Das Wegwerfkleid

von 
Essay
zuerst erschienen im Dezember 1997 in jetzt-Magazin

Gegenstand der Woche: Paper Doll. Das wußte schon Aschenputtel: Ohne das richtige Kleid kein Ball und ohne Ball kein Prinz. Ein bißchen geht es allen Mädchen so. Wer auf einer Party das richtige Kleid trägt, muß nicht viel reden – die Blicke kommen von ganz allein. Doch das Traumkleid, das auf der Party einmalig war und alle Jungenherzen höher schlagen ließ, kann am Morgen danach ganz schön frustrieren: Es stinkt nach Rauch, am Kragen findet man Make-up-Ränder, und gegen die Rotweinflecken hilft kein noch so listiger Hausfrauentrick. Mit Paper Doll ist man solche Sorgen los, denn es ist ein One-Night-Party-Dress. Nach dem Regenumhang aus der Dose und dem Maleranzug im Beutel gibt es jetzt auch das Wegwerfkleid für eine Nacht. Es ist aus Plastik, genauer gesagt aus Azetat. Geliefert wird es mit Klebeband und Anleitung. Vorder- und Rückenteil müssen am Körper hauteng zusammengeklebt werden. Und weil das Klebeband ewig hält, muß man sich das Kleid nach einer rauschenden Nacht vom Leibe reißen – was das Kleid leider nicht überlebt. Das liegt daran, daß Paper Doll ursprünglich ein Werbegag war. Der New Yorker Möbeldesigner Stephen Burks wollte auf der Mailänder Möbelmesse im vergangenen April auf sich aufmerksam machen. Deshalb hatte er auf 28 Kleidern für seine Präsentationen geworben. Jede Frau, die Paper Doll trug, sollte eine Art Litfaßsäule sein. Das Interesse am Kleid ist inzwischen so groß, daß Stephen Burks Paper Doll jetzt für 50 Dollar verkauft. Ein wundervolles Ballkleid, von einer guten Fee ganz umsonst herbeigezaubert – so etwas gibt es halt doch nur im Märchen. Dafür aber löst sich Paper Doll nicht wie Aschenputtels Kleid um Mitternacht auf – bis zum Morgengrauen hält es garantiert.