Pech und Schwefel

Reportage
zuerst erschienen 2014 in Fluter Nr. 51, S. 15-18
Fassung des Autors
Kreuzfahrtschiffe - Die Abnehmer von Sondermüll

Schweröl, eher harzig als flüssig, hat eine helle Farbe. Sieht aus wie verkrusteter Honig. Enthält viel Schwefel. Kann nur Motoren antreiben, wenn man es vorher erhitzt und andere Produkte reinmischt. Die enthalten Schwermetalle und machen die goldige Flüssigkeit schwarz und giftig.

In der Kulturgeschichte des Schiffsmotors gibt es diesen einen aus heutiger Sicht tragischen Wendepunkt Mitte der 1950er. Es war klar, Dampfschiffe verschwinden. Also kauften Reeder Schiffsmotoren, die mit Diesel angetrieben wurden. Heute, mit den neuen Filtersystemen, wären Dieselmotoren perfekt. Aber damals kam, gerade als sie sich durchsetzten, noch mehr technischer Fortschritt dazwischen. Es gab plötzlich Motoren, die konnten das bisher unmögliche, sie konnten Schweröl verbrennen.

In Raffinieren ist Schweröl so was wie Abfall bei der Herstellung von Heizöl, Diesel, Kerosin, Benzin und Vorprodukten für die chemische Industrie. Irgendwie muss man es loswerden als Raffineriebetreiber. Deshalb war es superbillig. Stahlwerke und Stromkraftwerke kauften es anfangs, aber bald weniger. Es war nun mal so dreckig. Zum Glück der Mineralölindustrie rüsteten die Schiffsbesitzer damals um. Die wollten den billigst möglichen Treibstoff, denn der macht 70 Prozent der laufenden Kosten eines Schiffes aus. So wurde Schweröl verbrannt, etwas, das so Dietmar Öliger vom Naturschutzbund Deutschland eigentlich „Sondermüll ist, der dummer Weise noch mal einen Abnehmer gefunden hat“. Die Folge: Abgase aus Schiffsmotoren enthalten seit den 60ern zwischen 3,5 und 4,5 Prozent Schwefel, so eine Studie des Mineralölkonzerns Chevron. Klassischer LKW-Diesel hat 0,1 Prozent Schwefelanteil.

Frachter, die beispielsweise von Shanghai nach Hamburg fahren, geben also Schwefeloxid und -dioxid ab in die Luft über dem indischen Ozean, dem Mittelmeer und Atlantik. Im Hafen sind sie nur kurz meist ohne dass der Motor richtig läuft. Das Problem fiel jahrzehntelang nicht auf. Bis der Kreuzfahrtschiff-Boom kam.

Laut Matthias Plötzke vom Verband Deutscher Reeder „gibt es etwa 60000 Frachtschiffe und ein paar hundert Kreuzfahrtschiffe“, so 600 schätzungsweise. Also hundert Mal weniger Kreuzfahrt- als Frachtschiffe. Doch seit kurzem nutzen Umweltschützer die Kreuzfahrtschiffe für einen taktischen Trick. Sie haben sich mit Kampagnen zuerst mal nur auf die gestürzt. Axel Friedrich erklärt warum. Früher war er im Bundesumweltamt für die Einführung des Katalysators in Automotoren zuständig. Er gilt als Autorität in Sachen Schadstoff-Ausstoß-verhindern. Nun ist er nicht mehr Beamter sondern Berater von Greenpeace, BUND, NABU, Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, Weltbank, um ein paar zu nennen. Er spricht nicht mehr so vorsichtig wie früher. Sagt, die Kreuzfahrtbranche sei ein leichteres Opfer als die Transportbranche und nennt drei Gründe.

„Transport-Reedereien ist ihr Image egal. Die Kreuzfahrtbranche aber braucht gutes Image. Sie muss an ein großes Publikum verkaufen. Also ist sie leichter angreifbar.“ Zweitens: „Kreuzfahrtschiffe sind sichtbarer. In Häfen liegen sie für alle wahrnehmbar. Anders als Containerschiffe.“ Drittens so Friedrich: „Der Schifffahrtsbranche geht es gerade nicht gut. Die Kreuzfahrtbranche jedoch boomt, hat seit Jahren ein Wachstum von 10 Prozent. Man muss Forderungen an die stellen, die Geld haben.“ Die Frachtbranche werde schon nachziehen. Spätestens wenn sie wieder boomt. Die Kreuzfahrt-Reeder hätten jetzt das Geld.

Bei der Handelskammer Hamburg haben sie den Computer ackern lassen. Als wäre er ein Schiffsmotor, der aus dickflüssigem Schweröl Strom macht. Mit folgender Formel ließen sie den Rechner arbeiten: WS + 0,577 x 0,47 = WS x (1 + 0,577 x 0,47) = 1,271 x WS. WS gleich Wertschöpfungsmultiplikator. Am Ende sagte die Statistik, Kreuzfahrt-Tourismus brachte 2012 270,6 Millionen Euro in die Stadt. Zwischen 2011 und 2013 stieg die Zahl der Anläufe in den Hafen um 50 Prozent und, weil die neuen Schiffe immer größer werden, die Passagierzahl um 60 Prozent. Bis zu 6000 Geld ausgebende Touristen kann so ein Schiff über die Binnenwirtschaft einer Hafenstadt ausgießen. Zwei Kreuzfahrtterminals gibt es im Hamburger Hafen bereits. Ein drittes wird 2015 fertig sein.

178 Kreuzfahrtschiffe liefen 2013 den Hafen an, 2014 werden es 191 sein, vielleicht sogar ein paar mehr. 500000 Passagiere brachten 2013 die Schiffe nach Hamburg, die Prognose für das nächste Jahr liegt bei 600000. Die Branche wachse „überproportional“. Die Zahlen für Europa liefert die CLIA, das steht für Cruise Line International Association, ein Branchen-Weltverband: 37,9 Milliarden Euro hätte die Branche in Europa umgesetzt. Die CLIA ahnt die ganz großen Zahlen für die Zukunft. Denn Amis kreuzen viel mehr, Europäer vor allem Deutschen könnten sich noch stark steigern.

Es seien besonders wertvolle Touristen, sagt Nadine Palatz vom Hamburg Cruise Center einem Zusammenschluss von Firmen die ihr Geld mit Kreuzfahrern machen. Aber das muss man im Hinterkopf behalten wenn man ihr zuhört: Sie arbeitet für eine quasi Tourismusbehörde. Ist parteiisch. Dass die Reisenden, die in Hamburg an Land gehen, so wertvoll seien, liege daran, dass die meisten der Kreuzfahrt-Schiffe, die in Hamburg einlaufen, keine Transitanläufe machen, sondern die Starts oder Enden der Reise haben. Die Branche zähle diese Reisenden doppelt, weil sie mehr Geld in der Stadt lassen. Das sind für Nadine Palatz vom Hamburg Cruise Center die guten Touristen, die ein paar Tage in der Stadt verbringen, vielleicht einkaufen, vielleicht Taxi fahren.

In Venedig, der bella cita a la Laguna, gibt es keine Autos. Dennoch die schlechteste Luft aller italienischen Großstädte. Sagt die Bürgerinitiative Comitato no grande navi. Liege an den Kreuzfahrtschiffen. Bis zu acht Stück laufen täglich ein. Venedig bekommt eher Transfer-Touristen, solche, die morgens anlegen, den Tag an Land verbringen und abends wieder ablegen.

Wenn ein Hafen Pech hat, und viele haben Pech, schlendern Touristen mal durch und fertig. An Bord essen sie zu tausenden ihre Vielgang-Menüs in hell erleuchteten Hallen, gehen in Spa-Bereiche, Kinos, beheizte Schwimmbäder, lassen die Klimaanlagen schuften. Denn sie haben ja pauschal vorab bezahlt. Das bedeutet, Kreuzfahrtschiffe sind Superstromfresser, müssen im Hafen die Motoren laufen lassen. So ein Kreuzfahrtschiff hat einen Stromverbrauch wie eine Kleinstadt.

Die CLIA schickt, um im Kampf um die Imagehoheit gegen die Naturschützer zu bestehen Pressemitteilungen die sagen: Auf Kreuzfahrtschiffen werde viel für den Umweltschutz getan. 70 Prozent sei der Treibstoffverbrauch in den letzten 20 Jahren gesunken, weil die Motoren besser wurden. Nur: im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der Kreuzfahrtschiffe um ein paar hundert Prozent. Umweltschutzjubel verschickt auch der European Cruise Council, ein anderer Zusammenschluss von Kreuzfahrt-Schiff-Besitzern. Keiner der beiden Verbände nennt den Grund für die Fortschritte: in der Nordsee, der Ostsee und vor den Küsten der USA darf kein Schweröl mehr verbrannt werden.

Die Vorschriften für alle Schiffe, die auf den Meeren fahren, kommen von der IMO, der International Maritime Organisation, ein Gremium in London. Regionen können Sonderregelungen verlangen und manche machen das: Die Nord- und die Ostsee, die gesamte amerikanische Küste, bald auch die kanadische, dürfen nur noch mit Treibstoff, der weniger als 1 Prozent Schwefelanteil enthält angefahren werden. Im Mittelmeer gilt keine Grenze.

Frachtschiffe fahren deshalb möglichst lange auf offenem Meer und schießen wie ein Pfeil auf dem kürzesten Weg in den Hafen. Für die Fahrt dahin und zurück in die Gegend, in der sie Schweröl verbrennen dürfen nutzen sie Marine Diesel, der nur 1 Prozent Schwefel enthält. Ab 2025 soll sogar eine 0,1 Prozent Schwefel-Obergrenze gelten. Das entspräche dem Diesel deutscher Tankstellen. Kreuzfahrtschiffe können also auch anders. Aber ihre Besitzer zeigen das nur, wo Schweröl verboten ist.

Gerade sei „alles in der Schwebe “, sagt Michael Rebbelmund, der bei der Firma Bomin Linde in Hamburg als Director Lubricants and Marketing das Feld beackert. Die Firma will Liquid Natural Gas verkaufen. Gewonnen wird LNG in teuren Anlagen. Gibt es noch nicht überall. Gas, riesige Tanks, neue Technik sind dafür nötig. Könnte, so sauber es ist, Probleme haben, weil die Schiffe teuer umgerüstet werden müssen. Sei sowieso das größte Problem: Wenn Treibstoff-Auflagen in Europa gelten, nicht aber in Asien, könne man alte Schiffe nicht mehr wie bisher dahin verkaufen. Dort kann man nur Schweröl tanken.

Scrubber könnten das Problem lösen. So werden die neuen Entschwefelungsanlagen genannt. Sie sorgen für gute Luft, lassen aber Reststoffe übrig. Die müssten entsorgt werden oder könnten als Kalk ins Meer abgelassen werden. Umweltschützer mögen sie nicht, Schiffsbesitzern sind sie zu teuer. 8 bis 10 Millionen Euro koste so ein Ding, sagt Rebbelmund. Da ist noch eine Möglichkeit: Wenn Kreuzfahrtschiffe im Hafen sind könnten sie von Land Strom kriegen. Quasi aus der Steckdose. Wobei das in vielen Häfen nicht gehen wird.

Axel Friedrich hält das alles für „Augenwischerei“ und sinnlos: „Die neuen Schiffsmotoren sind hocheffizient, effizienter als Kraftwerke. Landanschlüsse wären also schlechter für die Umwelt.“ LNG? „Teurer als Diesel.“ Am besten wären Diesel-Motoren mit Katalysator. Bei einem Neubau koste ein Kat 1,5 Millionen Euro, bei einem Umbau 3,5 Millionen Euro. „Es werden ständig neue Kreuzfahrtschiffe gebaut. Die geben für die Luxus-Innenausstattung viel Geld aus, da ist das doch ein Klacks.“ Die Branche verdiene so viel, die könne sich das Umrüsten leisten. Auch weil Schweröl inzwischen teuer ist. Weil es so viele Schiffe gibt, kostet eine Tonne heute 600 US-Dollar. Vor zwölf Jahren waren es 100 US-Dollar.