlich mieseste Charakter in der Geschichte der fiktiven Erzählungen. Und welcher Gott lässt seinen Sohn einfach am Kreuz hängen – für unsere Sünden … Daraus hat die katholische Kirche dann schön all die Schuldgefühle destilliert, die sie brauchte, um die Menschen seit mehr als 2000 Jahren zu unterwerfen. All das ist doch einfach nur lächerlich. Und sehr ärgerlich.

Aber was, wenn Sie irren? Der Jüngste Tag dürfte in Ihrem Fall besonders deftig ausfallen.

Wahrscheinlich auch nicht schlimmer als bei jemandem, der den falschen Gott angebetet hat. Stellen Sie sich das mal vor: Sie dienen Ihr ganzes Leben einem Gott, gehen jeden Sonntag brav zum Gottesdienst, leben in ständiger Furcht, enthaltsam, in Sack und Asche, verschwenden also das einzige Leben,das Sie auf dieser wundervollen Erde haben – um dann festzustellen, dass dort oben nicht Gott, nicht einmal Jehova, sondern Baal thront, der es wirklich nicht zu schätzen weiß, dass Sie einem anderen Gott gehuldigt haben. Nein, für mich kommt das nicht infrage. Man stirbt, und das war’s.

Wenn Sie die Möglichkeit hätten, Gott eine Frage zu stellen, wie würde Ihre Frage lauten?

Zuerst würde ich fragen, welcher Gott er denn nun eigentlich ist. Aber viel interessanter wäre die Frage: Wo zum Henker warst du all die Jahre?

Haben Sie eigentlich keine religiösen Freunde?

Nein. Aber es ist nicht so, dass ich sie davonscheuche. Wahrscheinlich liegt es an den Kreisen, in denen ich verkehre. Intelligente Menschen neigen nicht zu tiefer Religiosität. Allerdings bin ich lose mit ein paar Bischöfen befreundet. Wir teilen unsere Liebe zur Kirchenmusik – und zu bemaltem Glas.

Und was sagen diese Bischöfe, wenn Sie den inneren Rottweiler von der Leine lassen und sich über das sogenannte intelligent design Gottes lustig machen?

Darüber, wie unvorteilhaft Lunge und Halsschlagader der Giraffe designt sind, oder darüber, dass dieser vermeintliche Schöpfer so schlau war, einen Geparden so schnell zu machen, dass er eine Gazelle erwischt, die Gazelle jedoch so schnell, dass sie einem Geparden davonrennen kann?

Sehr amüsant.

Jawohl.

Albert Einstein und Stephen Hawking scheuten das Wort Gott nicht so sehr wie Sie.

Aber diese Kollegen benutzen das Wort nie im Zusammenhang mit intelligentem Design, sondern immer in einem poetischen, metaphysischen Sinne. Einstein betonte des Öfteren, dass er nicht an einen persönlichen Gott glaube. Und Hawking schreibt in Eine kurze Geschichte der Zeit, dass wir, wenn wir denn das Universum in seiner Gänze verstehen, das Hirn Gottes verstünden. Das ist Poesie.

Hätten Sie gerne den Gottesbrief Einsteins ersteigert, der vergangenes Jahr unter den Hammer kam?

Selbstverständlich. Aber ich hatte gerade keine drei Millionen zur Hand (lacht).

Immerhin besitzen Sie die Erstausgabe von Darwins Entstehung der Arten.

Das ist richtig.

Professor Dawkins, Sie sind mittlerweile jenseits der 70. Werden Sie altersmilde?

Kann ich mir nicht vorstellen.

Ich werde das Gefühl nicht los, die Diskussion um Glaube und Atheismus hat in den vergangenen zehn Jahren erheblich an Schärfe zugenommen. Woran liegt das?

Wahrscheinlich am 11. September.

Weil vorher Religion, zumindest in der westlichen Welt, Privatsache eines jeden Menschen gewesen ist?

Zum Teil, ja. Dieser Tag gab dem religiösen Irrsinn definitiv Auftrieb. Und bis heute verstehe ich nicht, warum man ein Flugzeug entführt und dann, ohne etwas zu verlangen, bereit ist, in den Tod zu gehen. Was soll das? Wofür?

72 Jungfrauen, Weintrauben, das Paradies auf der anderen Seite.

Ach ja, richtig. Da war noch was.

Was erwarten Sie denn?

Ich werde vergraben oder verbrannt. Ich glaube nicht an ein Leben nach dem irdischen.

Glauben Sie denn, dass es Leben auf anderen Planeten gibt?

Man muss sehr arrogant sein, das zu bestreiten. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir alleine im Universum sind, ist ziemlich gering. Etwa eins zu einer Milliarde.

Zum Abschluss noch etwas Privates: Haben Sie eigentlich vor dem Altar geheiratet?

Nur beim ersten Mal.