Was machen: Tobias Bärmann

Interview
zuerst erschienen im Juli 2012 auf Minusvisionen.de
Der Mensch hat zu seinen Pflanzen eine ganz besondere Beziehung – so sagt man. Manche hegen und pflegen sie. Einige gießen nur. Gelegentlich wird mit ihnen gesprochen oder es wird ihnen Musik vorgespielt. Alles zum Wohle eines Organismus. Doch was, wenn die Yucca-Palme nicht mehr will, sie nicht mehr ins saisonale Dekor passt oder einfach vergessen wird und schließlich ‚eingeht'? Die Entsorgung scheint zu einem persönlichen Problem zu werden. Der Hamburger Fotograf Tobias Bärmann wurde im Frühjahr 2010 erstmals auf ‚ausgesetzte' Pflanzen aufmerksam, sammelte diese ein, hortete sie – zum Interesse der Nachbarn – auf dem eigenen Balkon und setzte sie schließlich in Szene. Seitdem heißt es „Your Plant Is Here".

Wie ist die Idee zu „Your Plant Is Here“ entstanden?

Die erste Palme habe ich im Spätsommer 2010 in Bochum gesehen. Dort wurde eine Art Haushaltsauflösung betrieben, bei der fernab des normalen Hausmülls eine Palme ohne Blätter stand. Diese hat sehr gestunken und hatte einen komisch silbrigen Stamm. Aber vor der ebenfalls kargen Garagenwand stand sie dort eher Stolz da. Da ist mir zum ersten Mal aufgefallen, dass Pflanzen ausgesetzt und verstoßen werden. Pflanzen, die bei vielen sehr lange in der Wohnung gestanden und den Besitzer beglückt haben. Das fand ich absurd. Dann habe ich angefangen, die Augen offenzuhalten und plötzlich sieht man sehr viele - in Gebüschen oder an Müllcontainern. Es kommt vor, dass ich innerhalb kürzester Zeit mehrere Palmen finde. Letzte Woche erst, nach einer langen Durststrecke, bin ich in Hamburg einem Vater mit seiner kleinen Tochter begegnet, der offensichtlich eine Palme loswerden wollte. Das war dann auch der Fall. Das Kind hat ganz verstört geschaut, wie wir beim Vorbeigehen die Palme getauscht haben. Es kann auch so gehen.

War zunächst ein ästhetischer Moment für dich ausschlaggebend, oder der Kontext des Auffindens?

Die Pflanze war für mich als Objekt interessant. Hinzu kam, dass diese erste Palme eine so untypische Erscheinung hatte, völlig entfernt von dem, wie man sich eine Palme vorstellt. Interessiert hat mich aber vornehmlich die Tat an sich. Das Aussetzen der Pflanze.

Wie kam es zu der Wahl, dass du die Pflanzen schlicht vor einem schwarzen Hintergrund in Szene setzt und nicht in einer künstlichen Wohnsituation?

Pragmatismus. Für die erste Palme hatte ich nur einen grauen Hintergrund zur Verfügung, da ich das Foto bei einem Kollegen in Bochum aufgenommen habe, der diesen Hintergrund und nur wenig Licht hatte. In Hamburg habe ich die Aufnahmesituation weiterentwickelt und schließlich einen schwarzen Hintergrund gewählt. Die Schwärze passt gut, da der letzte Moment der Palme dargestellt wird. Die Palme scheint sich vor dem Hintergrund abzusetzen, verschmilzt aber gleichzeitig damit.

Du hättest natürlich auch die Tatorte in Szene setzen können.

Bei der ersten Pflanze war das Teil der Überlegung. Ich wollte den Moment aber noch absurder gestalten.

Aber auch eine Aufwertung?

Im Grunde ja. Eine Art letzte Würde, die man der Pflanze erteilen kann.

Würdest du sagen, du machst Portraits, indem du entsprechendes Licht wählst?

Nein. Auch wenn einige Pflanzen vielleicht menschlich aussehen, kann man das nicht mit einem Portraitlicht vergleichen. Das Licht sollte sich dem Objekt anpassen können.

Pflanzenfotografien kennt man unter anderem von Fotografen wie Albert Renger-Patzsch oder Karl Blossfeldt, die der Neuen Sachlichkeit zugeordnet werden. Hast du in dieser Strömung Vorbilder, da sich nicht nur deine Bilder zu „Your Plant Is Here“ durch Nüchternheit und Klarheit auszeichnen?

Die Neue Sachlichkeit hat mich zu Beginn meiner Fotografie schon beeindruckt - sei es nur wegen der Fotografien selbst, oder der Aura der Fotografien aus dieser Zeit. An sich versuche ich meine Bilder schon klar zu halten, wobei mir Farbe und Form sehr wichtig sind. Bei einer Serie wie „Your Plant Is Here“ beruht die Idee auf dem Objekt. Deshalb finde ich es einfach notwendig, sich auf die Pflanzen zu konzentrieren. Die Form ist immer dem Verfallszustand der jeweiligen Pflanze geschuldet, oder eben in welchem Zustand der jeweilige Besitzer sich entschieden hat, die Pflanze vor die Tür zu setzten. Das macht die serielle Darstellung ja auch spannend.

Die Bilder wurden im Kontext des ersten n.a.t.u.r-Festivals in Bochum ausgestellt. Wie waren die Reaktionen darauf?

Die Idee des Festivals ist es, die verschiedenen Aspekte von Natur im urbanen Raum darzustellen. (Natürliche.Ästethik.Trifft.Urbanen.Raum) Viele Festivalbesucher fanden meine Bilder sehr düster. Das hängt natürlich damit zusammen, dass eine Ausstellung immer mit den Erwartungen der Besucher spielt. Wenn man zu diesem Festival geht, um Spaß zu haben und plötzlich mit verdorrten Palmen konfrontiert wird, dann werden die Erwartungen gesprengt. Ich glaube, die größte Erwartung war zu erfahren, was eigentlich „Guerilla Gardening“ ist.

Was hältst du von „Guerilla Gardening“?

Dass man sich die Natur nach Hause holt – als Schnittblume oder eben als Topfpflanze in Verbindung mit Erde – ist schon sehr alt. Dahingegen ist „Guerilla Gardening“ eine zeitliche Erscheinung und wird sehr gehyped. Wenn jemand Sehnsucht nach Natur hat und diese an seinem Haus oder seiner Mietwohnung haben möchte, soll er es einfach machen. Mein Nachbar hat mit Sicherheit noch nie etwas von „Guerilla Gardening“ gehört, trotzdem pflegt er im Sommer den Baum vor unserem Haus mit Wasser und entfernt das Unkraut auf dem Grünstreifen für seine Blumen. Ich sehe „Guerilla Gardening“ eher als einen Ausläufer der DIY-Bewegung.

Nimmt der Mensch sich dennoch keine Zeit mehr, seine Pflanzen zu pflegen?

Das ist natürlich schwer zu pauschalisieren. Auf den Bildern sind Palmen zu sehen, die zum Beispiel einen sehr dicken Stamm haben und sicherlich sehr alt sind und lange gepflegt wurden. Dahingehen gibt es auch die klassische Ikea-Palme, die bekanntlich mit dem Abscannen an der Kasse schon welk wird. Die Frage ist, warum werden die Pflanzen neben den Müll gestellt und nicht schnell geknickt und in irgendeinen Mülleimer geschmissen. Warum werden diese Pflanzen an den Glascontainer gestellt? Ist es der Gedanke, dass die Stadtentsorgung dort vorbeifährt und die Pflanze mitgenommen wird, oder sich ein ganz extrem grüner Daumen den beinahe toten Exemplaren annimmt?

Hast du eine Idee?

Es kann eine Art Schamgefühl sein, weil sich Menschen einen vertraulichen Gegenstand über Jahre angeeignet haben, der dann – vielleicht aus menschlichem Versagen – kaputtgegangen ist. Oder der absurde Gedanke, die Pflanze der Natur wieder zurückführen zu müssen. Vielleicht ist es auch nur Faulheit.

Was machst du mit den Palmen, wenn du sie fotografiert hast?

Ich lasse die Pflanzen fachmännisch beim Recycling-Hof St. Pauli entsorgen. Für zwei Euro.