Die Einsamkeit der Autoren

Kritik
zuerst erschienen am 4. Juli 2010 in Welt am Sonntag
Mit seinem neuen Roman Imperial Bedrooms knüpft Bret Easton Ellis nach 25 Jahren an sein Debüt an – und schreibt weiter an seiner fiktionalen Autobiografie

Als 1985 das Manuskript Unter Null des 19-jährigen Bret Easton Ellis im Lektorat seines späteren Verlages zur Debatte stand, überwogen die positiven Stimmen, etwa die folgende: „Wenn es tatsächlich ein Publikum für Romane über koksende, schwanzlutschende Zombies gibt, dann sollten wir das verdammte Ding auf jeden Fall rausbringen.“ So zumindest schildert es Ellis in seinem letzten Roman Lunar Park, dessen Protagonist ein Autor namens Bret Easton Ellis ist, der nach dem Erfolg seines in 25 Sprachen übersetzten Debüts in einem Strudel aus Drogen, Sex und Publicity versank, um daraus als die weltweit gefeierte, glamourös-abgestumpfte Kunstfigur „Bret Easton Ellis“ hervorzugehen. Und schon bald war diese „sehr geübt darin, Menschen den Eindruck zu vermitteln, dass ich ihnen zuhörte, während ich tatsächlich immer nur von mir selbst träumte: von meiner Karriere, von all dem Geld, das ich verdient hatte, davon, wie mein Ruhm mich definiert hatte und von dem verantwortungslosen Benehmen, das mir nun erlaubt war.“

Unter Null, der Legende nach „in einem achtwöchigen Crystal-Meth-Exzess“ geschrieben, wird erzählt von Clay, einem Studenten aus reicher Familie, der zur Weihnachtszeit von seiner Uni an der Ostküste in seine Heimatstadt Los Angeles zurückkehrt. Dort liegt er mit nasser Badehose im Bett, kokst und kifft abwechselnd, schaut ohne Ton MTV und macht sich Sorgen darüber, ob seine Sonnenbrille gerade sitzt. Clay kann mit niemandem kommunizieren, mit seiner Exfreundin Blair ebenso wenig wie mit seinem besten Freund Julian, der sich mittlerweile prostituiert, um seine Heroinschulden zu bezahlen. Die Hauptrolle aber spielt Hollywood, und daher sind die Väter schwul, die Mütter alkoholkrank, die Kinder seelenlos und die leeren Räume der riesigen Villen frostig klimatisiert, während draußen die Wüstenwinde über die Freeways wehen.

Mit seinem glänzenden Nihilismus definierte der Roman die Oberklasse-Version des No-future-Lebensgefühls der Punkbewegung, das Eltern schockierend und Jugendliche aus bürgerlichem Hause insgeheim cool finden konnten. Die Provokation lag einerseits im teilnahmslosen Ton, in dem von Grenzüberschreitungen berichtet wurde, von einem snuff film etwa, der auf einer Party läuft und die Ermordung zweier entführter Kinder zeigt – und andererseits in der Unfähigkeit Clays, auf diese angemessen zu reagieren: als er Zeuge der Vergewaltigung einer 12-Jährigen wird, kann er nur zaghaft hervorbringen, dass dies doch irgendwie „nicht richtig“ sei. „Das Buch“, wie es Ellis später formulierte, „war nicht nur die Anklage eines Lebensstils, der mir vertraut war, sondern ebenso – wie ich großspurig dachte – der Reagan-Ära und des damaligen Zustandes der westlichen Zivilisation allgemein.“

Mit Imperial Bedrooms ist soeben die Fortsetzung von Unter Null erschienen, in der Ellis ein Los Angeles zeichnet, das sich seit den 80ern kaum verändert hat – obwohl die Menschen dort nun zumindest per SMS kommunizieren, wobei ihre Touchscreens ihre Gesichter kalt anstrahlen. Anfang 2004 war Ellis von New York wieder dorthin zurückgezogen, um als Drehbuchautor zu arbeiten und seine Midlife Crisis zu pflegen: „Ich lebte in Hotels, schielte Porsches hinterher, hatte Affären mit Leuten, die halb so alt waren wie ich und lebte wie der verkommene Junggeselle, den ich immer in mir vermutet habe.“ Und während er in seinem BMW umherfuhr, erinnert sich Ellis, begann Clay wieder mit ihm zu sprechen: „Wo bin ich gerade?“, fragte er. „Was treibe ich so? Willst du ein bisschen rumhängen mit mir? Wollen wir mal wieder ein Buch zusammen schreiben?“

Wie kaum ein anderer amerikanischer Autor seiner Generation verwischt Ellis die Grenzen zwischen Realität und Fiktion, zwischen dem eigenen Leben, dem seiner Kunstfigur und den Leben seiner oft auf dieser oder ihm selbst basierenden Protagonisten, und so ist Clay in Imperial Bedrooms ein verkommener Junggeselle, der Drehbücher schreibt, Porsches hinterherschielt und Affären mit Leuten hat, die halb so alt sind wie er. Sogar Clays Wohnung, im Roman ausgiebig beschrieben, ist als Ellis‘ eigene erkennbar, da dieser dort im letzten Jahr in einer Homestory für ein niederländisches Schwulenmagazin zu sehen war. „Es gab Gespräche über Memoiren“, so erklärte es Ellis einmal, „aber mir wurde klar, dass ich keine Memoiren schreiben kann, die Bücher sind die Memoiren – sie fassen komplett zusammen, wie ich mich fühlte, worüber ich fantasiert habe, wer ich war, in einem fiktionalen Kontext, in den letzten 25 Jahren.“ Und doch versteht es Ellis, sich von seinen Figuren abzugrenzen: „Clay hätte kein Interesse an mir, Clay ist ein sehr erfolgreicher Drehbuchautor – anders als ich. Clay würde gar nicht ans Telefon gehen, wenn ich anriefe.“

Um das Verwirrspiel auf die Spitze zu treiben, eröffnet Imperial Bedrooms mit einer Art Meta-Autofiktion: Gleich auf der ersten Seite beschwert sich Clay über den Film, der über ihn und seine Freunde gedreht wurde, der auf einem Buch basierte, das ein Bekannter von ihnen geschrieben hatte. Den Film, in dem Junkie Julian von Ellis‘ damaligem Kokspartner Robert Downey Jr. dargestellt wurde, bezeichnet Clay als „schöne Lüge“, das Buch hingegen als „akkurate Darstellung“: Alles, was darin vorkomme, schreibt Clay, habe sich tatsächlich so zugetragen. Der Autor des Buches bleibt ungenannt, aber unter all die Trents, Troys, Finns oder Rips, mit denen Clay damals kokste, könnte sich durchaus auch ein Bret gemischt haben. Und so stellt Ellis seine Figur Clay, den Erzähler von Imperial Bedrooms, mit Bret, oder „Bret Easton Ellis“, dem Autor von Unter Null, auf eine Ebene.

Anders als in der apathischen Leere von Ellis‘ Debüt sind im neuen Roman alle verzweifelt auf der Suche nach irgendeiner Verbindung, nach Liebe sogar, die in Imperial Bedrooms aber nirgendwo zu finden ist. Während Clay in Unter Null keinerlei Persönlichkeit erkennen lässt, hat er hier zumindest eine schlechte – und sogar eine Handlung gibt es: Julian, Clay und ihr Dealer Rip teilen allesamt eine Obsession für dasselbe Mädchen, eine talentlose Schauspielerin namens Rain, die sich von Clay nach Belieben benutzen lässt, da sie sich davon eine Filmrolle verspricht, auf deren Vergabe er tatsächlich jedoch keinen Einfluss hat. „Früher oder später kommen sie einem dabei immer auf die Schliche, aber dann werden sie ja ersetzt“, fasst ein Kollege von Clay den Vorgang zusammen, durch „eine neue Armee der Ahnungslosen, die es nicht erwarten können, beschmutzt zu werden.“

Als sich Rain von ihm trennt, da er „nur der Autor“ ist, „kauft“ sich Clay zwei Teenager, einen Jungen und ein Mädchen, mit denen er in die Wüste fährt, in das alte Haus von Frank Sinatra in Palm Springs, um sie dort auf entgrenzte Weise zu missbrauchen, mit einer Perversion, die eindrucksvoll belegt, dass der Schöpfer von American Psycho, Ellis‘ poetischem Gewaltporno über autistische Konsumjunkies, seine Leser immer noch verstören kann. Falls „Literatur tatsächlich zwangsläufig das Innenleben des Schriftstellers bloßlegt“, wie Ellis in Lunar Park schrieb, würde man ihm allerdings einen Termin bei Dr. Woolf, Clays porschefahrendem life coach nahe legen.

Imperial Bedrooms ist ein Buch über Hollywood, dessen literarischer Mythos die Ausbeutung ist, die Prostitution im Grunde, die das Leben der jungen Suchenden prägt, die programmiert sind, „weder herausfordernd noch negativ“ zu sein. Es ist ein Buch über die Einsamkeit und wie schon in Lunar Park erforscht Ellis hier auch die Einsamkeit der Autoren, seine eigene und die des Drehbuchautors Clay, die unüberbrückbare Distanz, die ein Erzählkontext erzeugt, insbesondere bei Autoren, die ihr Leben derart als Rohstoff sehen wie Ellis, dessen Alter Ego Clay über ihn schreibt: „Er war einfach jemand, der durch unsere Leben schwebte, und dem es nichts auszumachen schien, wie oberflächlich er uns wahrnahm, und dass er unser Scheitern mit der Welt teilte, indem er die jugendliche Indifferenz zur Schau stellte, den glänzenden Nihilismus, und den ganzen Horror auch noch als glamourös erscheinen ließ.“