Michel Gaubert – „Ein großartiger DJ hat kein Ego.“

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Interview
zuerst erschienen am 8. September 2014 in Zeit Magazin Nr. 37

Wie klingt Chanel? Céline, Dior, Louis Vuitton, Michael Kors? Ein Interview mit dem wichtigsten DJ der Modebranche, dem Soundstylist Michel Gaubert

Soundstylist, was genau bedeutet das Monsieur Gaubert?

Karl (Lagerfeld) hat sich das für mich ausgedacht. „Wenn es Hairstylisten gibt“, meinte Karl, „dann muss es auch Soundstylisten geben.“

Und worin besteht ihre Aufgabe als sogenannter Soundstylist?

Ich stelle die Musik für Modenschauen zusammen.

Stehen die Soundtracks für die nächste Saison schon?

Nein. Ich mache jetzt erst Mal Urlaub.

An der Côte d’Azur?

In Hollywood.

Wonach klingt wohl Hollywood gerade?

Oh mein Gott, das ist eine schwere Frage. Ich kann das gar nicht so demontieren. Nach Radio.

Können Sie einen bestimmten Sender empfehlen?

Jeden. Ich gehe immer auf den Suchlauf und drücke dann beiläufig auf stopp. Gibt ja nichts Tolleres als in L.A. Auto zu fahren und Radio zu hören.

Geländelimousine?

Ja, klar. Wenn schon L.A., dann richtig. Ich habe ein Richard Neutra Haus in den Hollywood Hills gemietet, ziemlich weit oben, fast auf dem Gipfel. Tolles Haus, aber man braucht ein ziemlich starkes Auto um die Hügel hoch zu kommen.

Die Schauen-Karawane beginnt Anfang September in New York und zieht dann über London und Mailand in ihre Heimatstadt Paris, wie viele Schauen pro Saison bespielen Sie in diesen vier Städten?

Circa Zweiunddreißig.

Und da fällt Ihnen für jede Marke ein komplett anderer Ansatz ein?

Der Designer gibt den ersten Ton an, und auf den baue ich dann auf.

Fangen wir mit New York an, Ihre top-drei Kunden sind?

Proenza Schouler. Jeremy Scott. Und ich arbeite sehr gerne mit etablierten Leuten wie Michael Kors. Ich mag Kors Echtheit. Er ist einer der Wenigen die authentisch sind. Es macht natürlich immer Spaß mit jungen oder Underground-Designern zusammen zu arbeiten, aber sich mit der Realität zu beschäftigen ist eine größere, interessantere Herausforderung.

Was genau meinen Sie mit „Realität“?

Michael Kors führt ein großes, funktionierendes Unternehmen. Der macht nicht nur Mode für die Show, er hat echte Kundinnen. Er scheut sich nicht davor kommerziell zu sein. Ganz im Gegenteil. Die Coolen der Stadt interessieren ihn nicht, er will die Michael Kors Frau.

Und wie sieht die aus?

Blond, sonnengebräunt, reich und glücklich. Sie jetsettet um den Globus, ist immer glamourös, immer sexy. Und genau so soll auch der Sound für seine Show klingen.

Nach glücklichen, sonnengebräunten, sexy Blondinen?

Ja! Bei der letzten Show beispielsweise bekam ich zusätzlich die Vorgabe – „Reise nach Big Sur; chic, aber understatement“. Ich habe dann Fleetwood Mac, Bette Midler und Richie Havens zusammen komponiert; das klang super, wie ein perfekter Radiosender.

Inwiefern kann man den amerikanischen Sound vom europäischen auseinander halten; nehmen wir New York und Paris als Beispiel, welche Stadt ist konservativer?

Was glauben Sie?

Ich finde New York konservativer. Aber ich habe Sie gefragt.

Ja, klar ist New York konservativer. In Amerika muss ja immer alles politisch korrekt sein. Die sind so prüde. Es ist leicht die Amerikaner zu schocken. Deswegen kommen sie ja auch so gerne nach Europa. Wir hier in Paris interessieren uns nicht für PC. Bei der letzten Chanel Couture Show war die Braut Schwanger, und dann gab es noch eine zweite Braut und eine lesbische Hochzeit. Karl greift aktuelle, soziale Themen auf. Im besten Fall ist die Pariser Mode ein Spiegel der Gegenwart. In Amerika geht es bei Mode nur um Klamotten. Junge Designer mögen dort provokant sein, aber große, etablierte Unternehmen wie Chanel würden in Amerika niemals kontrovers sein. Nirgendwo wird so provoziert wie in Paris. Und das zeigt sich natürlich auch in der Musikauswahl. In Paris kann ich Songs spielen, die ich aufgrund der Liedtexte in New York nie durchbekommen würde. Den Amerikanern ist es sehr wichtig was die Öffentlichkeit denkt. In Frankreich interessieren wir uns nicht für die öffentliche Meinung. In der Mode herrscht keine Demokratie. Wir machen genau das, was wir für cool halten.

Können Sie mir ein Beispiel nennen, für eine Marke, die Ihnen untersagt hat einen bestimmten Song zu spielen, weil der Liedtext zu kontrovers ist.

Natürlich kann ich das nicht. Das ist ja überhaupt nicht PC!

Ist Chanel die coolste Marke für die Sie arbeiten?

Ja. Karl ist einer der modernsten und freisten Menschen die ich kenne und er gibt mir alle Freiheiten.

Dabei ist Herr Lagerfeld doch für seinen Monarchie-Führungsstil bekannt, wie kommt es das er Ihnen so vertraut?

Wir kennen uns seit Anfang der Achtziger. Wir haben uns in der Pariser Diskothek „La Palace“ kennen gelernt, wo ich als DJ gearbeitet habe. Dann nahm er mich zu meiner ersten Modenschau mit, Chloé. Damals war er dort Chefdesigner. Und dann fragte er mich ob ich nicht die Musik für seine nächste Modenschau machen will. So hat meine Karriere als Schauen-DJ angefangen. Das sind jetzt über dreißig Jahre Freundschaft und Zusammenarbeit.

Wie muss man sich Ihre Zusammenarbeit vorstellen?

So bald er seine Kollektion entworfen hat und die Geschichte dazu kennt, zeigt er mir sein Storyboard. Karl ist ein universeller Denker, während er die Kollektion entwirft denkt er sich die Geschichten zum Look aus und bestimmt auch gleichzeitig das Konzept der Modenschau. Als er mir vor der letzten Modenschau sagte, dass er das Grand Palais in einen Supermarkt verwandeln will bin ich durchgedreht. Super Idee, und die Musik dazu lag quasi auf der Hand. Wir wollten das Publikum wie bei der Metro mit kitschiger, aber trotzdem cooler Musik berieseln.

Kitschig, aber cool, Rihanna.

Ja. Ich habe nie behauptet dass mein Job ein Hexenwerk ist. Wobei ich einen alten Rihanna Song genommen habe, SOS. Ich finde das ist einer ihrer besten Songs. Und dann habe ich noch ein bisschen Francois de Roubaix und Carl Craig dazu gemixt.

Und wie verkaufen Sie Karl dann ihren Soundtrack-Vorschlag? Sitzen sie zusammen, spielen ihm Ihre playlist vor und wippen Beide im Takt.

So ungefähr. Ich schicke ihm nie Sachen digital. Es macht ja viel zu viel Spaß mit Karl Zeit zu verbringen. Er ist sehr intensiv und ruht nicht, bis wir genau den Punkt treffen. Das inspiriert mich natürlich.

In Paris stellen Sie auch Musik für Christian Dior, Louis Vuitton und Céline zusammen. Das sind alles scharfe Chanel Konkurrenten. Niemand sonst in der gesamten Modebranche geht so selbstverständlich in den größten Modehäusern ein und aus wie Sie. Wie haben Sie sich diesen Schweiz-Status geschaffen?

Alle meine geschäftlichen Beziehungen beruhen auf langjährigen Freundschaften. Ich habe Karl wie gesagt vor über dreißig Jahren kennen gelernt. Nicolas (Ghesquière) kenne ich seit 1998. Ich habe alle Balenciaga Modenschauen mit ihm zusammen orchestriert, da habe ich mich natürlich gefreut dass er mich jetzt auch für Louis Vuitton gebucht hat. Es ist ein Nehmen und Geben. Ich bin nicht günstig, aber wenn ich an einen Designer glaube und er nicht viel Budget hat unterstütze ich ihn. So fing beispielsweise meine Freundschaft mit Raf (Simons) an. Erst habe ich für seine Marke die Musik gemacht, als er dann Creative Director von Jil Sander wurde habe ich auch für Jil Sander die Musik gemacht. Und heute ist Raf eben bei Dior.

Aber ringt nicht jede Marke um ihre eigene Identität? Und spielt da die Musik nicht eine wichtige Rolle?

Ich überschätze mich nicht. Ich glaube nicht, dass meine Arbeit so spezifisch ist. Jeder Designer hat ja sein eigenes Universum. Ich helfe ihm nur dabei die Musik für sein Universum zu finden.

Wie klingt Raf Simons Dior Herbst 2014.

Nach Sonic Youth.

Und Céline?

Phoebe (Philo) benutzt gerne einen einzigen Song für das gesamte Defilee und verlangt aber das er bis zur Unkenntlichkeit abstrahiert wird. Für die letzte Show habe ich alte Groove-Platten aus den Siebzigern zusammen gesucht und als wir uns auf den richtigen Track geeinigt hatten, habe ich ihn so lange bearbeitet bis er nach etwas neuem klang.

Eine Metapher für Philo’s Handschrift.

Wissen Sie, manchmal interpretiert man zu viel in die Musik hinein. Bei dem Louis Vuitton Debut von Nicolas Ghesquière hat Nicolas den Song „copycat“ von Kelis gewählt. Daraufhin jubelte die Presse wie genial das sei, wo doch Nicolas zweifellos für Innovation steht. Dabei war das reiner Zufall. Nicolas liebt Kelis, aber ihr neues Album gefiel ihm nicht besonders und so hat er diesen Kelis-Song von letztem Jahr ausgesucht. Der Beat ist super, das ist erst mal das wichtigste. Wir haben ganz lange überhaupt nicht auf den Liedtext geachtet, und das ist keine faule Ausrede, sondern üblich bei uns Franzosen.

Gibt es eine Parallele zwischen Hochzeits-DJ’s und Modenschau-Dj’s?

Ja, absolut. Weder die Hochzeit, noch eine Modenschau sind Musikveranstaltungen. Was gespielt wird muss jeden ansprechen.

Welchen Tipp haben Sie für Hochzeits- oder Modenschau-DJ’s?

Das entscheidende bei einem DJ ist sein Ego. Ein großartiger DJ hat kein Ego. Er spielt um sein Publikum zu befriedigen. Ich möchte dass mein Publikum gute Laune hat.

Für Chanel stellen Sie nicht nur die Musik für die Schauen zusammen, sie machen auch die playlist für alle Chanel-Boutiquen. Was müssen Sie dabei beachten?

Das die Angestellten nicht wahnsinnig oder aggressiv werden. Als ich kürzlich in Tokyo im „Undercover“ Laden war bin ich selbst fast durchgedreht. Ich mag Undercover und Jun Takahashi ist bekannt dafür ein konzeptionelles Genie zu sein, aber in seiner Boutique geht er zu weit. Den ganzen Tag lang läuft der zehn Minuten lange Schauen-Soundtrack auf Wiederholung. Und das geht die ganze Saison so weiter, sechs Monate lang. Eine furchtbare Folter. Das arme Personal.

Geht Ihnen manchmal Musik auf die Nerven?

In Amerika, ja. In jedem Restaurant, in jedem Hotel läuft ständig Musik. Wenn Musik gespielt wird, nur um andere Geräusche zu übertönen, oder – was ich noch schlimmer finde – die Stille auszufüllen, das mag ich nicht. Musik muss Sinn machen.

Ihr Lieblingslied zurzeit?

Ah, das ist eine einfache Frage: „Octogum!“ von Air. Ist ein neuer Track von dem neuen Album, Music for Museum. Super Track, super Album. Er erinnert mich ein bisschen an Giorgio Moroder und American Gigolo. Den werde ich sicherlich bei einer der Schauen jetzt im September spielen.