Kalter Buffet

von 
Reportage
erschienen im August 1959 in TWEN

In einer Pariser Kunsthandlung steht seit letzter Woche eine Malmaschine. Das ist ein komplizierter Mechanismus mit einem Bauch voller elektrischer Schaltungen, Relais und Unterbrecherkontakten. Am einen Ende ist ein Schlitz für vier Hundert-Franc-Stücke. Am anderen Ende ist ein Pinsel mit einer Batterie Tuben. Wer mit seinen vierhundert Francs die Malmaschine zu ihrer aufregendsten Leistung inspiriert, soll einen Preis bekommen. 

So sensationell sich die Nachricht von der Malmaschine anhört - zahlreiche Pariser Kunstkritiker ließ sie ungerührt. Die Malmaschine, sagten sie, die haben wir doch schon lange. Das ist Bernard Buffet. Für das bißchen Essen und Trinken, das es bei den Lebensmittelhändlern am Boulevard Batignolle teils auf Pump, teils (aber seltener) gegen bar gab, produzierte Bernard Buffet im Anfang seines Funktionierens pro Tag ein Bild, oft aber auch zehn in der Woche. Inzwischen - da er entdeckt und berühmt geworden ist - hat er seinen Mechanismus aus einem Hinterzimmer am Montparnasse in ein Schloß in der Provence verlagert. Die Produktionsrate ist die gleiche geblieben. Die Preise seiner Produktion sind indessen um das Zehntausendfache gestiegen.

Atelier - dieses seit der Oper „Bohème“ für deutsche Ohren von künstlerischer Romantik umwitterte Wort - heißt in der nackten Übersetzung nichts anderes als „Werkstatt“. Auch der französische Automechaniker, die Flugzeugfirmen und die Schiffswerften haben ihre „Ateliers“. Bei Bernard Buffet empfiehlt es sich, die eigentliche, französische Bedeutung dieses Wortes im Bewußtsein zu halten. Buffets Atelier war früher eine Werkstatt, heute ist es eine Werkhalle. Buffets Atelier an der Rue des Batignolles war damals ein muffiges Zimmer mit einem dickbäuchigen Kanonenofen, einem schwarzen Eisenbett, einer Waschschüssel, ein paar Haken an der Wand, präparierter Leinwand, Farben, Pinsel und einem dicken Stück Kernseife mit einer Höhlung in der Mitte. Der Bildermacher reinigte seine Pinsel in der Rasierpinseltechnik: er seifte sie gewaltig ein und wusch sie mit kaltem Wasser aus. Auf dem Platz Picassos? Buffets Atelier im Schlößchen Manine in der Haute Provence ist in der Garage eingerichtet. Wenn er produziert, ist die Kunstwerkhalle mit zwei 1000Watt-Scheinwerfern ausgeleuchtet. Die zwölf Zimmer des Schlößchens, die für romantisch veranlagte Besucher noch das Parfüm jener galanten Zeit atmen, in der die schöne Dame Nine dem Prinzen Condé die Zeit kurzweilig machte, bedeutet Buffet nichts.

»Er ist der Maler unseres Jahrhunderts. Er ist der Maler des Zeitalters der Technik, der Automation, der Rationalisierung, des Fließbandprinzips. Er ist die künstlerische Projezierung eines unpersönlichen, schematisierten, sich selbst abtötenden Lebens in der Ära der Maschinen.“ Dies schrieb der Kritiker einer Pariser Kunstzeitung, als im vergangenen Jahr wieder einmal eine Ausstellung dieses als bedeutendes Malgenie des heutigen Frankreichs apostrophierten Pinselmillionärs Bernard Buffet eröffnet wurde. „Das bezieht sich nicht auf seine Kunst. Das bezieht sich auf seine Weise, Bilder hervorzubringen. Er ist eine Maschine - gebaut wie ein Mensch -, die malt.“ 

Zugegeben - die Kritiken klangen anders, als Bernard Buffet zum ersten Mal an die Öffentlichkeit trat. Das war 1946, als Buffet im „Salon des Indépendants“ zwei Ölbilder ausstellte. Diese beiden Werke fielen dem Kunstredakteur der Zeitung „Les Lettres Françaises“ auf. Pierre Descargues schrieb: „Buffet wird einmal Picassos Platz einnehmen.“ Und tatsächlich stellten auch vierzig von fünfzig Kunstexperten, die von der Kunstzeitschrift „Connaissance des Arts“ nach begabtesten Malern der Gegenwart befragt wurden, vierzig den jungen Buffet auf den ersten Platz. Inzwischen ist offenbar geworden, daß Buffets Bilder keine Kunstrichtung darstellen, sondern eine „Masche“. In einer Zeit, da andere Maler sich den Kopf nach immer neuen, gewagteren Farben und Farbnuancen zerbrechen, begnügt Buffet sich mit den verschiedensten Nuancierungen von Grau. Gelegentlich erlaubt er einem schwindsüchtigen Blau oder Rosa und einem fiebrigen Grün oder Gelb seine Motive zu begleiten. Die stehen messerscharf, wie in Glas geritzt in trostlos-öden Nach-Atomkriegs-Landschaften: gehenkte Menschen, verhungerte Tiere. „Die vier Jahreszeiten“: phantasielos und grau, aber exakt und präzise - ein asthmatischer Frühling mit einem einzigen dreieckigen, saftlosen Blatt. Ein magerer Sommer mit einer einzigen Ähre. Der Herbst: knochig, einen mageren Hering in der Hand; von der Art wie er auf vielen Buffet-Stilleben erscheint (seit seinem Reichtum hat Buffet den Hering allerdings häufig durch eine Plunder ersetzt). Ein lebloser, verzweifelter Winter.

System mit Gewinn

„Eine Art Mischung aus Frühgotik und Jugendstil“, witzelten die Kollegen, als er einer Ausstellung den Kopf des Johannes des Täufers auf einem sauberen, weißen Porzellanteller anbot: „Warum malst du nicht noch ein Salzfaß dazu und Flaschen mit Essig und Öl - zur Erhöhung des Realismus!“

Schon mit 19 Jahren fand Buffet seine Originalität, sowohl in der Raumeinteilung als auch im Strich. Davon ist er nicht abgegangen. Wie ein Toto-Spieler, der sich seine Kombination auskalkutiert hat und von der er nicht abgeht.

„… so daß unser Interesse merklich abstumpft“, schrieb der Kritiker der Pariser Zeitung „Le Monde“. „Und das Talent Buffets anscheinend auch.“

Und ein Besucher einer der letzten Ausstellungen Buffets zeichnete in das „Goldene Buch“ der Show ein verkratztes altes Buffet - mit weit aufgerissenen, leeren Schubladen. Was die reiche Kunstinteressentenwelt nicht hindert, weiterhin zehntausend Mark und mehr für einen Buffet zu zahlen - sogar dann, wenn sie das Werkstück noch nicht gesehen hat. Buffet-Großhändler Emil Drouant-David ist stolz darauf, daß seine Kunsthandlung in der Rue Faubourg St. Honoré regelmäßig Bestellungen auf neue Modelle erhält, die noch nicht produziert sind. Die Lieferfrist beträgt zeitweise drei Monate.

Der Entdecker Buffets hat indessen an dem Erfolg Buffets keinen Anteil. Als „Buffet“ für die meisten Menschen noch nur die Bezeichnung eines Möbelstücks war und noch nicht der Name des Aspiranten auf den Picasso Ruhmesthron, da kämpfte das Pariser Original Henri Heraut schon hauptberuflich für den Maler des Elends und der Trostlosigkeit. Henri Heraut war Maler und Kunstkritiker. Er war nachdem er sich mit allen Redaktionen verkracht hatte, Chefredakteur, Kommentator und Reporter in einer Person für das Käseblatt „Rayonnement des Arts“ (Das Leuchten der Kunst).

1947 hatte Buffet seine erste Allein-Ausstellung in einer inzwischen eingegangenen Bücherei in St. Germain. Am Tag der Eröffnung der Ausstellung streikte die Pariser Untergrundbahn. Es kam nur ein einziger Besucher: Henri Heraut. (Er wäre ohnehin zu Fuß gekommen.) Dieser einzige Besucher erwies sich als äußerst wichtig. Denn selbst wer über Heraut lachte - und das taten fast alle - dachte über ihn nach.

Ein Streik und seine Folgen

Im „Rayonnement des Arts“ konnte Heraut, das Enfant terrible der Pariser Kunstkritik, seinen phantastischen Einfällen alle Zügel schießen lassen. Denn das „Rayonnement des Arts“ war ein wirklich unabhängiges Blatt. Es brauchte weder auf Galerien und ihre Inserate noch auf Maler und deren Mäzene Rücksicht zu nehmen. Es wurde von Leuten finanziert, denen völlig egal war, was im Kunstteil stand. Die Geldgeber waren nämlich eine Gruppe von Besitzern der ehemaligen Pariser Bordelle, die auf Betreiben der Parlamentsabgeordneten Marthe Richard im Jahre 1945 geschlossen werden mußten. Und solange in jeder der zwanzig Ausgaben des „Rayonnement des Arts“ - mehr Nummern erschienen nicht - ein Leitartikel mit dem Titel „Wir fordern eine kontrollierte Prostitution“ oder „Im Namen der Gesundheit: eröffnet die Bordelle wieder“, oder „Weg mit den Dirnen von den Straßen“ gebracht wurde, konnte sonst in der Zeitung stehen, was Heraut immer schreiben wollte. Und Heraut wollte innmerzu über Buffet schreiben. Bis 1948 hatte er die von den Bordellisten aufgezogene Trommel genügend laut gerührt, so daß seinem Schützling die Hälfte des „Preises der Kunstkritik“ zugesprochen wurde, der von der „Galerie Saint Placide“ ausgesetzt wurde. Für seinen Fleiß hatte Buffet den Preis sicher verdient. Er entwickelte unter den Pariser Künstlern seiner Generation - und wohl auch früherer Generationen - eine ungewöhnliche Eigenschaft: er malte wirklich. Wenn er mit den anderen Schülern in der großen Halle im Erdgeschoß der Akademie saß, wo für 45 Pfennig eine dünne Suppe mit Wurst und ein langer Ranken französischen Brotes verabreicht wurde, dann waren dort sicher auch noch andere, die Talent hatten. Die meisten legten jedoch ihre Originalität mehr in ihr Äußeres als in ihre Werke (die schon von vornherein mit dem Nachteil behaftet waren, daß sie nie geschaffen wurden). Bernard Buffet war auch in keinem der Cafés rings um die Akademie herum zu sehen. Er war im Atelier. Er arbeitete. Er war der Musterschüler, der im Fleiß immer eine „eins“ nach Hause trug. Und auch in keinem Café erschienen echte Buffets als Bezahlung für aufgelaufene Getränke oder Sandwich-Schulden.

Es gab jedoch jemand, der Buffets Arbeitswut wenig Verständnis entgegenbrachte. Eines Nachts ertönte lautes Gekreisch aus dem 5. Stock eines Hauses der Rue des Batignolles „Ich habe genug“, keifte eine Frauenstimme. Und dann polterte eine dralle Dame mit zwei Koffern die Treppen hinunter. Agnes, geborene Nanquette, seit 1946 Buffets Gattin, hatte es endlich satt, die Nächte allein im Bett zu verbringen. Heraut meint, daß Buffet den Verlust seiner Gattin äußerst gefaßt aufgenommen habe. „Man kann entweder nur Künstler sein, oder nur Ehemann“, soll Buffet gesagt haben, „für beides braucht ein Mann vierundzwanzig Stunden täglich. Das Leben ist zu kurz für beides zusammen.“

Seit einem halben Jahr ist Buffet mit Annabelle, einem Mannequin und wie die Zeitschrlft„Newsweek“ schrieb - „bekanntem Typ aus den Cafés von St. Germain de Près“ verheiratet. Das wichtigere Datum in Buffets Leben ist jedoch der Tag, an dem der Kunsthändler Emanuel David von der berühmten Galerie Drouant-David ihn entdeckte. Die Galerie witterte das ganz große Geschäft. Sie kaufte den Künstler ein. Gegen ein monatliches Fixum produzierte Buffet ein monatliches Soll. Für einen Maler, dessen hervorstechendste Eigenschaft neben seiner originellen Masche der Fleiß ist, bedeutet dieses Abkommen den Schlüssel zu einer goldenen Zukunft. Monsieur David erwartete wohl mit Recht in einer Zeit des Neureichtums, der Übersättigung, des Übergewichtes, von Bildern des Elends ein gutes Geschäft. Der Erfolg Buffets überraschte aber selbst den mit allen Wassern gewaschenen Kunstkaufmann. Die Buffets gehen weg wie warme Semmeln. Innerhalb einer Woche verkauft die Galerie dreißig Bilder für rund eine halbe Million Mark.

Bernard Buffet ist in die höchste Gesellschaffssphäre aufgestiegen. Siebentausend Besucher stürmten am Eröffnungstag seiner letzten Ausstellung die Galerie Charpentier. Nicht nur die Kunstkritiker, auch die Klatschjournalisten haben sich seiner Person bemächtigt. Sentimentale Schnulzen weben einen süßlichen Hauch über sein Musterschülergesicht. Und seine Gattin Annabelle schrieb ein Buch - Buffet läßt ihr ja Zeit genug -, das ein Bestseller wurde: „Comme tout Ie monde“ - Wie alle Welt. Derweil steht Buffet vor seiner Leinwand. Er malt jetzt nicht mehr Einzelbilder, sondern er legt gleich ganze Serien auf. Das ist rationeller: „Krieg“, „Zirkus“ oder auch „Ansichten von Paris“, die im Postkartenformat als Ansichtskarten zu kaufen sind und auf denen Paris aussieht wie Böcklins Toteninsel…Gelegentlich auch noch einmal eins jener Stillleben mit den mageren Heringen, die die Rubens-Delikatessen bei den kunstverständigen Snobs verdrängt haben.

Ein kleines Bild mit einem Buffet-Hering steht übrigens zwischen allerlei Gerümpel im seit dreißig Jahren von Monsieur Heraut bewohnten und ebenso lange nicht mehr sauber gemachten Atelier in der Rue Moulin de Beurre. Heraut, der sich nach wie vor mit allen Redaktionen zerstreitet - das „Rayonnement des Arts“ wurde eingestellt, weil doch keine Aussicht mehr besteht, die Bordelle wieder zu eröffnen - und seinen Lebensunterhalt mit dem Verkauf eigener, nicht einmal schlechter Bilder bestreitet und im übrigen von Gemüsesuppen und Brot lebt, sucht die Leinwand hervor. Er sagt mitleidig: „Buffet. Armer Kerl. Magen kaputt, Tuberkulös. Seine Romanzen stehen nur in der Zeitung. Was hat er vom Leben. Die meisten Maler werden erst reich, wenn sie alt sind und sich nicht mehr viel Genuß kaufen können. Buffet ist mit seinen einunddreißig Jahren heute schon so weit. Bu-bu-Buffet. Ja, ja, ja.“

Buffet-Entdecker Heraut stottert nämlich ein wenig.