M/M (Paris) – Schuster, bleib bei deinen Leisten

von 
Interview
zuerst erschienen Frühjahr 2015 in GQ Style Nr. 27
Fassung der Autorin

Michael Amzalag, 47, und Mathias Augustyniak, 46, sind Franzosen, Künstler, Grafikdesigner, Geschäftspartner, Freunde und die berühmtesten Art-Direktoren in der Modebranche, auch bekannt als M/M (Paris). Sie haben sich in den achtziger Jahren auf der Kunsthochschule in Paris kennengelernt. In einer Zeit, als Mode noch in Mode war und es weder um Marken, noch um Luxus, noch um Markenbildung ging, sondern um créateure, also Schöpfer, und um die Übersetzung von Kleidern in ein Lebensgefühl. Seitdem geben sie Modehäusern wie Yohji Yamamoto, Jil Sander, Givenchy und jetzt gerade ganz frisch Loewe, aber auch Popstars wie Björk und Madonna, Museen, anderen Künstlern oder Magazinen wie der französischen Vogue ein zweites Gesicht. Einen Schriftzug, ein ganzes Image, ein Plattencover, eine Kampagne, eine neue Ausgabe, oder manchmal auch nur ein neues Poster. Ein Besuch in dem schlichtesten Superstars-Büro, bei dem der Autorin Anfang und Ende der Mode erklärt werden.

Ein paar Worte zum Ambiente. Zwischen dem Gare de l’Est und dem Canal St. Martin, in Paris, ist das Studio von M/M (Paris). Es ist überraschend klein, im Hinterhof und im Erdgeschoss. Eine freundliche Assistentin öffnet einem die Tür, ein wunderschöner Siberian Husky springt einem entgegen. Michael Amzalag’s Hund.

Ein fast quadratischer Raum, hinten eine Bücherwand, alles sehr ordentlich. Vor der Bücherwand stehen Michael und Mathias und beugen sich nach vorne, so als würden sie mit ihrem gesamten Oberkörper reinkriechen, in den Computer. Mathias ist größer, hat längere Haare und eine markante Nase. Michael hat keine Kanten. Er trägt ein Sweatshirt, Jeans, nichts Auffälliges. Man hört Björk, sehr laut. Das neue Video ihrer neuen Platte. M/M (Paris) haben den Schriftzug für das Album entworfen, das Plattencover gestaltet und auch am Video mitgearbeitet. Neben dem Computer steht ein Kopierer, erhöht, auf einem Tisch. Aus dem Kopierer blitzt einem ein Stoff entgegen, und der Schriftzug des neuen Björk-Covers; handgestickt? Ist jedenfalls auf Stoff. Es sitzen noch vier weitere Menschen auf Eames-Bürostühlen vor Computern. In der Mitte des Raumes ist ein langer Tisch. Alles sauber, alles aufgeräumt. Die Herren nehmen Platz, die Autorin auch. Mathias fängt an, das Gespräch auf Papier zu skizieren. Michael nimmt immer wieder Kataloge aus dem Regal, führt sie vor und inspiziert sie dann noch sehr lange und ausführlich alleine.

Zurzeit küssen sich an jeder Pariser Bushaltestelle zwei Männer auf einem Plakat auf dem Loewe steht; Ihre neue Kampagne?

Wir haben daran nicht alleine gearbeitet. Aber ja, das ist die neue Loewe-Kampagne, bei der wir die Art Direktion geführt haben.

Was genau macht ein Art Director?

Wir sind die Brücke zwischen Kunden und Talenten. Wir stellen das Team zusammen, wie beim Sport. Und dann führen wir das Team; den Designer, den Fotografen, den Stylisten, alle die eben an so einem Bild mitarbeiten. Im Deutschen haben Sie diesen fabelhaften Begriff für chef d’orchestre – Dirigent! Ein Art Direktor ist ein Dirigent. Wir interessieren uns für verschiedene Blickwinkel und Meinungen und versuchen diese dann in einer Sprache zusammenzufassen. Das Gegenteil von einem Creative Director, und dem Model Saint Laurent, wenn Sie verstehen, was wir meinen.

Auf Hedi Slimane sind nicht viele gut zu sprechen. Weil er ein Alleinherrscher ist?

Ich denke, die Marke Saint Laurent und die Marke Loewe lassen sich gut gegenüberstellen. Bei Saint Laurent ja, herrscht einer allein. Wir arbeiten gerne im Team. Nicht nur weil wir zwei sind, sondern weil wir an die Symphonie glauben. Loewe, eine Marke, ähnlich wie Saint Laurent, die einen neuen, frischen Auftrieb dringend nötig hat, glaubt auch an die Kraft des Orchesters. Während bei Saint Laurent Hedi Slimane alles selbst macht, also nicht nur die Mode entwirft, sondern auch die Kampagne fotografiert etc., hat sich der neue Loewe-Designer, Jonathan Anderson, einen Spezialisten-Stab zusammengestellt, aus Stylist, Fotograf und anderen. Das ist einfach viel spannender.

Sie haben sich Ende der achtziger Jahre auf der Kunsthochschule kennengelernt und dann auch gleich ihr Büro gegründet. An welchem Punkt stand die Mode, sagen wir 1988?

Mode war in Mode. Es war eine eigene, kleine Welt, die gerade begann, sich zu entfalten. Mode half Menschen zu navigieren, zwischen den verschiedenen kulturellen Aktivitäten. Musik war das wichtigste, das populärste Medium. Die Garderobe der Popstars, wie sie sich auf der Bühne, auf Konzerten in Szene setzten. Wie sie durch ihre Garderobe verschiedene Charaktere auferstehen ließen. Mode begann, eine eigene Sprache zu entwickeln. Sie wurde zum kulturellen Medium und wurde dadurch Sinnvoll. Diesen Sinn konnte man jetzt übersetzen. Oh, das ist glänzend, oh das ist glamourös. Wir waren dabei, als die Mode-Sprache erfunden wurde. Also machten wir es uns zur Aufgabe, diese für ein breites Publikum zu übersetzen.

Welche Vokabeln gehörten zu dieser neuen Sprache?

Allen voran stand der Modeschöpfer. Im Französischen sagen wir créateur. Eine neue Generation eroberte die Mode. Die Japaner fielen in Paris ein, Yohji Yamamoto, Rei Kawakubo. Und die neue Generation der Franzosen, Mugler, Montana, Gaultier, Azzedine. Das waren alles starke Modeschöpfer und auch starke Persönlichkeiten.

Wörter wie Luxus oder Modehaus wurden nicht verwendet. Sattdessen ging es um Vision, Intuition, Stil. Ich erinnere mich, als Student habe ich einmal die französische Vogue in der Hand gehalten. Das Magazin war damals so was von uninteressant und altbacken.

Sie haben schnell durch Ihre Arbeit neue Modebegriffe geprägt; wie das eingedeutsche Wort „Lifestyle“.

Das kam durch die Zusammenarbeit mit Jil Sander, in den neunziger Jahren. Jil schaute immer schon in alle Richtungen nach Inspiration. Sie hätte sich niemals an einem vorhandenen Bild orientiert. Sie wollte neue Bilder schaffen. Das wollten wir auch. Wir gingen auf ihre Modenschau und übersetzten dann anschließend die Schau so extrem gegensätzlich wie möglich. Wir wollten nie ein Bildnis der Schau oder der Kollektion abgeben, sondern etwas gegenüberstellen, was zwar etwas mit der Kollektion zu tun hat, aber im Idealfall aus einem ganz anderen Kontext stammt.

Können Sie uns bitte ein konkretes Beispiel nennen? (Mathias beginnt die M/M (Paris)-Kampagne für Jil Sander zu skizzieren, aus der sich bald der Mode-Begriff Lifestyle ergab.)

Wir stellten einem Mädchen im Jil Sander-Look einen Panton-Stuhl gegenüber.

So wie Sie heute der Loewe-Tasche für Männer ein Autoportrait von Steven Meisel gegenüberstellen, der einen anderen Mann auf den Mund küsst?

Ja. Wobei damals einen Panton-Stuhl zu verwenden revolutionärer war, als es heute zwei küssende Männer sind. 1994 war Panton kein Luxusartikel, sondern einfach nur ein gut designter Stuhl, für jeden zugänglich und erschwinglich. Ein wunderschönes Objekt, das eine klare Aussage trifft. Es ging uns darum zu zeigen, dass diese beiden Marken Werte teilen.

Eine Botschaft, die eine unglaubliche Karriere gemacht hat und Modemagazine dazu bewegte, zu jedem Kleidungsstück einen Film, einen Song, ein Möbelstück, ja, ein ganzes Lebensgefühl zu verkaufen.

Uns hat es selbst überrascht zu sehen, wie plötzlich in jedem Design-Büro diese Kampagne als Referenz an der Wand hing. Als wir noch Studenten waren, hing immer und überall David Bowie als Inspiration an der Wand. Jetzt war es unsere Jil Sander-Kampagne.

Inwiefern hat das digitale Zeitalter Ihre Arbeit beeinflußt?

Wir sprechen beide Sprachen. Wir sind analog geboren worden und digital aufgewachsen. Ich denke, das macht uns zur spannendsten Generation. Es fällt uns leicht, zwischen diesen beiden Disziplinen hin und her zu springen. Aber bitte fragen Sie uns jetzt nicht, was wir von Hand machen und was mit dem Computer. Darum geht es nämlich nicht.

Worum geht es heute?

In der Mode?

Ja.

Jedenfalls nicht mehr um Mode. Das ist erst mal vorbei.

Ach ja, worum geht es denn dann?

Um Luxuskonzerne und die DNA einer Marke, was auch immer das heißen soll. Das Rätselhafte der Mode ist verschwunden. Früher konnten nur wenige eine Modenschau besuchen. Es war leichter, einen Event zu übersetzen. Heute schießen schon in der Sekunde, in der Kate Moss über den Laufsteg läuft, tausende Bilder von ihr um die Welt.

Welche neue Aufgabenstellung ergibt sich daraus für Sie?

Wie kann man heute ein Bild schaffen, das es nicht schon millionenfach gibt? Ein Bild, das nicht bereits nach einem Tag wie ein Bild von gestern erscheint?

Klingt nach dem Schlüssel, den jede Marke zu finden sucht. Haben Sie ihn?

Das hoffen wir. Wir arbeiten mit vielen Bildebenen, die eine Geschichte erzählen. Unser letzter Yamamoto-Katalog beispielsweise funktioniert wie ein Filmszenario, bei der die Hauptdarstellerin heiraten möchte und verschiedene Kleidungsstücke ausprobiert. Ein Kurzfilm, bei dem aber jede Szene, jede Kameraeinstellung auch alleine funktioniert. Aufgrund dieses Kataloges ist Björk auf Inez und Vinoodh aufmerksam geworden, die Fotografen, mit denen wir für den Katalog zusammen gearbeitet haben. Und so haben wir dann alle zusammen das neue Björk-Album gestaltet.

Was sind die Vorteile, als Duo zu arbeiten?

Den Widerspruch zuzulassen. Die Schönheit eines Bildes entsteht meistens dann, wenn ein Bild die Möglichkeit bekommt, das Gegenteil zu sagen.

Sind Sie oft unterschiedlicher Meinung?

Ja. Wenn Mathias sagt, „Wir müssen das so machen!“, und ich sage „Ich hasse das, ich will das so nicht machen!“, entsteht die erste konstruktive Reibung. Ich muss dann einen Weg finden, es zu akzeptieren. Oder Mathias muss einen Weg finden, mich zu überzeugen.

Michael, was ist Mathias‘ größtes Talent?

Seine Überzeugungskraft.

Mathias, was bewundern Sie an Michael?

Seine Besessenheit. Er kann so unglaublich detailgenau arbeiten. Und er löst immer die komplexesten Probleme. Michael ist wie ein Uhrmacher. Er findet sich in jedem Gehäuse zurecht.