Die Zigarettenjungs von Pristina (und das einzige Zigarettenmädchen)

Protokolle
erschienen 2001 in jetzt Nr. 18/2001, S. 25-30
Fassung des Autors
Nach dem Krieg im Kosovo hat sich in Pristina ein Business entwickelt, das Schüler erledigen, um zum Unterhalt ihrer Familien beizutragen. Nach der Schule verkaufen sie Zigaretten auf der Straße.

In Pristina, der Hauptstadt des Kosovo, gibt es einen Zigarettenautomaten. Nur einen. Wer raucht – und im Kosovo rauchen alle und alle rauchen viel –, kauft seine Zigaretten bei den Zigarettenjungs. Die sind zwischen 13 und höchstens 18, kleine Unternehmer, die nach der Schule auf der Straße mit einer Pappschachtel voll Marlboro-, Lucky Strike- und Dunhill-Packungen sind. Sie verkaufen natürlich nur geschmuggelte Fake-Zigaretten. Es gibt im Kosovo nur solche. Die Jungs verlangen 2 bis 3 Mark, ganz selten lassen sie mit sich handeln, weil sie ihr Tagesziel unbedingt erreichen wollen. Marlboro Lights sind die Bestseller, für die zahlen sie 2,50 Mark auf dem Markt und bekommen 3 Mark von den Käufern. Für eine Schachtel Dunhill oder normale Marlboros zahlen sie 2 Mark und bekommen 2,50 Mark. Lucky Strikes kosten sie 1,70 Mark; wer sie für 2,50 Mark losschlagen kann, ist wirklich gut, meistens verlangen sie 2 Mark. Abends gehen sie von Kneipe zu Kneipe, in Pristinas Amüsierviertel gibt es hunderte, manchmal sind zwei oder drei Zigarettenjungs gleichzeitig in einem Café oder Restaurant. Das Startkapital gibt die Familie. Sie verdienen am Tag um die 20 Mark, manchmal mehr als der Vater.

Liridon, 16, verkauft seit fast zwei Jahren Zigaretten, täglich macht er 20 Mark Gewinn, manchmal sogar 30. Er fängt um 3 Uhr an, nach den Hausaufgaben, und hört nachts um 11 Uhr auf. Er hat fünf Geschwister, sein Vater arbeitet auf dem Bau, aber da gibt es nur ab und zu Arbeit. Liridon sagt: „Was ich verdiene, wird gebraucht. Ohne das Geld würden wir hungern“. Er werde „niemals, hundertprozentig niemals“ rauchen und will später nach Amerika.

Arben, 16, ist der Dienstälteste. „Ich habe schon Zigaretten verkauft, da war ich zwölf, das war noch vor dem Krieg“. Arbens Zeit ist der frühe Nachmittag, wenn die anderen noch über den Schularbeiten sitzen. Und der späte Abend, „da rauchen die Menschen am meisten“. Am besten verkaufen sich Marlboros. „Früher gab es noch einheimische Marken. Da würden die Leute heute nicht mal drauf spucken.“ Später will er Dolmetscher werden.

Burim, 13, verkauft sei zwei Jahren Zigaretten. Er bekommt sie von einem Freund seines Vaters in Kommission. „Wenn ich sie nicht alle loskriege, bringe ich sie zurück. Ich habe vorher nicht bezahlt, das ist ein Vorteil, wenn es schlecht läuft. Ich muss so 60, 70 Packungen am Tag verkaufen. Das Geld kriegt meine Mutter. Mein Vater ist im Knast. Ich habe einen kleinen Bruder und eine kleine Schwester. Bis 10 bin ich jeden Abend unterwegs. Abends verkauft man einfach mehr. Außerdem sind die Leute lustiger.“

Muhamet, 16: „Ich bin zwischen 4 Uhr und 9 Uhr unterwegs und muss am Tag 15 Mark Gewinn machen. Das sind etwa 40 Packungen.“ Das Geld liefert er, „wie alle hier“, zu Hause ab. Er hat sieben Schwestern und Brüder. „Die meisten sind klein.“ Er ist er einzige der Familie im Zigarettenbusiness. Ein Bruder ist auch mit so einer Pappschachtel unterwegs, verkauft aber Schokoriegel. Muhamets Traum wäre ein eigener Laden. „Für irgendwas.“

Labinot, 15, legt je nach Hausaufgabenlage gegen 3 bis 4 Uhr Nachmittags los. Er will täglich 10 bis 15 Mark machen. Meist hört er um 9 Uhr auf, selten früher. Ab und zu macht er länger. Er hat sechs Geschwister. Ein Bruder verkauft auch Zigaretten, ein anderer Telefonkarten. Labinot will mal nach Amerika oder nach Schweden oder Dänemark oder Deutschland. „Einfach raus hier, wenn ich alt genug bin.“

Muhamet, 14, verkauft ab 4 Uhr, ist immer bis Mitternacht auf der Straße, freitags und samstags auch länger – jetzt, wo die Ausgangssperre nicht mehr so streng ist. „40 Boxen am Tag müssen es sein. Dann mache ich um die 20 Mark. Mein Vater hat zurzeit Arbeit. Aber es gibt nicht viel in Pristina und man wird schlecht bezahlt.“ Die Zigarettenpreise hingegen sind fest. Außerdem: „Keiner nimmt ein bestimmtes Revier für sich in Anspruch. Es gibt nie Ärger“.

Adelina, 12: „Ich bin das einzige Mädchen, das in Pristina Zigaretten verkauft. Ich mache es seit genau einem Jahr. Mir ist wichtig, gut in der Schule zu sein. Deshalb gehe ich nicht gleich um 1 Uhr, wenn ich heimkomme wieder los, sondern lerne bis 3. Dann verkaufe ich bis 10 Uhr und lerne noch mal. Ich will Ärztin werden.“ Adelina spricht recht gut Deutsch und Englisch und hat sieben Geschwister. Sie ist die einzige in der Familie im Zigarettengeschäft und bringt jeden Tag um die 20 Mark heim.

Burim, 14, hat Erfahrung im Geschäft. Er verkauft seit eineinhalb Jahren Zigaretten. „Im Winter ist es ein blöder Job, aber es muss sein.“ Sein Ziel: Täglich mindestens 15 Mark Gewinn machen. Er hat es seit jetzt 47 Tagen in Folge erreicht. Die Idee Zigarettenjunge zu werden kam ihm selbst. „In meiner Klasse machen das mehr als die Hälfte der Leute.“ Das Startkapital, 50 Mark, bekam Burim von seinem Vater. Er hat sechs Geschwister. Sein Berufsziel: „Auf jeden Fall nicht Zigarettenhändler. Da kann man nur ein paar Jahre machen. Älteren kaufen die Leute nichts ab.“