Der Trend geht zum Häuserkampf

von 
Reportage
zuerst erschienen am 5. April 2015 in Welt am Sonntag, S. 21
Fassung der Autorin
Auf der größten Waffenmesse der Welt, der IDEX in Abu Dhabi, decken sich Militärs und Politiker für die nächsten Konflikte ein. Ein Rundgang

Pünktlich zur Eröffnungszeremonie fängt es an zu regnen. Als die Scheichs auf der Tribüne Platz nehmen, die Militärbands durchmarschieren, als das einheimische Kulturerbe in Tanz, Gesang und Falkenflug demonstriert wird, als die Schauspieler, die als Terroristen und freundlich gesinnte Kämpfer verkleidet sind, im Lärm des Maschinenpistolenfeuers, der Handgranatenexplosionen und der Helikopter um ein fiktives Hafengelände kämpfen, als wie aus dem Nichts auftauchende F-16-Kampfjets die Luft zerreißen, da geht über der Wüste kitschigerweise Nieselregen nieder.

Dann malen sieben Flugzeuge der Airforce das Rot, Grün, Weiß und Schwarz der Nationalflagge in die Wolken.

Damit ist sie eröffnet, die „International Defense Exhibtion“ (IDEX) in Abu Dhabi, die größte Waffenmesse der Welt. Alle zwei Jahre trifft sich die von sich selbst so genannte „Verteidigungs-Community“ in der 2,5 Millionen Einwohner zählenden Hauptstadt, dem Handelszentrum der Vereinigten Arabischen Emirate. In diesem ehemaligen Perlenfischerdorf, wo 1958 das erste Öl der Gegend gefunden wurde.

In diesem Frühjahr waren 1200 Firmen aus 55 Ländern anwesend, ein Ausstellerzuwachs von 300 Prozent gegenüber der Erstausgabe der IDEX im Jahr 1993. Und es liegt in der Natur ihrer Sache, dass sich auf einer Verkaufsschau wie dieser die Gegenwart besser betrachten lässt als woanders.

Der Ton wird schon am Tag vor der offiziellen Eröffnung gesetzt, auf der Verteidigungskonferenz. Die findet in fast intimer Atmosphäre im mit naiven Löwenportraits und Kalaschnikow-Vitrinen dekorierten „Armed Forces Officer’s Club“ statt. Die handverlesenen Gäste sind in den Samtsesseln des Auditoriums versunken. In der ersten Reihe haben die Scheichs Platz genommen. Im Rest des Saals sitzen einheimische Würdenträger und Geschäftsmänner in ihren knöchellangen weißen Gewändern und mit Kopftüchern, daneben grün-, blau oder weiß-uniformierte Lamettabrust-Militärs und westliche Anzugträger, das sind die PR-Vertreter, Lobbyisten und Unterhändler. Wobei die Rollen austauschbar sind: Wer in der Industrie arbeitet, war vorher meist Militär. Oder eben Politiker. Der frühere Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit Dirk Niebel (damals FDP, ehemaliger Fallschirmjäger) ist in seiner Funktion als Strategieberater für Rheinmetall auf der Messe. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko unterschreibt hier Rüstungsverträge mit den Emiraten.

Irgendwann zwischen Willkommens-Rede und Mittagspause sagt der ehemalige US-Verteidigungsminister William S. Cohen: „Wir sind alle hier, um zu zeigen, dass die Welt gefährlich ist“. Und wie um die Anwesenden in die passende Stimmung zu versetzen, zitiert er aus W.B. Yeats’ Erster-Weltkriegs-Gedicht „The Second Coming”: „Alles zerfällt. Das Zentrum hält nicht stand. / Die Anarchie ist losgelassen in der Welt. / Es wälzen sich die Ströme roten Blutes. / Das Ritual der Unschuld wird ersäuft. / Die Guten fallen vom Glauben ab. / Die Schlechtesten treiben leidenschaftliche Kraft.“

Cohen ist in seiner Funktion als Gründer und CEO der Cohen-Group eingeladen. Diese berät zum Beispiel internationale Firmen darin, wie sich erfolgreich neue Märkte erschließen lassen. Und schon lange nicht mehr taten sich nicht so viele neue Absatzmärkte für Waffen auf wie derzeit. Die Sicherheit des Kalten Krieges war einmal, das Dasein ist derzeit an mehr Orten lebensgefährlich als sonst.

Es passt gut, dass die Obama-Administration wenige Tage vor Beginn der Messe den Verkauf von Militärdrohnen an verbündete Mächte wie die Golfregion oder die Türkei erlaubt hatte. Laut des jüngsten Jahresberichts des Internationalen Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI lag das Volumen der weltweiten Waffentransfers zwischen 2010 bis 2014 um 16 Prozent höher als in den fünf Jahren davor. Die Militärausgaben beliefen sich 2013 auf schätzungsweise 1747 Milliarden US-Dollar.

Die Emirate gehören neben Indien, Saudi Arabien, China und Pakistan zu den fünf größten Waffen-Importeuren der Welt. Die fünf größten Exporteure sind die USA, Russland, China, Deutschland und Frankreich. Alle da, mit eigenen Länderpavillons. Auffällig die Allgegenwart des Sudans, auf dem Global Peace Index an Stelle 158. von 162. Schlusslicht ist übrigens Afghanistan.

In Abu Dhabi Stadt ist es friedlich, die Welt hier nicht offensichtlich gefährlich. Nicht im Officer’s Club, nicht auf der Al-Salam-Street, der östlichen Ringstraße, wo sich morgens um 7 der Berufsverkehr staut. Und auch nicht an der Corniche, wo die Leute abends zum Leiergesang der Muezzins im pastellfarbenen Licht der langsam in den Persischen Golf plumpsenden Sonne spazieren gehen. Danny Sebright, der Präsident des Handelszusammenschlusses der USA und der Vereinten Arabischen Emirate bezeichnet die Region in seiner Rede als eine „Insel der Stabilität im Meer der Unruhe“. „Ein Shoppingparadies für Waffen inmitten des tobenden Krieges“, sagt er selbstredend nicht. Genauso klar ist, dass es auf der Konferenz nicht darum geht, über irgendetwas zu verhandeln, sondern darum, Ehrerbietungsadressen und Signale der Kooperationsbereitschaft an die anderen Anwesenden zu senden.

Erst im Dezember hatte sich ein Dutzend heimischer Firmen zur Emirates Defence Industries Company (EDIC) zusammengeschlossen, um international ein attraktiverer Geschäftspartner zu werden. Nicht erst seit der Ölpreis massiv fällt, ist klar, dass man hier andere Einnahmequellen braucht. Oder wie Kronprinz Scheich Mohammed es kaum zwei Wochen zuvor auf dem Regierungsgipfel der Emirate formuliert hatte: „Werden wir in etwa 50 Jahren, wenn wir unser letztes Barrel Öl verschifft haben, traurig sein? Wenn wir heute in die richtigen Sektoren investieren, werden wir diesen Moment feiern.“

Auf der Messe selbst kann man auf einer Fläche so groß wie 18 Fußballfelder in alles investieren, was irgendwie zum Euphemismus „Verteidigung“ passt: von Epauletten aus britischer Fertigung über schusssichere Heckscheiben und Drohnenboote aus dem Emirat Schardschah bis hin zur zimmergroßen „Oerlikon High Energy Laser Gun“, mit der sich Drohnen vom Himmel holen lassen. Das Wort „Cyberwar“ hatte allein der deutsche Generalleutnant Rainer Korff in den Mund genommen und es klang wie alles mit der Silbe „Cyber“ davor: komplett aus der Zeit gefallen, den Neunzigern wahrscheinlich.

Hier geht es um ganz Handfestes, und das Shopping ist in vollem Gange. In den Hallen wälzen sich Besucherströme durch die Gänge statt rotes Blut, vom Glauben ab- oder sonstwie gefallene Gute sieht man genauso wenig wie leidenschaftlich schlachtende Schlechte. Aber sich auf einer Waffenmesse über die Abwesenheit von Kriegsbildern zu wundern, ist ungefähr so, als würde man von einer Hochzeitsmesse erwarten, gleich auch Szenen von Kleinfamilienhölle und Scheidung mitpräsentiert zu bekommen.

Der Schrecken sitzt in den Details und das ist hier auch: die Sprache. Lockheed Martin, der weltgrößte Waffenproduzent, Hersteller des Jagdbombers Raptor, wirbt mit „We’re engineering a better tomorrow“. Der Claim der Schweizer Swiss P-Munition aus dem Hause RUAG lautet „The Sniper’s Choice”. Bei General Atomics gibt es niedliche Anstecker in Form einer Predator-Drohne. Der Eurofighter („Nothing comes close“) kann im Simulator ausprobiert werden. Ein Whiteboard vor dem abgedunkelten Raum regelt die Flugzeiten, für die 25-Minuten-Slots haben sich Paul „Mufti“ Smith und Damon „Demon“ Olloman eingetragen. So klingen echte Pilotennamen.

Der Megatrend in Sachen Kriegsführung, so hatte es geheißen, sei urbanization, also der Kampf innerhalb dicht bebauter Gebiete, in Städten, Straßen und Häusern. Bei Exelis, einem in Virginia ansässigen Unternehmen mit 17.000 Mitarbeitern, hat man eine Antwort auf die Herausforderung.

Ohne erkennbare Regungen seines Gesichts schaut mich Nick (unter Westlern ist man von vornherein miteinander auf Vornamenbasis) unter Schweißperlen an, Tim versucht die nervöse Strenge seines Kollegen durch Witze aufzulockern, während sie mir abwechselnd die Vorteile des „Individual Soldier System“ erklären. Dabei handelt es sich um eine Art Nachtsichtgerät mit Kamera, SMS-Funktion und Android-Interface, was eine lückenlose Kommunikation zwischen Soldat und Kommandozentrale ermöglicht. Dort sieht man dann, was der Soldat – oder der Polizist – sieht und kann ihm Nachrichten und Bilder direkt auf die Brille schicken und andersherum. Fotos von der Situation hinter einem Haus oder „bad guy pictures“, wie Nick das kindergärtnerhaft nennt: Bilder von Bösewichten. Das System funktioniere sogar in Höhlen. „Es macht wirklich jeden Soldaten zu einem Sensor.“ Preise wollen sie nicht nennen, wohl aber, dass sie bereits 10.000 Einheiten des Systems an Italien verkauft haben.

Dann kommt noch Ken. Er ist Exelis’ Vize-Präsident und erzählt, dass er früher in Wiesbaden und Mannheim gelebt hat. Er habe nur zwei Wochen in der Sprachenschule verbracht. „Aber ich kenne alle Biersorten, haha.“ sagt Ken. „Haha“, mache ich.

Ich teste das System unter einigem “Interessant”-Gemurmel, dann weiter zum deutschen Pavillon, wo Krauss-Maffei Wegmann, Daimler und Mercedes ihre Stände haben. Den größten aber hat Rheinmetall, dort lassen sich zwei malayische Soldaten lächelnd vor einem Panzer ablichten. Nebenan probiert eine junge Dame in zivil eine große Wumme an. Frauen sind erwartungsgemäß rar auf der IDEX, wenn auch wahrscheinlich häufiger als im Waffengeschäft selbst. Hier stellen sie, neben vielleicht drei Prozent der Besucher, auch ein Teil das Sicherheitspersonals – die uniformierten Emirati-Security-Ladies tragen bodenlange Röcke und schwarze Kopftücher unter ihren roten Baretts – und dienen ansonsten als Kamerafutter.

Als ich fünf Sekunden zu lange vor dem Stand der im kommenden November stattfindenden kuwaitischen Waffenmesse KIDEC herumstehe, spricht mich Jamie an, deren Managing Director. Auf meine Bemerkung, dass ich schon immer mal nach Kuwait wollte – immerhin das Land aus der Fernsehkriegsberichterstattung meiner Kindheit –, sagt er: Kein Problem, das könne er ermöglichen. Und wenn ich besonders nett sei, könne er mir sogar ein Hotelzimmer besorgen.

Ich stolpere auf der wie immer leeren lady’s lane durch die Sicherheitskontrolle nach draußen, aus der heruntergekühlten Halle in die orientalische Winterwärme. Der Fahrer meines Taxis, das Namensfeld auf dem Screen seines Taxameters weist ihn als Mister Shoukat aus, stammt aus Pakistan, wie etwa jeder Achte der 85 Prozent Ausländer in Abu Dhabi. Er fragt, woher ich gerade käme. „Ah, killer exhibition!“ ruft er und lacht, als ich ihm von der Messe erzähle. Ein Vierteljahrhundert lang hat er in der Armee seiner Heimat gedient. Um seinen drei Söhnen eine höhere Ausbildung bezahlen zu können, kam er vor fünf Jahren hierher. Mr. Shoukats ältester Sohn jedenfalls studiert heute in Islamabad Finanzwirtschaft.

An der Corniche vorbei fahren wir zum Emirates Palace, dem gemessen an den Baukosten teuersten Hotel der Welt. „Das Palasthotel, das anderer Länder Paläste wie Hotels aussehen lässt“ stand irgendwo. Ich werde mich vor Betreten der Waffenkontrolle unterziehen, um mich mit einem Gang durch die bombastische Lobby vom dummen, ahnungslosen Luxus einlullen zu lassen. Als Mr. Shoukat auf den Weg hinauf zum von livrierten Dienern bevölkerten Hotelvorplatz einbiegt, zeigt er auf die Springbrunnen, die den 85 Hektar großen, sorgfältig manikürten Garten kühlen: „Da sprudelt das Öl!“ sagt er und lacht wieder. „Alles Öl!“, sagt er noch mal, bevor er mein Trinkgeld freundlich zurückweist und ich im Palast verschwinde.

Im Taxi lief auf dem kleinen Bildschirm Werbung in Dauerschleife, darunter ein Spot des Roten Halbmondes. Mit Bildern gerade noch niedlicher schmutziger und weinender Kinder in den Straßen zerstörter Städte ruft die Hilfsorganisation die Einwohner der Vereinten Arabischen Emirate zu Spenden für die Millionen von Flüchtlingen auf. „Die Kampagne des Mitgefühls“. So vertraut sind die Bilder von Menschen in zerstörten Städten, dass nicht mehr dazugesagt werden muss, wovor sie fliehen oder woher sie kommen. Mutmaßlich aus Syrien, Libyen, dem Irak, Jemen. Die Spendenaktion läuft unter Führung von Seiner Hoheit Scheich Mohammed bin Rashid Al Maktoum und Seiner Hoheit Scheich Khalifa bin Zayed Al Nahyan. Der eine ist Vize-Präsident und Premierminister der Emirate und Herrscher von Dubai, der andere Emir von Abu Dhabi, Präsident der Emirate und Oberbefehlshaber ihrer Armee. Und Schirmherr der IDEX, der größten Waffenmesse der Welt.