Afghanisches Unentschieden

von 
Reportage
zuerst erschienen im September 2007 in Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Mittwoch: Kabul

Militärflughafen: Schwere Schutzweste, Helm müsse ich keinen tragen für die kurze Fahrt ins ISAF-Hauptquartier im gepanzerten Wolf. Es habe sich einiges getan, seit 2003. Die Afghanen, die mögen die Deutschen ganz besonders. Die Panzerung schluckt die Geräusche von außen. Kabul wird wie ein alter verwackelter Stummfilm auf die Windschutzscheibe projiziert, der aufgewirbelte Sand legt einen sanften Sepia-Filter über Eselskarren, Turbane, Schulkinder. „Die Leute leben hier wie im Mittelalter.“

Nicht so im ISAF HQ, dort wird gebrieft und gevortragt, der komplexe Kosmos Afghanistan in eine verquaste Buchstabensuppe abgekürzt: ISAF, OEF, PRTs, CIMICs, IEDs, RC North, South, East, West. „Bundeswehrsoldaten sprechen nur ungern mit der Presse. Seit der Totenschädel-Geschichte.“ Deshalb habe man auch ein vielfältiges Programm zusammengestellt. Im abgedunkelten „Tora Bora Room“ wird die Lage Afghanistans per Powerpoint-Präsentation dargelegt. Der Name des Raums ist das einzige, was Power hat. An die Wand projiziert, wie der Slogan eines Action Movies: „Our first and immediate priority is to get Afghanistan right. We cannot afford to fail … if we don’t go to Afghanistan, Afghanistan  will come to us.“ Jaap de Hoop Scheffer, Nato-Generalsekretaer.

Anschließend Pressekonferenz, live! Vor der blau-weißen ISAF-Tapete erläutern Colonel Ives und Commander Zamari ihre op, ihre erfolgreiche afghanisch-amerikanische Operation gegen die Aufständischen. Dann wird die feinsäuberliche Medien-Planung in die Luft gejagt von einem perfideren, medienwirksameren Spektakel: „3 deutsche Soldaten bei Sprengstoffanschlag in Kabul getötet“ steht auf dem Display eines deutschen Mobiltelefons.

Oberstleutnant T., verantwortlich für die Presse im HQ, hält beide Handflächen nach oben, sein Gesicht verzieht sich zu einer Zitronen-Grimasse, die Bügel seiner Sonnenbrille sind so kurz, dass man glauben möchte, er habe sie einem Kind von der Nase stibitzt. Pläne habe man angesichts der neuen Entwicklungen - dem Anschlag - ändern müssen. Es sei schwierig „Protagonisten“ zu rekrutieren, die mit der Presse sprechen wollen. Die Totenschädel-Geschichte. Außerdem gebe es Buchungsprobleme mit Transportflugzeugen zum Tornado Media Day in Mazar-I-Sharif oben. „Das ist Afghanistan, hier gehen die Uhren eben anders.“ Ich möchte ihn mit einem Blackberry, einem Bügeleisen und einem Rasierapparat auf seine Containerstube entlassen und seinen Job an den Praktikanten irgendeines Schallplattenfirma geben.

In der Cafeteria im Distille Garden komme ich mit ein paar Bundeswehrsoldaten ins Gespräch. Wie ist es hier so? „Offener Vollzug.“ Schon mal draußen gewesen? „Nein.“ Wie lange bleiben sie? „Ich, vier Monate. Wir Deutschen sicher länger, vielleicht dreißig Jahre.“ Zurück im Distille Garden: „Ja, wo waren Sie denn so lange?“

Als Generalmajor K. vom Ort des Anschlags auf die getöteten Personenschützer zurückkehrt, gibt es bereits ein Bekennerstatement der Taliban. Al Jazeera hat es ausgestrahlt: Neun deutsche Soldaten sollen getötet worden sein. Oberstleutnant T. - das Logistik-Genie - kommentiert: „Während sich die Wahrheit noch die Schuhe anzieht, ist die Lüge schon einmal um die Welt gelaufen.“ Keiner lacht. Es sei nicht erwiesen, dass der Anschlag gezielt gegen Deutsche gerichtet sei. „Wir müssen weitermachen.“ Wie man denn glauben könne, dass ausgerechnet das hier in Afghanistan gelingen würde. Ausweichen, stark wirken, aber dann doch: „Es ist heute noch nicht entschieden, dass wir hier erfolgreich sein werden“.

Abends raus aus der Camouflage-Welt in die Pension, „auf eigene Gefahr“. Im ungepanzerten Taxi, Kopftuch auf, Fenster ganz weit runter, Sand knirscht zwischen den Zähnen, es riecht nach verbranntem Brot und nach Wolle. Überall wird gebaut, Islamo-Kitsch-Paläste mit verspiegelten Glas blinzeln über Lehmmauern, Satellitenschüsseln, geschminkte Frauen mit schmalen Kopftüchern plappern in ihre Mobiltelefone, Kinderhorden, Bärtige quellen aus einem verbeulten Wolga. Das Gefühl, dass doch alles richtig ist. Trotzdem wach bleiben: Ich stecke eine afghanische Sim-Karte in mein zweites Mobiltelefon, stelle es auf leise und trage es unter meinem BH.

Donnerstag: Kabul, HQ

Programmänderungen: Man habe doch fünf „Protagonisten“ gefunden. Heute kennen lernen und morgen könne man sich dann zum ungezwungenen Gespräch treffen. Ich verteile Wegwerfkameras, damit die Soldaten ihren Alltag als Fototagebuch knipsen können. Klar, machen sie gerne. Das Logistik-Genie nickt. Am Nachmittag sei eine Fußpatrouille mit den Engländern geplant.

Royal British Army: Schutzweste, Helm, Notfall-Briefing, Codewort abspeichern, für immer, es klingt wie der Titel eines Songs von OMD, Abfahrt im Snatch. Der Fahrer trägt seinen Namen in Runenschrift über den Unterarm tätowiert. Sein Beifahrer trägt ein an seinen Kopf geschnalltes Walkie-Talkie-System und spricht mit dem zweiten Snatch des Konvois: „Taxi von links, Fahrradfahrer von rechts, LKW quer, Schlagloch in 20 Metern“. Wäre dies nicht eines der gefährlichsten Krisengebiete der Welt, so würde man an ein Schweizer Uhrwerk denken.

Camp Soutar

Der junge schlaksige Commander geht täglich im Schnitt drei Patrouillen, insgesamt sei er bestimmt schon mehr als 500 Kilometer marschiert. Er wünschte, es gebe dafür ein Vielflieger-Programm. Zum Test bekomme ich seinen Helm, seine Schutzweste, seinen Rucksack und sein Maschinengewehr. Ich gehe tapfer einmal um einen Monobloc-Stuhl herum, ein Portrait der Queen lächelt mir von der Wand zu.

Hinaus ins Licht, 42 Grad im Schatten, der beste Soldat führt und hört auf den Spitznamen „Tinkerbell“. Fahrzeuge werden angehalten, durchsucht. Ein Augenpaar funkelt mir hinter dem Gitter einer Burka hinterher, ich nicke zum Gruß, eine Hand löst sich aus dem plissierten Blau und grüsst zurück. Ein paar Halbwüchsige erkennen sich auf dem Display meiner Digitalkamera: „Hello Miss. What’s your name?“ Ein Junge mit blonden kurzgeschorenen Haaren deutet auf seine grünen Augen, öffnet den Mund und seine winzigen Pupillen oszillieren mit rasender Geschwindigkeit in seinen Augenhöhlen hin und her, hypnotisch. Er sonnt sich in meinem Staunen.

Ein kleines Mädchen wird nach vorne geschoben. „Sie wird in Amerika studieren, Inshallah.“ Ob ich auch Amerikanerin sein. Nein, Deutsche. Auch gut, aber Amerika sei noch besser. Daumen hoch, lachen. Salaam! und Khodafez! Die beiden dunkelhäutigen Soldaten aus den Commonwealth-Nationen Ghana und St. Lucia sprechen ein bisschen Dari und lösen Gelächter aus. Ein Malik (Dorfältester) kommt auf den Captain zugelaufen – sie treffen sich hier täglich, er plappert wie ein Wasserfall. Der junge Übersetzer gibt die Kurzversion: „Es ist gut, dass ihr hier seid. Aber Sicherheit ist kein Thema mehr. Jetzt muss die Strasse geteert werden.“ – „Ist das alles, was er gesagt hat?“ – „Ja, im großen und Ganzen.“ Der Rest ist lost in translation.

 Zurück im Camp Soutar: Der Konvoi, der mich transportieren soll, verspäte sich. Dunkel, Mücken tanzen im Neonlicht der Versorgungsrampe. Wir diskutieren Soldatenethos, Traditionen der Royal British Army, Generationen ohne Krieg und den Begriff des armchair soldiers, den man vielleicht mit „Sofa-Soldaten“ übersetzen könnte. Soldaten jener Nationen, die ihre Camps nicht verlassen, nicht kämpfen. Jede Nation solle ihren Beitrag leisten. Die Deutschen würden ihre Porsches ja auch nicht über die Autobahn schieben.

Die Fahrzeuge kommen wieder. Der Wagen bockt in ein Schlagloch, der Fahrer gleicht einhändig aus, alle hauen sich die Helme im Wagen an. Als der Snatch wieder vor dem Checkpoint steht, schaut der Fahrer auf die Uhr: 11 Minuten, fast Rekordzeit: „I always feel safe, I keep my eyes closed.“  Im Pressecontainer des HQ bleiche Gesichter der deutschen Pressebetreuer: „Ja, wo waren sie denn?“ Ein britischer Konvoi mit Journalisten sei soeben unter Beschuss geraten. Ich werde wieder in das zivile Dunkel Kabuls entlassen. Sicher.

Freitag: Kabul, HQ

Von den fünf „Protagonisten“ sind nur noch zwei übrig geblieben. Die Wegwerfkameras habe man beschlagnahmen müssen. Totenschädel. Das ungezwungene Gespräch eine Totgeburt. D. sieht gerne Horrorfilme wie Hostel, Saw und Dark Water. Oberstleutnant S. – Pressebetreuer - ist extra aus Deutschland mitgereist: „Dann schreiben sie wieder, dass die Bundeswehrsoldaten nur Horrorfilme sehen.“ Pause. Blick-Pingpong. Komödien mögen sie auch. Welche? Pause, Zigarette anzünden, Blick-Pingpong. Oberstleutnant S. wippt in seinen Stiefeln hin und her. Rauch einziehen, ausblasen. Komödie, Komödie, … „Mrs. Doubtfire!“ Strahlen. Oberstleutnant S. schüttelt den Kopf. Ich sehe auf die Fahnen, die auf Halbmast wehen.

Nachmittags Fahrt mit Nagis Taxi durch das zerstörte West-Kabul: Junge Männer auf Rollerblades zischen über den weiten Boulevard. Oben beim Mausoleum von King Nadir Shah mit Blick über Kabul lassen Hunderte von Menschen Drachen steigen. Daumen hoch, Fotos, where-are-you-froms. Auf dem Weg kaufe ich am Straßenrand ein riesiges warmes Fladenbrot, Nagi erzählt von früher, wie eine Rakete das Haus seiner Familie und sein Bein zerstört hat. Von den Sowjets, dem Mudschaheddin Gulbuddin Hekmatyar, Ahmad Massoud - dem Löwen Panjshirs - und den Taliban. Wer die Schlimmsten waren? Alle. Vielleicht die Taliban. Massoud hat gekämpft, er sei ein Held, er musste sterben.

Samstag: Kabul

Die Stadt erwacht, ein paar Tiere werden am Strassenrand gehäutet, rot-weiße Maserung in der Bewegungsunschärfe, es riecht nach Blut. Am militärischen Checkpoint des Flughafens wartet der charismatische britische Pressebetreuer F. und leitet mich durch das Gewirr aus Stacheldraht, Camouflage-Netzen und Röntgenschleuse zum Check-in: zu spät, die Maschine sei ausgebucht, die Paletten längst Gepäck verladen. F. wirft sein Grinsen an und es wirkt.

In der Wartebaracke der ISAF-Soldatencocktail: afghanischen Polizisten in neuen amerikanischen Uniformen, schwarze Kopfmasken in die Stirn geschoben, US Soldaten, verpackt wie Robocops, Helm auf, schwer bewaffnet, Splitterschutzbrillen, ein paar unrasierte, braungebrannte Kroaten, die kein Wort Englisch sprechen, Belgier mit schwulen Rave-Bärten, Bundeswehr unbewaffnet im „Fleck“, wirken fast als würden sie Pyjamas tragen. Ich bin die einzige Frau.

Im Laufschritt mit 30 Kilo Gepäck über die Laderampe hinten in die Transall. Ohrenstöpsel einführen, der Ladungsmeister winkt mich mit ins Cockpit. Die Piloten nicken mir lässig zu. Der Boardtechniker sieht ein bisschen aus wie Tom Cruise. Ohne hinzusehen, legt er ein paar Schalter am bunt beleuchteten Cockpit herum. Der Technische Systemoffizier (TSO) kritzelt in sein Flipchart.

Die Transportmaschine schraubt sich in Kreisen über Kabul hinaus, damit sie nicht über die Bergkette stolpert. Türkise Bergseen blitzen auf, sonst nichts, nur konsequentes, kantiges Braun mit knallharten Schatten. Ich sehen mich nach versteckten RPGs (rocket propelled grenades) um, die ich aus Black Hawk Down kenne. „Manchmal frage ich mich echt, was wir hier machen. Wir geben uns hier Mühe für die Leute und dann schießen die einen doch nur ab.“ - „Wieviel kostet eine Flasche Vodka im Dutyfree?“ - „Feind hört mit“. Kurz das Gefühl, dazuzugehören.

Vor der Landung zünden sich Tom Cruise und der Pilot eine Zigarette an, einfach so. Sie können das, sie sind die Stars der Bundeswehr, so weit oben und so nah an Gott. Der TSO öffnet eine Luke an der Decke aus der eiskalte L:uft strömt. Dann taucht eine hell gleißende Ebene auf. „Anschnallen, wir fliegen ganz steil rein, damit wir nicht getroffen werden können.“ Der Pilot zieht die Maschine runter und ich hänge quasi frei in meinem Gurt. Ein kurzer Knall und silbernes Konfetti zischt am Fenster vorbei. Die bordeigene Raketenabwehr ist ausgelöst worden und hat Täuschkörper abgeschossen. Vielleicht war ein Zielfernrohr auf uns gerichtet, vielleicht auch nur Fehlalarm, ein Lichtreflex. Schulterzucken, kauen, rhythmisch nicken, wie zu einem imaginären Soundtrack, keine Angst. Die Landebahn schnellt frontal auf - ganz weiche Landung.

Mazar-I-Sharif, Camp Marmal

Die Tornados könne man leider nicht im Flug beobachten, es habe Probleme gegeben, die internationalen Journalisten nach Mazar zu bringen. Logistische Probleme. Gestern sei ja Freitag gewesen und das sei ja der Sonntag der Afghanen, deshalb. Und wie immer, wenn es darum geht zu zeigen, wie wichtig und gut der Einsatz der Bundeswehr hier in Afghanistan sei, hat die Gegenseite die besseren Argumente: Eine deutsche Frau ist heute in Kabul entführt worden. Taliban. Sie ist vielleicht schwanger. Sie war in Begleitung eines Mannes. Sie ist nicht schwanger. Sie gehört einer christlichen Organisation an. Ihr Mann war dabei. Sie hat in einer Pizzeria missioniert. Es waren Kriminelle, keine Taliban. Sie ist Entwicklungshelferin, nicht Missionarin. Doch schwanger. Wie kann man nur,  als Frau, in Afghanistan – und überhaupt, wenn man schwanger sei – viel zu gefährlich und die Hygiene! Eine schwangere Deutsche hat nichts in Afghanistan zu suchen. Wenn sie nicht schwanger wäre, wäre es noch mal etwas anderes. Von wem ist sie schwanger?…Raus aus dem think tank.

Camp Marmal ist riesig, 600 Soldaten sind hier stationiert: geteerte Strassen, endlose Reihen erdbebensicherer Container, fein säuberlich aufgereihte Sandsäcke, blaue Monobloc-Sitzgruppen, gleichmäßiger Schotter, alles hyperrealistisch von der Wüstensonne überstrahlt. Dahinter wie ein Ölgemälde über der Wohnzimmersitzgruppe: das Marmal-Gebirge. Dieses Meisterwerk wird ewig halten.

Im Schatten des Containers raucht ein Soldat eine Zigarette. Er hat das Camp noch nie verlassen. Drei Monate sei er hier, einen habe er noch vor sich. Inzwischen sei er bei zwei Schachteln. Wegen des Stresses? Seine Augen sind fest auf die Berge gerichtet. Seine Freundin habe ihn nach einem Monat verlassen. Und dann schweigen wir zusammen, was viel besser ist, als alleine still zu sein.

Power-Point-Präsentation Tornado für die circa 15 Vertreter der internationalen Medien: CNN, BBC, Al Jazeera sind nicht gekommen. Flughöhe, Luftaufnahmen, Nassbildentwicklung, Auflösung, Geschwindigkeit, Auswertung. Der Tornado müsse geschützt werden, deshalb sind hier auch so viele Soldaten, weil die ganzen Objekte, Subjekte, Material, einfach alles muss ja geschützt werden. Auf der Rollbahn begleiten den Tornado Panzerfahrzeuge, als mobile Schutzschilder und die werden wiederum von bewaffneten Aussichtspunkten beobachtet und so weiter. Risiken vermeiden. Draußen auf der Landebahn kann jetzt ein Tornado unter freiem Himmel, vor dem Gebirgszug fotografiert werden. Und weil die Sonne so schön schräg steht, sieht das tatsächlich ganz gut aus, ein bisschen klein vielleicht auf dieser Cinemascope-Weite.

Sonntag: Mazar-I-Sharif

Heute ist nun doch eine Patrouillenfahrt mit der Bundeswehr geplant, mit Aussteigen. Weil das mit den Briten so erfolgreich war. „Wir gehen ja ständig raus.“ Drei Panzerfahrzeuge des Typs Fuchs fahren über die Piste, riesige Sandwolken aufwirbelnd, ein Mann pro Wagen sieht oben aus der Luke heraus, Maschinengewehr in der Hand. Bitte keine Rambo-artigen Fotos mahnt der Pressebetreuer. Sie tragen keine Helme, das soll de-eskalierend wirken. Keine Menschenseele.

Pilot P. hat den ersten Tornado nach Afghanistan geflogen. Er steht da in seinem Overall, braungebrannt, hager und ganz kurz wirkt alles abenteuerlich, ein ganz klein wenig Lawrence of Arabia. Gleich wird ein Tornado von einem Aufklärungsflug zurückkehren. Alle starren auf die „V-Kimme“. Der Bild Fotograf dreht ein Teleobjektiv in seine Kamera. Lauschen auf das dunkle Zischen. Der Tornado kommt doch aus der genau anderen Richtung. Ein kleines, dunkelgraues Dreieck zieht eine Schleife und landet. „Vogelschiss,“ sagt einer der Journalisten enttäuscht. Der tonnenschwere Stahlkonvoi tobt wieder zurück durch die Ödnis.

Besuch im hochtechnisch ausgestatteten Feldlazarett: Labor, Zahnröntgengerät, CAT-Scanner. An den Türen Bürosprüche und ein Röntgenbild von Homer Simpson. Gähnende Korridore, keine Patienten. „Wir kämpfen ja nicht.“ Hier im vollklimatisierten Hospital vergesse man leicht, dass man in Afghanistan sei. Immer wieder wird eingegriffen. „Keine gute Frage. Das wird dann wieder so interpretiert als seien deutsche Soldaten Waschlappen.“ Ein Journalist lässt sich selbst Blut abnehmen, um etwas Leben in seine Fotos zu bringen und wird ohnmächtig.

Montag: Kunduz

Transall-Flug Mazar-I-Sharif zum Wiederaufbauteam (PRT) Kundus. Im 45-Minuten Takt bekommen wir Protagonisten der PRT-Oper vorgeführt: zivile Entwicklungshelfer, den militärischen Kontigentführer, den Diplomaten, Vertreter des Auswärtigen Amtes, den Campseelsorger und so weiter. Programmpunkte. Antworten auf Fragen, die keiner gestellt hat.

Das Gelände sieht aus wie ein Schrottplatz für Kriegsmaterial: Hubschrauber-Skelette, verrostete Panzerwracks, eine Flugzeughälfte ragt aus dem Boden. Hier findet heute ein Training afghanischer Polizistenschüler statt: Stacheldrahtspiralen, knallrot lackierte, holzgeschnitzte Gewehrattrappen, Darsteller in zivil. Feldjäger erklären mittels Übersetzer kurz das Szenario: im Wagen seien Waffen versteckt, Straßensperre, Passagiere aussteigen, Hände hoch. Zwei durchsuchen den Wagen, die anderen halten die Passagiere in Schach. Die roten Gewehre sinken immer wieder lasch Richtung Boden, die Polizisten drehen sich zu meiner Kamera, keiner findet die Waffen. Einer der Feldjäger verliert die Nerven, weil alles soooo langsam geht, verbiegt einen der Zivilen zum Yogi und zerrt eine rote Waffe aus seinem Schritt.

Plötzlich zieht einer der Männer in zivil eine weitere rote Chanel-Pistole aus der Hose. Er hat Filme gesehen, wo so etwas in slow-motion inszeniert wurde, wie man den Blick und die Waffe blitzschnell zwischen zwei Zielen hin und her schnappen lässt. Zu spät bringen die Polizeischüler ihre Gewehre in Stellung, zum Battle Royal, zum mexikanischen Unentschieden, afghanischen Längst-entschieden: Der Mann, der hier sein Leben lässt, wäre immer der Gewinner, der Held, ein Martyrer, eine Blüte im Rosengarten Afghanistans. Allahu Akbar! Gott ist gross!

Beim Abendessen mit politischen Würdenträgern und einem jüngeren Mullah im Deutschen Haus Kundus werden Höflichkeiten ausgetauscht: Wie gut sich die Deutschen und die Afghanen verstehen und wie grenzenlos gastfreundlich die Afghanen doch seien und überhaupt dieses erste und damit historische  Zusammentreffen. Nach dem afghanischen Menü stehen die Gäste auf und gehen Beten. Das ist ein wenig peinlich, das hätte man eigentlich wissen müssen, dass die Herren natürlich beten um diese Uhrzeit und nicht Tagesschau sehen. Zurück am Tisch wird weiter parliert, Zahnstocher kommen zum Einsatz, nur der Mullah hat sich seine eigene Zahnseide mitgebracht. Die Afghanen beeindrucken mit ihren Kenntnissen über den Tornado. Mullah Obaidullah rät, eigene Universitäten mit islamischen Fakultäten einzurichten, bislang könne man nur in den radikal-islamischen Madrassas in Pakistan studieren. Der einzige Übersetzer schwitzt. Den Afghanen wird das irgendwann zu schwerfällig und so diskutieren sie angeregt untereinander.

Als die Gäste aufbrechen, lädt Oberst S. die Journalisten noch auf eine Flasche Wein im Büro ein. Zwischen ihm und dem Diplomaten O. sind Fahnen in einem schweren Holzfuß aufgefächert. Wie viel die beiden schon erreicht haben in den wenigen Monaten der Zusammenarbeit. Diplomat O. wird stiller.  Damals im Mai nach dem Anschlag auf die deutschen Soldaten in Kundus hätten Polizeipräsident, Polizeichef und Gouverneur nicht kooperiert. Es habe Verdächtige gegeben, die freigelassen wurden. Geld sei geflossen. Da habe man in Kabul angerufen und sich neue Leute schicken lassen. Der Demokratisierungsprozess. Und so sehr sich Oberst S. auch bemüht, seinen Enthusiasmus mit lauter und härter artikulierten Konsonanten in den Raum bläst, die Fahnen wehen nicht, sie hängen schlapp an den Stangen, hier oben im Deutschen Haus Kundus.