Bryan Ferry – „Ein Anzug ist wie ein Haus“

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Interview
zuerst erschienen am 1. Januar 2012 in Welt am Sonntag, S. 52
Er gilt als Gott des guten Geschmacks und weiß daher, was eine gelungene Party ausmacht: Der Musiker Bryan Ferry über stilvolles Feiern, angemessene Garderobe und die Eleganz des Rauchens

Wie organisiert man eine perfekte Party? Vor allem dürften die Gäste nicht in Shorts aufkreuzen, sagt Bryan Ferry. Das Interview findet in der Wohnung des Sängers in London-Kensington statt. Diese ist mit viel Liebe zum Detail, mit ausgewählten Stilmöbeln und Bildern eingerichtet. Ferry selbst trägt einen maßgeschneiderten Einreiher, weißes Hemd, Krawatte und schwarze Lederschuhe. Die Gesprächszeit ist begrenzt: Er ist in einem Gentleman’s Club zum Mittagessen eingeladen.

Mr Ferry, gibt es prominente Zeitgenossen, die Sie zu Ihrer Silvesterparty einladen würden?

Ganz ehrlich?

Ja, bitte.

Ich bin nur mit sehr wenigen Prominenten befreundet. Vermutlich würde ich also keinen von ihnen einladen, weil ich den Kreis der Gäste meiner Feste gerne klein, privat und familiär halte. Und der eine, den ich dann vielleicht doch gerne eingeladen hätte, der ist leider schon lange tot: Cary Grant. Und vermutlich wäre er auch nicht gekommen, denn wir kannten uns ja nicht, obwohl wir uns vielleicht hätten begegnen können. Wussten Sie, dass er zuletzt Botschafter der Marke Revlon war? Die Vorstellung ist toll: Cary Grant bei mir zu Hause in Sussex zu Silvester …

Haben Sie eine Vorstellung davon, wie eine gute Party auszusehen hat?

Ich lese derzeit „How To Be A Man“ von meinem lieben Freund Glenn O’Brien. In dem Buch geht es um Stilsicherheit, und so gibt es auch ein ganzes Kapitel über Feste und Feiern in den eigenen vier Wänden. Er beschreibt darin sehr unterhaltsam alle Aspekte, die man bedenken sollte, wenn man Gäste zu sich nach Hause einlädt. Ich finde das Buch so gut, dass ich mir ein zweites Exemplar zugelegt habe. Das kann ich dann beispielsweise einem Gast, der bei mir übernachtet, auf das Nachttischchen legen.

Feiern Sie oft zu Hause?

Eigentlich so gut wie nie. Anders als die meisten Männer heutzutage reiße ich mich nicht um den Stress, den es bedeutet, in der Küche zu stehen und zu kochen. Ich gehe lieber in ein Restaurant, das exklusiv genug ist, dass ich meine Ruhe habe.

Was für einen Stress bedeutet es denn, eine Party zu schmeißen?

Sie müssen die Vorlieben und Abneigungen Ihrer Gäste kennen. Das fängt bei der Auswahl der Blumen an und geht bis hin zu den heutzutage modernen Essgewohnheiten – von vegan bis glutenfrei. Ich glaube, ich würde Amok laufen, müsste ich in der Küche auf alle Diätwünsche meiner Gäste eingehen. Und damit nicht genug: Wenn Sie ein Fest organisieren, müssen Sie den richtigen Wein zum Essen auswählen und vor allem die richtige Personenkonstellation hinbekommen. Das alles zu bedenken und dabei entspannt bleiben – es ist eine Kunst!

Nicht eher eine Herausforderung?

Sie sind witzig. Ich suche die Herausforderung nicht am Herd. Ich koche noch nicht einmal für mich selbst. Aber ich kenne natürlich viele Männer, die ihr ganzes Geld und ihre ganze Freizeit in ihre Küche stecken. Ich begründe mein Desinteresse am Kochen vor mir selbst stets mit dem Argument, dass ich dafür keine Zeit habe. Abends gehe ich in ein gutes Restaurant, das ist für einen Mann in meiner Position die hundert Mal angenehmere Art, sich kulinarisch zu versorgen. Ich liebe es übrigens, von meinem Tisch aus die anderen anwesenden Menschen zu beobachten. Es gibt Momente, da stelle ich mir vor, ich säße im Kino – und was an den anderen Tischen passiert, das ist eine Leinwand, auf der ein Film läuft.

Und wenn Sie doch einmal zu sich nach Hause einladen?

Das gibt es natürlich auch. Der Vorteil einer Party in meiner hiesigen Wohnung ist, dass ich so zentral wohne. Und auch das Speisezimmer ist großzügig angelegt. Ich habe es selbst dekoriert, man fühlt sich wohl bei mir.

Legen Sie Wert auf Abendgarderobe oder dürfen Ihre Gäste in Freizeitklamotten kommen?

Es ist bisher zum Glück noch nicht vorgekommen, dass ein Gast underdressed gewesen wäre. Man kennt sich schließlich auch, und es handelt sich um eine Geste des Respekts gegenüber dem Gastgeber, sich wohlüberlegt einzukleiden. Vermutlich würde ich mir nichts anmerken lassen. Die hochgezogene Augenbraue würde kaum einer bemerken.

Und wenn einer Ihrer Gäste in Shorts aufkreuzen würde?

Was für eine furchtbare Vorstellung.

Wie kleiden Sie sich selbst, wenn Sie eingeladen sind?

Die Frage ist einfach zu beantworten: Ich trage immer Anzug. Ich habe einen Schneider, und ich fühle mich im Anzug einfach wohl. Und vergessen Sie nicht: Ein Anzug ist nicht einfach ein Anzug. Ich habe mehrere Exemplare, und jeder ist anders geschnitten. Eigentlich nur, wenn ich im exotischen Ausland unterwegs bin, wenn die heiße Sonne Mittelamerikas auf mein Haupt brennt, ertappe ich mich gelegentlich dabei, keinen zu tragen. Ich passe mich dann den klimatischen Verhältnissen an. Und das, was man Freizeitkleidung nennt, trage ich nur im Fitnessstudio.

Weshalb empfehlen Sie den Anzug so vehement als adäquates Kleid des Mannes?

Der Anzug ist wie ein Haus. Man wohnt in ihm. Er ist zugleich Rüstung und Uniform. Ich vermute, meine Liebe zum Anzug kommt aus dem Kino. In den 40ern und 50ern haben alle Männer in den Filmen Anzüge getragen, ob Humphrey Bogart, Frank Sinatra oder Fred Astaire. Oder die Jazzmusiker. Oder Picasso. Alle trugen sie stets Anzug. Wie kann man nur eine solche Traditionslinie verlassen? Als Mann habe ich andere Männer nie verstanden, die den Anzug als altmodisch ablehnen.

Sind Sie selbst altmodisch?

Oh ja, in jederlei Hinsicht. Die Männer, deren Stil ich bewundere, haben auch stets Hüte getragen. Ich bedaure das Verschwinden des Hutes aus dem Stadtbild zutiefst. Wenn ich mit Hut durch Londons Straßen spaziere, komme ich mir immer gleich exzentrisch vor, obwohl bis Ende der 60er jeder Mann einen trug.

Welche Musik spielen Sie Ihren Gästen vor? Ihre eigene?

Niemals! Gott bewahre! Meinen Gästen spiele ich ausschließlich Jazz vor. Gerne frühen Jazz – Louis Armstrong, King Oliver oder Charlie Parker.

Warum Jazz?

Jazz ist meist instrumental. Gesang lenkt mich zu sehr ab.

Fällt Musik unter die Kategorie Innenarchitektur?

In gewisser Hinsicht ja. Sie können einen Raum verändern durch die Musik, die Sie spielen. Je bewusster Sie dies tun, desto größer der Effekt. Es hat noch nie geschadet, sich um Details zu kümmern.

Bevorzugen Sie Vinyl, CD oder gar eine iPod-Playlist?

Ich wünschte, ich könnte jetzt mit dem Brustton der Überzeugung „Vinyl“ antworten. Aber wenn Sie Gäste haben, ist es unhöflich, alle zwanzig Minuten aufzustehen und die Platte herumzudrehen – oder aber, wenn Sie dieses Ritual vernachlässigen, mit einem Mal ganz ohne Musik dazustehen. Obwohl ich eine gut sortierte Sammlung an Vinylschallplatten habe, lege ich daher stets CDs auf. Der iPod fällt sowieso weg. Mehr noch als die schlechte Soundqualität stört mich die gern genutzte „Shuffle“-Funktion dieses Gerätes. Nichts gegen den Algorithmus an sich. Aber ich bevorzuge es, meine Gäste mit Musik zu bespielen, die ich selbst ausgewählt habe. Ich liebe es, eine CD aus ihrer Hülle zu nehmen, sie in den Player zu legen – und dann beginnt die Musik.

Wie steht’s um die Frage des Rauchens? In England wird das Rauchverbot, anders als in Deutschland, Griechenland oder Italien, strikt eingehalten.

Ich muss zugeben, dass ich selbst auch nicht mehr rauche, aber das liegt an meiner Gesundheit. Ich bedaure sehr, dass nicht mehr geraucht werden darf. Als Raucher würde ich mich vermutlich gedemütigt fühlen. Der Akt des Rauchens war für mich immer ein Zeichen von Klasse und Stil – selbst wenn die Blumen und die Musik für mich einen noch höheren Stellenwert einnehmen.

Worin genau ist die Klasse des Rauchens festzumachen?

Ich mag die Bilder, die der Zigarettenrauch in die Luft malt. Zeit meines Lebens, und das umfasst auch meine Kindheit, habe ich Rauchern gerne zugeschaut. Das Rauchen, so lernte ich es, war Teil eines jeden ernst zu nehmenden sozialen Verhaltens. Es geht auch nichts über den Duft einer echten Montecristo. Immer wenn ich heutzutage einen Raucher vor einem Restaurant stehen sehe, wird mir ganz kalt ums Herz. Wenn Sie mich fragen, sollte das Rauchverbot gelockert werden.

Darf bei Ihnen zu Hause geraucht werden?

Aber selbstverständlich. Das liegt vermutlich an der kindlichen Prägung. In jedem Film, den ich im Kino gesehen habe, rauchten die eleganten Männer. Und nicht nur im Kino: Außer in der Arztpraxis und in der Schule wurde eigentlich immer und überall geraucht. Wir Schüler konnten es damals nicht erwarten, das Schulgelände zu verlassen, um endlich wieder rauchen zu können. Und wenn Sie mich fragen, sahen damals auch die Zigarettenschachteln schöner aus. Die waren einfach besser designt als heute.

Erinnern Sie sich an eine besonders gelungene Party?

Eine Geburtstagsparty war toller als alle anderen. Sie wurde Anfang der 70er-Jahre von einer reichen Freundin von mir im St. Regis Ballroom in New York geschmissen. Die Tanzband schien direkt den 30er-Jahren entstiegen zu sein. Es gab viele schöne Frauen und Ballkleider zu sehen. Die Cocktails waren exzellent, und es gab einen Dresscode für die Herren: schwarzer Smoking und schwarze Fliege, dazu ein weißes Hemd. Ich weiß noch genau, wie es mich glücksglühend durchfuhr: Das ist es! Ich bewege mich in dem Film, in dem ich schon immer mitspielen wollte … Und sei es als Nebendarsteller, als Beobachter.