Arthur Baker

von 
Interview
zuerst erschienen 2002 in Alert Nr. 6

Arthur Baker, das ist der Mann hinter einigen der größten Hits der Achtziger Jahre. „Planet Rock“ von Afrika Bambaataa und »Confusion« von New Order hat er selbst geschrieben, unzählige andere produziert oder gemischt. Wir treffen Arthur Baker zum Interview am Abend seines Konzertes mit New Order im Spätnovember in Köln. Wir treffen: Einen Mann, der sich den Gang mit Krücken zu seinem Hotelzimmer quält, weil er sich eine Sportverletzung an der Hüfte zugezogen hatte. Aber als er dann sitzt, dann geht es. Nach der Show zieht es Baker und die Musiker von New Order in die provisorisch eingerichtete Lounge ihres Kölner Luxushotels (in der Bar wird gerade ein neuer Teppich gelegt).

Bei Cohiba und Merlot Noir schlägt Baker vor, dass man die Fotos doch auch bei ihm zuhause in seiner Londoner Wohnung produzieren könnte.

Mr. Baker, Sie gelten als Erfinder des Elektro in den frühen Achtziger Jahren. Das war in New York. Können Sie die Aufbruchstimmung von damals beschreiben?

Ich zog 1978 nach New York. Das war im Sommer, und sie nannten ihn den „Summer of Sam“. Ich zog also im Sommer von Boston nach Brooklyn, und meine erste Erinnerung an diese Stadt ist, dass ich genau zu der Zeit dorthin zog, als ein Serienmörder umging und die Menschen ermordete. Das war wirklich ein harter Sommer. Junge, Junge.

Wieso „Summer of Sam“?

Kennen Sie den gleichnamigen Film von Spike Lee, „Summer of Sam“? Sam war der Name des Killers, der 1978 umging. Er erschoss sieben junge Frauen und versetzte die ganze Stadt in Hysterie und Panik. Dieser Sommer war ein extrem heißer Sommer. Die Luft stand, und die Leute schwitzten und fächerten sich Luft zu. Vor allem aber fühlten sie sich unsicher. Das war mein erster Sommer in New York. Für mich, der ich gerade den Mut gefasst hatte, aus Boston in die große Stadt zu ziehen, war die Stadt einfach ein bisschen dunkler und ein bisschen seltsamer als meine wohlbehütete, überschaubare Heimat. Und ein bisschen gefährlicher.

Nun, Sie sind keine Frau.

Auch das Nachtleben war gefährlicher als in Boston.

Reden Sie von Taschendieben oder von den Versuchungen, denen man im Nachtleben ausgesetzt sein kann?

In den frühen Achtzigern gab es Clubs wie die Danceteria und das Roxy. Das war die Downtown-Szene. Da hing die Andy-Warhol-Clique ab, die ja übrigens auch eine Interview-Zeitung gemacht haben. Leute wie Keith Haring… Ich meine, in die Danceteria und das Roxy gingen eine Menge Künstler, die extrem angesagt waren. In den frühen Achtzigern begannen diese Künstler parallel zu ihren Besuchen in den coolen Clubs aber auch die Uptown-Szene zu erforschen. Die Graffittis und all das. Die Zeit war geprägt davon, dass zwei Kulturen, zwei Szenen sich kennenlernten, trafen und verschmolzen. Und ich wiederum hatte den Eindruck, dass genau an dieser Schnittstelle auch musikalisch das Interessanteste passierte. Die Talking Heads zum Beispiel kamen aus der Downtown, aber sie begannen im Zuge dieser ganzen Umwälzungen mit Schwarzen zusammen Musik zu machen. Für mich war ziemlich bald klar, dass ich auch so eine Musik machen wollte, wie sie die Schwarzen in der Uptown machten, in Harlem, in der Bronx. Ich wollte die South Bronx ins Village bringen.

Wollten die Jungs aus der South Bronx das auch?

Afrika Bambaataa auf jeden Fall. Der fand das geil, dass Andy Warhol und Keith Haring und die ganzen anderen Leute es geil fanden, wenn er in Manhattan seine Platten auflegte. Ist ja klar, dass da mit der Zeit ein Austausch stattfand. Wenn ich an die späten Siebziger und die frühen Achtziger zurückdenke, ist das wirklich das Besondere damals gewesen: Leute begannen zusammenzuarbeiten, die sich vorher nie über den Weg gelaufen waren. Ganz schnell ging das, und vor allem führte es zu was: Die Kunst veränderte sich, die Musik veränderte sich, die Clubkultur veränderte sich.

Waren Sie damals oft in der Bronx? Brooklyn ist doch eine ganze Ecke weit weg.

Ja, aber das war egal. Was willst du denn auch machen, wenn du mitbekommst, dass in der Stadt, in der du lebst, gerade eine Revolution passiert, die HipHop-Revolution? Und HipHop passierte nicht in Brooklyn, sondern in der Bronx und in Queens. Aber mich zog es eben nicht nach Queens, sondern in die Parks der Bronx, wo die Leute draußen gerappt haben. Ich arbeitete damals mit Joe Batan an seiner Platte, das war ein spanischer Sänger, und er meinte eines Tages zu mir, dass ich unbedingt einmal mitkommen müsste in sein Viertel.

Weil er meinte, dass Sie Augen- und Ohrenzeuge sein müssten?

Genau. Er meinte zu mir, dass es da diese Typen gäbe, die über Schallplatten rappten. Die hätten ihre Boom Boxes und ihre Platten mit in den Park gebracht und würden auf diesen Sound einen Sprechgesang draufsetzen. Ich wurde auch deswegen hellhörig, weil Joe zu mir meinte: „Jemand wird reich werden mit diesem Sound. Irgendjemand von denen wird eine Million Dollar machen.“ Das fand ich vielversprechend, und ich kam mit in die Bronx. Und was ich dort zu hören bekam, war die Blaupause von Rap.

Wie kam es eigentlich, dass sich Rap Anfang der Achtziger ausgerechnet in der Bronx entwickelte?

Rap ist ja zunächst einmal nichts anderes als Geschichtenerzählen. Die Jungs erzählten von Ihren Straßen und ihren Tagesabläufen. Meiner Meinung nach hat das seinen Ursprung in Jamaika. Dort gibt es ja schon seit Jahrzehnten diese Tradition des Sprechgesangs über Schallplatten, das Toasten. In Jamaika hat es Tradition, dass es von jedem Song, der aufgenommen wird, auch eine Instrumentalversion gibt, über die die Toaster dann sprechsingen können. Ein anderer Ursprung von Rap kommt aus dem Süden der USA - wir nennen es die Kultur der Dozens. Die Dozens kultivierten schon lange vor den Achtziger Jahren verbale Slang-Rededuelle. Lange vorher. Ich rede von der Zeit, als es in Amerika noch Sklaven gab.

Ist das eine Variante des Call-And-Response-Gesanges aus den Plantagen?

Es ist sozusagen eine zum Sport erhobene Variante des Call-And-Response. Das war wie Hahnenkämpfe: Zwei Männer stehen sich gegenüber, und der erste beginnt mit einem Slangreim über die Mutter des anderen, unter der Gürtellinie natürlich. Der andere, statt zuzuschlagen, reimt zurück, über die Schwester des ersten. Das war eine eigene Kunstform unter den Schwarzen. Ich habe das auf dem College studiert, weil ich mich dafür interessiert hatte. Vorher hatte ich Kurse in Schwarzer Kultur belegt. In der schwarzen Musik gibt es ja auch die Tradition der »Answer Records«, also der Schallplattenaufnahmen, die sich ganz explizit auf eine andere, bereits veröffentlichte Schallplatte beziehen und diese kommentieren. Ich habe Rap damals, als er aufkam, sofort als Erbe dieser schwarzen Call-And-Response-Kultur gesehen. Das ging soweit, dass es 1983 beispielsweise in New York eine Rapperin namens Roxanne Shante gab, die Platten veröffentlichte, und es gab eine zweite Rapperin, die sich „The Real Roxanne“ nannte. Es verging keine Woche, in der sich die beiden nicht öffentlich versuchten zu messen. Das war toll.

Und wie begann sich Ihre Rolle zu formen? Ihr Welthit „Planet Rock“ mit Bambaataa war ja nicht Ihr Debüt in dieser Disziplin.

Nein, ich nahm schon vorher mit Joe eine Nummer auf, die wir »Rappo Clappo« nannten. Wir haben dieses Stück 1979 produziert. Es war eines der ersten, wenn nicht sogar das allererste in einem Studio aufgenommene Rap-Stück der Welt - auch wenn es zwei endlose Jahre brauchen sollte, bis es dann tatsächlich erschien.

Ihre Rolle war die des Produzenten?

Ja, ja, das habe ich produziert. Ich habe mit dem Produzieren von Musik schon 1976 angefangen, als ich noch in Boston lebte. Eine Nummer, die sich „Kind of Life“ nannte, hatte einen gewissen Erfolg und meinen Namen erstmals in Umlauf gebracht. In New York schrieb ich dann für Tom Silvermans Magazin „Dance Music“ Plattenkritiken. Und Tom wollte eines Tages ein eigenes Label gründen, aus dem dann später das berühmte Label Tommy Boy Records erwuchs. Auf alle Fälle war ich der einzige Produzent, den Tom damals kannte. Und Tom wiederum kannte Afrika Bambaataa, von dem ich zu diesem Zeitpunkt nur gehört hatte. Damals gab es nur wenige gute Nummern, die kursierten. „Funky Sensation“ war eine. „Genius Of Love“ vom Tom Tom Club eine andere. Mein Gefühl sagte mir, dass wir „Funky Sensation“ spielen und darüber rappen sollten, weil „Genius Of Love“ zu der Zeit jeder kannte. Na ja, und der Rest ist Geschichte: Unsere Version von „Funky Sensation“ verkaufte innerhalb von zwei Wochen alleine in New York über 30.000 Platten, und das ohne jede Promotion. Das war alles richtig amtlich Old School: Wir hatten mit einer Band namens Jazzy Five den Song live nachgespielt und dabei das Arrangement verändert. Das war eine ziemliche Arbeit, wenn man das einmal bedenkt: Da war nix programmiert, alles live. Aber die Nummer war super. Und von diesem Moment an hatte Tom auch ein bisschen Geld, und das investierte er in die nächste Nummer von Bambaataa und mir.

War das dann „Planet Rock“?

Das war dann „Planet Rock“.

Mit dem angeblich ersten berühmtgewordenen Sample der Musikgeschichte, nämlich einigen Takten aus Kraftwerks „Trans Europa Express“.

Ich kannte Kraftwerk ja schon seit 1974. Ich hatte damals in einem Schallplattenladen gearbeitet, als „Autobahn“ rauskam. Die Nummer hatte mich wirklich gefangengenommen. Das klang so seltsam nach den Beach Boys und kam doch aus Deutschland… So. Und Jahre später begegne ich Bambaataa, und er spielt Kraftwerk in seinen DJ-Sets im Park. Und weil Bambaataa damals schon so etwas wie ein Held in der Bronx war, hatten sich alle anderen auch die Kraftwerk-Platten gekauft, mit dem Effekt, dass man, wenn man durch diese Parks hindurchging, ständig „Trans Europa Express“ hörte. Kraftwerk war damals für mich der Soundtrack des Ghettos. Das war total kinematographisch, diese Musik in den Parks zu hören, zwischen all den Haschischschwaden…

Wieso fand das in den Parks statt und nicht auf den Straßen, zuhause oder anderswo?

Weil die Leute im Sommer einfach in den Parks abhingen, die hatten ja gar kein richtiges Zuhause. Und als die ersten begonnen hatten, ihre Boom Boxes mit in die Parks zu nehmen, gab es dort auch immer Musik und Haschisch. Ich meine, das ist nun einmal dein Zeitvertreib im Ghetto, wo es nichts gibt - keine Arbeit, keine Ziele, keine Motivation. Stattdessen gibt es Parkbänke, Joints und geile Musik.

Aber Sie sind weiß und kommen keineswegs aus einem Ghetto, sondern aus einem gutbürgerlichen Bostoner Familienhaus. Wie kam es, dass man Sie aufnahm in dieser Ghettowelt?

Zunächst einmal war die South Bronx damals lange nicht so gefährlich wie sie es später wurde, als Crack aufkam. Klar gab es auch damals Bezirke, die man meiden sollte, aber so war das auch in Brooklyn. Ich habe nie mit irgendjemandem Stress gehabt, es gab nie Probleme wegen unserer unterschiedlichen Hautfarben. Das war eine ziemlich entspannte Zeit damals, vor allem im Sommer. Keine Ahnung, ob das heute auch noch so geklappt hätte. Hinzukam, dass ich totaler Fan von schwarzer Musik war und viel mehr über schwarze Musik wusste als die meisten derjenigen, die ich in der Bronx treffen sollte. Und im Studio gab es sowieso keine Probleme, denn da war von vornherein klar, dass ich der Boss war. Ich meine, kaum einer, mit dem ich zusammenarbeitete, war jemals zuvor in seinem Leben in einem Studio gewesen. Ich war der Produzent und besaß auf diese Weise eine Art natürliche Autorität. Und trotzdem mochten die Rapper „Planet Rock“ nicht. Der Track war denen zu wenig verhascht, zu schnell, zu hektisch. Bambaataa war tatsächlich der einzige, der begriffen zu haben schien, dass diese Nummer nach vorne blickte, Neuland betrat. Außer Bambaata glaubte keiner von den Rappern an »Planet Rock«.

Weil auch er sich sowohl in der Uptown als auch in der Downtown bewegte?

Vielleicht lag’s daran. Auf alle Fälle war es Bambaataa, der die unterschiedlichsten Musikstile in den HipHop einbrachte. Er brachte Kraftwerk, das Yellow Magic Orchestra, Thin Lizzy, Aerosmith, die Rolling Stones und die Monkeys und den HipHop zusammen. Hauptsache, eine Nummer hatte einen Funky Beat. Man muss ja bedenken, dass es damals nicht wirklich viele Platten gab, die man spielen konnte. HipHop gab es ja noch nicht. Es gab keine Rap-Platten und keinen Elektro. Wir waren ja dabei, das alles zu erfinden.

War Ihnen das wirklich so bewusst?

Ja. Ich erinnere mich, dass ich, als wir mit „Planet Rock“ fertig waren, zu Bambaataa sagte: „Mit diesem Track haben wir Musikgeschichte geschrieben, Alter. Wir haben die Musik verändert, Bambaataa.“

Was gab Ihnen diese Sicherheit?

Das hatte ich schon gespürt, als ich die Rapper in den Parks zum ersten Mal gehört hatte. Und was „Planet Rock“ anbetrifft: Wir hatten eine sehr gute Idee von Kraftwerk und eine sehr gute Idee aus der Bronx zusammengefasst. Ganz wichtig war auch, dass wir nicht perfekt waren. Rhythmisch passte das im Detail vorne und hinten nicht, aber dadurch klang es wie die Bronx: Unperfekt, aber geil. Es gibt bei jeder guten Produktion einen Punkt, an dem man merkt, dass man von nun an die Finger davon lassen muss, weil sie stimmig ist. Ein ganz wichtiger Aspekt für uns war: Geiler zu sein als die Talking Heads. Es ging nicht um Verkaufszahlen. Es ging darum, geiler zu sein als die Talking Heads und zu sehen, wie David Byrne sich ärgerte.

Wie sah die Antwortplatte der Talking Heads aus?

Die haben den Schwanz eingezogen. Aber mein Freund Felix da Housecat hat mir neulich ein Buch über Prince gezeigt, aus dem hervorgeht, dass Prince „Planet Rock“ gehört hatte, als er „When Doves Cry“ komponierte. Darum ging es uns: Dass man an uns nicht mehr vorbeikam. Es ging uns damals nicht so sehr ums Geld.

Damals nicht. Aber dann hat die Platte Millionen verkauft, und Sie waren plötzlich der Mann, der das konnte. Sie stiegen zu einem der erfolgreichsten Produzenten der Achtziger Jahre auf, haben Mick Jagger, New Order und Fleetwood Mac produziert, haben Songs wie Cindy Laupers „Girls Just Wanna Have Fun“ und Bruce Springsteens „Dancing in the Dark“ den entscheidenden Kick gegeben, dass sie zu Welthits wurden.

Heute produziere ich niemanden mehr. Die Zeit ist vorbei, dass ich meine Zeit verplemper mit Dienstleistungen für irgendwelche Spinner. Wobei ich Bernard Sumner von New Order ausdrücklich ausnehmen muss, der Typ ist richtig nett.

Und wie war es mit Bob Dylan zusammenzuarbeiten? Sie haben sein Album „Empire Burlesque“ produziert.

Sehr, sehr interessant. Der Typ war sehr witzig. Er liebt es, Menschen zu testen. Der stellt dich immer wieder vor Situationen, zu denen du dich verhalten musst. Er selbst ist sehr clever, ich meine: Natürlich ist er extrem clever, sonst wäre er nicht so weit gekommen. Aber er liebt es, Leute auf den Prüfstand zu stellen - immerhin ist er ja auch seit Jahrzehnten von Arschkriechern umgeben. Es ist eine Mischung aus: Wie weit er gehen kann, und die Neugierde, wie die Leute wohl darauf reagieren. Als ich ihn das erste Mal traf, war ich 26 Jahre alt. Ich bin ein Fan von Bob Dylan, seitdem ich Kind war. Ein wirklich großer Fan. Und dann wurde ich gefragt, ob ich Dylan treffen könnte. Und dann betrat ich sein Hotelzimmer in New York, und alles, was mir auffiel, waren diese Berge von dreckigem Geschirr. Aufgerissene Tüten mit Essensresten. Ghettoblaster. Ich war also in Bob Dylans Hotelzimmer und gucke mich um, und er war nicht da. Und dann kam er aus dem Wandschrank raus, aus dem er mich beobachtet hatte. Ich war total nervös.

Und, wie hat Bob Dylan Sie getestet?

Er hat mir sofort Musik vorgespielt. Zwanzig neue Songs. Und immer sofort gefragt: „Was würdest Du mit dem hier machen? Und was würdest Du mit diesem hier anstellen?“ Mir wurde das alles zu viel, und mir ging das alles viel zu schnell. Erst später wurde mir klar, dass das von ihm alles nur gespielt war, und er nur checken wollte, was ich eigentlich für eine Reaktion zeigen würde, dass er gar nicht daran interessiert war, was ich im einzelnen zu sagen gehabt hätte. Irgendwie muss ihn dann aber doch überzeugt haben, was ich ihm sagte. Ich sagte nämlich, dass ich mir lieber einen Song rauspicken würde und lieber konzentriert Ideen entwickeln würde. Ich fand seine Art im Nachhinein ziemlich nachvollziehbar. Ich meine, wie soll man sich denn auch verhalten, wenn man den ganzen Tag den Arsch geküsst bekommt?

Und hat sich sein Verhalten verändert im Laufe der Zeit?

Ich erinnere mich, dass Dylan ständig etwas auf Zettel kritzelte. Notizen, Songtextfragmente, Zeichnungen. Der kann ja richtig toll zeichnen der Mann. Auf alle Fälle entwickelte sich zwischen uns beiden so ein Spiel. Ich hoffte immer, dass er vielleicht einmal eine Zeichnung liegen lassen würde, damit ich sie einstecken könnte, als Erinnerung, weil sie so hübsch waren. Aber er hat nie etwas liegen gelassen. Wenn er eine Zeichnung zerriss, weil er sie nicht gemocht hatte, hat er die Schnipsel in die Tasche gestopft. Nie in den Papierkorb. Mit seinen Texten war es genauso. Es war zum Verzweifeln.

Dann waren Dylan und New Order die Ausnahmen, die anderen Produzentenjobs waren nicht so spannend?

Auf alle Fälle habe ich mir geschworen nie wieder für jemand anders eine Platte zu produzieren. Außer für Bernard natürlich. Es ist halt leider meistens so, dass die Leute dich nicht buchen, weil sie dir vertrauen und sie dich machen lassen, sondern sie buchen dich, weil sie eine ganz klare Erwartung haben, ein ganz klares Bild, wie du in ihren Augen zu sein hast. Das ist auf die Dauer sehr enttäuschend.

Haben Sie sich jemals so weit von dem entfernt was Sie mögen, dass Sie Ihre Handschrift nicht mehr wiedererkannt haben?

Nein. Ich meine, ich liebe Musik. Und ich mache jeden Tag meine Musik, ich spiele jeden Tag. Das ist das entscheidende. Nicht, ob ich jemanden produziert habe oder nicht. Was ich hingegen sehr gerne mag, sind Kolaborationen. Ich arbeite gerade an meinem eigenen Album und arbeite immer wieder mit anderen Musikern zusammen. Zusammenarbeiten ist etwas anderes als seine Seele verkaufen.

(Es klopft an die Tür, Essen wird hereingebracht, aber nicht das, was Arthur Baker bestellt hat.)

Baker: Wo sind meine Tagliatelle mit Hummer?

Kellner: Hatten Sie nicht Hummersüppchen bestellt?

Baker: Ich weiß ja wohl noch was ich bestellt habe! Tag-Li-A-Tell-E! Mit Hummer. Ich habe nicht ewig Zeit.

Kellner: Das tut mir leid. Ich werde das in Ordnung bringen.

(Kellner ab)

Baker: Wie kann man nur einen Hummer mit einem Süppchen verwechseln?

Was hören Sie so für Musik. Viel?

Enorm viel. Ich habe eine eigene wöchtentliche Radiosendung in London. Also höre ich die ganze Zeit Musik. Ich krieg ja auch alles zugeschickt. Viel HipHop, Breakbeats, Elektro, Kitty-Yo, Gonzales, Peaches, Kreidler, DJ Hell - ich mag diese ganze Musik aus Deutschland. Ich hatte kürzlich ein Abendessen mit Peaches. Sie ist einfach ein Genie. Genau wie Gonzales. Der ist auch ein Genie.

Wir haben mit Gonzales ein Interview in diesem Heft.

Der Mann ist einfach genial. Ich lege seine Sachen regelmäßig auf. Und ich mag auch die Videos, die er mit seiner Freundin gedreht hat.

Ist es nicht interessant, dass, je schwieriger und unsicherer die Zeiten werden, desto spannender die Musik wird?

Das ist schon spannend, aber auf mich trifft es nicht zu. Ich lebe in einer Art Vakuum. Ich mache seit zwanzig Jahren das gleiche. Und so ganz trifft dieser Spruch ja nicht zu: Wir erleben in Amerika die schlimmste und patriotischste Musik - eine Folge des Anschlags auf die Twin Towers. Ein Song wie „Planet Rock“ war das Gegenteil, das war der Versuch einer Kommunikation. Die Leute aus der South Bronx wollten Kontakt aufnehmen. Wenn man nicht so viel hat, dann will man zumindest reden dürfen. Das ist so ein bisschen die Stimmung damals gewesen. Eine andere Sache ist natürlich das Geld. Und Geld kann ein echtes Problem sein.

Zuviel Geld oder zuwenig Geld?

Ich rede jetzt mal von zuviel Geld. Die meisten Menschen, die, aus normalen Verhältnissen kommend, mit viel Geld in Berührung kommen, kommen von dem Geld nicht mehr los. Wenn es eine gute Sache gibt, die der Anschlag auf das World Trade Center vielleicht bewirkt hat, dann die, dass die Menschen nicht mehr so fokussiert auf das Geldverdienen sind. Ich bin aus New York vor ein paar Jahren weggezogen, weil es nur noch ums Geld ging. Jeder handelte mit Aktien, jeder dachte nur noch an Geldvermehrung und Rendite. New York hat ganz extrem unter dieser Entwicklung gelitten, wenn Sie mich fragen.

Reden Sie auch von Künstlern?

In dem Sinne ja, als dass ich mir ziemlich sicher bin, dass viele, die unter normalen Umständen Musiker oder Künstler geworden wären, wegen dieser Obsession zu Brokern wurden. Und die Künstler gierten nach Geld, um die Drogen bezahlen zu können, die sie nur deswegen ausprobiert hatten, weil sie eines Tages zuviel Geld in den Händen hatten. Der Höhepunkt des Yuppietums Mitte der Achtziger Jahre und die Wiederholung dieses Phänomens in den späten Neunzigern, das waren die Tiefpunkte.

Waren Sie selbst einmal der Faszination des Geldes verfallen?

Ja, die gab’s. Als ich riesige Summen dafür kassierte, dass ich anderer Leute Musik remixte. Es kam so weit, dass ich mich für nichts mehr interessierte außer diese Jobs zu bekommen, sie auszuführen, das Geld zu zählen und den nächsten Job zu akquirieren. Das war die Zeit, als ich Unmengen von Kokain konsumiert habe. Kokain und Geld, das war meine Welt in den Mittachtzigern in New York. Ich meine, das ging dann so: Am Telefon irgendein Repräsentant von Paul McCartney, der anfragt, ob ich ihm nicht einen Remix machen kann. Ich sage 25.000 Dollar, der Typ sagt alles klar. Der Remix war scheiße, aber mir war das egal, hauptsache noch einmal 25.000 Dollar mehr. Irgendwann wurde ich dann ziemlich krank, weil ich zuviel Kokain genommen hatte. Ich habe dann die Entscheidung getroffen, dass mir mein persönliches Leben wichtiger sein sollte als Drogen und Geld. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass man mit verschiedenen Frauen durch verschiedene Lebensabschnitte geht. Dass das Leben verschiedene Umorientierungen nahelegt. Wenn ich eins weiß, dann das: dass ich nie wieder in diesen Wahnsinn verfallen werde.

Wie können Sie sich so sicher sein?

Geld hat für mich die Bedeutung verloren, die es mal für mich gehabt hat. Ich mache nichts mehr für Geld. Dass ich New Order auf ihrer Tournee durch Europa begleitet habe, das habe ich gemacht, weil ich gerne mit Bernard und den anderen von New Order abhänge. Ich krieg die Flugtickets, das Hotel und den Hummer bezahlt, aber ich bekomme keine Gage. Ich mache das nur, um mal ein paar Tage mit meinen Kumpels abhängen zu können. Wenn es mir um Geld gehen würde, müsste ich alleine schon aus Prinzip eine solche Konstellation ablehnen, weil ich mir sonst selbst meine Preise kaputtmachen würde. Auf der anderen Seite würde ich mich über nichts mehr freuen als über eine Nummer-Eins-Plazierung meiner eigenen Platte in den Charts. Aber das ist nicht meine Motivation. Ich lehne fast wöchentlich irgendwelche Angebote ab, Remixes für irgendwelche Spinner anzufertigen. Ich liebe die Dinge, die man mit Geld kaufen kann, aber ich tue nichts mehr dafür, dieses Geld zu bekommen. Ich tue, was ich tue.

Das klingt ja fast buddhistisch.

Ich bin halt nicht mehr ganz so jung. Wenn man jung ist, ist Geld verführerischer als später. Solange das Geld für ein Macintosh-G4-Powerbook reicht, ist die Welt in Ordnung. Heute im Zug von Berlin nach Köln habe ich ganz entspannt vier Stunden lang an einem Track gearbeitet.

Würden Sie soweit gehen, dass das G4-Titanium eine ähnliche musikalische Revolution auslösen wird wie seinerzeit die Roland 909, die Vierspur und solche Sachen?

Die technologische Revolution hat Dinge möglich gemacht, die man sich Anfang der Achtziger, wo unser Gespräch begann, nicht hätte vorstellen können. In einem G4 steckt so viel Technologie, die man sich vor zwanzig Jahren mit keinem Geld der Welt hätte kaufen können. Mein Powerbook hat mich in London 2.400 Pfund gekostet. Dafür hat man früher gerade mal drei Studiotage buchen können…