Schwarz-Rot-Gold on hold – Tennis am Rothenbaum

von 
Bericht
Juli 2013

Tennis am Rothenbaum. Das einstige weltbekannte Masters-Turnier wurde 2008 von der ATP downgegraded und ist jetzt nur noch Mittelklasse. Promiwatch – Fehlanzeige. Vor zwei Jahren soll einmal Neger-Kalle dösend in einer Box gesehen worden sein. Doch Moment! Dieses Jahr ist es ein bisschen anders, denn Roger Federer hat kurzfristig zugesagt.

Roger kommt, ausgestattet mit Wildcard, neuem Schläger, neuem Outfit und momentanem Formtief. Die Ticketverkäufe schnellen in die Höhe. Sogar die seit 2008 abgedeckten Sitzplätze in den oberen Rängen hätte man verkaufen können, doch dort wurde seit fünf Jahren nicht mehr gekehrt, Taubenfamilien haben sich eingenistet und hin und wieder zieht sich der Nachwuchs der Crémant d’Alsace trinkenden Mitglieder des Club an der Alster dorthin zurück, um sexuell in Kontakt zu treten oder einfach als Mutprobe.

Roger betritt den Platz, chinesische Touristen zücken die Kameras. Sein Outfit in Baby-Grün hat einen irritierend horizontal-zweifarbigen Kragen, es sieht aus wie ein Smoking-Hemd mit Fliege. Sein neuer Schläger-Prototyp ist ganz schwarz – wie ein Erlkönig beim Auto. Der Schweizer Stirnbandträger wird im Halbfinale gegen den argentinischen Qualifikanten Frederico Delbonis ausscheiden, sich nach der Niederlage gegen den ‚Goucho‘ nach Gstaad begeben und dort in der Folgewoche ausgerechnet eine Kuh namens Desiree geschenkt bekommen.

„Mehmet Scholl ist der einzige Mann, dem ich einen blasen würde“, diesen Satz sagt Moritz Bleibtreus Figur in dem Film „Lammbock“ angesichts der Tatsache, dass er den besagten Sportler für einen Fußball-Titan hält. Eine solche Bemerkung als Mischung aus ironisch-pulpfiction’eskem Kiffer-Jargon und homophobem Bundeswehrhumor wäre in Bezug auf den Tennis-Titan Federer völlig verfehlt. Denn die Erotik in Federers Bewegungen und Schlägen erzeugt ein ganz aufrichtiges, keusch-ästhetizistisches, andächtiges homosexuelles Begehren, wie es schon David Foster Wallace vor einigen Jahren in der New York Times beschrieb. Wo die jüngeren Spieler eher wie Fußballspieler auftreten – was ja auch okay ist –, tendiert der Baseler Maestro hinsichtlich Reife und Kernigkeit in Richtung Mats Wilander, der hier zur Eröffnung des Turniers gegen den Direktor Michael Stich antrat.

Ach ja, Stich. Der Wimbledon-Sieger 1991. Vor Federer galt er als Benchmark in Sachen Schlagtechnik. Er ist immer das Elmshorner Landei geblieben und konnte nie den Status des internationalen Playboys erreichen. Sein Wahlkampfengagement für die CDU machten ihn weder sympathischer noch kosmopolitischer. Und er war immer im Windschatten von Boris Becker, dessen charakteristisches ‚Pumpen‘ vor dem Aufschlag noch heute in der ganzen Welt geschätzt wird – eine frühe und unbewusste Form des Self-Branding.

Beim Showkampf gegen Wilander legt Stich einen melancholisch eingefärbten deutschen Bundeswehrhumor an den Tag. Subtext: „Wir rackern uns hier ab, aber es hat ja doch alles keinen Sinn.“ Überhaupt liegt seit der Aberkennung des Masters-Status 2008, die Stich den Job als Turnierdirektor überhaupt erst verschaffte, die Melancholie über dem etwas maroden Stadion. Und schon zu Masters-Zeiten gab es Jahre, in denen Stars wie Federer oder Agassi nicht gekommen sind – zu kalt. Die 300.000 Euro Antrittsgeld (Otto-Versand) ließen den kälteempfindlichen Schweizer dieses Jahr aber doch nach Hamburg reisen, nicht ohne vorher einen Anruf bei seinem Ausrüster Nike zu tätigen und eine Mini-Sonderkollektion RF-Pullunder zu ordern. Das Hamburger Abendblatt löste daraufhin in seiner Nebenordnung von Federer, dem Honorar und dem Versandhändler gemischte Gefühle, wenn nicht sogar eine manifeste narzisstische Kränkung bei den Hamburgern aus: Sollte Federer etwa nicht nur gekommen sein, weil Hamburg die schönste Stadt der Welt ist? Das Tor zur Welt? Wir haben doch den Michel und den Hafen. Und so lustige Astra-Werbungen. Und neuerdings die Elbphilharmonie. Und die U4 fährt doch jetzt von Billstedt bis in die Hafen City.

Gegen die Melancholie am Rothenbaum kommt selbst der Gute-Laune-Imperativ des Stadionsprechers nicht an. Er intensiviert sie sogar durch sein halbverdautes Tennis-Wissen, wenn er von „Naldal“ und dem Rothenbaum spricht (die richtige Betonung lautet freilich Rotherbaum). Er belästigt die Spieler mit Interviews in Lufthansa-Englisch („How do you feel directly behind the match? Congratulation!“). Zwischen den Spielen gibt es Verlosungen mit eher lästigen und wenig prestigeträchtigen Gewinnen wie MP3-Player, Mietauto für ein Wochenende, Aldiana-Cluburlaub usw.

Für die Zuschauer besteht die eigentliche Herausforderung darin, in den recht kurzen Spielunterbrechungen das Stadion zu verlassen und möglichst viel überteuertes Essen in kurzer Zeit zu konsumieren – quasi umgekehrt proportional zum Kalorienverbrauch der Tennis-Profis auf dem Platz. In einem Selbstversuch schaffte ich in einer 20-minütigen Pause (jeweils mit Pfandrückgabe):

- 1 Corona (0,355 ml) am sog. „Corona-Beach“

- 1 Flammkuchen mit Lachs und Créme Fraiche, dazu 1 Glas Cider (inkl. Brettrückgabe)

- 1 Crêpe mit Nutella

In einer weiteren Pause:

- 2 Gläser Weißwein à 0,2l

- 1 Grillbratwurst mit Senf

- 1 Cornetto-Eis (Geschmacksrichtung Schwarzwälder Kirschtorte)

- 1 Eistee Ingwer-Lemon inkl. 2 gratis Müsliriegel, letzteres Getränk konnte ich mit ins Stadion nehmen

Nächstes Spiel: Nun betritt Tommy Haas den Platz. In der Loge sitzt sein Clan, von dem Tommy sagt, dass dieser sich sehr gerne während des Matches von ihm beschimpfen lasse. Sein Vater sieht aus wie Jürgen Drews. Das Publikum ist aufgeregt. Unser Tommy – er verkörpert unter den lebenden deutschen Tennisprofis den Traum des internationalen Tennis-Playboys zumindest äußerlich noch am ehesten (wäre der Becker-Hecht, heute durchgeführt, seismografisch messbar?). Langsam macht sich deutsch-nationale Pogromstimmung breit, wie zuletzt an eben diesem Ort beim Davis-Cup-Spiel gegen Australien oder kürzlich bei Sabine Lisickis Finalteilnahme in Wimbledon. Die ersten Deutschlandflaggen (mit Adler) werden rausgeholt. Jetzt kann es losgehen, Tennis-Deutschland! Doch beim ersten Break gegen Haas werden die Flaggen wieder verlegen eingepackt, bis auf die der geistig behinderten Zuschauer in der ersten Reihe.