Bangkok bebt

von 
Reportage
zuerst erschienen am 10.05.2010 in Die Welt

Es ist elf Uhr abends, die Luft klebrig und heiß in Bangkoks rotlichtfreiem Vergnügungsviertel RCA. Vor dem Astra Club, in dem Note Kunprasops alias Dude Sweet heute eine seiner legendären Partys feiert, schnappt die thailändische Kreativklasse Luft oder inhaliert ein paar Züge Mentholzigarette. Keiner trägt rot.

Am Vorabend haben nahe dem Siam Square M-79-Granaten drei Menschen das Leben gekostet. Die Anschläge werden den demonstrierenden Rothemden zugeschrieben, die die Regierung Abhisit Vejjajivas stürzen wollen. Auf BBC und CNN sieht ihr Aufstand aus wie ein Betriebskarneval, wo die Buchhaltung in Firmenuniform auf der Bühne zotige Witze ins Mikrofon plärrt und alle Plastikrasseln in Form von Fußabdrücken schwingen. Der ehemalige Premierminister Thaksin Shinawatra, der inzwischen im Exil lebt und im Privatjet zwischen Fidschi und Montenegro pendelt, gilt als Drahtzieher des Aufstandes der Landbevölkerung aus dem Norden. Die Rothemden wünschen sich ihren demokratisch gewählten Helden, der 2006 in Abwesenheit von der Militärjunta gestürzt wurde, zurück. Er ist ihr Che Guevara.

Traditionell bewirft man sich zur thailändischen Neujahrszeit mit Wasser, nicht mit Gummigeschossen - oder man flieht in die eisig gekühlten Verkaufspaläste Centre World und Siam Paragon, um Ruhe in der Eintönigkeit globaler Luxusmarken zu finden. Beide Malls sind seit Wochen geschlossen. Selbst die Linien des Skytrains halten nur noch sporadisch am Siam Square, an einem Tag fällt das Metrosystem komplett aus. Die Büros internationaler Werbeagenturen liegen brach, Millionendeals sind geplatzt. Mein Dreh mit einem Bollywood-Starlet für eine Werbekampagne ist aus Sicherheitsgründen ins benachbarte Malaysia verlegt worden.

Hier bei Dude Sweet scheint das alles furchtbar weit weg. Der thailändische Popstar Gene vom Hipster-Label Smallroom legt heute auf. Gene sieht aus wie eine Mischung aus David Bowie und Kurt Cobain: die Haare platinblond, ein getigertes Organzakleid und dazu Cowboystiefel. Um ihn schart sich seine bunte Entourage aus der Regisseurin Pheung, der Stylistin Pong und ein paar Designern, Musikern, Autoren. Dude Sweet grölt von der DJ-Kanzel den Refrain ins Mikrofon. Hände fliegen in die Luft, Plastikeimer mit Eiswürfeln und Mixgetränken werden herumgereicht. Onsiri, die Feuilleton-Redakteurin der Bangkok Post mit den epischen Körpermassen, badet auf einem Lautsprecher in blauem Licht. Der japanische Architekt Jiro Endo stabilisiert umsichtig ihre wackelige Bühne. Obwohl die meisten hier über dreißig sind, wirkt es wie ein ausgelassener Kindergeburtstag.

Mein Telefon klingelt, den ausländischen Journos der internationalen Medien-Buchstabensuppe (CNN, BBC, AP und so weiter) ist langweilig. Viele haben ihre Lager in den Zimmern des Pan Pacific Hotels aufgeschlagen, im Herzen der Demonstrationen. Wie ist die Situation? - Geladen. - Gibt es Bewegung? - Nein, aber die Spannung steigt spürbar. -Wird etwas passieren? - Vielleicht. - Komm doch vorbei!- Nein. Nichts passiert.

Im Klima von Paralyse und Genervtheit permutieren die Gerüchte in Überschallgeschwindigkeit, piepsen sich in Mobiltelefone und Twitter, thailändische Schriftzeichen schlängeln sich über Facebook-Seiten: Sie werden Benzintanks in die Luft jagen. - Heute, vielleicht morgen. - Sie werden den Palast stürmen. - Sie wollen Abhisit hängen. - Die Polizisten laufen zu den Rothemden über. - Das Militär selbst hat die Granaten im Zentrum lanciert. - Die Gelben haben geschossen. - Thaksin ist tot, seine Fotos auf Fidschi sind Photoshop-Montagen. - Die „Men in Black“ sind angereist.

Die schwarzgekleidete, schwerbewaffnete Söldnermiliz unter dem Anführer Seh Daeng wurde schon von Regierungen jeglicher Couleur in den Grenzgebieten im Norden eingesetzt. Ein Freund zeigt mir auf seinem iPhone ein Bild Seh Daengs zu Besuch bei den Shinawatras in Dubai. Er trägt stolz sein schwarzes Beret und sieht aus, als würde er Hauskatzen frühstücken.

Die gelben Monarchisten, denen es im Dezember 2008 immerhin gelungen ist, den Flughafen fast eine Woche lang lahmzulegen, organisieren sich derweilen zu regelmäßigen Gegendemonstrationen am Victory Monument. Und die sogenannte Bangkoker „Elite“ hat sich, genervt von den Protesten, zu einer weiteren Fraktion organisiert: den regierungstreuen Bunten. Sie wollen vor allem, dass der rote Mob verschwindet. Auch sie demonstrieren, nur weiß niemand, wo genau. Bei Dude Sweet sind offenbar alle gegen die Rothemden, aber unpolitisch: „Wir sind die Smarties, bunt, lustig und eben schlau. Wir halten uns raus.“

Auf der Fahrt nach Hause addiere ich die politische Farbenblindheit zur Kombination Schwarz-Rot-Gelb zusammen. Wenn es eine Farbe gibt, die Thailand am besten entspricht, dann ist es Lila - das haben die Manager der Fluggesellschaft Thai Airways schon vor fünfzig Jahren erkannt. Die Orchideenfarbe, die so schön zwischen rot und blau oszilliert, zwischen tropischem Wahn und buddhistischem Gleichmut, politischer Anarchie und monarchistischer Ergebenheit. Und die so gut passt zu den vollkommen übernuancierten Geschlechterrollen der Ladyboys, Transsexuellen, Drag Queens, Tomboys und gewöhnlichen Homosexuellen. Sogar ein mächtiger Mann wie Premier Abhisit Vejjajiva, der in England geborene Oxford-Absolvent, lispelt mit so zarter Stimme, dass die elegante BBC-Journalistin Zeina Badawi im Gespräch mit ihm plötzlich ungehobelt wirkt.

Gegen zwei Uhr morgens gerate ich in eine Polizeikontrolle auf Sukhumvit Thonglor. Auch Thaksin war einmal Polizist, bevor er Geschäftsmann wurde, ohne Erfolg - bis er sich mit zwielichtigen Satellitendealern in Dralonanzügen einließ, ins Mediengeschäft einstieg, zum Mobiltelefon-Tycoon avancierte und schließlich als Premierminister nicht ganz überraschend schwerreich wurde. Alles erinnert an Berlusconi, doch anstatt der italienischen Tutti-Frutti-Mädchen trägt Thaksin Seidenkrawatten, auf denen Elefanten Cancan tanzen. Als Premierminister pflegt er seine Kontakte zur Polizei und setzt sie zu dubiosen Manövern ein.

Im Jahr 2003 erklärt er der Lastwagenfahrerdroge YaaBaa („Verückt-Medizin“) den Krieg: „War on Drugs“. Innerhalb von drei Monaten soll die Polizei Herstellung, Vertrieb und Nutzung dieser Aufputschdroge beenden. Thaksin gibt den Polizisten die „license to kill“. Provinzverwaltungen werden Phantasie-Quoten für die Verhaftung oder Tötung von Drogenkriminellen auferlegt, schwarze Listen zusammengekritzelt, Nachbarn denunziert. Menschen verschwinden, außergerichtliche Hinrichtungen finden statt. Am Ende der drei Monate sind 2500 Thais tot, LKW-Fahrer, Nutten und Slumbewohner dafür immer noch high.

Thailands Bohème feiert Partys, während die Granaten explodieren: Eine Nacht am Rande des Bürgerkriegs

Noch absurder wirkt der unwirkliche Religionskrieg im Süden. Thaksin will offenbar, dass sich seine Kumpels von der Police-Academy das lukrative Geschäft von Piraterie und Schmuggel, das die muslimische Minderheit betreibt, nicht mehr entgehen lassen - und versetzt die Nordlichter in die Provinzen nahe der malaysischen Grenze. Plötzlich werden ein paar arme buddhistische Mönche ermordet. Den Muslimen und ihren Provinzabgeordneten, die bisher gemütlich von der Korruption leben konnten, unterstellt man, das Land zu spalten. Jihad! Separatismus! Wo es doch tatsächlich nur um Zigaretten und hässliche Handtaschen geht.

Dagegen protestieren im Oktober 2004 eine Reihe von Menschenrechtlern friedlich im Provinzstädtchen Tak Bai. Die Polizei schießt in die Menge. Hundertachtzig Studenten, Lehrer und Nudelsuppenverkäufer werden verhaftet. Zwei Drittel dieser kerngesunden Männer sind bei der Ankunft in der Kaserne tot. Die exzentrische Star-Forensikerin Dr. Pornthip („Dr. Death“) fordert eine unabhängige Autopsie, die ergibt, dass die Demonstranten mit dem Gesicht nach unten in einen Militärlastwagen gestapelt und auf endlosen Umwegen über holprige Strassen stundenlang in eine Kaserne kutschiert wurden - und somit zum Schweigen gebracht. Dann die Geschichte des Parlamentsabgeordneten der Opposition, der angeblich Selbstmord begeht. Dr. Death stellt in einer Talkshow vor laufenden Kameras eine wichtige Frage: Wie kann man sich selbst fünf Kugeln in den Kopf jagen? Die Forensikerin bewegt sich von nun an mit Begleitschutz.

Die nächtliche Fahrzeugkontrolle zieht sich hin, jeder Wagen wird durchsucht, es dauert ewig, bis ein Beamter mir seine Taschenlampe ins Gesicht strahlt. Ich lasse das Fenster herunter und fahre mein asiatisches Gesichtswahrungslächeln nach oben. Im affektiertesten Elite-Thai frage ich den werten Polizisten, ob er mir höflicherweise seinen Namen verraten würde. „Bam.“ Ich rate dem werten Polizisten Bam, dass es möglicherweise für seine Zukunft besser wäre, wenn er mich ganz schnell passieren lassen würde. Ich werfe dabei wie zufällig einen Blick auf das königliche Wappen, was auf die Windschutzscheibe des Firmenwagens geklebt ist. Ob der werte Polizist Bam verstünde, was ich meine?

Der werte Polizist Bam versteht den ganzen Unsinn blitzschnell, faltet die Hände zum Wai unter der Nase und verneigt sich vor mir, bevor er in seine Trillerpfeife bläst. In wenigen Sekunden bildet sich ein Korridor, ich kann Gas geben. Im Rückspiegel sehe ich noch die roten Lichter der Polizeisperre blinken. Mir fällt die lustige Hello-Kitty-Kampagne von 2007 ein: Damals mussten in Ungnade gefallene Polizisten zur Strafe ein rosafarbenes Hello-Kitty-Armband über der Uniform tragen. Ich beschließe, mich weiterhin von den Demonstrationen fern zu halten.