„Also dieser Hitler, Respekt“

Reportage
zuerst erschienen 2005 in der taz
Eine Stadt unter Einfluss: Wie Waffen, Drogen und Geschichte das Geschäft um das freie Afghanistan beherrschen. Außerdem: die Gefahr für und durch deutsche Killersoldaten, was der General zum Geburtstag bekommen hat und Peter Maffay. Truppenbesuch, Teil 2

Genervt von den Deutschen, fliege ich am dritten Tag nach Kabul. Endlich große Stadt, Farben, Autos, Straßen, 1.800 Meter Höhenlage, die Luft ist dünn. Ziehe ins Hotel Mustafa. Ausländer, vor allem Amerikaner wohnen hier. Von außen ein verrammelter Kasten an zentralem Platz, ist dieses Hotel im Innern ein höchst unterhaltsamer Ort. Abdullah, Mitte zwanzig, das Gesicht immer angespannt, erledigt das Einchecken. Sein Vater, der Manager, hat in New Jersey gelebt. Sitze im Innenhof, Rühreier mit Speck zum Frühstück. Auf dem Dach tigern Schäferhunde zwischen Scharfschützen. Ein blonder Junge mit Oakley auf den Augen streckt sich aus dem Fenster im zweiten Stock. „Josh“, ruft jemand. Verschwindet gleich wieder und dreht die Gorillaz an, laut, Kids with Guns. So schmeckt also der Krieg, kurz danach.

Auf einem der weinroten Monoblockstühle am großen Plastiktisch sitzt auch Polly aus Manhattan. Sehr hübsch, sehr langhaarig. Hellblond, weite Augen im schmalen Gesicht. „Du wirst sterben“, sagt Nicholas, ein netter Grieche, der für eine NGO arbeitet. Lacht die Polly. Morgen will sie mit dem Taxi nach Kandahar fahren. In den Süden, dorthin, wo Briten und Amerikaner immer noch versuchen, Taliban zu killen, und umgekehrt. „I’ll wear my Burka tight“, sagt Polly, die auf der Route Pakistan-Bagdad unterwegs ist. Dann wendet sich das Gespräch dem Zwischenfall zu, der vorgestern im Hotel stattfand. Kleine Schießerei in der Bar, zwei Amerikaner, Angestellte einer privaten Sicherheitsfirma, ballerten ein Duell. Worum es ging? Ein Mädchen natürlich. Auf den Straßen ist Kabul eine Männerwelt. Ende der Siebziger sollen hier die jungen Frauen Minirock getragen haben. Jetzt schlendert ein Paar vor dem Mustafa, die Arme um die Hüften gelegt. Zwei Männer in Militäruniform.

Dann kommt Nagi, mein Fahrer und Übersetzer für den Tag. Der Mann, Anfang vierzig, ist Tadschike, im Dienste der Bundeswehr, hat ein paar Jahre in der DDR auf Rügen gelebt. Wir fahren in seinem gelben Taxi. Es ist Freitag. Also Sonntag auf Islam. Angenehmster Tag, die Straßen sind etwas stiller. Je nach Schätzung, drei oder fünf Millionen drängeln sich sonst, zurzeit ist Kabul ein Monolith der Masse. Seit dem Kriegsende strömen die Menschen zurück in die Stadt, die unter den Taliban fast verlassen war. Sind dann in den Gärten König Babur Shahs. Prächtiger Blick über die Stadt, frische Rosenbeete. Am Pool, dem einzigen öffentlich zugänglichen in Kabul, steht Michael, der auch im Mustafa wohnt und sich als „Gay Journalist“ vorstellt. Der Italoamerikaner schwitzt hinter seiner Spiegelreflex, davor eine Gruppe hübscher Jungen. Ein Fotobuch - und alle posen begeistert. Sitze bald da mit John-Mohammed, der schlanke Zigaretten aus „Grünen Blumen“ drehen kann. Sein Vater ist Ingenieur und hat den Pool gebaut. Wir plaudern so dahin über Filme, also die, die er gern sehen würde (von Godard), und es stört mich nicht, dass er seine Schulter gegen meine lehnt und mich Bruder nennt. Aber er meint es ernst. „Wir sind Brüder“, er besteht darauf. Sind wir? „Wir sind alle Aryans“. A-R-I-ER also. Rasselt so im Kopf, das Wort, aber das ist eine andere Geschichte. Spannender: die Brüder-Theorie.

„Ar“ heißt auf Altiranisch „der Gute“, yan ist der Sohn. Es soll einen Arier-Urvater gegeben haben, denn seine Kinder wanderten 2000 vor Christus ins iranische Hochland. Ihre Nachfahren sind die Perser (Tadschiken), Kurden, Paschtunen und Belutschen sowie die Indoarier in Südindien. Mit dem blond-blauäugigen Arier hat das wenig zu tun. In Afghanistan aber ganz offensichtlich schon. Die Geschichte wirkt hier an allen Orten, zum Beispiel als Name der Staatsfluglinie Ariana, die jetzt von der Lufthansa beraten wird. Einen Moment später in der Frage von John-Abullahs Cousin, der mit leuchtenden Augen wissen will: „Wie geht es Hitlers Söhnen?“ Verrückt.

Ganz nüchtern betrachtet war es so: 1928 fuhr König Amanullah im offenen Wagen mit Hindenburg durch die Straßen Berlins. Seitdem gibt es vielfältigste Beziehungen zwischen den Ländern, man mag sich. Nur ein Grund: Seit 1924 wird an Kabuls Amani-Oberrealschule Deutsch gelehrt. Die Abiturienten konnten in Deutschland studieren. Im Buchladen ist das Deutsch-Dari-Wörterbuch neben der Kasse aufgestapelt, ältere Ausgabe, Einband ausgeblichen. Heute sind deutsche Soldaten die bei weitem beliebtesten Soldaten im Land. Den US-Truppen wurde gerade verboten, sich für Fahrten durch Kabul Schwarz-Rot-Gold auf ihre Hummer zu kleben.

Und Hitler? In Berlin planten die Nazis den Angriff auf Britisch-Indien über Kabul. Afghanistan war während des Dritten Reichs strikt neutral, offiziell. Und wenig überraschend: Freunde der jüdischen Bewohner Israels sind hier nicht zu finden.

Unter diesem Einfluss sitze ich am Abend in der Bar des Mustafa und erzähle Nicholas davon. Der lacht laut, kennt er schon. Josh schlurft vorbei, auf seinem Shirt Hard-Rock-Cafe Bagdad. Keiner weiß so richtig, was er tut. Die Gerüchte vermuten alles von CIA bis Heroinrauchen. Abdullah starrt auf den Fernseher. Top Gun läuft da. Tom Cruise grinst von schräg unten. „Gib’s zu, du bist ein Sohn von Ussama“, scherzt Nicholas schräg an Abdullah. Der zögert eine Sekunde, meint: „Dann wäre ich wenigstens berühmt.“ „Eine sehr amerikanische Idee“, kontere ich leicht, aber ins Leere. Abdullah glaubt nicht, dass Ussama Bin Laden für 9/11 verantwortlich war. Die Amerikaner seien es selbst gewesen, um einen Grund für die Besetzung Afghanistans vorzutäuschen. „Böse Menschen sind das.“ Er spricht leise, aber bestimmt. Nicholas verschwindet. So ist die Situation: Die USA verhasst, wir geliebt.

Am nächsten Tag werde ich ins Camp Warehouse gefahren. Das Feldlager der Isaf, hauptsächlich von der Bundeswehr gebaut, liegt stadtauswärts an der Piste in Richtung Pakistan. Neue Presseoffiziere, sie haben schon einen Termin bei Kommandant Ammon arrangiert. In seinem Büro, der Bundespräsident an der Wand, plaudern wir ein bisschen. „Herr General, sind die Einsätze der KSK gegen die Drogenkartelle nicht eine Gefährdung der Friedenssoldaten?“ Kleiner Einschub: Das Kommando Spezialkräfte, stationiert in Calw, ist die Elitetruppe der Bundeswehr. Ihre Aufgabe: professionelles Killen. Ihr Vorbild: der britische SAS. Abgesehen von ihrem ehemaligen Chef General Günzel, der wegen seines Beifallbriefs an Tätervolk-Hohmann (CDU) abgelöst wurde, ist die Truppe ein Staatsgeheimnis. Im Juli erschien im Stern eine Geschichte, die erzählt von über hundert KSK-Soldaten im Afghanistan-Einsatz. Der laufe klar „aufs Ausschalten von Hochwertzielen im Drogengeschäft hinaus“. Die Informanten waren aktive KSK-Soldaten, laut Stern soll sogar etwa die Hälfte der Truppe den Bericht unterstützt haben. Für „kurz gucken und eliminieren“ fühlen sie sich schlecht ausgerüstet und haben Angst, von der Politik verheizt zu werden. Ammon sagt, er habe die Geschichte nicht gelesen, man glaubt es ihm sofort. Er meint, es mache ihn traurig, zu hören, wenn sich Soldaten im Stich gelassen fühlen. „Ich versuche, meine Soldaten fürsorglich zu behandeln, als Führer“. Er stolpert nicht.

Herr General, können Sie vielleicht einen Bundeswehrwitz erzählen? Nein, aber er hat gestern schöne

Geburtstagsgeschenke erhalten. Zeigt er jetzt her. Ein Buch mit Jagdgeschichten, einen Fußball mit der Unterschrift von Franz Beckenbauer.

Dann ist es vorbei, und ein Jugendoffizier führt mich durchs Camp. Wenige Meter vom Stabsgebäude entfernt neben dem Parkplatz: der Ehrenhain. 16 deutsche Soldaten sind bisher, offiziell, in Afghanistan gestorben. Insider wollen außerdem von über einem Dutzend toter KSK-Kameraden wissen. Die werden inkognito beerdigt. Es könnten schnell mehr werden, wenn sich zum Beispiel ein Drogenkartell für den KSK-Einsatz mit einem Anschlag auf die Isaf-Truppe rächt.

Doch an diesem Tag ist das Camp ein hübsches Stück Heimat. Soldaten spielen Volleyball zwischen den

Wohncontainern. In der Bar Coyote Ugly legt am Abend DJ Nobbi auf. Auch in der Wolfshöhle hängen ein paar an der Bar. Der Truppenbetreuungsauftritt von Peter Maffay ist noch in frischer Erinnerung, „toller Kamerad“. In der Drop Zone gibt es lustige Miniaturburkas zu kaufen, für die Flasche Bier.

Es ist mein letzter Tag mit der Bundeswehr. Die Presseoffiziere sind für mich telefonisch nicht mehr erreichbar, dann werden Termine abgesagt, schließlich werde ich nach Usbekistan ausgeflogen. „Wegen einer Schlechtwetterwarnung.“ Die Sonne strahlt vom Himmel. Am letzten Abend treffe ich die Gewinner.

Peter schenkt Whiskey ein. Wir sitzen in seiner Privatbar, gegenüber vom Mustafa, bewacht von einer Privatarmee. An der Decke hängen Plastiktrauben. Auf einem sehr breiten Fernseher läuft BloombergTV. Der Mittfünfziger ist Waliser und hat in Kuwait viel Geld mit dem Löschen von Ölquellen gemacht. Den narbigen Spuren in seinem Gesicht nach hat er es sich verdient. Jetzt ein paar Jahre Afghanistan, zusammen mit seinem Kumpel Sarogan, einem Kalifornier. Sie debattieren über die Politik, „Damn, auf keinen Fall werden wir unsere Truppen abziehen“, und machen eilige Geschäfte. Gefragt ist Diesel. „Gib mir einen Preis“, schreit Peter ins Telefon. „Ich kann dir nicht sagen, für wen der Sprit ist, aber wir werden uns danach beide einen lachen.“

Sarogan philosophiert derweil über den ersten chinesisch-amerikanischen Krieg, dessen Schauplatz der Hindukusch werden kann, schimpft auf die Inder, die jetzt auch Truppen schicken wollen, und besonders auf die NGOs, die sich wie Unternehmen aufführen. „Shit, 70 Dollar das Barrel.“ Peter wirft das Handy auf den Tisch, schenkt nach. Dann streifen wir Deutschland, und Sarogan weiß: „Er war ein Mörder, aber die Geschwindigkeit, mit der Hitler die Depression überwunden hat, Respekt.“ Jetzt ist die Runde warm getrunken, diskutiert wird über afrikanische Länder, die sich als Nächste für geschäftigen Kriegskannibalismus anbieten, das geplante Hyatt gegenüber der amerikanischen Botschaft und das Gesundheitsrisiko des Thai-Massagesalons in der Chicken Street. Peters chinesische Ehefrau hat irgendwann Musik angestellt. Gerade singt Jim Morrison The End.

Das Letzte, was noch zu erzählen ist: Am nächsten Morgen, als ich schon vor dem Mustafa stehe und auf das Taxi zum Flughafen warte, kommt sie auf einmal zurück. Polly ist wieder da, hübsch und heil.