Eingenähte Zweifel

Essay
zuerst erschienen am 7. Juli 2014 in Der Spiegel Nr. 28, S. 118-120
Deutschland ist ein Zentrum europäischer Textilwirtschaft, aber kein Land der Mode, auch wenn die Berliner Fashion Week in diesen Tagen anderes behauptet. Die Karriere des Designers Kostas Murkudis erzählt, warum das so ist.

Es hat wehgetan. So weh, dass sich die Leute die Ohren zuhalten mussten, als Kostas Murkudis im Sommer 2011 zum ersten und letzten Mal in Berlin seine Mode präsentierte. Abseits der Mercedes-Benz Fashion Week wollte er zeigen, was möglich wäre, wenn die Modebranche endlich aufhören würde, ihre Provinzialität zu feiern.

Murkudis also präsentierte seine Kollektion in der Galerie Nolan Judin, in den Räumen der ehemaligen Tagesspiegel -Druckerei in der Potsdamer Straße. Der Chemnitzer Künstler Carsten Nicolai, ein Weggefährte und Freund, gestaltete die Show. Nicolai projizierte rote, weiße und vielfarbene Streifen auf Murkudis‘ Models und Entwürfe, zu den Lichtblitzen piepste ein schmerzhaft hoher Ton. So als hinge die ganze Veranstaltung an einer puckernden Herz-Lungen-Maschine.

„Ein bisschen wehtun muss es“, sagt Murkudis, 54, die schwarzen Haare an den Schläfen grau und lang bis in den Nacken. Er steht mit dem Rücken zur Wand in seinem Atelier in der Potsdamer Straße, ein dänisches Model wird gerade in einem weißen bodenlangen Kleid aus seiner neuen Herbst/Winter-Kollektion fotografiert. Neun Leute springen um ihn herum, eine näht, einer bügelt, im Hintergrund läuft „Wannabe“ von den Spice Girls. „She looks like an angel“, sagt der britische Stylist Jodie Barnes und knufft Murkudis in die Seite.

Seit 30 Jahren arbeitet Murkudis als Designer, und er ist nach Karl Lagerfeld, Jil Sander und Wolfgang Joop einer der wenigen aus Deutschland, die es zu internationaler Bekanntheit gebracht haben. Im Ausland steht Murkudis für intellektuelle Mode aus Deutschland. Hierzulande halten Kritiker ihn für „zu begabt für das Land, für das er Mode macht“.

Wer es schaffen will, muss raus aus Deutschland. Immer noch. Auch wenn die Fashion Week in Berlin vor sieben Jahren angetreten ist, um das zu ändern. Mit Schützenhilfe aus der Lokalpolitik und viel Tamtam wollte man die große weite Welt auf diese Stadt stülpen, die von Bewohnern wie Besuchern gerade dafür geliebt wurde, dass es hier auch ohne Stöckelschuhschickeria mit VIP-Listen ging und dass es in den Hinterhofateliers neue, aufregende Mode zu finden gab.

Es sieht nicht so aus, als ob das gelungen wäre. In dieser Woche werden gleich 51 Schauen gezeigt, die Frage ist nur: Wen interessiert es? Große Häuser wie Rena Lange oder Boss sind nicht mehr vertreten, ebenso die Marken Achtland und Kaviar Gauche. Labels der ersten Stunde wie Macqua, Pulver, Penkov oder Firma haben längst aufgegeben. Kaum internationale Einkäufer, kaum internationale Presse. Suzy Menkes kam einmal, 2009, damals die Modekritikerin der International Herald Tribune , heute Online-Autorin bei Vogue International , danach nie wieder.

Für die 14. Ausgabe der Berliner Fashion Week wurde ihr Zentrum von der goldenen Mitte, dem Brandenburger Tor, an die Peripherie ins Erika-Hess-Eisstadion im Wedding verlegt, was eigentlich ein guter Ort sein könnte. Doch anstatt das Stadion mit seinen Rängen als spektakulären Modeort zu inszenieren, stellt der Veranstalter einfach die üblichen Sitzreihen mit Laufsteg im Innern auf. Immerhin: Ein paar Designer machen nicht mit - Vladimir Karaleev und Perret Schaad zeigen im Kronprinzenpalais, Lala Berlin und Dawid Tomaszewski in der Studiobühne der Deutschen Oper, Dorothee Schumacher in der St.-Elisabeth-Kirche. So wie es Designhäuser in Paris oder Mailand seit Langem machen. Stattdessen stehen Figuren wie der Fernsehdesigner Guido Maria Kretschmer oder der Partykönig Michael Michalsky im Mittelpunkt, die neben Harald Glööckler und auch Wolfgang Joop, seitdem er bei „Germany’s Next Topmodel“ mitmacht, verstanden haben, wie sich Mode in Deutschland verkaufen lässt - als Vision aus kreischender Hysterie, Prosecco und Polka-Dots auf Pink.

Murkudis hatte auch Anfragen, ob er als Juror bei „Germany’s Next Topmodel“ dabei sein wolle, aber er hat abgelehnt. Auf Berliner Mode-Events sieht man ihn selten. Er arbeitet zurückgezogen, in kleinen Teams, momentan mit einer Assistentin und einer Praktikantin. „Ich bin nicht der große Unterhalter. Auch wenn ich gelernt habe, professionell damit umzugehen, steckt das einfach nicht in mir drin.“ Sein Büro ist spärlich möbliert, zwei Stühle, ein Esstisch aus Holz zum Arbeiten, ein Schwerlastregal mit Büchern, Jeans, Plateausandalen, einem Foto von Kurt Cobain in einem Zebra-Shirt und einem Reh aus Porzellan. Die Wände wurden an manchen Stellen vom Putz befreit, dahinter kommen Wandmalereien zum Vorschein - prunkvolle Bordüren, ein Porträt von Albrecht Dürer.

Murkudis, Sohn griechischer Eltern, beide Elektroingenieure und Flüchtlinge der Militärdiktatur, ist in Dresden geboren und aufgewachsen. Als er 13 war, zog die Familie nach Westberlin und blieb. „Das war, als wenn jemand den Grauschleier wegradiert hätte. Auf einmal war da Farbe, Vielfalt.“ Berlin ist Zuhause, Berlin ist Familie. Hier hat alles angefangen, in den Siebzigern, in Diskotheken wie dem Dschungel oder dem Sound, zwischen Punk und New Wave. „In dieser Zeit haben wir begonnen, mehr zu wollen.“ Mit „wir“ meint er sich und seinen zwei Jahre jüngeren Bruder Andreas Murkudis, der heute in der Potsdamer Straße einen der elegantesten Modeläden der Stadt führt - das einzige Geschäft, in dem die Marke Kostas Murkudis dauerhaft zu kaufen war. Kostas und Andreas reden täglich, beraten und kritisieren sich, teilen die Liebe zu Qualität und Handwerk und können mit der Wegwerfindustrie nichts anfangen. In der Nachbarschaft Schönebergs Galerien, Ateliers und Designbüros. Also genau das Umfeld, in dem er sich wohlfühlt und auch die Mode beheimatet sieht. Obwohl er sich selbst niemals als Künstler bezeichnen würde - „die Kunst ist nicht mein Refugium. Da gelten andere Maßstäbe, und es macht mir Angst, nach denen bewertet zu werden. Mir ging es immer darum, ein Produkt zu machen, auch wenn ich bei meinem eigenen Label in den letzten Jahren etwas den Zugang zum Konsum verloren habe“.

Sein eigenes Label gründete Murkudis 1994, vorher hatte er als Assistent bei Wolfgang Joop und Helmut Lang gearbeitet. Er hatte eine treue Fangemeinde, vor allem in Asien, seine Kleidung wurde in über 70 Läden weltweit verkauft. 2001 musste er nach fünf Jahren Prêt-à-porter in Paris aufgeben. Ein „Schock“ sei das gewesen, sein Geschäftspartner, der C&A-Urenkel Alexander Brenninkmeijer, und Murkudis konnten sich damals nicht einig werden. Drei Jahre lang war er Kreativdirektor bei New York Industrie in Mailand, danach kooperierte er mit Marken wie Schiesser, Pringle of Scotland, Regent, Flip-Flop. 2012 schließlich wurde er Berater von Nicolas Ghesquière bei Balenciaga in Paris, und viele hegten die Hoffnung, er würde Deutschlands nächster Mann in Paris.

Sein eigenes Label betrieb er seit 2009 wieder wie ein Labor. Er tastete sich an die Grenzen heran, wo aus Stoff Bekleidung, aus Bekleidung Mode und aus Mode Kunst wird. Seine Kollektionen wurden nicht mehr massenhaft produziert, seine Entwürfe mussten nun weder einer Kundin passen noch einem Handelsvertreter verkäuflich erscheinen, sie waren nur dazu da, den Raum zwischen Mensch und Stoff, den Körper als Gegenstand von Architektur zu entdecken.

Murkudis‘ Entwürfen ist ein Zweifel eingenäht. Plastikplanen für den Gartenbau verspinnt er mit feinster Seide aus Italien. Die Entwürfe fragen nach Geschlecht und sozialer Herkunft. Im Juli kommenden Jahres wird Murkudis im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt eine eigene Ausstellung bekommen. Die Mode soll allerdings nicht auf Puppen oder Kleiderständern präsentiert werden, sondern erlebbar werden, mit Materialproben wie Nasa-Schaumstoff zum Anfassen, mit Entwurfskizzen und seinen Inspirationen - mit Filmen von Luis Buñuel oder Kunstbüchern von Franz Erhard Walther, als säße der Zuschauer mittendrin im Entwurfsprozess. Dazu werden aus der Sammlung des Museums Arbeiten von Künstlern wie Blinky Palermo, Robert Longo und Carsten Nicolai den Kleidern gegenübergestellt. Keine rückblickende Werkschau, eher eine, wie Murkudis es selbst nennt, „Midlife-Ausstellung“.

Murkudis jedenfalls steht in diesem Jahr, dem 20. seiner Firma, wieder einmal an einem Neuanfang. Das Hamburger Modeunternehmen Closed hatte ihn vor zwei Jahren geholt, um den Jeanslieferanten für gut situierte Damen mittleren Alters zu einem internationalen Modelabel umzubauen. Murkudis sorgte für ordentlich Wirbel, deutsche Zeitungen feierten die Liaison, bevor sie richtig begonnen hatte. Murkudis‘ Entwürfe - Piloten-Overalls, kurz geschnittene Bomberjacken, Lammfellparkas und abgesteppte Lederjacken - wurden allseits bewundert, doch der Abverkauf der Kollektion lief nicht so gut wie erwartet. Closed hatte nicht nur einen Laden in Paris eröffnet und bereits Flächen für ein Geschäft in New York besichtigt, sondern auch die Preise nach oben geschraubt.

Wenn Marken wie Saint Laurent Paris oder Louis Vuitton ihre Kreativdirektoren austauschen, mögen Jahre des Verlusts einkalkuliert sein, für einen Mittelständler wie Closed dürfte das schwierig gewesen sein. So ließ man Murkudis an einem Montag im November, also nach etwas mehr als anderthalb Jahren nach seiner Berufung, noch die Frühjahr/Sommer-Kollektion für Damen und Herren 2014 präsentieren, zwei Tage später kam die E-Mail mit seiner Kündigung. Closed will sich zu der Trennung von Murkudis nicht mehr äußern: Es habe an den unterschiedlichen Visionen gelegen. Murkudis sagt, die Marke sei nicht mit dem nötigen Weitblick an die Neupositionierung herangegangen, habe die Macht der Handelsvertreter und der konservativen Stammkundschaft unterschätzt. „Closed ist eine tolle Marke, aber man kann nicht einfach einen neuen Designer obendrauf setzen, aber alles andere beim Alten lassen und dann hoffen, dass die Verkäufe hochgehen.“ Die Designs bei Closed werden nun wieder vom alten Team gemacht. Auch ein Beispiel für Mode in Deutschland: Ein erfahrener Designer und ein Mittelständler mit Ambitionen wollen das Gleiche und werden sich trotzdem nicht einig.

Als es ums Geschäftliche geht, zitiert Murkudis Aldo Gucci, der die italienische Marke in den Fünfzigern und Sechzigern zur Expansion trieb: „An die Qualität erinnert man sich noch, wenn der Preis schon längst vergessen ist.“ Das sei ein Spruch, der ihm gefalle und der für das steht, was er mit Mode erreichen will - ein Produkt, das bleibt und nicht schon nach acht Wochen die ersten Knöpfe verliert.

Für Modeketten wie Primark, H & M und Zara, die genau nach dem umgekehrten Prinzip produzieren, ist Deutschland der wichtigste Markt Europas, auch deutsche Massenmarken wie s.Oliver, Marc O’Polo oder Tom Tailor konnten sich etablieren. Doch Edelboutiquen für Modedesign, wie die von Albert Eickhoff auf der Königsallee in Düsseldorf, mussten schließen.

Murkudis will es mit seiner Marke trotzdem noch mal versuchen. Er muss es auch, sollte nicht irgendwo zufällig ein Posten als Kreativdirektor frei werden. Sein Plan ist es, seine Mode zurück in die Läden zu bringen - Männermode und Unisexkleidung wie Shirts, Pullover, Parkas oder Bomberjacken. Auch er wird natürlich nicht dabei sein, auf der Fashion Week in Berlin in dieser Woche. „Dieses nationale Sich-selbst-Feiern in einer Stadt ohne große Konkurrenz“, sagt Murkudis, „das finde ich nicht wirklich prickelnd. Dann versage ich lieber international.“