Ben Becker

von 
Interview
zuerst erschienen im Januar/Februar 2002 in Alert Nr. 5

Die Welt des Ben Becker ist hochtourig: Theater, Fernsehen, Kino und Werbung, eine Karriere als Musiker und Familienvater, schließlich seine Rolle als Berliner Society-Bulldozer – da bleibt nicht viel Luft zum Atmen. Dass der Shooting Star eine lange, intensive und sehr ernsthafte Liebe zu Subkulturen aller Art pflegt, ist hingegen weniger bekannt. Becker schrieb Liebeslieder an Ulrike Meinhof, in seiner Schöneberger Lieblingsnachtbar, dem Ex’n’Pop, inszenierte Becker mit Freunden und Kollegen vor Jahren eine Theaterfassung von „Sid & Nancy“, und auch der Sound seiner Zero Tolerance Band ist gedüngt von der Suche nach Konfrontation und dem Geist des Berliner Underground.

Als wir Ben Becker fragten, ob er uns für ein langes Gespräch und ein Foto-Shooting zur Verfügung stehen könnte, waren seine Tage ausgefüllt von Proben für seine Konzerttournee durch Deutschland. Er sagte dennoch zu und schlug als Ort für das Interview seine Privatwohnung in Berlin-Mitte vor. Am heimatlichen Küchentisch, bei Beck’s Bier und Lucky-Strike-Zigaretten, präsentierte sich Becker hochkonzentriert und angriffslustig. Als das Bier schließlich alle war, schlug Ben vor, ein Konzert von Helmut Zerlett zu besuchen, um dort weiterzutrinken. Als Schwierigkeit erwies sich lediglich die Wahl der passenden Ausgehkleidung: Als Frau verkleidet? Mit Anzug und edler Krawatte? Am Ende entschied sich Becker für den Schlangenlederanzug und Haargel.

Ben, ich erinnere mich: Als wir uns 1994 das erste Mal getroffen hatten, da hast Du in einer Hamburger Konzerthalle die Band von Alexander Hacke auf der Bühne angesagt. Im Publikum raunte man sich zu: „Das ist doch der Ben Becker, der immer die Bösen spielt, im Fernsehen.“

Ja, stimmt: Das war ein Konzert der Jever Mountain Boys, und ich kam zu spät, weil ich auf der Autobahn von Berlin nach Hamburg die Abzweigung verpasst hatte und in Rostock gelandet war. Dort hatte ich dann erst einmal ein Eis gegessen. Das Auto war voll mit anderen Menschen, die waren tierisch genervt, aber gemerkt, dass wir auf der falschen Autobahn waren, hatte es keine von diesen Pappnasen.

Du hattest die Band angesagt und bist danach ins Publikum gesprungen. Schon damals hattest Du nicht nur die Nähe anderer Künstler, in diesem Falle von Hacke, Wydler, Arbeit und Co., gesucht, sondern auch versucht, Teil der Karawane zu sein. Inwiefern war das, rückblickend betrachtet, ein cleverer Schachzug – halb Trittbrettfahrer, halb Involvierter zu sein?

Erst einmal ist es so, dass mich langweilige, also tagtägliche, eingeschliffene Sachen sowieso nerven. Da, wo was los ist, da, wo etwas passiert, wo etwas bewegt wird, das sind die Orte, wo ich gerne hingehe, wo ich gerne gucke. Ich rede vor allem auch von Sachen, die im Verborgenen stattfinden. Die nicht jeder sieht, die man sozusagen suchen muss, das ist wie ein Schloss, zu dem man sich den Schlüssel erst suchen und erarbeiten muss. Heute ist es so, dass die meisten, die sich hier in meiner Wohnung an meinen Tisch setzen, Musiker sind oder in der Szene unterwegs sind. Nur ganz wenige Schauspieler, also Menschen, die den gleichen Beruf ausüben wie ich, verirren sich hierher. Musiker sind vielleicht phantasievoller als Schauspieler, auch in dem Sinne: Not macht erfinderisch. In der Musik ist nicht so viel Geld wie im Fernsehen. Auch lastet nicht so viel Verantwortung gegenüber einer Industrie auf den Schultern von Musikern. Es wird das gemacht, was man im Kopf hat.

Heißt das, dass ein Schauspieler tendenziell eher korrumpiert ist als ein Musiker?

Es heißt, dass derjenige, der gegenüber einer Maschinerie eine Verantwortung trägt, vielleicht tendenziell korrumpierter ist als einer, der diese Verantwortung nicht trägt. Mein Freund Pepi zum Beispiel, mit dem ich lange zusammengelebt habe, der hat sich aus dieser realen Welt verabschiedet. Der hat gesagt: Ich spiele das Spiel nicht mit. Er ist gelernter Lebensmittelchemiker und hat irgendwann den Spieß umgedreht. Den kannst du einladen, dann wohnt der eine Woche bei dir, und wenn er weggeht, dann hat er dir deinen Kleiderschrank ausgeräumt. Derart neu kostümiert geht er aus deiner Wohnung, und dann siehst du ihn für zwei Monate nicht mehr. Der wandert dann zum nächsten, wo er wohnen kann. Das ist natürlich eine Freiheit, die er sich herausnehmen kann, während ich eingespannt bin in diese Gesellschaft. Ich muss sagen, dass ich mich von solchen Leuten angezogen fühle. Und ich beneide die Menschen ein wenig, die ihr Ding machen, aber keine Plattenfirma im Rücken haben, die ihnen vorschreibt: Morgen musst du aber nach Leipzig zur Talkshow. Mit Hans-Olaf Henkel, dem Pimmelgesicht. Ich fühle mich von dieser Ungebundenheit angezogen, weil es nicht wirklich meine Welt ist. Ich habe mich ja für die Maschinerie entschieden, das wollen wir hier mal schön festhalten: Ich bin ein Rad im Getriebe. Auch wenn ich noch so sehr so tue, als würde ich dagegen rebellieren.

Ist die Schauspielerei nicht ausfüllend, dass Du eine zweite Karriere als Sänger gestartet hast?

Natürlich ist die Schauspielerei ausfüllend. Aber eben auch einengend. Bis auf den Moment, wo du dich tatsächlich auf der Bühne verlierst und nicht mehr an die Regie denkst, an den Mann, der dir gesagt hat: Gehe bitte von links nach rechts und bleibe in der Mitte stehen, dafür wirst du bezahlt. Sich mit Musik gehen zu lassen ist natürlich in diesem Sinne dennoch eine Art Befreiungsschlag. So hat das ja auch vor sieben Jahren angefangen. Wir haben in der Zeit halt nur zwei Platten auf die Reihe gekriegt. Ich habe mich ja auch für eine gewisse Kommerzialität entschieden – großes Label, Kinotrailer, Talkshows –, und stelle jetzt fest, dass quasi von mir verlangt wird, dass ich mich gehen lasse. Eine komische Situation ist das.

Wie stellt sich das genau dar?

Es werden plötzlich Anforderungen gestellt. Jeder gibt seinen Kommentar dazu. Es heißt „Der kann singen“, und es heißt „Der kann nicht singen.“ Sie fordern: „Der soll es lassen“, und sie klopfen mir auf die Schulter und sagen: „Mach weiter so.“ Ich werde sozusagen in meiner Freiheit epileptische Anfälle zu bekommen beschnitten. Da bin ich gerade am überlegen, wie ich aus dieser Falle entkommen kann.

Du gehörst dennoch zu den wenigen Self-Made-Men in der deutschen Kino- und Musiklandschaft. Es ist doch nur natürlich, dass sich an einer solchen Figur die Geister scheiden.

Ich denke ja manchmal, dass das ein großer Fehler war, mich so öffentlich zu machen. Das schränkt ja auch ein. Ich habe mich aus dem Fenster gelehnt und gehörig auf die Kacke gehauen. Ich habe das erreicht, was ich letztlich erreichen wollte, aber manchmal habe ich das Gefühl, dass ich dabei auf der Strecke bleibe. Privatsphäre gibt es so gut wie gar nicht mehr. Jeder weiß, wer ich bin.

Holst Du Ratschläge ein von anderen Berühmten, die das auch so erlebt haben?

Ich kenne nicht so viele, und von denen, die ich kenne, wüsste ich nicht, mit wem ich darüber reden sollte? Ich meine: Soll ich jetzt mit Götz George darüber reden, wie es ist, auf der Straße erkannt zu werden? Ich glaube eher, dass ich das nicht tun sollte. Leute wie der ziehen sich ja auch ganz anders zurück, aber das will ich ja gar nicht. Ich will ja an der Front sein. Ich bin interessiert an einem Konzert von den Jever Mountain Boys und fahre dafür auch nach Hamburg und sage sie dann an. Und mir ist bewusst, dass die Leute dann mit dem Finger auf mich zeigen und sagen: „Aha, da ist schon wieder der Ben Becker, der muss sich mal wieder produzieren.“ Vielleicht ginge so etwas wie Austausch mit so jemandem wie Udo Lindenberg: Der hat mir ja mal gesagt, dass er einen Beruf ausübt, den es nur einmal gibt auf der Welt – den Beruf des Udo Lindenberg. Der hat sich ja clevererweise seine Maskerade zugelegt, das ist ja so eine Art Verkleidung. Das war eine sehr kluge Überlegung. Hätte ich vielleicht auch früher machen sollen – mir eine Tüte über den Kopf ziehen und sagen: „Ich bin halt so“.

Aber als Schauspieler bist Du ja ausgebildet: Du hast zum Beispiel gelernt Hemmungen abzubauen, Rollen zu spielen. Kann man da nicht brenzlige Situationen lösen, indem man im entscheidenden Moment spielt?

Das ist eine andere Tasse Tee. Das Leben. Auf der Bühne zu stehen und da Sätze zu sagen und emotional nachzuvollziehen, auf alle Fälle so nachzuvollziehen, dass die Leute sie einem glauben – auf der Bühne bin ich geschützt. Die Bühne ist wie eine Seifenblase, wie ein Aquarium, das mich schützt vor den Leuten. Natürlich bin ich mir bewusst, dass dir die Leute zugucken. Aber letztlich muss sich jeder, der eine Bühne betritt, entscheiden, ob er sich jetzt auf seine Arbeit konzentriert, oder aber darauf, dass einem fünfhundert Leute auf die Finger schauen. Hinzu kommt, dass Theater in der Regel einstudiert ist und nicht explosiv. Die besten Konzerte hingegen sind diejenigen, wo es dir gelingt, diese Seifenblase, welche die Bühne vom Portal bis zum Bühnenrand einfasst, zum Platzen zu bringen.

Als Generalprobe für Deine zweite Tournee bist Du mit Deiner Zero Tolerance Band durch Berlin getourt und hast unangekündigt Konzerte in Kneipen und Galerien gegeben, also Orte gesucht, in denen die Trennlinie zwischen Bühne und Publikum praktisch nicht mehr existiert. Ein Zufall?

Es hat sich so ergeben. Es war eigentlich noch nicht einmal eine Generalprobe. Wir hatten jeden Tag geprobt und hatten abends Lust weiter Musik zu machen, nur vor Publikum. Wenn ich über meine Fleißarbeit dahinkomme, auch so explodieren zu können, wie mir das manchmal spontan passiert, dann hätte ich etwas erreicht, auf das ich sehr stolz wäre.

Weil Du Dich auf Abruf in eine ekstatische Situation versetzen könntest?

Letztlich ja. Aber Abruf und Zeit hören in dem Moment auf, wo du den Hund von der Leine lässt. Das ist auf alle Fälle die Rezeptur, an der ich gerade arbeite: Die Fleißarbeit und die Anarchie aufeinanderprallen zu lassen.

Ist die Nacht eigentlich so etwas wie die Zeit, in der du dich wohlfühlst, vielleicht der Zeitpunkt, an dem Fleiß und Anarchie am besten aufeinandertreffen können?

Ich liebe die Nacht, aber nicht um mich zu verstecken. Es gibt Dinge, die ich am Tag nicht mag. Ich fahre nicht mehr U-Bahn, da komme ich schlecht drauf. Trotzdem ist es ja so in meinem Beruf, dass die Leute von mir erwarten, dass ich morgens um zehn erreichbar bin. Beim Drehen musst du um sechs oder um halb sieben aufstehen und dann in die Maske. Für mich hieß das Leben von Rockmusikern immer auch, dieses frühe Aufstehen hinter sich zu lassen. Das schöne am Rock ist ja diese Idee nur das zu tun, worauf man Spaß hat, Vollgas zu geben. Und Rockstars sind reich, sagen: Heute kaufe ich mir dieses Schloss, morgen jenes. Das heißt scheinbar, dass dieses bürgerliche Karrieredenken in der Rockmusik auf den Kopf gestellt ist. Verdient mit der eigenen Anarchie, und dieser Zustand ist natürlich in den seltensten Fällen gegeben. Bei mir ist es ja so, dass mich die Leute ab zehn Uhr aus dem Bett klingeln. Insofern bin ich nicht so frei, dass ich mich jetzt umstellen und sagen könnte: Die Nacht ist mein! Aber die Sehnsucht ist da und die Lust, sich immer wieder die Finger zu verbrennen an etwas oder einem Verhalten, das verboten ist. Ganz abgesehen davon, dass ich eine kleine Tochter habe, die mir morgens um acht den Finger in die Nase steckt. Es scheint ja im übrigen ein natürlicher Vorgang zu sein aufzustehen, wenn es hell wird und schlafen zu gehen, wenn es dunkel wird. Müde Knochen brauchen Licht, sage ich.

Aber ist es nicht so, dass man in dem Moment, wo man beispielsweise eine Summe X erwirtschaftet hat, nur noch sich selbst gegenüber verantwortlich ist und sagen kann: Jetzt ist der Moment erreicht, an dem ich nicht mehr um zehn Uhr für die Welt erreichbar sein muss?

Ich habe keine Ahnung, denn ich habe die Summe X noch nicht. Ich bin nicht reich. Ich bin kein Millionär, leider. Es ist doch so: Für jeden Zeitungsartikel, der über mich erscheint, kriege ich ja keine fünf Mark. Schön wär’s. Aber ich stehe diesen Herbst gerade im Ausverkauf. Und ich überlege mir schon, dass ich mir holen will, was mir zusteht. Um dann irgendwann einmal die Tür zu dieser sogenannten Zivilisation zuzuschlagen. Ich bin ganz bestimmt auf dem richtigen Weg, aber man driftet manchmal von der Route ab. Aber ich bin auch ein Pitbull. Ich kann auch beißen. Passieren wird irgendwas. Ich bin mir der Problematik hundertprozentig bewusst: Warum verdient eine Verona Feldbusch Millionen und ich nicht, wo ich doch viel mehr kann. Ich werde jetzt vielleicht in die Werbung einsteigen und zusehen, dass ich Millionär werde und zusehen, dass ich mir irgendwo ein schönes Landhaus kaufen werde.

Also ist das ganze Gerede von Berlin-Mitte nur eine temporäre Erscheinung?

Hör mal: Ich bin auf dem Land richtig gut! Vor zwei Wochen bin ich für ein paar Tage in die Uckermark gefahren und habe abends beim Sonnenuntergang auf der Terrasse gesessen mit meiner Frau und meiner Tochter und habe den beiden gesagt: Ihr entschuldigt mich jetzt mal bitte, ich muss jetzt mal weg.

In die Stadt?

Nein, zum Bootssteg. Ich hab mir die Paddel geholt und bin dann raus auf den See. Das hat mir gutgetan. Irgendwo war das letztlich geiler als das Ex’n’Pop… Der Horizont ist etwas weiter. John Bonham hat sich ja auf dem Land in England seine Dragster gebaut. Komisch, dass die alle aufs Land gegangen sind… Alle Rockstars gehen irgendwann dorthin.

Andere Schauspieler träumen womöglich von den Dingen, die du machst: In ihren Augen ist Ben Becker einer, der mehr wagt als die anderen. Ist das ein besonderer Mut?

Das ist ein Drahtseilakt, auf dem ich mich sehr weit rausgetraut habe. In diesem Sinne bin ich vielleicht mutiger als andere. Ich bin mit allem was ich habe auf das Seil gegangen, und ich habe losgelassen. Es ist halt so, dass man Gefahr läuft zu ertrinken, wenn man loslässt. Ich aber habe versucht zu schwimmen wie ein Weltmeister. Diesen Schritt habe ich gewagt. Und das ist vielleicht auch das, was meine Kunst unterscheidet von der Kunst der anderen. Was mich von anderen vielleicht auch unterscheidet, ist, dass ich mir auf das Erreichte keinen Runterhole. Das wird mir zwar unterstellt, aber ich hole mir auf das, was ich geschafft habe keinen runter, sondern blicke voraus.

Du meinst, Du hast keine Zeit?

Um mir einen runterzuholen? Doch! Die Zeit muss sein! Aber eben nicht mir zu Ehren, sondern einfach so. Man sagt ja mittlerweile des öfteren, ich sei ein Star, auch wenn ich nicht so viel Geld habe wie ein Star und nicht hinter einer Hecke wohne wie ein Star, in Grunewald oder am Wannsee. Es gibt ja so viele von denen, die dann mit der Zeit genügsam und borniert werden, weil sie das Haus haben, das sie schon immer haben wollten, weil sie das Auto ihrer Träume fahren, und weil sie alles voller teurer Möbel und Klamotten haben und weil Ihr Geschirr von Versace ist. Die holen sich einen runter auf Versace. Ich brauche dieses Geschirr nicht. Ich hole mir auch so einen runter.

Aber ist dieser Mut von dem du sprichst, nicht auch gewissermaßen ein Mut zur Peinlichkeit?

Ich sag mal so: Man passt schon auf, aber in dem Moment, wo man aufpasst, findet man sich bereits in Grenzen und Zwängen wieder. Im übrigen ist es manchmal auch ganz gut aufzupassen. Ich war zum Beispiel gestern in einer Talkshow des MDR in Leipzig und neben mir saß der Boss der Bosse, Hans-Olaf Henkel, der Vorsitzende der Industriefickfrösche. Ein total borniertes, blödes Arschloch. Dagegen bin ich eine Prinzessin ohne Erbse. Henkel erzählte also, wie er 1966 auf selbstgebauten Wasserski in Kalkutta über den Ganges gefahren war, durch die Slums durch. Da ist mir das Kotzen gekommen, aber ich habe mich zusammengerissen. Eigentlich hätte ich aufstehen, zu Henkel hingehen, ihm eine ins Gesicht schlagen und feststellen müssen, dass er das bornierteste, arroganteste Arschloch sei, das mir je in meinem Leben untergekommen ist. Habe ich aber nicht. Obwohl der hässliche Socken anhatte. Ich musste tief durchatmen und zu mir selbst sagen: Benji, bleib ganz ruhig, du fängst jetzt nicht an, dich totzulachen. Denn wenn ich anfange zu lachen, dann lieg ich unter dem Tisch, schweißgebadet, und dann ist Ende mit der Talkshow. Ist dann ja alles ganz gesittet gelaufen, und ich habe mich am Ende geärgert, dass ich keinen Skandal angezettelt hatte. Dieses Schlucken, dieses Vernünftigsein ist auch ein Handicap. Kinder machen Peinlichkeiten, aber Erwachsene dürfen das nicht.

Hat das Spiel mit den Medien, diese Inszenierung als unberechenbarer Draufgänger, eigentlich damals begonnen, mit dem Beckenbauer-Coup, Deiner ersten Bild-Seite-Eins-Schlagzeile, als du in einem Fernseh-Interview behauptet hattest, Bekkenbauer sei gestorben…

Ja, ich glaube, das war der Punkt, an dem sich alles änderte. Das war großartig. Ich werde nie vergessen, wie ich die Bild-Schlagzeile zum ersten Mal gesehen hatte. Ulrik Spies, unser Schlagzeuger, ist Fußballfan und hatte einem Münchener Taxifahrer erzählt, dass Beckenbauer gestorben sei. Das machte während unserer Taxifahrt sofort die Runde über den Taxifunk. Am nächsten Tag hatte ich bei Bayern3 das Interview und habe dieser armen Schwuchtel, die mich da interviewt hatte, die gleiche Geschichte aufgetischt. Und dann nahm das seinen Lauf. Wir hatten dann am Abend vor knapp 200 Leuten unser Konzert in München, im Substanz. Ich brüllte dann auf der Bühne „Der Kaiser ist tot!“, und ich bin nach dem Konzert mit Ulrik und Jacki Engelken, unserem Gitarristen ins Hotel gegangen und habe noch Stunden lang mit ihm über unser erstes Konzert geredet. Als es draußen hell wurde und das Bier alle, haben wir uns gesagt: Hier in Bayern muss es doch noch irgendeinen Frühschoppen geben. Also sind wir rausgegangen, und in München gibt es ja diese Zeitungskästen, in die man eine Mark wirft, und sich dann eine Zeitung herausnehmen darf. Ich steh also draußen auf dem Bürgersteig, und Ulrik zeigt ganz langsam mit seinem Finger auf die Münchener Abendzeitung, die in riesigen Lettern titelte: „Geschmackloser Scherz von Berliner TV-Star: Beckenbauer tot?“ Ich war einfach nur glücklich. Ich habe gedacht: Der Gladiator hat gesiegt! Wir haben gewonnen, wir haben das Kolosseum geknackt. Ernüchternder wurde es dann vier Stunden später, als mich dieser Schwuchtelmoderator ganz zerknirscht anrief, dass er wohl entlassen würde, weil er die Geschichte nicht angemessen dementiert hatte. Aber ich habe es nicht zurückgenommen, und ich habe mich auch nicht entschuldigt.

Hast du daraus eine Art Methode ableiten können, etwa um dich im Bedarfsfall auf die Seite eins der BZ oder der Bild zu katapultieren?

Ja, das habe ich da gelernt. Ich denke aber, dass man solche Sachen nicht planen kann. Ein richtig dicker Coup ist vielleicht planbar. Aber das ist nicht mein Ding. Zu planen, ich schmeiße in der Talkshow den Tisch um, das funktioniert nicht. Die Lust und der Spaß zu entdecken, welche Macht ich eigentlich habe: Was passiert eigentlich, wenn ich etwas sage? Wir könnten jetzt dieses Gespräch unterbrechen, und ich könnte die BZ anrufen und denen etwas erzählen. Ich kann die hierher in meine Wohnung bestellen und ihnen sagen, dass ich mich als Frau verkleide, dass ich mich von meiner Frau getrennt habe, und dass du mich darauf gebracht hast, dass ich in Wirklichkeit schwul bin. Oder noch besser: Dass ich jetzt Transsexueller bin. Die sind sofort hier und bringen Stative, Licht und einen Fotografen mit. Und morgen steht in der BZ: «Ben Becker: Ich bin schwul, ich bin glücklich.» Das funktioniert, und das ist spannend, damit zu arbeiten, das ist wie für den kleinen Jungen die große Märklin-Eisenbahn. Nur nehmen die dir das sehr übel, wenn die merken, dass du sie verarscht hast. Dann kommen die dir anders, und dann können die sehr böse werden.

Man hat ja gesehen, wie sie Boris Becker oder Christoph Daum fertiggemacht haben.

Die können noch ganz anders, wenn die erst einmal böse sind. Da muss man aufpassen und kooperieren. Ich arbeite mit der Boulevard-Presse ja auch gerne zusammen, und ich bin mir bewusst, dass dies ein Spagat ist. Es gibt nicht wenige Kreuzberger Autonome, die mir dieses Spiel mit den Medien sehr übel nehmen. Was mir übrigens sehr, sehr weh tut.

Was gibt es sonst so für Vorteile, berühmt zu sein?

Einladungen ohne Ende. Ich bin zum Formel-Eins-Rennen nach Hockenheim eingeladen worden zum Beispiel. Intellektuell ist das kaum nachvollziehbar. Wrrrummm! Unsere Welt erstickt, aber jeder Mensch braucht ein Auto. Wrrrummmm! Ich will meine Unterhosen waschen, und im Supermarkt gibt es zwanzig verschiedene Waschmittel. Ich kaufe Ariel. Schon seit immer. Man könnte mich sicherlich auch überzeugen Persil zu kaufen. Oder Der Weiße Riese, wegen der Reklame, früher in den Siebziger Jahren. Aber ich kaufe Ariel, weil meine Mutter das immer gekauft hat. Aber warum gibt es nicht ein Waschmittel, das optimal ist? Das die Umwelt nicht belastet und den Schmutz aus der Unterhose rausbekommt?

Ben, das ist rührend.

Ich sehe das ganz naiv. Nur, weil der Kampf nicht mehr heißt: Proletariat gegen Industrie, sondern Globalisierung, also reiche Industrienationen, die arme Drittweltländer ausbeuten, heißt das doch noch lange nicht, dass man nicht ein paar himmelschreiende Ungerechtigkeiten und Fehlentwicklungen ansprechen darf. Ich fahre zum Beispiel einen Jaguar, in Schwarz. Das finde ich cool, deshalb fahre ich Jaguar. (beginnt zu lachen). Andere einen gebrauchten Golf. Und wieder andere fahren Wasserski durch die Slums von Kalkutta.

Wie war denn Hockenheim so?

Ich fand den Hubschrauberflug am besten, vom Hotel zum Ring und zurück, das war deren VIP-Service, 45 Minuten Flug, das war geil. Aber Formel-Eins gibt mir nicht so viel. Es bewegt mich emotional nicht, auf der VIP-Tribüne zu sitzen und die Tribüne gegenüber zu beobachten, auf der die Pimmelköpfe sitzen, die 1.000,- DM für ihre Scheißtickets ausgegeben haben – und den ganzen Tag in der Hitze sitzen. Ich bin so nicht gestrickt. Von Kind auf nicht.

Gibt es neben dem Jaguar andere Dinge, die Dir etwas bedeuten?

Ja, das gibt’s. Und zwar wenn, dann richtig. Wenn ich mir ein Paar Schuhe kaufe, dann kaufe ich Handgenähte für 600,– DM, da werden nämlich die Füße nicht nass. Aber vielleicht tue ich das auch nur, weil ich das weiß, weil ich so aufgewachsen bin. Meine Familie hat mir beigebracht First Class zu erkennen. Ich weiß, was ein gutes Hemd ist, und ich weiß, was ein schlechtes Hemd ist. Tatsächlich beschränkt sich mein First-Class-Konsum aber auf ein paar wenige Dinge. Mein Auto, meine Schuhe, Zigarren, Hemden. Ich bin ja praktisch in der Paris Bar großgeworden. Da konnte ich das ja gucken. Auf der anderen Seite sind mir die liebsten Klamotten jene, die ich irgendwo aufgabele. Wenn ich bei Alexander Hacke zwei Tage schlafe, und ich mir ein Hemd von ihm pumpe, dann ist mir dieses Hemd das Größte. Aber jetzt mal was anderes: Was soll ich denn bloß heute abend anziehen? Meinen Schlangenledermantel? Oder doch als Frau?

Hast Du keine SS-Ausgehuniform?

Die musste ich leider abgeben. Da gibt es Hardcore-Bilder von mir, sag ich Dir, in voller SS-Montur, im Tresor-Club…