Die klugen Dickköpfe

Reportage
zuerst erschienen im Februar 2005 in Chrismon Plus, S. 26-32
Durch das ländliche Indien geht ein Riss: In vielen Orten hat die „grüne Revolution" das Leben verändert. Doch die Not ist dadurch nicht gebannt. Beobachtungen in Dörfern mit traditionellen und modernen Anbaumethoden

[27] Alam Pratap Reddy sitzt auf seinem fürstlich großen Bett im schönsten Haus des Ortes und wirft dem Die­ner einen tadelnden Blick zu. Hat der doch, obwohl er, der Bürgermeister von Rentachintala, spricht, mit dem Kupfertablett beim Servieren der Teegläser geklappert. Doch einen Augenblick später umspielt wieder ein zufriedenes Lächeln die Augen des Bürgermeisters. Die Audienz kann weitergehen. Von der hohen Zimmerdecke surrt der Ventilator. Der Diener hat sich lautlos entfernt. Schon sein Vater, sagt Red­dy gestikulierend, sei Bürgermeister hier gewesen, zwei Amtsperioden lang auch sei­ne Frau. Das sei nötig gewesen wegen der Quotengesetze. Jetzt ist er selbst in der zweiten Amtszeit.

Das Dorf im indischen Bundesstaat Andrah Pradesh gehöre seiner Familie, witzelt er. Irgendwann einmal werde er für den Kongress des Bundesstaates kandidieren. Das sei teuer. Er hebt beide Hände hoch. „Eine Stimme kostet zehn Dollar“, klagt er. Zehn Dollar? Zweimal schiebt er die Rech­te mit allen fünf Fingern gestreckt vor. „Es ist ganz einfach, ich gebe den Leuten zehn Dollar, sie stimmen für mich.“ Das tun sie dann auch wirklich? „Ich traue ihnen“, sagt er, das sei „the Indian way of politics“. Bei Bürgermeisterwahlen funktioniere es „mit fünf Dollar. Der Kongress ist eine Nummer größer.“ Der Reporter der Lokalzeitung, der dabeisitzt, flüstert: „Ist normal hier.“ Bekannt wurde der südindische Ort Rentachintala mit seinen 15 000 Einwohn-[28]nern vor zwei Jahren, als hier neun Männer jeweils eine ihrer Nieren verkauft hatten, weil sie Geld brauchten. Indische Zeitun­gen schrieben darüber, das Fernsehen zeig­te Berichte, später kamen die „New York Times“ und TV-Teams aus England, Australien, Japan, Deutschland. Inzwischen hat die Regierung Gesetze gegen das Organ­spenden erlassen. „In dieser Hinsicht pas­siert nichts mehr“, sagt Bürgermeister Reddy. Ihn ärgert etwas anderes: „Wir sind ein reiches Dorf, aber auf einmal standen wir da wie ein ganz, ganz armes Dorf. Eine Schande.“

Ganz unerwartet war die Not der un­freiwilligen Organspender nicht gekom­men. Die Männer hatten Land mit geliehe­nem Geld zu ihrem eigenen hinzugepachtet und mussten außer Saatgut, Dünger und Pestiziden auch noch Zinsen bezahlen. In dieser Situation kam es zu ihrer persön­lichen Katastrophe. „Die Ernte war schlecht, sie mussten ihren eigenen Grund und Bo­den verkaufen.“ Die Männer, die sich eine Niere nehmen ließen, seien sowieso die Ver­lierer des Dorfes. „Trinker sind sie, arme Trinker“, sagt Reddy lapidar.

Der Bürgermeister will nicht, dass wir mit ihnen zusammentreffen. Es dauert lan­ge, sie ausfindig zu machen, und es gelingt nur bei drei von ihnen: Narmala Krishna, 37, Narisi Reddy, 40, und Poli Reddy, 35. Entgegen unserer Erwartung sehen sie ge­sund und vital aus. Sie erzählen auch be­reitwillig, wie sie ihre Nieren verkauft haben und dabei betrogen wurden. Und das war so: Sie mussten für ihre Fahrt nach Delhi und die Operation im Krankenhaus selber aufkommen, was sie vorher nicht wussten. Die Kosten wurden nämlich vom Lohn für ihre Niere abgezogen. Unter dem Strich blieben ihnen jeweils rund 1000 Eu­ro. Damit konnten sie zunächst ihre Schul­den tilgen, allerdings besitzt heute keiner mehr von ihnen Land. Zwar schenkte ihnen die Regierung nach dem Pressewirbel die Felder, doch dann machten sie neue Schul­den. Ihr Glück war von kurzer Dauer. Sie führen uns ihre Hütten vor. Es sind er­bärmliche Behausungen. Strom kann sich keiner der drei leisten.

Rentachintala erfüllt manche Klischees vom hungernden, bettelnden, korrupten Indien. 300 Familien besitzen das Land im weiten Umkreis. Die meisten übrigen Men­schen arbeiten als Tagelöhner. Genauer ge­sagt: Es sind oft Frauen, die dies tun, denn Männer werden von den Eigentümern kaum angeheuert, weil sie mehr Lohn be­anspruchen. Das ist für Bürgermeister Red­dy noch kein Grund zur Kritik. Immerhin, so erklärt er, habe es im Dorf kaum Selbst­morde von Bauern gegeben. Das zeige doch: „Hier ist alles in Ordnung.“

Etwa 20000 Bauern, so ergibt sich tat­sächlich aus verschiedenen Erhebungen von Regierungsstellen, haben sich inner­halb der vergangenen vier Jahre in Indien das Leben genommen, weil der wirtschaft­liche Druck nach der Öffnung des indi­schen Marktes, nach Dürre und Missern­ten zu groß geworden war. Ein weiterer Grund für ihre Notlage: Auch die Kosten für Pflanzenschutzmittel und Hybridsaa­ten sind wiederholt gestiegen. Zu Beginn der „grünen Revolution“, der Einführung hochgezüchteten Saatguts mit hohen Er­trägen, das den Einsatz von Kunstdüngern und Pestiziden erforderte, hatte die indi­sche Regierung noch alles kostenlos ver­teilt. Doch seit ein paar Jahren müssen die Bauern zahlen, und zwar Jahr für Jahr neu. Nicht überall wirkt Indien so depri­mierend wie in Rentachintala. Bhattwari, ein Dorf im Norden Indiens im Bundes­staat Uttaranchal, liegt abgeschieden am Hang eines Vorgebirges des Himalaya mit Blick auf den fast 7000 Meter hohen Ke-darnath. Vom Tal aus fahren Jeep-Taxis hinauf, sie bewältigen in eineinhalb Stun­den 500 Meter Höhenunterschied auf Hol­perpisten. Die letzte Wegetappe geht es zu Fuß weiter, zwei Stunden steil bergauf. Der Arzt Chandra Shekhar Bhatt hat uns am Rand des Dorfes erwartet und geht nun in den Ort voran. Die sozialen und wirt­schaftlichen Strukturen seien intakt, so er­klärt er gleich zu Anfang, die familiären ebenfalls. „Die Leute leben von dem, was sie ernten. Für ihr wirtschaftliches Überleben war wichtig, dass sie dickköpfig sind. Als Regierungsvertreter kamen und sagten, sie sollten in Zukunft Kunstdünger und In­sektenvernichtungsmittel benutzen, stie­ßen sie im Dorf auf taube Ohren. Niemand nahm die angebotene Hybridsaat an.“

1800 Menschen leben in Bhattwari. Das Dorf hat genau ein Telefon. In letzter Zeit schafften sich einige Familien einen Fern­seher an. Seit 20 Jahren gibt es im Dorf Strom, er kostet pro Haus und Monat um­gerechnet vier Euro. Wasser pumpt das Dorf aus einer Quelle und leitet es in die Häuser, auch das kostenlos. Chandra She­khar Bhatt, der Arzt, behandelt seine Pa­tienten ebenfalls meist kostenlos. Doch so kann er seine Frau, die kleine Tochter und sich selbst nicht ernähren. Daher hat er sich mit geliehenem Geld drei Videokameras gekauft, die er an Hochzeitsgesellschaften vermietet. Mit den Einnahmen bestreitet er einen Großteil des Familienunterhalts.

Wir sind gut informiert, als wir im Dorf ankommen. Chandra Bhatt wird im Dorf begrüßt wie ein guter Freund. Das hat einen besonderen Grund: Er engagiert sich für „Navdanya“. Die von der Wissenschaftle­rin und Globalisierungsgegnerin Vandana Shiva gegründete Bewegung kämpft da­rum, die traditionelle Landwirtschaft zu er­halten. Viele der Dorfbewohner sind- of­fensichtlich neugierig darauf, mit uns zu sprechen. Mit strahlenden Gesichtern la­den sie uns zum Essen ein, und kaum sit­zen wir an einem der Tische, schon müssen wir probieren, was auf ihren Feldern wächst: mal eine Limone, mal Nüsse oder Beeren.

Auf den Feldern treiben die Bauern ih­re Spaße mit uns, drängen uns, doch auch mal den Ochsen mit dem Pflug zu lenken, damit sie was zu lachen haben. Wir wehren ab, so genau wollen wir die traditionelle [29] Landarbeit nicht kennen lernen. Wir sind gebannt von der Schönheit des 2000 Meter hoch gelegenen Ortes. Das Licht ist hier oben am Rand des Himalaya heller als in den Tälern. Die Farben wirken kräftiger. Das Grün scheint zu glänzen. Das getrock­nete Basmati-Stroh, das in Ballen auf den Feldern liegt, riecht gut. Der Hang gegenüber mit Hunderten kleiner Felder gleicht einem Mosaik. Darüber strahlen die Schneespitzen des Kedarnath.

Selten kommen Fremde hierher, man habe Bhattwari vergessen, sagt am nächs­ten Tag Bürgermeister Vishnu Dutt Bhatt. Er schneidet für seine Gäste einen Apfel in Stücke, seine Frau gießt Tee ein und erzählt: „Die Menschen im Dorf besitzen nur klei­ne Felder. Aber diese haben sie immer ernährt, auch in schlechten Zeiten. Was wol­len sie mehr?“ Hier werde kaum Reis für den Markt produziert, berichtet sie. „Das Erste, was wir den Bauern klar machten, war: Bleibt unabhängig vom Markt.“ Der Bürgermeister nimmt das Stichwort auf. Er schildert, wie er vor Jahren mit einem Sack Ingwerknollen auf den Markt ins Tal ging und dort nichts verkaufen konnte. Wie am Abend die Aufkäufer kamen - er nennt sie „die Geier“ - und die Preise drückten. Sie wussten ganz genau: Wer von so weit her­kommt, muss auch die weite Strecke wieder zurückgehen und deshalb alles verkaufen. Was tun? „Ich habe aus Trotz alles wieder mitgenommen“, sagt Vishnu Bhatt.

Das wenige Geld, das die Bauern für Strom, Salz, Zucker und Tee brauchen, verdienen sie heute im Handel mit Navdanya. Die gemeinnützige Organisation kauft den Teil der Ernte auf, den die Bewohner nicht selbst verbrauchen oder als Saat fürs nächs­te Jahr in Holzkrügen zurücklegen. Navda­nya verkauft die Lebensmittel auf größe­ren Märkten, bringt beispielsweise Ingwer, Reis und Chili nach Delhi. Sie exportiert Reis sogar nach Deutschland und Italien. Für Basmati-Reis, der auf den Märkten der Himalaya-Vorgebirge zurzeit 22 Rupien, et­wa 40 Cent, pro Kilo bringt, zahlt die Or­ganisation ein, zwei Rupien mehr, manch­mal sogar fünf, je nachdem, wie viel Geld sie gerade hat. Vor allem sorgt Navdanya für den Austausch von Saatgut zwischen den Dörfern. Ihre Mitarbeiter kaufen über­all Saaten auf, geben sie an die Bauern kos-[30]tenlos mit der Auflage weiter, nach der Ern­te ihrerseits Saaten weiterzuschenken. Die Saatenbank der Organisation hat allein 400 Reissorten in Metallkisten gelagert. Der Nachschub ist gesichert. In mehr als 900 Dörfern gebe es Navdanya-Mitglieder, sagt Chandra Bhatt. „300 Dörfer sind zu hun­dert Prozent Navdanya-Mitglieder. Es gibt ganze Navdanya-Täler hier im Norden.“

Auf dem Weg bergauf zu anderen Bau­ern macht sich Chandra einen Spaß dar­aus, die verschiedenen Schmetterlinge zu bestimmen, die uns umschwirren. Seine Botschaft: Die Natur belohnt den pfleg­lichen Umgang mit ihren Ressourcen. Den Bauern gegenüber setzt er auf eine andere Methode, die Unterschiede zwischen in­tensiver und traditioneller Landwirtschaft zu demonstrieren. „In manchen Dörfern le­gen wir Vergleichsfelder an. Auf dem ei­nen nutzen wir traditionelle Reissaat, auf dem anderen Hybridsaat und Dünger. Auf den gedüngten Feldern haben wir zwar oft eine größere Ernte, aber die Früchte sind bei weitem nicht so lange haltbar wie die vom Feld ohne Zusätze.“

Das Hauptargument der Navdanya-Aktivisten ist jedoch die Frage der Abhängig- keit vom Saathandel. Wer Hybridsaaten kaufe, so Chandra, muss es jedes Jahr er­neut tun, denn aus der Ernte lässt sich kei­ne Saat für das nächste Jahr gewinnen. Die Bauern kommen so in eine Art Hamsterrad, das sie kaum stoppen können, so Chandras Botschaft. Wer herkömmlichen Ackerbau betreibt und einen Teil der Ernte als Saat zurückbehält, verdient langfristig mehr - trotz der kleineren Ernte, denn er hat nichts bezahlt für Dünger, Saat und Pestizide. An­ders die moderne Landwirtschaft: Anfangs benötigt man zehn Kilo Dünger, im nächs­ten Jahr 15 Kilo und so weiter. „Die Kosten laufen dir davon.“

Als Chandra hier mit Navdanya begann, war einer seiner ersten Ratschläge: Lasst die Kühe nahe bei den Feldern, das spart Zeit. Ihr Dung ist besser als gekaufter Phos­phordünger. Die Unterschiede sind augen­fällig. Er deutet auf die vielen kleinen Fel­der auf der gegenüber liegenden Seite des Tals. „Wo der Boden dunkel ist, wird na­türlich gedüngt.“ Die meisten Flächen sind dunkel gefärbt. „Genauso soll es sein“, sagt Chandra.

Auch in Rentachintala können die Bau­ern rechnen. Sie rechnen aber anders als bei Navdanya. Angebaut werden hier Reis, Baumwolle, Chili und das Palmengewächs Rosa Grass, dessen Öl für die Kosmetikin­dustrie bestimmt ist. Bürgermeister Reddy hat durchgerechnet, wie teuer der Chili-An­bau ist. Für ein Acre Land (rund 4000 Qua­dratmeter) braucht man 100 Gramm Saat, sie kostet 4000 Rupien (75 Euro). Dazu kommen die Ausgaben für den Dünger: 5000 Rupien, für Pestizide: 1000 Rupien. Die Arbeitskraft der Kulis kostet 10 000 Ru­pien, denn in der modernen Landwirtschaft müssten die Felder größer sein, um wirt­schaftlich bebaut werden zu können. Das schaffe der Landwirt nicht mehr allein. Hinzu kommt deshalb die Miete für Trak­toren und Ochsen. „Am Ende des Jahres hast du pro Acre etwa 35 000 Rupien Kos­ten und kaum 50 000 Rupien Einnahmen“, rechnet Reddy vor. „Es bleibt nicht viel für die eigene Lebenshaltung. Wenn du dann noch Schulden abzahlen musst, ist es hart.“

Das sagt der Bürgermeister, der zugleich auch der Geldverleiher und größte Land­eigner des Ortes ist. Er besitzt zwei Trak­toren, die er vermietet - „ein gutes Ge­schäft“, wie er zugibt. Und ihm gehört der Laden an der Hauptstraße, in dem die Bau­ern Pestizide kaufen. Die Kalkulation für [31] Baumwolle ist ähnlich, die für Reis schlech­ter, klärt uns Reddy auf. „Deswegen bauen wir hier immer weniger Reis an.“ Am bes­ten komme man mit Rosa Grass davon: „Das kann man dreimal im Jahr ernten und die Saat hält fünf Jahre, man muss also nicht ständig neue kaufen. Und man muss nicht düngen.“

Reddy führt uns weiter durchs Dorf. Vie­le Bettler begegnen uns, Krüppel, Blinde. Nein, nein, Rentachintala sei keine arme Stadt, betont der Bürgermeister gegen allen Anschein und wechselt schnell das Thema. Stolz präsentiert er die katholische Kirche. Die Hälfte der Dorfbewohner seien Chris­ten, er selbst sei Katholik. Die Kirche wur­de mit Geld aus Europa gebaut. Kurz darauf stehen wir im Laden des Bürgermeisters.

„Hier: Waren aus Deutschland“, sagt Reddy und zeigt ins Regal. Chemikalien von Aven-tis und Bayer stehen da neben solchen von Tata, DuPont, United Phosphorus, alles in Metall- oder Plastikflaschen. „Deutsche Pro­dukte haben einen guten Ruf“, sagt der Bür­germeister, „man kann sie teurer verkau­fen als indische.“ Wieder draußen auf den Feldern treffen wir zwei seiner Freunde. Blarama Krishna und Guraviaty Guravaiah, Vertreter der Fir­ma Sudarshan Chemical Industries in Hy-derabad. „Ach, Sie sind aus Deutschland. Sie sind sicher hier wegen der Nieren-Typen. Arme Schweine“, sagt Guravaiah. „Die wollten das große Geld machen. Aber sie haben Pech gehabt.“ Krishna ergänzt: „Das sind so Leute, die immer verlieren. Solche muss es auch geben.“ Die meisten von ih­nen waren Kunden des Bürgermeisters. „Jetzt nicht mehr“, sagt Guravaiah und lacht, „sie haben keine Rupie mehr.“ Ihn stört, dass die Leute so viel Aufmerksamkeit bekamen. „Der Staat schenkte ihnen sogar Häuser und Felder, um Ruhe zu haben. Die haben sie bald wieder verkauft.“ Während er das sagt, deutet er auf eine Gruppe von Frauen, die mit Sicheln Reis ernten, und [32] bemerkt: „Die Nieren-Typen sind heute als Arbeitskräfte nur noch so viel wert wie Frauen.“ Frauen arbeiten überall auf den Feldern, auch auf denen des Bürgermeis­ters. Ihr Lohn ist geringer als der für Män­ner. „That is the Indian way“, sagt er und lacht. Ob denn auch er in letzter Zeit Land zugekauft habe, fragen wir den Bürgermeister. Ja, das habe er. Unsere Nachfrage, ob das Land auch von den Nieren-Leuten stamme, überhört er.

In Bhattwari, im Norden, wurde seit Jahren kein Land mehr aus Not verkauft. „Das Land ernährt uns. Also halten wir es fest“, sagt Pankaj Bhatt, ein Bauer von 25 Jahren, der, um mit uns zu reden, beim Pflügen eine Pause eingelegt hat. Er ist immer nur ein paar Tage hier. Sonst arbeitet er in der Stadt Dehra Dun in einem Kleiderladen und bringt von dort regelmäßig Geld heim. „Ich komme so oft es geht hier¬her, um meinem Bruder zu helfen“, sagt er. „Hier ist es viel schöner, hier werde ich gebraucht.“

Das Besondere an diesem Dorf: „Wir pflanzen nicht nur Reis oder Hirse. Jeder von uns hat alles Notwendige auf den Feldern.“ Er zeigt uns Giwain-Büsche mit fiebersenkenden Beeren und kleine Tomatenpflanzen. „Das ist noch lange nicht alles: Wir bauen drei Hirsesorten an, Zwiebeln, die besten der Welt, Kartoffeln, Rettiche, Knoblauch, Gurken, Ingwer. Unser Ingwer hält länger als der, den du sonst auf den Märkten bekommst.“ In Bhattwari gibt es allein 20 verschiedene Hülsenfrüchte.

Subodhani ist mit ihren 77 Jahren die älteste Frau des Ortes. „Gib mir Boden, ich mache ihn golden“, sagt sie. Auch sie lobt entschlossen die Artenvielfalt. „Auf den Feldern hier stehen manchmal 16 verschiedene Früchte gleichzeitig. Die helfen sich gegenseitig. Wenn die einen nichts werden, sind die anderen da.“ Auch in Bhattwari gab es früher schlechte Zeiten, erzählt sie: „Als ich Kind war, musste unsere Familie Beeren aus den Wäldern essen, um nicht zu hungern.“ Aber dass sie nie Lebensmittel von anderen annehmen mussten, darauf ist sie sehr stolz.

Mit dem Navdanya-Mitarbeiter Barban Singh Negi fahren wir wieder hinunter ins Tal und besuchen das kleine Dorf Pulinda. Auch hier haben sich alle Bauern der Or­ganisation von Vandana Shiva angeschlos­sen. Um Pulinda und die Nachbardörfer ha­be Navdanya lange werben müssen, erzählt Barban. Sie seien leichter erreichbar als Bhattwari und die grüne Revolution habe deshalb hier früh Einzug gehalten. Barban braust auf, als er über die Pläne der Regierung berichtet, und vor allem, als er auf die Weltbank zu sprechen kommt. Die habe dem Staat die grüne Revolution ver­ordnet und sei schuld an der Verarmung zahlreicher Bauern. Er behauptet: „Zwei Regierungskommissare haben mir ver­traulich erzählt, sie seien sicher, dass die Bauern ohne teure Dünger, Saatgut und Pestizide wirtschaftlich in einer besseren Lage wären.“

Als Barban vor einigen Jahren nach Pu­linda kam, wurde jedes Feld noch mit Kunstdünger gedüngt und mit Pestiziden besprüht. Anfangs waren die Erntemengen tatsächlich beeindruckend hoch, aber dann nahmen sie wieder ab. Und die Regierung handelte ungeschickt. Schon nach zwei Jah­ren mussten die Bauern für Saatgut und Kunstdünger bezahlen. Da verzichteten sie auf die grüne Revolution.

„Ich bin nicht stolz auf das, was ich damals gemacht habe“, sagt Ladenbesitzer Singh, der lange Zeit chemischen Dünger verkaufte. In seiner Familie wird seit Generationen diese Geschichte erzählt: „Als die Nepalesen uns vor vielen Jahren überfielen, mussten unsere Vorfahren fliehen. Das Einzige, was sie mitnahmen, war die Saat. Die blieb damals acht Jahre fruchtbar.“ Hybridsaaten halten kaum länger als ein Jahr. „Das sagt doch alles.“