Marc Almond

Interviewportrait
zuerst erschienen im Februar 1984 in Spex Nr. 2, S. 24-28
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[26] Und um auf die unumstößliche Übereinstimmung zwischen Horoskop und Wirklichkeit zurückzukommen: Marc Almond, bzw. Soft Cell gaben sich am 10. zum letzten Mal die Ehre und zwar in jeder Hinsicht blendend. Wie schon am Abend vorher (da gab es Probleme mit der Akustik, war ja auch erst der 9.) stürzten alle unter Jaulen und Heulen in einen tiefen Taumel der Begeisterung, dem beinahe unser Fotograf zum Opfer gefallen wäre, der im imaginären Fotograben seinen Mann stehen mußte. Schwarze Positive-Mädchen wurden an seiner Seite gequetscht und geknufft, bis man sie vom Bühnenrand wie reite Früchte erntete. Die Pflück-Roadies zogen die aufgeweichten, haltlosen Leute hinauf, warfen sie über die Schulter und legten sie seitlich der Bühne in ordentlichen Stapeln ab. Besonders guten Schnitt machte der lederarschige Roadie-König von London, auf dessen Armen einige Mädchen und Jungen lebhafter zuckten als man nach der spektakulären Rettungsaktion vermuten sollte. Der kleine Man bezauberte über den wilden Publikumswogen als abschaumgeborene Aphorodite. Dementsprehend steigerte sich der Wahn der Fans in homerische Dimensionen. Verzweifelte Hände krallten sich um seine Knöchel und lüsterne Finger krochen die feinen, dünnen Beine herauf bis zur erogenen Zone, die ein Kettengürtel markierte. Daran zerrten sie auch. Wenn Marc Almond den Bühnenrand entlanglief, schnappten sie nach den Füßen. Sie nahmen eher in Kauf, ihr Idol kopfüber stürzen zu sehen, als auf die Berührung zu verzichten.

Sein Gang gefällt mir besonders. Etwas reizend, recht energisch, begleitet von zierlich-fahrigen Gesten, wie eine gutmütige italienische Film-Hure, vielleicht nicht ganz Dame, aber doch mit viel Gold im Herzen. Chris Bohn sagte, Marc Almond sei ein toller Witzerzähler. Marc sagt, vielleicht. Bei den Mambas, mit denen er gerne in Theatern, vor Stuhlreihen jedenfalls, auftritt, gehören Scherze und verbaler Schlagabtausch mit dem Publikum dazu. Bei Soft Cell würde es jedoch unpassend wirken. Ein Aktionskünstler wagte aus dem Dunkel des Raums den Wurf einer Tomate und eines Eis. „Ich dulde keine Eier“ sagte Marc Almond dazu, und forderte sein Publikum auf, den Werfer zu greifen und seiner Gnade auszuliefern, „und dasselbe gilt für abscheuliche Tomaten!“ Ich denke es kam dann zur Lynchjustiz. Welche Bühnenpräsenz! Dave Ball und Gary Barnade, der gute Mensch am Saxofon, verschwammen dahinter zu diffusen Farbtupfern. Etwas berührte mich besonders. Ich bin ausgesprochen kein Sofl Cell-Fan gewesen. Das Exotische, Erotische, Menagerien von Sex-Zwergen und Nachtgewächsen, umschattete Augen, solche offenkundigen babylonischen Exzesse, sind nur Nießpulver zu dem, was ich mir selbst manchmal ausdenke. In Musik, Video oder Wirklichkeit umgesetzte Ausschweifungen weirden sowieso vorzeitig schal. Auf der anderen Seite war mir die Musik zu zirelich, zu wenig deftig, um mich stark durchschütteln zu können. Ich mochte sie wohl, aber immer wenn ich packen wollte, was mir gefiel, glitt es schlangengleich davon. Ich bin nicht verrückt nach Elektro-Pop.

Mich zu packen, bemühte sich die Musik ja auch nicht, höchstens mich zu nerven.

Was mich über die Maßen erregt sind dagegen die Exerzitien, denen sich der Entertainer unterwirft, mit denen er, der sich produzieren muß, sich dem Publikum ausliefert, über das er später triumphieren will. Deshalb mußte ich schließlich zu Marc Almond finden, grade im rechten Moment, um ihn in Bewunderung badend bewundern zu können. Marc Almonds große Kunst liegt in der grenzenlosen Fähigkeit, sich bejubeln zu lassen. Sowas mag ich. Die Auswahl der Musik ehrt dabei den Entertainer, ist aber nicht unbedingt der ausschlaggebende Begeisterungsfaktor. Na, diese Überlegung ist eventuell etwas fragwürdig. Ich kam nur drauf, weil ich kein Soft Cell-Fan war. Ich wollte nicht beleidigend werden. Ich frage mich, was zuerst da war, Marc Almond oder die Fans. Eigentlich bedingen sie sich doch wechselweise — wie könnte ein Almond ohne begeistertes Publikum ein Publikum so begeistern, daß es ihm wie derum den Rahmen bietet, in dem er wirklich begeistern kann? Henne oder Ei, das meine ich. Ich habe mir sagen lassen, er könne auch schlechter, dunkle Blicke ins Auditorium, verworfene Aura und so. Wenn er schlecht ist, denkt man sich vielleicht, sein ganzes Treiben sei Blendwerk (im Sinne von ‘Blender‘), wenn er gut Ist, ist es Jacke wie Hose. In der Praxis des Abschieds-Konzerts bedeutet das, daß endlich alle Klasse von Soft Cell, die ich bis da übersehen hatte, offen vor mir lag. Späte Einsicht, recht spät. Selbst das Stück vom mörderischen Martin, dessen Aussage mir trotz allem fremd bleibt, schmiß mich um. Wenn Almond „Martin, Martin“ ausstoßend mit entlarvenden [sic] Finger auf den Menschen in der Masse deutet, uns gleichsam den Spiegel vorhält, erklingt betroffenes Juchzen – „Ich bekenne, ich bekenne“ – wer möchte da nicht gern ein verklemmter Killer sein?

Marc Almond ist weniger kokett – ein wenig kokett – mehr unprätentiös liebenswert. Bei allen stürmischen Posen und theatralischen Gesten schmückt sein lebhaftes und freundliches Temperament die Show mit Glanzlichtern als mit muffig-dunkler Faszination oder dekadentem Coming-out. Er spielt es mit leichter Hand, trotz der beschwerenden Klunker. Und wie er sich an seinem Publikum freut, oh ja, auch wenn ihm das Bett in der nächsten Nacht ein Nagelbrett scheint, so zerschunden, zerkratzt und gerädert ihn die berauschten Liebenden schließlich entlassen haben.

Das Interview vollzieht sich in den verwüsteten Räumen des Some Bizarre-Büros. Batterien schimmelbefüllter Kaffeetassen kommen Marc Almonds ausgesprochenem Bedürfnis nach „ungemütlichen Situationen“ entgegen. Ein niedlicher Kerl in knitterigem Schwarz. Zum Fotografieren wirft er sich in die Brust wie ein Flamencotänzer, starrt die Kamera fixierend wie das Kaninchen die Schlange. Um ihn aufzulockern (denk an was anderes — an was?) gebe ich nützliche Tips: „Try to look selling“ — er muß ja die Zeitung verkaufen — oder „Give it to me, Baby“ (‚Blow up‘, klar). Er bekämpft ganz hervorragend den unerwünschten Lachreiz: Die Mundwinkel in völlig gerader Linie gedehnt, und die Nase zittert leicht, während er hartnackig das Objektiv im Auge behält. Das Größte aber: Er stottert. Das bringt mich um. Ich liebe Stotterer. Immer wieder stolpert er über den eigenen hastigen Wortschwall, verhaspelt sich und rückt sich mit einer witzigen Kopfbewegung wieder zurecht. Tolle Sache. Rührend? Ja, wirklich. Ich habe versucht, nicht zu sentimental drüber zu werden, obwohl ich sehr gerührt war und verwirrt. Auf offener Bühne sentimental werden, das wäre zu lächerlich gewesen.

Wieso gab es denn am Schluß noch ein paar ,camp poses‘ für die Journalisten? Wir hatten ja vorher schon reichlich davon.

Ja, ich wollte einige extra für euch geben, ein paar besondere.

Einer der Gründe, Soft Cell aufzulösen war, daß im Livebereich einfach nichts richtiges passierte. Ich liebe es live aufzutreten und Dave ist lieber im Studio, in einer Umgebung, in der er mehr unsichtbar arbeiten kann. Wenn auf der Bühne die Scheinwerfer auf ihn gerichtet werden, drehtet oft einfach dem Publikum den Rücken zu … so. Das macht ihm wirklich Angst. Ich liebe es, ein Publikum zu haben. Das ist etwas, worauf ich mich später im Jahr wesentlich mehr konzentrieren werde. Ich stelle eine neue Band zusammen, anstelle von Marc & the Mambas, aber mit einigen Mambas-Mitgliedern. Ich weiß nicht, ob wir uns weiter so nennen werden, das ist noch nicht entschieden. Wir üben schon mit der neuen Band, neuem Material und ganz neuer Show. Die erste Hälfte des Jahres ist Vorbereitung, und in der zweiten werden wir überall touren, wo wir können.

Warum wart ihr noch nie in Deutschland? Antipathie? [27]

Oh nein, nein! Wir wollten ja schon mal kommen, aber das ging schief. Deutschland ist ganz oben auf meiner Liste. Ich war ja noch nicht mal in Berlin. Alle meine Freune waren da, das macht mich ganz krank. Jeder erzählt mir, es sei brillant. Ich bedaure wirklich, daß wir mit Soft Cell nie da gespielt haben. Diese ganzen Orte, an denen wir nie gespielt haben, das ist wie Sachen halbfertig liegenlassen. Das ärgert mich.

In ca. 6 Wochen erscheint das neue Album „This last night in Sodom.“. Irgendwelche Paralellen zu dem Buch von de Sade?

Nein, eigentlich nicht. Der Titel wurde gewählt, als ich beobachtete, wie Regierung und Polizei langsam ganz Soho dichtmachten, das ist, wo ich lebe. Sie schließen immer mehr Kinos und diese Sex-Shops und die ganzen Lokale, in dem Versuch hier jetzt alles sehr respektabel zu machen. Es ist, als ob London in eine sehr graue Stadt verwandelt wird, sehr konservativ wird im Moment. Auf der anderen Seite gibt es heute überall viele Leute, die so leben, als ob sie sich sagen ‘Das könnte dein letzter Tag sein, morgen könnten wir schon zerfetzt werden‘, und also leben sie wirklich ausschweifend, weil es die letzte Nacht in den verfallenden Städten sein könnte.

Siehst du das selbst auch so?

Klar, den Leuten werden nukleare Waffen unter die Nase geschoben, sie leben auf Messers Schneide und also leben sie nur für den Tag. Viele Leute sind nicht besonders traurig darüber, sie akzeptieren die Tatsache, daß sie morgen nicht mehr hier sein könnten, mit einem Lächeln. Also werden die Städte wirklich wie Sodom und Gomorrha, moralische Grenzen werden niedergerissen und die Bombe stellt Gottes Gericht über die korrupten Städte dar — es läßt alles in Fetzen fliegen. Hahaha! Das ist nicht so pessimistisch, wie es klingt, es ist sehr optimistisch.

Das hört sich für meine Ohren ja nun wirklich überkandidelt an Gott bläst uns alle in Fetzen …

Oh, es sind viele religiöse Einflüsse auf dem Album.

Unten auf St. Annes Court, neben dem ‘Harmony‘-Sandwichladen, ist eine leere Plakatwand, auf der Soft Cell-Fans Botschaften hinterlassen haben. Zu den unauffälligeren gehören ‘HARMONY is Marcs voice…‘ und so, etwas seltsamer ‘Marc, l hate you, for what you’re doing to me‘ oder gar ‘Marc, my darling little sex-dwarf‘. Ist dir das nicht peinlich, diese Schriften da unten. Ich meine, kleiner Sex-Zwerg‘, das ist doch irgendwie …

Das ist mir peinlich. Es ist ein wenig beleidigend.

Wie das Ei?

Oh ja, das Ei. Das war sehr lustig, nur hat es mich nicht im geringsten amüsiert. Vielleicht, wenn was anderes geschmissen wird, aber Eier gehören nicht zu dem, was ich bereit bin, zu tolerieren.

… und Tomaten!

Ganz recht — eine Tomate und ein Ei.

In gewisser Weise war der Werfer doch mutig.

Stimmt.

Ist es richtig. daß ihr in Israel aufgetreten seid? Dieser Auftrittsort scheint mir ungewöhnlich.

Ich war da mit den Mambas, — das einzige Mal, daß die Mambas außerhalb Englands aufgetreten sind. Das Problem in Israel ist, daß kaum Gruppen dort spielen. Als in Tel Aviv ein neuer Club aufmachte, boten sie uns an, uns die Reise und ein Drei-Tage-Gastspiel zu bezahlen. Wenn ich je die Chance bekomme, in unwahrscheinlichen Gegenden zu spielen, greife ich natürlich zu. Ich liebe Auftritte an ungewöhnlichen Orten. Bombay und dergleichen würde mich z.B. reizen.

Dann siebt man was von der Welt.

In Israel war es wundervoll! Sie hatten noch nie was wie uns gesehen; es war unfaßbar, im Publikum wurden Kerzen und Streichhölzer angezündet, wirklich großartig. Soft Cell waren da drüben sehr populär. Mit den Mambas haben wir ganz verschiedene Sachen gespielt, z.B. nur ich mit dem Klavier und sang Sachen wie „If you go away“ — sie fanden es einfach perfekt, Ihnen kamen wirklich die Tränen. Dieser riesige Typ, der den Sound machte, ein so riesiger Kerl konnte die Tränen kaum zurückhalten.

Ich dachte, du seist jüdischer Abstammung und in der Heimkehr zu Zion begriffen. Wir haben uns schon den Kopf zerbrochen.

Oh nein! Das bestimmt nicht, zunächst mal, da ich kein Jude bin. Es geht nur um das Ungewöhnliche. In Bombay würde ich liebend gerne spielen, denn da soll es wahrhaft abscheulich sein. Man hat mir erzählt, daß dort alle Restaurants im 2. Stock sind, weil sonst die Bettler durch die Fenster eindringen. Deshalb binden sie Babies an lange Pfähle, die sie hochhalten und bringen den Babies bei, die Hand auszustrecken. Das ist wirklich bizarr.

Reden wir über dieses enorme Album, ‘Torment & Toreros‘, in Zukunft soll wohl nichts ähnliches folgen?

Nein, ich sehe nicht so recht, wie ich an einem zweiten Doppelalbum arbeite.

Aber ich bin jemand, der ständig arbeiten muß, wirklich jede Minute am 
Tag. Ich muß ständig kreativ sein, ob 
das nun Stücke schreiben ist oder
 singen, was auch immer. Bei Soft Cell
 fühlte ich mich so eingeengt, weil ich
 nie die Musik geschrieben habe. Dave schrieb die Musik, ich die Texte,
Dave spielte alle Instrumente und ich 
übernahm das Singen und ein bißchen Percussion. Ich wollte mich nie
 auf eine einzige Gruppe beschränken. Für manche Leute bedeutt ihr ganzen Leben, in einer Band zu spielen, für mich ist das Leben, in drei oder vier Gruppen zu sein. Mit ‘Torment & Toreros’ bin ich natürlich ganz massiv aus dem Soft Cell-Gefängnis ausgebrochen und ich hatte so viele Ideen, die wirklich nicht zu Soft Cell paßten. Sachen, die für mich sehr persönlicher Natur waren. Und dann flössen mehr und mehr Ideen ein, besonders da die Musiker, mit denen ich arbeitete, sehr kreativ waren. Ich fühlte mich eben so sehr, sehr inspiriert und ehe ich mich versah waren um 20 Stücke zusammen gekommen, zwischen denen ich mich nicht entscheiden konnte. Wir wollten es bis auf ein Einzelalbum runterhacken, aber ich konnte nicht aufhören mit „Ach, das gefällt mir aber so gut“ und „Oh, dieses hat wirklich was zu bedeuten“ und auf die Art verwandelte es sich in ein Doppelalbum. 90 Minuten, und wir haben noch was rausgelassen!

Besonders bedeutungsvoll scheint mir das letzte Stück des Albums, ‘Beat out that rbythm on a drum‘ aus Otto Premingers Film ‘Carmen Jones‘. Für Marc Almond war es das „Licht am Ende eines Tunnels“, der optimistische Ausklang eines wiewohl schönen doch manchmal qualvollen Albums — für den Sänger nie für den Hörer — aber für Deutschland bedeutet es doch, daß Phonogramm die Carmen-Welle verschwitzt hat. Pfui Teufel. Der Flamenco-Stil paßt Marc Almond, sowohl vom Gesang wie von der Pose. Das Cover ähnelt ja irgendwie der Verpackung jener berühmten Spanischen Seife, die besonders vor Weihnachten angeboten wird und große Strecken der Platte durchzog exotisches Gitanes‘-Flair. Ich spiele nicht auf blauen Dunst an, sondern auf spanische Zigeuner. Ein geplantes Album mil der Flamenco-Gruppe ‘Jola und Emanuel‘ scheiterte bis jetzt an unvereinbaren Terminplänen, soll aber unbedingt irgendwann realisiert werden

Hast du je versucht, Kastagnetten spielen zu lernen?

Nein danke, ich werde beim Singen bleiben.

Könntest du dir vorstellen, irgendwann Schauspieler zu werden?

Da habe ich früher mal gemacht. Ich habe eigentlich mit der Schauspielerei angefangen. Um ein Haar wäre ich zur Schauspielschule gegangen, ich jatte die Tests schon hinter mir, aber dann fand ich doch, daß das alles in Haufen Mist ist, weil ich die Leute haßte, die ich da traf. Ich mag diese schaupielerhafte Art von Leuten [28] wirklich nicht, die all die richtigen Dinge gelernt haben.

Ich habe eine zeitlang im Theater an der Bar gearbeitet und mußte dabei all diese Künstler treffen — damals habe ich mich wahrscheinlich definitiv gegen eine Schauspielschule entschieden. Ich dachte „Gott! — Seid ihr schrecklich!“, also ließ ich es sein. Eigentlich wollte ich mir auch nie von Leuten vorschreiben lassen, wie ich in der Rolle eines anderen zu agieren habe. Wenn ich schon spiele, dann aus demselben Grund, aus dem ich ein Lied von jemand anderem singe, nämlich weil ich etwas von mir selbst heineinlegen möchte und nicht weil mir jemand gesagt hat, wie ich es methodisch richtig mache, Schauspielerei nach Nummern.

Ich würde es schon machen, aber auf meine eigene Weise. Ich bin sehr unabhängig in der Art, wie ich Sachen mache. Für mich ist es nötig, ein größeres Element von mir selbst in alles zu legen, was ich tue, das ist ja der Grund, warum ich es überhaupt mache. Andernfalls könnte ich doch für einen Boss arbeiten, in einer Bank oder so.

Und wie singst du z.B. Jacques Brel? Was fließt da rein?

Kommt auf das Stück an. Man kann das nicht generalisieren.

„The Bulls“, fand ich, hatte viele böse und sarkastische Momente, etwa der fröhliche Klang der Melodie und das Klappern der Kastagnetten, und auf der anderen Seite das Blut und das Töten, die Lust der Menschen am Töten.

Es kommt ganz auf das Stück an. ,If you go away‘ z.B., die ganzen Versionen, die ich davon gehört habe, gefielen mir wenig. Ich liebe das Stück, ein sehr kraftvolles Stück, aber auch ein etwas matschiges Stück, irgend wie, aber ich meine, es muß nicht notwendigerweise matschig sein. Ich singe es sehr unmatschig. Manchmal bringe ich es sogar ganz hysterisch und dann wieder äußerst still, mehr introvertiert. Wie ich mich fühle. Also wirklich, ich liebe Brel und ich meine, daß Leute wie Bowie seinen Ruf geschändet haben. Bowie — seine Versionen machen wirklich krank,

Er hat Brel dieses gräßlich mimenhafte Image verpaßt, das reine Stigma. ‚Amsterdam‘ mit dieser grausigen wimmernden Stimme!

Scott Waltkers Version von ‘My Death‘ ist die beste, in Israel habe ich das ein paarmal gespielt, aber in England würde ich das aus diesem Grunde nicht machen, wegen dieser Bowie-Auslegungen, die die Leute damit verbinden. Sie denken, seine Versionen seien gute Versionen, dabei sind sie das Letzte.

Auch Jacques Brel, manche seiner eigenen Versionen sind scheußlich. Ich war wirklich schockiert über seine Version von ‘My Death‘, die sehr schnell ist und ganz anders als die von jedem anderen. Es kommt darauf an. Ich denke, ich würde sie von jedem singen lassen, außer Bowie.

Ich mag ihn wirklich nicht, nein. Natürlich habe ich ihn gemocht, als ich noch auf der Schule war, da fand ich ihn großartig, aber jetzt wird mir klar, daß er einfach ziemlich schlecht ist.

Er hat ein paar brillante Sachen gmeacht, aber jetzt, besonders jetzt, ist er schauderhaft. Dieser schäbige klebrige Disco, den er da macht, die Chic-Sachen, die Chic sechs Jahre vorher besser selbst gemacht hätten. Das ist meine Meinung. Er hatte seine Momente von Brillanz, und im besonderen mag ich es nicht, wenn er Brel singt. Scott Walker ist mein Lieblingssänger. Ich mag auch die Walker Brothers, aber hauptsächlich seine Solo-Platten. Vielleicht mögen ihn manche nicht, weil er so niedlich aussieht, aber es ist eine Schande, daß sie sich seine Texte entgehen lassen, die wirklich fantastisch sind. Er ist recht sentimental, aber er ist auch sehr düster, manche seiner Sachen sind ganz ungeheuer düster, über Tod und Selbstmord und solche Sachen.

Und das reizt dich?

Ja, diese Seite des Lebens hat mich immer interessiert, mich reizt die dunkle Seite des Lebens viel mehr, als die sonnige Seite. Ich bin eine jämmerliche Person!

Naja, schließlich interessiert sich jeder mehr für düstere Sachen.

Eben, das ist es gerade. Jeder interessiert sich für die Schattenseiten des Lebens und genau wie jeder andere finde ich sie sehr ansprechend.

Wird das nicht lästig, wenn man die dunklen Sachen auch leben muß? Langweilig?

Also, ich finde mein Leben nicht langweilig!

Ich meine, denkst du nicht oft daran, gemütlich vor dem Fernseher zu sitzen, in gepflegter Atmosphäre, während französiche Mahlzeiten serviert werden? Du könntest Dir das doch leisten.

Nun, daran denke ich ununterbrochen. Und es ist das letzte auf dieser Welt, was ich tun würde, denn das ist eine abscheuliche, unverzeihliche Art zu leben — da ziehe ich den Schmutz des Pflasters vor.

Das ist so verkommen. Viele Leute — Rock-Musiker — ziehen nach Los Angeles, um dort neben Swimmingpools zu verwesen, in Kokain gebadet. Darum finde ich Rock-Musiker sind ekelhafte, selbstzufriedene Arschlöcher. Und ich bin nie selbst zufrieden und ich bin nie glücklich! Das sind langweilige Leute, sie machen langweilige Musik, also bitte bringt sie nicht im Radio, damit ich mich nicht auch noch langweilen muß.

Ca. 10 Prozent in den Charts sind in Ordnung — wir gehören zu den 10 Prozent. Naja, selbst wir bringen schon mal Mist raus. Mein Leben ist nicht langweilig. Es ist genau, was ich liebe, Gefahl und Unbequemlichkeit, ich liebe ein Leben auf Messers Schneide und hasse behagliche Situationen - und Popstars, weil sie es behaglich und sicher haben.

Hast du nicht wenigstens finanzielle Sicherheit?

Habe ich die ? Was ich kriege, stecke ich wieder in die Arbeit, ich gebe es eben weg, das nenne ich nicht finanielle Sicherheit. Geld ist lächerlich, eine Krankheit und es ruiniert die Leute.

Die beste Zeit meines Lebens war, als ich überhaupt kein Geld hatte. Weil ich da hungrig war.

Es ist immer das beste, dieses Element von Unischerheit und Hunger in allen Dingen beizubehalten.

Welche zeitgenössische Musik gefällt dir?

Ich mag sowas wie ‘Neubauten‘, aber mir gefällt aich einiger Country & Western, ich mag querbeet alles, viel Blues, Billie Holiday und Jazz, Sachen, die ich nicht gerade als zeitgenössisch bezeichnen würde, die aber dennoch jetzt gut passen, zu mir passen. Ich mag Siouxsies.

Ich denke, die Simple Minds sind eine gute Gruppe. Mir gefällt nicht exakt alles, aber als Gruppe halte ich sie für gut. Wendigstn zeigt sich ein gewisser Will in dem was sie machen, wenigstens sind sie nicht verlogend und machen keine maßgeschneiderte Musik.

Wenn schon, möchte ich eher die Simple Minds in TOTP haben, auch wenn ihre Musik nicht ganz mein Bier ist.

Warum hast du die Wohnung in New York aufgegeben?

Private Gründe. Es macht mir keinen Spaß, da zu leben. Wenn ich von Zeit zu Zeit einen Besuch mache, im es immer sehr inspirierend, aber wenn man da lebt, verliert sich dieses Gefühl der Inspiration und es wird einfach ein anderer Ort, an dem du wohnst. Ich fahre lieber mal zu Besuch. Außerdem kann ich es mir nicht leisten — ich bin nicht ganz so reich.

Wie gefällt dir das Solo-Album von Dave Ball, ‘In Strict Tempo‘?

Jaa — ich denke, er hätte noch warten sollen.

Wie höflich gesagt. Du findest es also schlecht?

Nein, ich denke nur; daß er zu wirklich Brillantem fähig ist, Brillantes gemacht hat und daß er auf dem Album nicht sein volles Können zeigt.

Du scheinst gerne viel Inhalt in deine Texte zu packen?

Ja. Aber ich mache sie nicht kompliziert, ich habe keinen Drang zum Obskuren und doch …

Die Story von ‘Kitchen Sink Drama‘ erschien mir seltsam altmodisch.

Na und, ich bin ein altmodischer Mensch. Du wirst mir doch nicht vorschreiben wollen, was ich schreiben kann, und was nicht.

Das liegt mir fern. Eine letzte Frage: Bist du einfach camp oder ein seriöser und tiefempfindender Künstler.

Das ist eine Sache, die ich weiß, und die du dir aussuchen kannnst. Nein, ich würde sagen, ich habe wahrscheinlich ein sehr tiefes Element ich bin entweder beides oder keins von beiden. Ha! Ich kann schließlich nicht alles ausplaudern.

Gestern auf der Bühne gabst du dich oft wie Barry Manylow

Barry Manylow? Du mußt Witze machen.

Ich will nicht total grundehrlich sein, ich unterhalte mit dem, was ich mache. Lernen durch Vergnügen. Und, das muß man sehen, ich verbringe 6 Monate im Studio bis zum Nervenzusammenbruch, nur so als guten Witz. Natürlich bin ich ernsthaft bei der Sache, in allem was ich tue, mich selbst nehme ich nicht so ernst.