Ihr Traum ist kein Witz

von 
Essay
zuerst erschienen im Mai 1998 in jetzt-Magazin

Wenn sich ein Deutscher, ein Franzose und ein Russe zusammentun, dann ist das meistens ein Witz, und russische Witze enden oft mit einem Unglück. Martin Krohs lebt seit eineinhalb Jahren in Moskau und hat dort Deutsch-Unterricht gegeben; Oleg Stepanov war sein Schüler. Eines Tages kam er in der Pause zu Martin und erzählte von einem Freund namens Emmanuel Durand, der in einem russischen Buchladen drei Regale gemietet habe und französische Bücher verkaufe. Die Idee, die sie zusammenbrachte, hatte Oleg: Ein Buchladen, in dem hauptsächlich deutsche, französische, englische, spanische Bücher verkauft werden und in dem abends Konzerte und Lesungen stattfinden. Gemeinsam suchten die drei einen Raum – und fanden eine Tordurchfahrt. Drei Monate hat der Umbau gedauert, weil die Bauleute lieber auf dem Sofa saßen, Wodka tranken und Karten spielten. Seit kurzem aber gibt es den Buchladen im Zentrum Moskaus und mittlerweile kommen auch Kunden, meist Studenten. Auch das Problem mit der Heizung ist geregelt. Die drei hatten einfach die Fernwärme angezapft, für eine Genehmigung sollten sie nachträglich 5000 Dollar zahlen. Bis Oleg mit einer Schachtel Pralinen in die Behörde ging, sie der zuständigen Frau schenkte und sie die Papiere umsonst ausstellte. Ein Russe ist eben schlauer. Und das ist kein Witz. Sonst hätte es ja auch ein Unglück gegeben.