Nicht immer trägt der Teufel Prada

Feuilleton
zuerst erschienen am 18. Oktober 2006 in Frankfurter Allgemeine Zeitung, S. 42
Manchmal kann es auch ein Schottenrock sein: Die Mode ist schneller als das Kino

Der Film „Der Teufel trägt Prada“, der seit einer Woche Besucherströme in die deutschen Kinos zieht, beginnt mit einer vielbelachten Szene. Miranda, die Chefin des allmächtigen Modemagazins „Runway“, betritt den Fahrstuhl, den eine Angestellte sogleich unter gemurmelten Entschuldigungen wieder verläßt. Die elegante Lösung eines peinlichen Problems, denn warum sollte die Frau an der Spitze eines mit militärischer Präzision funktionierenden Unternehmens plötzlich mit einer Rekrutin Small talk führen? Zwänge man sie dazu, so könnte das unabsehbare Folgen für die Karriere haben: Ein Risiko, das der Rekrut lieber nicht eingeht.

Sobald der Chauffeur das Erscheinen der Chefin ankündigt, setzen in ihrem Büro hektische Aufräumarbeiten ein, bis sämtliche Existenzspuren beseitigt sind und alle Flure und Zimmer die kühle Ästhetik einer modernen Interior-Design-Oase atmen. Wer das absurd findet, hat zweihundert Jahre Geschichte verpaßt. In Zeiten der Hochtechnologisierung haben nur Produkte eine Chance, die sich erbarmungslos spezialisieren. Der Chefarzt einer erfolgreichen Klinik wird auf eine im Patientenzimmer rauchende Schwester so hysterisch reagieren wie Miranda auf die Mokassins ihrer neuen Assistentin Andy. Wo sonst, wenn nicht in der „Runway“-Chefetage sollte man an das Produkt glauben? Mirandas Modechef Nigel hält der Neuen eine kleine Rede, in der er Designer wie Halston, Karl Lagerfeld und Oscar de la Renta zu Künstlern erklärt und „Runway“ einen „Leuchtturm der Hoffnung“ für all die jungen Menschen nennt, die in der Provinz nach einer Entsprechung für ihr angeborenes Stilbewußtsein suchen. Es gibt ein Bedürfnis für das, was Miranda Monat für Monat in Druckformat bringt. Weniger einfach zu bestimmen ist, was dieses begehrte Etwas ist.
Wer glaubt, daß es sich um weibliche Schönheit handelt, wird schnell eines Besseren belehrt. Andy kommt zunächst in ihrer gewohnten Collegekleidung zur Arbeit und sieht in Faltenrock, weißer Bluse und Kaschmirpullover ganz entzückend aus. Ihre „Runway“-Kollegen hingegen behandeln sie wie eine Aussätzige. Sie empfinden ihre Sorglosigkeit als Provokation. Am Modegipfel geht es nicht um Schönheit, wenn wir darunter das dem unbewaffneten Auge Gefällige verstehen wollen. Die Blicke der Modeauguren sind bis an die Wimpern aufgerüstet und nicht auf das Schöne, sondern auf das Neue programmiert. Das Neue ist meist schlicht die Antithese zur letzten Saison, Volumen statt Stromlinienform, Spitze statt Lasersaum, Retsinagrün statt Amethyst. Die Aufgabe der Modemagazine besteht darin, das Neue attraktiv zu machen, denn Millionen Leser kaufen sich in die Illusion ein, daß sie dieses Neue nur erwerben müssen, um unwiderstehlich zu werden. Miranda hat jedes Interesse daran, sich diese Perspektive zu eigen zu machen. In der dünnen Luft, in der sie um ihre Existenz konkurriert, sind Verkaufszahlen alles und die laue Brise eines Frühlingsmorgens nichts.
Es gehört zu den Paradoxien der Mode, daß ihre Protagonisten die Aura der Einzigartigkeit anstreben. Schon deshalb verbietet sich das allzu Harmonische, Berechenbare, die Symmetrie und klassische Proportion. Emily, Mirandas Erste Assistentin, tritt Andy in einem Kleid mit absurd spitzen Schultern entgegen, wie wir sie von Mister Spook in seiner Weltraumfähre gewohnt sind. Nach ihrer Initiation in den „Runway“-Kosmos steigt Andy auf Lederboots um, die bis zum Schritt hinaufgehen, legt die obere Hälfte eines weißen Hemds durch einen schulterfreien Pullover frei oder schlüpft in einen kurzen, steifen A-Linien-Rock, der sie wie eine deplazierte Ballerina aussehen läßt. Solche Irritationen entgehen der Lächerlichkeit, weil sie an die Machtfarbe Schwarz gebunden sind und die Trägerin so vor der Gefahr bewahren, sich zur Schreckensfigur des Modeopfers zu degradieren. Die innersten Kreise der Modeindustrie gleichen der Platonischen Höhle. Was am hellen Tag bunt und schrill daherkommen mag, ist hier auf die Zweidimensionalität eines Schattens an der Wand reduziert, nichts als das Zitat einer Linie, die sich im Widerspiel von Licht und Dunkelheit manifestiert. Karl Lagerfeld hat dies wie kein anderer begriffen und beschränkt seine Kollektionen auf eine unendliche Folge von Etüden in Schwarz und Weiß.
Andy in ihrem Schottenrock ist Miranda ein Dorn im Auge. Durch ihre bloße Erscheinung demonstriert sie ein feindliches Prinzip. Und dieses Prinzip ist nicht nur die traumwandlerische Sicherheit der vorkomplexen Naiven. In Andy begegnet Miranda das künftige Ende ihrer Macht. Es kommt in „Der Teufel trägt Prada“ zu einem interessanten Showdown, als Andy zwei blaue Gürtel, zwischen denen sich das „Runway“-Team nicht entscheiden kann, für völlig gleich erklärt. In einem fulminanten Apart weist Miranda ihre Untergebene darauf hin, daß deren himmelblauer Pullover sich einem elaborierten Kopiervorgang verdanke, der auf dem Laufsteg von Yves Saint Laurent mit einer himmelblauen Militärjacke seinen Anfang nahm und im Schlußverkaufskorb eines Billigladens endete, aus dem Andy ihn im Glauben an ihre modische Unabhängigkeit ein paar Jahre später hervorzog. An diesem Punkt hat die „New York Times“ Einspruch erhoben. Unter der Überschrift „The Devil knows Nada“, Der Teufel weiß von nichts, wies sie darauf hin, daß die Designgötter längst ihren Vorsprung verloren haben, weil Discountketten ihre Ideen in Wochen kopieren und noch vor der Auslieferung der großen Modehäuser in ihren Regalen feilbieten. Jedes trendbewußte Kind informiert sich heute auf style.com über die Schauen von Paris und Mailand und würdigt die aufwendigen Hochglanzmagazine keines Blicks.
Tatsächlich ereignen sich zur Zeit in der Mode vulkanische Plattenverschiebungen, die als Tsunamiwelle der Anarchie auf die Küsten der Stilhalbinsel Manhattan zurollen. Kurz, die Stylisten haben den Designern die Macht aus der Hand genommen. Seit der Klatschjournalismus allen anderen Informationsbedürfnissen den Rang abgelaufen hat, steigen Hollywood-Ikonen nicht mehr brav in die Slipdresses eines Tom Ford, um möglichst wenig zwischen die Kamera und ihre olympischen Maße kommen zu lassen. Auch ein Aphroditenkörper wird nach dem hundertsten Paparazzifoto langweilig, und so nimmt sich jeder, der es sich leisten kann, inzwischen einen „personal stylist“. Denn der wahre Star der international erfolgreichen Fernsehserie „Sex and the City“ war nicht Sarah Jessica Parker, sondern Patricia Field, die Frau, die Carrie Bradshaws stupende Metamorphosen von ihrem endlosen Walk-in-closet aus orchestrierte. Mit einem Schlag wurde der Halbjahresrhythmus der Trends in einen Wochen- oder gar Minutenrhythmus umgestellt, denn Carrie zog sich in einer halben Fernsehstunde zigmal um. Für diesen haltlosen Rhythmus der optischen Pointen und Aphorismen war die Modeindustrie nicht gerüstet. Sie kam monatelang mit einem Witz aus, während auf den Parties der Lower East Side Stilsensationen wie exotische Cocktails an einer routinierten Bar serviert wurden.
So erklärt sich das, was als „Vintagetrend“ in die neuere Geschichte einging. Designer wie der enorm erfolgreiche Marc Jacobs plündern die Modearchive hemmungslos und bringen ein Potpourri weit hergeholter Möglichkeiten unter ihrem Namen auf den Laufsteg. Im Herzen der Modehäuser tickt seither das nervöse Herz der Stylisten, die das Kunststück fertigbringen, jeden Anschein von Monotonie zu vermeiden, ohne deshalb schon verwechselbar zu sein. Ein Kraftakt sondersgleichen: Jeder Look wird zum in sich stimmigen Kunstwerk und muß zudem mit all den anderen „Looks“ konkurrieren, die sich Hollywood-Stylisten tagtäglich ausdenken. In der Mode herrscht Anarchie oder, in der Formulierung des Skandalautors Bret Easton Ellis: „In is out, out is in.“ Ein modischer Scoop lebt von der Wiedereinspeisung des Vergessenen ins Modesystem, also von der gut formulierten Behauptung der Schönheit dessen, was eben noch als abwegig und häßlich galt. Nichts anderes tun die verbalen Meister seit La Rochefoucauld, Madame Sevigné und Oscar Wilde: Sie verwirren unsere Moral. Jeder, der diesen Paradigmenwechsel überlebt, verfügt über die Kaltblütigkeit eines Dandy, der die Gesetze des guten Tons mit seinem Spazierstock vom Tisch wischt wie ein biederes Teeservice.
Nicht anders ergeht es Andy, nachdem der „Runway“-Modechef sie eingekleidet hat. Sie erfährt, welche Türen Nigels magisches Händchen ihr öffnet. Plötzlich gehört sie zu einer Welt, deren kritische Augen die Auflösungsqualität eines Weltraummikroskops besitzen und an tausend bloß schönen Frauen gelangweilt vorbeisehen. Dank ihres Stilpräzeptors geht von Andy plötzlich ein Versprechen aus. Das Kinopublikum muß mühsam daran erinnert werden, daß nicht Mirandas gefährlich funkelnder Tyrannenthron, sondern Andys alter Freundeskreis das wahre Leben repräsentiert. Andys Lover Nat sieht nach ihrer Metamorphose wie das Modell vom vorletzten Jahr aus.
Der Film erzieht die Zuschaueraugen und konfrontiert sie nach dem schalen Happy-End mit einer unverhofften Enttäuschung. „Jeder möchte wir sein“, gibt Miranda ihrer Assistentin mit auf den Weg, als diese sich aus moralischem Abscheu von ihr abwendet. Unwillig trotten wir ihr zu einem Versöhnungsrendezvous mit Nat hinterher. Jede Differenzierungserfahrung entfernt uns vom demokratischen Ideal der Gleichheit. Sie läßt als selbstverständlich erscheinen, was in der Mode die Frucht harter Arbeit ist oder den Glücklichen in seltenen Stunden zufällt. Diese Sternstunden sind das kalkulierte Produkt der Stylisten. Sie geben ihren Nutznießern das Ende eines Fadens in die Hand, der sie aus dem Labyrinth der Platonischen Höhle hinausführt. Jeder Schatten ergibt plötzlich Sinn, und die Menge schart sich instinktiv um die aufgehende Sonne. Wer als „Glamourzone“ unter die Menschen tritt, blendet sie mit dem Schwert einer Johanna im Glück.