Ältere Jungs

von 
Essay
zuerst erschienen im Mai 1999 in jetzt-Magazin

Ältere Jungs sind schrecklich: Nur weil sie schon ein bißchen Bart haben, ein Auto oder zumindest kein Kinderzimmer mehr, fühlen Mädchen sich zu ihnen hingezogen. Früher, als kleiner Junge, war es schwer zu glauben, daß Zahlen unendlich sind. Man versuchte, sich die größte Zahl der Welt vorzustellen, eine wie: einhunderttausendtrillionenbillionenmilliarden. Dann sagte der Lehrer: „Plus eins.” Und es war klar, daß es eine noch größere Zahl geben mußte. So ähnlich ist das auch mit älteren Jungs. Es gibt immer welche, die älter sind und größer. Das ist ein Gesetz der Natur. Und manchmal ist das gut, weil man mit älteren Jungs so schön drohen kann, wenn man Ärger hat mit Gleichaltrigen. Aber wenn es um Mädchen geht, machen ältere Jungs einem das Leben schwer. Denn es ist meistens so, daß das Mädchen, in das man verliebt ist, auf einen älteren Jungen steht. Man hat das Gefühl, daß eigentlich alle Mädchen auf ältere Jungs stehen. Die müssen nicht einmal gut aussehen, nicht witzig sein oder klug. Sie werden geliebt, einfach nur, weil sie älter sind. Weil sie nicht 14 sind, sondern 18. Weil sie ein Auto haben und die Mädchen von der Schule abholen. Weil sie vielleicht schon eine eigene Wohnung haben, und die Mädchen dann keine Angst haben, daß die Eltern ins Zimmer platzen. Weil sie stärker sind und Mädchen sich beschützt fühlen. Es ist einfach so, daß ältere Jungs die Mädchen bekommen. Auch das ist ein Gesetz der Natur. Man selbst geht mit dem Mädchen, in das man verliebt ist, Eis essen und hilft bei den Hausaufgaben – für die wirklich schönen Dinge aber, das Küssen und den Sex, sind die älteren Jungs zuständig. Und wenn man das Mädchen fragt, warum, sagt es, ältere Jungs seien erfahrener, sie wüßten, wie das Leben funktioniert. Dann fühlt man sich wie der Trottel, den beim Fußball keine Mannschaft haben will, der bis zum Schluß dasteht, bis einer sagt: „Ach, den könnt ihr ruhig haben.” Mädchen seien reifer als gleichaltrige Jungs, heißt es, Mädchen würden sich schneller entwickeln. So erklärt sich, daß ein 14jähriges Mädchen zu einem 14jährigen Jungen sagt: „Du bist mir einfach zu jung.” Und ihm keine Chance gibt. In solchen Momenten träumt man davon, ins Bett zu gehen und am nächsten Morgen 18 zu sein. Man wünscht sich, daß der Bart endlich mehr ist als ein Flaum. Man fängt an, die Zigarette lässig in den Mundwinkel zu hängen, einen Martini gerührt, nicht geschüttelt zu bestellen und Kondome zu horten. Alles, um zu den Älteren zu gehören. Und dann muß man feststellen, daß das Mädchen einen erst recht nicht mehr ernst nimmt. Es scheint, das einzige, was hilft, ist warten. Wie damals, als man an die Dose mit den Süßigkeiten nicht herankam, weil sie auf dem obersten Regalbrett stand. Aber irgendwann war man groß genug für die Dose. Und irgendwann wird man auch zu den älteren Jungs gehören. Das ist sicher. Und wenn es endlich soweit ist, wird es einem schwerfallen zu glauben, daß das Alter einmal mehr bedeutet hat als bloß eine Zahl. Aber spätestens dann wird einem auch klar werden, daß es in Wirklichkeit keinen Unterschied gibt zwischen einhunderttausendtrillionenbillionenmilliarden und einhunderttausendtrillionenbillionenmilliardenundeins.