Brillen sind die Pest

von 
Essay
zuerst erschienen im Januar 1997 im jetzt-Magazin
Sie sehen nicht intelligent oder sexy aus, sondern einfach nur bescheuert

Immer wenn ich verliebt bin, verliere ich mich kilometertief im Glanz der anderen Augen. Das ist unvergleichlich schön. Wenn die feinen Wimpern leise vor meinen Augen klimpern und wir uns ganz eng umarmen, damit niemand draußen uns stören kann.

Was ich mir nun in diesen Momenten am wenigsten wünsche, sind breite Brillengläser, die mich mit verschmiertem Fettrand beglotzen. So, daß ich mich ständig in den glibbrigen Bügeln verheddere. Und ich nicht einmal wirklich bis in die Augen sehen kann, weil diese Plastikscheiben davor immer das Gesicht verdecken. Dann gehe ich lieber direkt nach Hause.

Wahrscheinlich ist das aber auch eine beabsichtigte Strategie von Brillenträgern: Sie zerstören jede Lust. Absichtlich. Man soll direkt nach Hause gehen. Brillenträger wollen keinen Glanz verstrahlen, und wahrscheinlich freuen sie sich heimlich sogar darüber, daß sie mit ihren Brillen gezielter als James Bond Freude abtöten. Deshalb macht es ihnen wohl auch nichts aus, daß ihre Brillen auf jedem Photo schief und krumm im Gesicht herumhängen, wie altertümliche Schutzschilder.

Nun sagen mir modische Mädchen manchmal, es gäbe auch schöne Brillen. Das ist sicherlich richtig. Es gibt wahrhaftig schöne Brillen. Und von mir aus sollen alle Brillenbefürworterinnen diese schönen Brillen in einen wunderschönen Schaukasten stellen und jeden Tag neue Exemplare dazukaufen. Aber in ein menschliches Gesicht gehören Brillen nicht. Ein Gesicht mit Brille sieht automatisch bescheuert aus, egal welche Form oder Farbe das angepaßte Gestell hat. Es ist schließlich kein Zufall, daß man Schimpansen, um sie richtig menschlich zu machen, doofe Brillen aufsetzt. Und es ist genauso wenig ein Zufall, daß fast jeder Clown sie in seine Grundausstattung aufnimmt. Damit wir alle auch sofort verstehen, daß etwas zum Lachen sein soll. Auch wenn es in Wahrheit zum Weinen ist – aber das ist ein anderes Thema.

Das Spannende an einem fremden Körper ist bekanntlich das Geheimnis hinter den Gesten und Kleidungsstücken, also ein möglicher Widerspruch. Eindeutigkeit birgt kein Geheimnis. Nun ist es aber so, daß jede halbwegs intelligente Frau mit Brille eindeutig so aussieht, als ob sie schon zum Frühstück Heidegger liest, während Männer mit Brillen nur jämmerlich weichlich wirken. Um daraus noch ein Geheimnis, also eine Widersprüchlichkeit zu zaubern, müßte das Wesen hinter der Brille wild und zügellos sein. Aber diese magische Verwandlung von einem brillentragenden Mauerblümchen mit hochgesteckten Haaren in eine strahlende Sexgöttin gibt es nur in Filmen. Im richtigen Leben lesen Mädchen mit ernsthaften Brillen tatsächlich Heidegger zum Frühstück, und wenn man ihnen die Brille abnimmt und das Haar löst, passiert leider überhaupt nichts.

„Ich vertrage keine Kontaktlinsen”, habe ich auch schon mal gehört. Soll wohl so eine Art Entschuldigung sein. Aber diese Leute verstehen nicht wirklich den Ernst der Anklage. Wer tatsächlich in der bedauernswerten Lage ist, keine Kontaktlinsen zu vertragen, sollte lieber auf jedes Hilfsmittel verzichten. Das gibt dann sogar einen erotischen Blick. Wir kennen das vom jungen Marlon Brando oder von Christopher Lambert. Sie stieren angestrengt fehlsichtig in die Ferne und wirken dadurch automatisch tief und ernst, brutal und klug. Halbblinde Diven wiederum haben etwas Erfahrenes und Unwiderstehliches an sich.

Außerdem ist es lustig, ohne Sehhilfe herumzulaufen. Man wird nämlich unentwegt für arrogant gehalten, weil man niemanden auf der Straße erkennt und ständig grußlos an Bekannten vorbeiläuft. Der Vorteil hierbei ist natürlich, daß man sich diesen Effekt auch mit Kontaktlinsen zunutze machen und bewußt an all den Leuten vorbeirennen kann, die man ohnehin lieber ignorieren will. Später entschuldigt man das halt mit seiner Blindheit. Das erspart überflüssiges Gerede und schont die Nerven.

Abgesehen davon ist Arroganz natürlich unsagbar erotisch. Allerdings eindeutig nur ohne Brille.