Das Feuer der Sierra Madre

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Reportage
zuerst erschienen am 19. Januar 2014 in Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Seite V1 (Reise)
Bewaffnete Schnapsbrenner in einer Hochburg gefährlicher Marihuana-Bauern – so erzählt man sich von El Palmar. Über eine Fahrt in das mexikanische Bergdorf, in dem der beste Mezcal des Landes gebrannt wird.

Der Sombrero-Mann lehnt an der Bar und schlürft an einem Wasserglas Mezcal. Aus dem Radio scheppern die Trompeten, die Wände sind mit Pin-up-Girls und Heiligenbildern vollgepflastert. Willkommen in der Cantina „Cuna de Lobo“, Wiege des Wolfes. Abgewetzte Landarbeiter sitzen an den Tischen und trinken doppelte Shots für fünf Pesos. Und wenn Wirt Don Chuchu mit einem zerfetzten Lappen über den Tresen wischt, fühlt man sich in die Szenerie eines Fünfziger-Jahre-Westerns versetzt.

Auf der Karte gibt es nur Mezcal, ein Dutzend Benzinkanister steht im Regal hinter der Bar, darauf mit Filzstift die Sorte: „Perrico“, „Ruda“, „Manzana“. Don Chuchu schwört auf Tobalá. Der rauchige Schnaps sei besonders stark, über 50 Prozent, und habe einen besonders samtenen Abgang. Er stammt auch von einem besonderen Ort: In El Palmar, so erzählt man sich in der Cantina, gebe es nicht nur den besten Mezcal der Region.

Jeder sei dort bewaffnet

Das versteckte Dorf in den Bergen sei eine Hochburg der Narcos, gefährliche Marihuana-Bauern lebten dort und lieferten sich wilde Gefechte mit der Polizei. Kein Taxi, kein Bus würde einen dorthin fahren, jeder dort sei bewaffnet, wahrscheinlich würde man schon auf dem Hinweg erschossen. Nur Montags würden die Bewohner sich in Miahuatlán blicken lassen, dann ist Wochenmarkt.

Die Spelunke liegt an einer Nebenstraße von Miahuatlán. Hier, zwischen der südmexikanischen Großstadt Oaxaca und dem Pazifischen Ozean, erhebt sich eine langgezogene Bergkette, die Sierra Madre del Sur. Zu ihren Füßen liegt ein staubiges Bergland, eine karge Steppe mit dürrem Vieh und ausgetrockneten Flussbetten. Inmitten dieser störrischen Erde, die nicht viel mehr hergibt als Kakteen und Agaven, liegt eine prunklose Stadt mit einem rebellischem Volk.

Pelopenitza nannten die Zapoteken den Ort. Als die Azteken ihn einnahmen, tauften sie ihn: Miahuatlán - Ort, wo der Mais wächst. Und während Miahuatlán heute vor allem vom Handel lebt, sind die umliegenden Siedlungen doch das, was man als die „Tierra del Mezcal“ bezeichnet, die Erde, die diesen besonders würzigen und starken Agavenbrand hervorbringt: Mezcal, das Feuer der Sierra Madre.

Don Chuchu stellt den Kontakt zu einem Brenner in El Tecolote her. Der Weg dorthin führt über staubige Sandstraßen. Je weiter man aus Miahuatlán hinausfährt, desto häufiger werden die Agavenfelder, wo die stachligen Pflanzen in geraden Linien stehen. El Tecolote, „Der Uhu“, besteht aus zwei Gehöften, beide Palenques, oaxaquenische Destillerien. Die „Mezcalería Don Panuncio“ ist ein kleines Idyll: Drei Generationen wohnen hier; auf dem festgestampften, saubergefegten Sandboden laufen Hunde, Esel und Truthähne frei herum. Das Grundstück ist von mannshohen Kakteen eingegrenzt, dahinter beginnen die Agavenfelder.

Mario Jiménez hat den Hof vor kurzem von seinem Vater übernommen. In Jeans und T-Shirt steht der zurückhaltende Mann mit Schnauzbart vor zwei 5000-Liter-Tanks mit Mezcal und erzählt von seinem Handwerk. Er arbeitet mit Espadín-Agaven, einer Sorte, die nach acht Jahren ein einziges Mal blüht. Dann treibt eine mannshohe Blüte aus, die Pflanze ist reif. Für Mario beginnt dann die Arbeit. Blatt für Blatt hackt er von der Agave, bis nur noch das Herz übrig bleibt. Piña nennt er diesen Kern, Ananas. Eine gute Piña kann bis zu 300 Kilo wiegen.

Später räuchert er die Piñas, zermahlt sie und gibt sie in große Holzbottiche zum Fermentieren. Im Januar beginnt bei Mario die Brennsaison. Dann werden die Feuer unter den Destillieröfen angeworfen, und der Mezcal fließt Tropfen für Tropfen aus dem Rohr, bis zu 1.000 Liter im Monat. Der ganze Produktionsprozess basiert auf der Kraft der Agave: Agavenblätter dienen als Brennholz, Agavenfasern als Isolierstoff, die Asche wandert wieder aufs Feld. „Irgendwann ist einem der Geruch aber über“, sagt Mario. Er selber trinkt lieber Bier.

Der Zócalo von Miahuatlán ist ein sauberer Platz zwischen Rathaus und Kirche. Palmen schießen in den Himmel, vor einem Pavillon exerzieren Grundschüler, darüber das klare, weite Blau der Sierra. Das Rathaus kann man im Moment nicht betreten, es ist von den Bürgern Miahuatláns besetzt. Vom Balkon des Kolonialbaus baumelt eine Ratte aus Pappmaché. Rata, das bedeutet „Ratte“ und „Räuber“ zugleich. Am Eingang sitzen Männer des Bürgerkomitees. „Wir haben den Bürgermeister rausgeschmissen!“, erklärt Omar Aguirre, ein gegerbter Mittfünfziger vom Frente Popular Revolucionario.

Die Revolutionäre Volksfront, eine oaxaquenische Bürgerbewegung, hat die Amtsenthebung des Bürgermeisters erwirkt. „Wir arbeiten für die Rechte des kleinen Mannes, der Bauern und Arbeiter“, sagt Omar. In der Hand hält er ein Flugblatt, auf dem Sowjetstern und Hammer und Sichel prangen. „Der Bürgermeister hat sich die Taschen vollgestopft, während es hier Leute gibt, die nicht einmal was zu essen haben“, erklärt er. „Beim Mezcal ist es dasselbe: Die Menschen aus der Sierra verkaufen ihn für 20, 30 Pesos den Liter. In Mexico-Stadt kostet er dann 300 Pesos.“

Der „Marxismus-Leninismus“ seiner Organisation bezieht seine Anziehungskraft vor allem aus der Verzweiflung an der alltäglichen Korruption. Und wenn alle Adjektive von liberal bis demokratisch von bestechlichen Eliten vereinnahmt sind, dann bleibt dem wütenden Bauern in Oaxaca nurmehr die Rote Fahne. Doch diese Revolution lief friedlich ab, die Polizei mischte sich nicht ein. „Auch wenn wir wenige sind, wir sind die Bürger von Miahuatlán“, sagt Omar stolz.

Montag, der Wochenmarkt. Bereits in den frühen Morgenstunden kommt Bus für Bus aus den Dörfern, manche reiten auf dem Pferd ein. Sobald es hell wird, stehen die Stände. Unter den Plastikplanen breitet sich ein Meer von Waren aus, in den Körben liegen Melonen, Kokosnüsse, getrocknete Heuschrecken. Außerhalb des Marktes säumen Pick-ups die Straße. Neben großen Kanistern sitzen die Dörfler am Straßenrand und servieren aus ausgehöhlten Kokosschalen kleine Proben ihres Mezcals. Die Haut bernsteinfarben, die Züge indianisch, auf dem Kopf tragen sie einen Sombrero, an den Füßen Sandalen.

Vor der Western-Union-Filiale steht heute eine lange Schlange alter Leute, die auf die Dollars warten, die eine längst weggezogene Generation in den Vereinigten Staaten erwirtschaftet. Auch die Einwohner von El Palmar sind gekommen, dem berüchtigten Narco-Dorf, aus dem Don Chuchu seinen Mezcal Tobalá bezieht. Ihr Schritt ist breiter, ihre Pick-ups sind dreckiger von der langen Anfahrt, Außenstehenden treten sie mit Misstrauen gegenüber. Zu oft wurden ihre Plantagen in den letzten Jahren von den Drogenkriegern des Präsidenten zerstört. Nur ein verschmitzter Kerl mit Schnauzbart zeigt sich bereit, uns mitzunehmen.

Der Pick-up prescht über die Hochebene und zieht eine Staubwolke hinter sich her. Nach einer Stunde auf staubigen Sandwegen überquert man ein ausgetrocknetes Flussbett, dann schrauben sich Serpentinen in den Berg. Dann ist man in El Palmar. Auf 1.600 Metern, am Fuß eines Zuckerhutberges, wohnen knapp 400 Einwohner. Es gibt kein Hotel, El Palmar ist nicht auf Besuch eingestellt. Und auch wenn man niemanden auf der Straße sieht, hat man doch ständig das Gefühl, beobachtet zu werden.

Auf den Stufen des Dorfladens sitzt Genaro, man hat ihn ein Jahr lang zum Dienst an der Kasse verdonnert. Wie jeder Mann in El Palmar trägt er einen schwarzen Cowboyhut. Jetzt am Nachmittag hat er keine Kunden, er wirft einem Hund Stöckchen zu. Auf die wilden Geschichten angesprochen, die man sich in Miahuatlán über El Palmar erzählt, lacht er. Natürlich würde hier oben Marihuana angebaut. Er selbst könne dieses Jahr nicht, er müsse ja den Kiosk hüten. Ansonsten produziere auch er seine 50 Kilo pro Saison, dreimal im Jahr kann er säen. Man bezahlt ihm 250 Pesos für ein Kilo, umgerechnet sind das 15 Euro.

Nur „La Ley“, das Gesetz, das mache Probleme. Das Gesetz, das sind Truppentransporter des Militärs, die immer wieder mal in El Palmar auftauchen und nach verbotenen Plantagen suchen. Manchmal überqueren auch Flugzeuge die Gegend. Die Einwohner kennen das Gelände besser, wissen von schlecht einsehbaren Tälern und versteckten Hügeln. Doch ab und zu hat das Militär Glück, dann werden Benzinkanister ausgepackt und ganze Felder abgefackelt. Von der Hauptstraße aus kann man einen solchen Ort sehen, einen entfernten Höhenzug, auf dem ein quadratisch in den Hügel gebrannter Fleck prangt, ein halber Hektar vielleicht.

Dann hätte man eben Pech gehabt, sagt Genaro und spuckt auf den Boden, schießen würde man auf die Militärs jedenfalls nicht. Am Ortsrand steht der Palenque von Fidel Hernández, dessen Mezcal Don Chuchu in seiner Cantina verkauft.

Fidel hat Haus und Destillerie erst vor zwanzig Jahren gebaut, trotzdem sieht es hier aus wie vor hundert Jahren. Auf der Veranda kniet seine Frau und schabt Maiskörner vom Kolben, später wird sie Memelas daraus backen, süßliche Maisfladen. Fidel ist um die vierzig, er ist kein Narco, niemand, der auf Polizisten schießt.

Eine Zeitlang war Fidel selber Agente Municipal, so etwas wie der Dorfpolizist. Auch er erzählt unbefangen von den Marihuanafeldern, das sei aber Bundesangelegenheit, als Polizist habe er sich da nicht eingemischt. Es profitiere ja auch das ganze Dorf davon. Fidel verkauft viel Mezcal, ab und zu vermietet er seine Anlage sogar.

Trotzdem reicht es nicht für einen „registro federal“. Keiner der Brenner in El Palmar besitzt diese Lizenz, um seinen Mezcal offiziell zu etikettieren. Denn dann müsste man 25 Prozent vom Erlös abführen, eine Quote, die sich hier niemand leisten kann. Man merkt, wie gerne Fidel seinen Mezcal besser vermarkten würde. Vor ein paar Jahren hat er sogar einen Kurs gemacht, in Oaxaca-Stadt.

Dort erklärte man ihm, die Fermentation müsse im Innern stattfinden, und Fidel mauerte ein Häuschen um seine Holzfässer. Dort hängt nun ein Altar an den rohen Steinblöcken, mit Früchten, Postkarten, Blumen und zwei Gläsern Mezcal: „Damit die Heiligen Durst bekommen.“

Gegen Abend bekommt auch Fidel Durst und serviert seinen Mezcal Tobalá. Sein Sohn lehnt mit Gitarre und Cowboyhut an der Tür und singt Corridos, seine Frau sitzt am Tisch und tunkt eine frisch gebackene Memela in den Kaffee. Es wird dunkel in El Palmar, scharenweise glitzern die Sterne vom Himmel. Es beginnt eine neue Nacht in der Sierra, weit weg von allem, die Zikaden zirpen, und ganz, ganz langsam dreht sich die Erde. Das ist Mezcal.