Princess Superstar

von 
Interview
zuerst erschienen im Juli 2002 in Alert Nr. 7, S. 48-57

[49] Sie gilt als Shooting Star der New Yorker Underground-Szene und ist mindestens ebenso sehr Geschäftsfrau wie Künstlerin. Als Tochter einer sizilianisch-amerikanischen Mutter und eines russisch-jüdischen Vaters nahm Concetta Kirschner alias Princess Superstar, 29, früh ihre eigenen Geschicke in die Hand. Acht Jahre und vier Schallplattenveröffentlichungen nach ihrer Entscheidung, eine Karriere als Musikerin zu wagen, steht Princess Superstar heute ihrer eigenen Schallplattenfirma „The Corrupt Conglomerate“ vor. Ihr kürzlich erschienenes Album „Princess Superstar Is“ gehört zu den erfolgreichsten Independent-HipHop-Produktionen der letzten Jahre und enthielt mit „Bad Babysitter” einen veritablen Chart-Hit in England. Max Dax traf Princess Superstar in einem geschmacklos eingerichteten neuen Café in Berlin-Mitte. Es ist der Tag nach der Echo-Verleihung und bereits Nachmittag: Princess Superstar ist verkatert. Sie trägt einen weit dekolletierten Adidas-Trainingsanzug und raucht Light-Zigaretten. Ein kleiner Hofstaat von Bekannten oder Mitreisenden hängt am Nebentisch in den Seilen und verlässt den Ort des Interviews kurz nach dessen Beginn in Richtung Hotelbetten.

Princess Superstar, Sie sind nicht nur Rapperin, sondern auch Labelbesitzerin, Produzentin und Komponistin, Sie sind, mit anderen Worten: die Mutter Ihres eigenen Erfolges. Sind Sie so ehrgeizig, oder sahen Sie keine andere Möglichkeit als Geschäftsfrau zu werden, um die eigene künstlerische Freiheit zu verteidigen?

Letzteres. Diese Entscheidung, nicht nur Künstlerin, sondern zugleich auch meine eigene Vermarkterin zu sein, habe ich seinerzeit völlig überlegt und bewusst getroffen, auch wenn vielleicht Frustration ein wichtiger Antrieb war. Als ich damals angefangen hatte, Musik zu machen, hatte ich sehr wohl Angebote von großen, international arbeitenden Schallplattenfirmen, die mir gerne einen Plattenvertrag angeboten hätten. Das Problem war nur, dass sie Vorstellungen hatten, wie ich zu sein hätte, die nichts mehr mit mir zu tun gehabt hatten. Das war 1994. Ein Jahr später kam so eine kleine Plattenfirma aus Kanada auf mich zu und fand einfach toll, was ich so machte. Sie sagten mir: Mach, was du willst, wir haben zwar kein Geld, aber es wird schon passen. Meine Platte kam also raus, und die Firma in Kanada machte ein Jahr später pleite. Es war wirklich frustrierend. Zwischenzeitlich aber war mir klargeworden, dass diese kleine Plattenfirma in Kanada im Grunde genommen nichts gemacht hatte, was ich nicht auch hätte zustande bringen könnte. Ich belieh also alle meine Kreditkarten und gründete mein eigenes Label. Denn eins war für mich unumstößlich: Ich wollte Musik machen, das war klar.

[51] Wollten Sie auch ein Superstar werden?

Das ist eine kniffelige Angelegenheit mit dem Berühmtwerden. Ich habe mir ehrlich gesagt nicht sonderlich vorgenommen, berühmt zu werden. Ich liebe meine Musik, ich würde sogar so weit gehen, dass Musik mein Leben ist. Also geht es mir immer in erster Linie darum, meine musikalischen Ideen auszuprobieren und umzusetzen. Dass ich jeden, der sich mir in den Weg stellt, wegräume, ist in diesem Sinne eine Notwendigkeit. Dass mich diese Geradlinigkeit möglicherweise berühmt macht - auch gut.

„Wegräumen“ - das klingt wie Straßensperren plattwalzen.

Aber was heißt denn: Sich mir in den Weg stellen? Das sind doch Leute, die Trittbrettfahren wollen oder mich ändern wollen, damit ich in Schemata passe. Beides erlaube ich nicht. Beides empfinde ich als Angriffe gegen mich. Und was das Berühmtwerden anbetrifft: Ich möchte Musik schreiben, die die Welt verändert, so wie die Beatles oder David Bowie mit ihrer Musik die Welt verändert haben. Aber ich rede von künstlerischer Freiheit, nicht von Titelbildern. Um heutzutage wirklich groß zu werden, muss man ein Arsch sein. Ich weiß nicht, ob ich ein Arsch sein will.

Ist es ein Zufall, dass Sie David Bowie und die Beatles genannt haben, nicht aber Madonna?

Kein Zufall. Ich habe Respekt vor Madonna. Sie hat es geschafft, sich über einen langen Zeitraum ganz oben zu behaupten. Aber sie macht kommerzielle Popmusik. Wenn ich an Bowie oder John Lennon denke, dann denke ich an Musik, die mein Leben verändert hat, die die Welt verändert hat. Und trotzdem ist Madonna toll. Unberechenbar. Aber ist sie auch eine gute Musikerin?

Würden Sie so weit gehen und zustimmen, dass man heutzutage entweder ganz besonders viel Glück haben, oder aber selbst Unternehmer werden muss, um eine eigene künstlerische Vision ohne Kompromisse realisieren zu können?

Ja, das würde ich. Seit ich mein eigenes Label „The Corrupt Conglomerate“ besitze, bestimme ich, was mit mir und meiner Musik passiert. Ich bestimme, wann ein Album von mir erscheint. Überspitzt formuliert: Ich entscheide auch, dass es überhaupt erscheint. Wenn ich einen Plattenvertrag mit einem Major Label unterschrieben hätte, könnten die mir ein fertiges Werk, in das ich viel Energie, Zeit und Kreativität gesteckt habe, ohne Begründung ablehnen. Ich habe ja zum Beispiel im Moment einen enormen Erfolg in England. Es ist so gut für mich, dass ich immer gefragt werden muss, wie dieser Erfolg in England denn nun optimiert werden soll. Dadurch, dass ich weiß, wie das Geschäft läuft, kann ich die Fragen stellen, die für mich relevant sind - das sind genau die Momente, in denen andere Musiker für dumm verkauft werden. Niemand kann sich an mir unrechtmäßig bereichern.

Kenne Deine Rechte, und Du wirst erstaunt sein.

Genau. Es gibt da diesen alten, aber wahren Spruch, demzufolge man an seiner Vision festhalten muss, und die Zeit wird es einem lohnen. Wir müssen ja auch mal sehen, dass ich jetzt in England ganz oben in den Charts bin, der Song, mit dem ich das geschafft habe, aber von meinem bereits vierten Album stammt. Die Leute fragen dann: Bist Du frustriert, dass es so lange gedauert hat? Und ich kann nur sagen: Nein, bin ich nicht. Ich sage: So funktioniert Kunst nun einmal. Ich würde gerne einmal wissen, wie meine 18. Platte klingen wird … Denn ich sehe die Entwicklung, die ich seit meiner ersten selbstgemixten Kassette bis zu „Princess Superstar Is“ durchgemacht habe, wie einen roten Faden. Was mir aber noch zu schaffen machen wird, und was total abgefuckt ist an unserer Gesellschaft, ist dass sie völlig altersfeindlich ist. Mit anderen Worten: Wie alt werde ich sein, wenn meine 18. Platte erscheint? Unsere Gesellschaft ist so: Wer möchte eine alte Frau sehen, die Musik macht? Für Männer ist das nicht so schwer, obwohl auch sie mit diesem Phänomen konfrontiert sind.

Aber Sie spielen gleichzeitig mit dem, was Sie so richtig analysieren: Auf Plattencovern und Fotos inszenieren Sie sich etwa als sexy Girl, das sich, umgeben von Brokern, auf einem edlen Holztisch räkelt …

(lach, lach) … das Foto haben wir an der New Yorker Stock Exchange geschossen. Das sind echte Broker im Hintergrund.

Eigentlich auf jedem offiziellen Foto portraitieren Sie sich als erfolgreicher Star, sexy und begehrenswert, mit weitem Dekolleté, im Fond einer Limousine, mit Zigarre und Champagnerflasche … Sie tragen einen Erfolg zur Schau, den Sie in Wirklichkeit noch gar nicht haben.

Gut erkannt! Ich inszeniere mich mit Ironie. Das fängt mit meinem Namen an: „Princess Superstar“ - das ist die totale Übertreibung. Ich hatte mir ja bereits diesen Namen zugelegt, als ich noch in einem Diner kellnerte. Und das können Sie mir glauben, dass ich das damals total bewusst und vorsätzlich gemacht hatte. Ich habe ein Album „CEO“ genannt - also „Chief Executive Officer“ -, denn genau das bin ich ja in meiner Plattenfirma. Ein anderes Album von mir nannte ich „The Last Of The Great 20th Century Composers“ … Im Grunde ist das alles Übertreibung, aber mir macht das Spaß, und ganz abwegig ist das ja im Übrigen dann auch wieder nicht. Ich bin gestern in Berlin auf der Echo-Party gewesen. Da gab es einen Moment, den ich nie vergessen werde, der dieses ganze Spiel mit dem Celebrity-Status auf die Spitze getrieben hatte: Ich stolzierte über den roten Teppich, aufgedonnert, im geilen Kostüm, wie ich immer eins im Gepäck habe, wenn solcherlei Veranstaltungen anstehen - und der erste Fotograf macht schüchtern ein Blitzlichtbild von mir. Kaum hatte er es im Kasten, folgten die anderen, und ich stand im Blitzlichtgewitter. Als ob ich der berühmteste Star der Welt wäre. Und zum Schluss geht einer der Fotografen auf mich zu und fragt: „Entschuldigung, aber wer sind Sie eigentlich?“ (brüll, lach, brüll, händeklatsch). Keiner von denen hat gewusst, wer ich war. Aber diese Gesellschaft wird geeint durch die traumatische Angstvorstellung, dass man einen Star nicht erkennen könnte. Und damit zu spielen bereitet mir die größte Freude. Meine Mutter hat mir immer gesagt: „Sei glücklich mit dem was du hast, Kind. Es gibt kein ‚Es‘ - also auch kein: Du wirst glücklich sein, wenn du ‚Es‘ geschafft hast.“ Wie man sieht, muss man noch nicht einmal berühmt sein, um sich berühmt fühlen zu dürfen.

[54] Das ist schwer buddhistisch, was Sie da erzählen.

Ja, total. Aber wenn man es nicht ist, was dann? Die Musikindustrie ist der größte Scheißhaufen, den man sich vorstellen kann. Genauer gesagt: Die ganze Entertainmentbranche ist ein einziger Scheißhaufen. Man muss sehr aufpassen, dass man da nicht unter die Räder kommt. Man muss ein Gespür für sich selbst entwickeln.

Wie schwer ist es für Sie, mit den Klischees klarzukommen, die man Ihnen andichtet? Leute sagen, Sie wären eine Zicke, was ein negatives Klischee ist. Andere schreiben Sie hoch in den Stand einer Sexbombe.

Es ist wirklich verrückt. Als ich damals anfing, konnte ich mich nicht retten vor Vergleichen mit den Beastie Boys. Heute werde ich in einem fort mit Eminem verglichen.

Witzig: alles Männer.

Und alle weiß. Und alles Rapper. Und ich sage Ihnen eins: Wer sich meine Platten gründlich anhört, würde nie auf die Idee kommen, mich mit Eminem oder den Beastie Boys zu vergleichen. Was schließen wir daraus?

Niemand hört Ihre Platten?

Niemand will anerkennen, dass es innovative Frauen gibt. Ich habe manchmal den Eindruck, dass die Leute einen Song auf MTV sehen und dann daraus Rückschlüsse auf eine ganze Karriere und einen ganzen Menschen ziehen. Kürzlich war mein Song „Bad Babysitter” ganz hoch in den englischen Charts plaziert. Klar, das ist ein hübscher Song, und ich hab ihn auch ganz lieb. Aber es ist auf der anderen Seite auch der flachste Song, den ich je geschrieben habe. Der trägt Züge von einer Parodie auf einen Song, weswegen er auch seinen berechtigten Platz auf dem Album hat. Das muss man ja nicht nur auf mich beziehen: Der Song, der Pink Floyd so richtig berühmt gemacht hat, war „Money“ - der erwiesenermaßen dämlichste Song auf „The Dark Side Of The Moon“. Was ich damit sagen will, ist einfach: Man darf sich nicht verwirren lassen durch solche Zufälle.

Man muss ziemlich zäh sein, wenn man sich gegenüber Ignoranz behaupten will. Wünschen Sie sich manchmal, dass das Leben leichter wäre?

Nein. Ich möchte nicht, dass irgendetwas anders wäre, als es ist. Ich sage immer: Die Dinge sind so, wie sie sind. Man muss sich durchschlängeln und eine eigene Position zur Welt finden, dann wirkt sie auch nicht mehr so feindlich. Ich empfinde es als fast schon perfektes Timing, dass ich jetzt erst, nach vier Alben, meinen ersten großen Erfolg feiere - und nicht schon früher. Hätte ich damals schon damit umgehen können? War meine Musik schon so gut wie heute? Ich glaube nicht. Heute bin ich die Chefin meiner eigenen Schallplattenfirma. Ich produziere meine eigenen Schallplatten, ich bin für mein eigenes Image verantwortlich, ich spiele mehrere Instrumente. Ich bin nicht bloß eine Rapperin oder eine Sängerin.

Erfolg kann einen Menschen verderben, wenn er zu früh kommt, oder wenn der Erfolg das Einzige gewesen ist, was den Menschen angetrieben hat.

Gut beobachtet! Der Schlüssel ist doch, nicht bloß geil auf Erfolg zu sein, sondern für sich selbst Erfolg einmal zu definieren. Das erste Mal, dass ich mich richtig erfolgreich gefühlt hatte, war, als ich meine Plattenfirma gegründet habe und wusste, dass mir jetzt niemand mehr etwas befehlen konnte. Ich bin ein glücklicher Mensch, weil mich meine Arbeit erfüllt, und ich habe nach wie vor Pläne und Ziele. Das ist tatsächlich sehr buddhistisch. Ich mache mir keine Sorgen, ob ich jetzt noch mehr Erfolg haben werde, oder es dabei bleibt. Ich meine: Sie reden mit mir. In Berlin. Tausende Kilometer von Zuhause interessiert sich jemand für mich. Ich finde das unglaublich.

Aber jetzt, wo Sie selbst Geschäftsfrau sind, können Sie da nicht rückblickend ein bisschen nachvollziehen, warum es Versuche gegeben hat, Sie zu verbiegen?

Ich kann schon gut verstehen, warum man versuchte, mir ein Klischee überzustülpen. Aber um als Künstler zu leben und als Künstler Entscheidungen zu treffen, darf man nicht als normaler Bürger denken, weil man sonst eingehen und verkümmern würde.

Was ist in Ihren Augen ein normaler Bürger?!

Einer, der von neun bis fünf arbeitet, dafür seinen Lohn bekommt und sich auf den Feierabend freut. Ich arbeite härter, und ich nutze die Energiereserven, die ich in mir habe, die jeder in sich hat, aber nicht jeder abruft. Wenn du wirklich etwas erreichen willst, kannst du immer dieses Energiereservoir anzapfen. Es ist übermenschliche Energie. Und die braucht man auch. Und acht Jahre meines Lebens hat mich das bisher gekostet. Und Opfer habe ich bringen müssen. Mein Privatleben leidet darunter, mein Liebesleben leidet. Damit muss ich mich zurechtfinden. Aber ich weiß, warum ich es tue. Nichts spricht dagegen, in diesem Lebensstil Freude und Erfüllung zu finden, aber die Arbeit muss man nun einmal erbringen. Es gibt so viele Leute, die mir sagen, dass ich aber ganz schön viel Glück gehabt hätte. Glück hat aber damit nichts zu tun.

Wie würden Sie denn Glück definieren?

Glück ist der Zustand, zu 98% vorbereitet zu sein, wenn deine 2% Schicksal zuschlagen. Darauf vorbereitet zu sein ist die übermenschliche Kraft, von der ich sprach, und die Opfer erzwingt und viel Auseinandersetzung erfordert. Wenn also das Glück um die Ecke schaut, dann merken die meisten Menschen das gar nicht. Klar habe ich Glück gehabt, aber das hat jeder, so wie jeder auch mal Unglück erleidet. Aber Glück hat nichts mit Zufall zu tun. Dass ich jetzt vielleicht ein Star werde, hat nichts mit Zufall zu tun - ich lege mir bloß keine Hindernisse in den Weg; jetzt, wo es interessant wird. Weil ich vorbereitet bin.

Jetzt, wo Sie Erfolg haben - wie sehen in diesem Zusammenhang Ihre Zukunftspläne aus?

Ich hatte im Laufe meiner Karriere immer das Glück gehabt, dass die Musiker, mit denen ich gerne Musik produzieren wollte, auch mit mir zusammenarbeiten wollten. Ich habe auf meinem dritten Album mit einem der größten Genies, die ich kenne zusammenarbeiten können, mit dem unglaublichen Prince Paul, der bekanntgeworden ist durch seine Arbeit für De La Soul. Ihnen kann ich es ja sagen, weil Ihre Zeitschrift nur in Deutschland erscheint, aber ich habe ihn für 200 Dollar bekommen. Weil es eben [55] doch Leute gibt, die mitbekommen, dass meine Arbeit einzigartig ist und interessant. Mindestens ebenso wichtig aber ist, dass ich auf die Leute zugehe und sie mit der Frage konfrontiere: Wollen wir zusammenarbeiten oder nicht? Ich bin hartnäckig, und die Leute spüren das, und sie sind selbst nur deswegen dorthin gekommen, wo sie heute sind, weil sie ihrerseits hartnäckig waren. Auf meinem letzten Album habe ich mit so tollen Leuten wie Kool Keith und Beth Orton zusammengearbeitet.

Können Sie sich an den Moment erinnern, als Ihnen bewusst wurde, dass Ihnen endlich mit dem Respekt begegnet wird, den Sie sich immer gewünscht haben?

Interessanterweise wurde mir das durch die Medien bewusst. Ich habe von Anfang an viel Lob erfahren. Ich danke Gott dafür, denn ich bin ein ziemlich sensibler Mensch, und ich weiß nicht, ob ich nicht völlig frustriert alles hätte stehen und liegen lassen, wenn man mich damals mit Häme behandelt hätte. Ich wäre fast vor Glück gestorben, als Bahamadia auf mich zukam, weil sie einen Song von mir gehört hatte. Sie ist ein großes Vorbild von mir, sie hat mit The Roots, mit DJ Premier, mit Roni Size und The Herbalizer gearbeitet und erzählt mir, wie schön sie meine Sachen findet. Das hat mich fast umgehauen. Es gibt kein schöneres Gefühl als von den Menschen wahrgenommen und mit Respekt behandelt zu werden, die man selbst verehrt.

Ist es nicht interessant, dass ganz besondere Dinge, die für andere Menschen unerreichbar wirken, zu etwas ganz Normalem werden, wenn sie sich wiederholen. Und dass dieser Normalität eine ganz besondere Süße innewohnt?

Diese Erfahrung habe ich auch gemacht. Ich habe neulich zum ersten Mal festgestellt, dass ich meine eigenen Rezensionen gar nicht mehr lese. Noch vor kurzem war es so, dass ich Luftsprünge vor Freude gemacht habe, als man mir erzählte, dass ich nach Europa fliegen würde, um Interviews über meine Musik zu geben. Heute sehe ich auch die Strapazen. Das Interessante ist doch, dass meine Musik ganz extrem auf Selbstbewusstsein, auf Bewusstsein überhaupt fußt. Du kannst nicht etwas Neues kreieren, wenn du dir nicht darüber im Klaren bist, dass du einen eigenen Blick auf die Dinge hast, der sich von dem Blick der anderen unterscheidet. Diese Erkenntnis macht dich selbstbewusst und gibt dir die nötige Kraft, dich gegen Unverständnis und Ignoranz durchzusetzen. Ein gutes Beispiel ist für mich ist immer wieder Pablo Picasso und wie er die Welt veränderte: Picasso war sich bewusst, dass er die Dinge anders sah als man sie damals traditionellerweise abzubilden pflegte. Dieses Bewusstsein, gepaart mit der Annahme, dass dieser andere Blick seine Berechtigung hat, hat Picasso die Kraft gegeben, sich über jede Kritik hinwegzusetzen.

Und irgendwann gewöhnen sich die Menschen an das Neue und sind schließlich imstande, es zu schätzen.

Ich denke ja auch, dass sich Unbeirrbarkeit mit der Zeit auszahlt. Ich komme gerade aus England, wo ich in der Sendung „Top Of The Pops“ gespielt habe, weil meine Single „Bad Babysitter“ diese Woche auf Platz #11 der Charts notiert war. Das ist einen Platz vor Alanis Morrisette, und „Top Of The Pops” heißt, dass Millionen von Menschen meinen Song im Fernsehen gesehen haben. Eigentlich unglaublich, rückblickend betrachtet.

Wie sehr hat Sie dieser kommerzielle Erfolg letztlich überrascht?

Ich habe es als den sprichwörtlichen Erfolg über Nacht empfunden - auch wenn ich acht Jahre lang jede Nacht daran geglaubt habe. Ich habe keine Ahnung, ob ich noch einmal so überrascht sein werde, wenn ich das Glück haben sollte, ein weiteres Mal eine Erfolgssingle zu haben. Aber als es dieses erste Mal passierte, fühlte ich mich wie ein Betrüger, wie einer, der seinen Namen, als alle kurz einmal weggucken, in die Charts reinmogelt. Und dann habe ich mir die Seite mit den Top-Twenty-Singles aus der Zeitung rausgerissen und tagelang mit mir rumgetragen.

Als Kunstfigur Princess Superstar sollte es Ihnen leichtfallen, sich schnell in die neue Situation hineinzufinden, auch wenn es Sie als Privatperson vielleicht emotional tief berührt hat. Die Kunstfigur Princess Superstar, der Name sagt es schon, hat es darauf angelegt, eines Tages berühmt zu sein. Sie haben die Berühmtheit, die Sie auf dem besten Wege sind zu werden, selbst erfunden.

Good point! Und je mehr von dem eintritt, was ich ironisch vorgelebt habe, desto mehr lecke ich Blut. Ich erkenne langsam die Unendlichkeit der Möglichkeiten, die Princess Superstar zu Füßen liegen. Ich beginne meine Freiheiten zu entdecken und diesbezüglich kreativ zu werden. Ich kann meinen Erfolg als Möglichkeit sehen und [57] brauche keine Angst zu haben, dass er mich erdrücken wird.

Wie gehen Sie damit um, dass es viele Männer gibt, die Probleme mit starken, selbstbewussten Frauen haben? Ich kann mir vorstellen, dass Sie so Ihre Erfahrungen damit gemacht haben.

Viele Männer haben ein generelles Problem mit Frauen, die sich in sogenannte Männerdomänen wagen - und Rockmusik, Heavy Metal oder HipHop sind solche Domänen. Diese Art von Musik wird für gewöhnlich als „aggressiv“ eingestuft - und die meisten Männer wollen Frauen nun einmal nicht als aggressive Wesen sehen. Sie wünschen sich Frauen sexy, feminin und sanftmütig. Entsprechend selten hat eine Frau auch Erfolg, die sich diesem Klischee verweigert. Chrissie Hynde war so ein Fall …

… sie überlebte sogar die männlichen Mitglieder ihrer Band The Pretenders.

Ich bewundere sie. Eine Frau gegenüber einer Million Männer im Rock. Im HipHop ist es noch krasser: Frauen im HipHop müssen sexy aussehen - und das war’s schon. Die Frauen im Underground wie Bahamadia oder MC Jean Grey scheißen auf diese Vorgabe. Ich meine: Ich finde ja, dass Sie geil aussehen. Aber sie sind eben nicht sexy Abziehbilder. Und wenn Sie mich fragen, ist das auch der Hauptgrund, warum sie keinen nennenswerten Erfolg als Künstler haben. Natürlich muss an dieser Stelle ein Name wie Missy Elliott fallen. Sie ist hübsch, aber nicht skinny. Sie produziert ihre Platten selbst, sie singt, sie rappt - aber Eve wird die Titelgeschichte kriegen.

So funktioniert die Maschinerie.

Witzig ist ja, dass auch über mich geschrieben wird, dass ich meine Songs nicht selber schreiben würde, und dass ich nichts ohne meine Plattenfirma wäre. Den Leuten, die das schreiben, ist ganz schön ins Gehirn geschissen worden. Sie gehen davon aus, dass, nur weil eine Frau mal erfolgreich ist mit etwas Neuem, ein Mann für sie geschrieben haben muss. Sie recherchieren noch nicht einmal. Es ist so verrückt, dass es fast schon wieder witzig ist.

Zugegeben, das ist verrückt. Aber tatsächlich spielen Sie ja mit den Erwartungshaltungen sowohl Ihrer Kritiker wie auch Ihrer Fans. Etwa, indem Sie sich ein selbstironisches Image zugelegt haben, das Sie als Sexbombe positioniert.

Ich mag ja auch sexy sein. Ich mag mich gerne toll aufdonnern. Und ich kann Ihnen auch sagen, warum mir das letztlich auch viel bedeutet: Als ich noch auf die Highschool ging, habe ich mich fett und hässlich und schüchtern gefühlt. Ich wollte nicht immer das hässliche Entlein bleiben und habe versucht, mich so zu stylen, dass ich mich selber hübsch fand. Das ist aber legitim. Es ist eben nicht so gewesen, dass mir irgendein Produktmanager einer Plattenfirma nahegelegt hätte, ein bisschen mehr Brust und Po zu zeigen. Ich übertreibe sozusagen aus freien Stücken und habe auch noch meinen Spaß dabei. Dass es meinem Erfolg nicht im Weg stand - ich beklage mich nicht. Ich habe ja übrigens nach wie vor den Plan, eine meiner nächsten Platten „Old, Fat and Washed Up“ zu nennen. Auf dem Cover, dachte ich, gibt es dann ein Foto von mir, auf dem ich mich nach einer durchzechten Nacht fotografieren lasse, schön verkatert, ungeschminkt und aufgequollen.

Das wäre ein interessanter Schritt.

Es wäre mehr als das: Es wäre ein echter Kommentar zu dieser ganzen Beauty-Scheiße. Ein Kommentar zu unserer Kultur und zu den Erwartungshaltungen, mit denen man als Frau überall konfrontiert wird. Es wäre ein Statement der Selbstbehauptung als Frau in der Gesellschaft und als Frau im Musikbusiness.

Hat Ihnen Missy Elliott mit ihrem Werdegang Mut gemacht, war sie vielleicht sogar so etwas wie ein Role Model für Sie?

Ehrlich gesagt: Nein. Wenn es für mich Role Models gegeben hat, dann haben die lange vor Missy Elliott ihr Ding durchgezogen. Lassen Sie es mich folgendermaßen formulieren: Ich bin auf die gleiche Weise von Pink Floyd, Oscar Wilde, den Simpsons, Queen Latifah, Black Sheep, Biggy Smalls und John Lennon inspiriert worden. Und trotzdem empfinde ich ihr gegenüber tiefen Respekt. Als Musikerin bin ich von ihr vor allem von ihrer Detailbesessenheit beeindruckt. Ihre Version von „I Can’t Stand The Rain“ etwa ist nicht nur eine tolle gesangliche Vorstellung, gebettet in ein super R’n’B-Arrangement. Das Einzigartige an ihrer Version sind die kleinen Rhythmus-Programmings, die den geraden Beat zersetzen; ihr Gefühl für Rhythmus ist einfach sensationell. Und dann hat sie in diesen Song Störgeräusche eingebaut - umwerfend! Genau hinhören, sage ich, dann hört man die Tiefe und die Qualität dieser Produktion. Ich sage Ihnen, daraus spricht ein ganz großer, tiefsitzender Humor.

Und ich sage Ihnen: Es wird nicht lange dauern, da werden die Journalisten nicht mehr fragen, wie es denn sei für ein weißes Mädchen, sich im HipHop zurechtzufinden …

… dass Sie das sagen! Ich frage mich immer, warum die Leute Journalist geworden sind, wenn sie nichts Besseres zu fragen haben als: „Wie fühlt man sich als weiblicher Eminem?“ oder: „New record out: tell me!“

Wie reagieren Sie auf solche Fragen?

Ich denke mir dann immer: Dieser Mensch ist also ein Journalist. Er scheint seinen Beruf nicht zu lieben. Und wenn er seinen Beruf nicht liebt, dann ist er unglücklich. Das ist mir aber egal. Denn ich bin niemandes Mutti. Ich bin nicht die Ursache, weshalb andere Leute nicht mit ihrem Leben klarkommen. Eigentlich müsste ich mich aufregen über die Ignoranz, die einem manchmal entgegenschlägt. Aber ich tu’s nicht.

Es wird nicht mehr lange dauern, da werden Sie gefragt werden: Wie gehen Sie damit um, für viele junge Frauen ein Vorbild zu sein, also selbst ein Role Model für andere abzugeben.

Mir ist ja zugetragen worden, dass ich auf Peaches und Gonzales bereits einen gewissen Einfluss gehabt haben soll. Und wenn dem so gewesen ist, dann sage ich nur: Das ist doch toll. Die Vorstellung, dass sich speziell junge Frauen durch mich ermutigt fühlen könnten, sich über Erwartungshaltungen hinwegzusetzen, die ihnen entgegengebracht werden, dann das ist doch toll. Ich habe immer dafür gestanden, im Leben auch einmal etwas zu riskieren. Denn darum geht es doch: etwas zu riskieren, wenn man eine Meinung hat. Das macht im Übrigen auch viel mehr Spaß.