Sky Ferreira – Who's that Girl

Interview
zuerst erschienen im April 2013 in Interview, S. 76-85
Seit ein paar Monaten taucht diese Frau überall auf: Als Gast in der ersten Reihe in Mailand, auf dem Laufsteg in Paris, sie ist das Gesicht der Saint-Laurent-Kampagne, und ihr Calvin-Klein-Plakat, fotografiert von Steven Meisel, thront überlebensgroß über dem New Yorker Broadway. Nebenbei dreht Terry Richardson einfach so mal eben ein Video mit ihr ... Ihr erster Kinofilm startet diesen Sommer. Eigentlich will Sky Ferreira Musikerin sein, denn sie wuchs bei Michael Jackson in Neverland auf. Who’s that girl?

[79] Jedes Jahr ziehen Hunderte Mädchen nach New York, um berühmt zu werden. Alle haben denselben Traum. Sie sind jung, hübsch, mehr oder weniger talentiert – und alle wollen Model, Schauspielerin oder Popstar werden. Bei dir scheinen alle drei Karrieren gleichzeitig loszugehen. Die Leute fragen sich: Who’s that girl?

Mit dem Modeln habe ich eigentlich nur angefangen, um Geld zu verdienen. Es war ein totaler Glücksfall – und viel angenehmer, als irgendwo zu kellnern. Von der Musik könnte ich meine Miete nicht zahlen, auch wenn ich eigentlich nur wegen der Musik nach New York gekommen bin. Es ist also gar nicht so kompliziert, dennoch muss ich mich dafür ständig rechtfertigen. Dann heißt es gerne: Ach, nettes Lied – aber Sky nimmt es mit der Musik eh nicht ernst; sie modelt.

Ist Sky Ferreira eigentlich …

… mein echter Name? Ja, ist er, falls du das fragen wolltest: Sky Tonia Ferreira, um genau zu sein. Bitte erspar mir die Witze, ich kenne sie alle. Meine Eltern waren jung und verliebt, verträumt und verstrahlt. Hippies aus Venice Beach. Da nennt man die Tochter schon mal Sky. Und da andere Hip-pie-Kinder Hope, Rainbow oder River heißen, habe ich eigentlich noch Glück gehabt.

Ich mag den Namen. Er klingt nach Sternenstaub.

Danke schön!

Ich habe dich auch als Fashion It-Girl kennengelernt – als eingeflogenen Celebrity-Import bei der Fashion Week in Berlin.

Ja, wir waren im Berghain.

Das stimmt.

Leider konnte ich es gar nicht richtig genießen, weil ich die ganze Zeit Angst hatte, erwischt zu werden.

Weil du zu jung bist? In Deutschland darf man ab 18 bis zum übernächsten Morgen in Clubs bleiben.

Nein, es gab so eine Auflage meiner Gastgeber, die besagte, dass ich mich nur im Umfeld der Fashion Week bewegen darf. Entweder im Zelt, auf Empfängen oder in meinem Hotelzimmer.

Dir scheint ein Ruf vorauszueilen.

Der durch nichts begründet ist. Ich arbeite viel zu viel, als dass ich durchdrehen könnte. Außerdem bin ich total schüchtern. Ich weiß nicht, ob dir aufgefallen ist, dass ich die ersten Stunden kein Wort mit dir oder deiner Frau gesprochen habe.

Wir dachten, du seist eben so ein eingebildetes Modelmädchen.

Das denken die Leute immer, es ist wirklich furchtbar. Meine Mutter schickt mir heute noch Selbsthilfebücher, damit ich lerne, sozial kompatibler zu sein.

Als Model musst du ja nicht viel reden, als Musikerin schon eher.

Ich versuche, mich zusammenzureißen. Ehrlich gesagt, habe ich jetzt schon Schiss vor den ganzen Promo-Tagen in irgendwelchen Hotel-Suiten, an denen Horden von Journalisten durchgeschleust werden, die mich nur fragen wollen, ob ich überhaupt eine ernst zu nehmende Künstlerin oder ein dämliches It-Girl bin.

Dabei ist deine aktuelle Single Everything Is Embarrassing von Pitchfork, dem Rolling Stone und etlichen anderen Musikfachorganen in die Jahresbestenlisten 2012 gewählt worden.

Was eine riesige Erleichterung für mich war. Du kannst dir nicht vorstellen, wie viel [80] Last von mir abfiel. Da wusste ich endlich: Vielleicht klappt es doch noch mit der Musik. Und: Ich bin kein YouTube-Hype! Yeah!

War es nicht so, dass die Leute dank MySpace auf dich aufmerksam wurden?

Mit 13 war das die einzige Chance, gehört zu werden. Meine Mutter war allerdings nichtso begeistert, da sie dachte, ich würde dort ständig von irgendwelchen Perversen belästigt werden.

Dein Song hießGod Bless. Eigentlich hätte nichts passieren dürfen, da du ja Beistand von oben hattest.

Richtig. Und außerdem bin ich in Venice Beach aufgewachsen. Ich kann also ziemlich gut auf mich selbst aufpassen. Dennoch waren etliche der Zuschriften, die ich bekam, ziemlich zweifelhaft.

In letzter Zeit stellst du kaum noch Songs von dir ins Netz.

Irgendwann soll sich das digitale Rauschen in Plattenverkäufen niederschlagen. Ich habe nichts davon, wenn ich 50 Songs innerhalb von 18 Monaten raushaue. Ich nehme mir die Zeit, die ich brauche. Karrieren sind heute kürzer denn je. Nachdem meine erste Plattenfirma mich als Flop abgeschrieben hatte, bin ich viel vorsichtiger geworden.

Deine Single „Obsession“ war ja auch echt nicht so doll.

Mit Obsession hat mich die Plattenfirma reingelegt. Ich habe den Track gehasst, wusste aber nicht, wie ich mich dagegen wehren kann. Mein damaliger Mentor beim Label meinte: „Komm, Sky, geh ins Studio, sing das mal ein, es wird schon nicht die Single.“ Leider wurde es genau das: meine Single. Das Furchtbare ist, dass mich dieser Scheiß-Song immer begleiten wird, das Netz vergisst nie. Und die Typen vom Label, deren Schuld es war, fahren in den Urlaub und schreiben danach die Single als Flop ab.

Hättest du das Stück nicht einfach ablehnen können?

Ich war 16, ein Teenie. Und welcher Teenager weiß schon, was er will? Mein Problem bis heute ist, dass ich fast alle Genres liebe: Eigentlich müsste mein Album zwölf verschiedene Genres bedienen. Aber dann heißt es wieder: Sky Ferreira hat keine Vision, Sky Ferreira versucht, es allen recht zu machen, sie ist nicht echt, sie ist wie Lana Del Rey. Das ging so weit, dass vor einem Jahr niemand mit mir arbeiten wollte, weil sie dachten, ich sei verbrannt. Ein Agent aus Los Angeles schrieb mir den Einzeiler: „Impossible.“ Ich wollte ihn nur anschreien: „I’m possible!“ Aber jetzt ist ja alles gut.

Frustriert es dich, wenn du mit anderen Popsternchen verglichen wirst?

Interessant ist vor allem, mit wem ich verglichen werde: Mal heißt es, ich sei wie Lana Del Rey oder Miley Cyrus, dann wieder wie die Indie-Variante von Taylor Swift, eine junge Debbie Harry, gerne auch Lady Gaga … Allein diese Bandbreite zeigt, wie lächerlich all das ist.

Welcher Vergleich ärgert dich am meisten?

Früher Marina and the Diamonds, heute Lana Del Rey. Es sind vor allem Blogger, die solchen Quatsch schreiben. Manchmal frage ich mich: Hören sich diese Typen die Musik überhaupt an? Aber Blogger sind eben Blogger und keine Journalisten. Merkwürdigerweise müssen sich männliche Musiker so etwas nicht reinziehen, jedenfalls nicht ständig. Da zählt anscheinend die Musik mehr.

Vielleicht gibt es einfach weniger Jungs in den Top 40.

Zum Glück gibt es ja Justin Bieber! Nein, das Nervige ist, dass wir Mädels gegeneinander ausgespielt werden. Rihanna gegen Beyoncé, Perry gegen Gaga, A gegen B, die Medien wollen es so, und in besonders krassen Fällen befeuert sogar das eigene Label diese künstliche Konkurrenz. Dies geschieht auf eine sehr passiv-aggressive Art. Gleichzeitig müssen alle jung und sexy sein. Lolitas und Püppchen, egal in welchem Alter. Selbst Madonna spielt dieses Spiel mit und macht auf ewiges Cheerleader-Girl, es ist wirklich widerlich.

Ganz so unschuldig schaust auch du nicht in die Kameras.

Aber mir geht es nicht um dieses Lolita-Ding, und es ist mir egal, was die Leute denken. Die Regeln sind ganz einfach: Man soll sexy aussehen, damit die anderen etwas davon haben – aber nicht sexy sein, denn davon könnte man selbst profitieren. An den Regeln kann ich nichts ändern. Was ich jedoch ändern kann, ist meine Musik.

Wie meinst du das?

Sie darf einfach nicht klingen wie ein Klingelton, zu dem sich gut wichsen lässt.

Hast du deine Musik schon mal im Radio gehört?

Nein. Es ist ein verdammter Fluch: Alle meine Freunde rufen ständig an. Selbst meine Mutter hat die Single schon zweimal gehört. Und ich fürchte, ich werde sie nie hören. Nicht morgen, nicht in den nächsten 40 Jahren. Stattdessen werde ich sterben, ohne jemals ein Lied von mir im Radio gehört zu haben. Das wäre so typisch.

Dabei hast du extra so früh angefangen. Du warst 15, als du deinen ersten Plattenvertrag unterschrieben hast.

Ja, und deswegen muss ich mir heute ständig anhören, wie sehr ich mich verändert habe. Es heißt immer: Sky sieht heute ganz anders aus. Sky macht ganz andere Musik als früher. Selbst als eine Cousine ein Bild von mir bei Facebook hochlud, auf dem ich acht oder neun bin, schrieben sofort irgendwelche Trolle darunter: „Sky Ferreira sieht heute ganz anders aus.“

Heute trägt Sky knallroten Lippenstift und posiert mit einer Vogelspinne in einem Video von Terry Richardson.

Dabei hatte ich als Kind furchtbare Angst vor Ameisen und kreische, sobald eine kleine Spinne irgendwo im Studio rumkrabbelt.

Wie kam es denn zu diesem Video? Terry Richardson dreht ja nicht ständig für irgendwelche hoffnungsvollen Popsternchen einfach so Musikvideos.

Terry rief an und meinte nur: „Komm in mein Studio, ich habe eine Vogelspinne hier. Wir drehen ein Video für dich.“ Also nahm ich meine Jacke, meinen Schlüssel und stieg ins Taxi. Es ging so schnell, dass ich gar keine A ngst haben konnte. Da wir nichts vorbereitet hatten, war der rote Lippenstift mein einziges Extra. Neben der Spinne natürlich. Wir überlegten, was wir machen könnten, und da eine Spinne auf Jeans und Bluse nicht so gut wirkt wie auf nackter Haut, stand ich im BH vor der Kamera. Irgendwelche Trolle schrieben danach, ich hätte dies getan, um sexy zu sein. Was mich wirklich verletzt hat, waren die Kommentare, die bei YouTube unter dem Video auftauchten.

Was stand denn da?

„Sky hat mit Terry gevögelt, um das Video zu bekommen.“ Oder: „Terry hat sie nach dem Dreh vergewaltigt.“ So etwas schreiben irgendwelche [80] kranken Typen unter das Musik video einer 19-Jährigen. Das muss man sich mal vorstellen! Das ist ekelhaft und keineswegs lustig. Nicht einmal nach irgendeiner verdrehten Ich-sitze-alleine-vor-dem-Rechner-und-bin-frustriert-Logik. Terry ist ein Freund von mir. Wenn er mit Lady Gaga arbeitet, behauptet doch auch niemand, er habe sie nach dem Shoot vergewaltigt. Solche Kommentare machen mich echt fertig. Zumal ich selbst schon Erfahrung in diese Richtung machen musste.

Wie bitte?

Als Schülerin. Und wie man sich vorstellen kann, hinterlässt das Narben. Aber ich lasse nicht zu, dass es mich prägt. Können wir bitte über etwas anderes sprechen? Über etwas Lustiges?

Wollen wir über Bubbles reden?

Wieso denn jetzt Bubbles?

Weil er Jackos Affe war! Ich habe gelesen, du seist quasi auf Neverland aufgewachsen.

Das bin ich. Es war toll!

Klar.

Nein, wirklich.

Sicher.

Meine Oma arbeitete 30 Jahre für Michael, sie war seine Friseuse. Und da ich die meiste Zeit bei meiner Oma gelebt habe, besuchten mein Bruder und ich sie oft bei der Arbeit. Wir haben dort auch Weihnachten und Silvester gefeiert.

Mit Michael Jackson?

Ja. Und anfangs auch mit Bubbles. Aber der war da schon alt und er war auch total hinterhältig und fies, wenn ich mich recht erinnere. Es war übrigens Michael, der meiner Oma vorschlug, mich bei einem Gospelchor anzumelden. Er hatte mich mit meinem Kassettenrekorder im Garten gesehen: Ich saß dort immer in irgendeiner Ecke tief über meinen Rekorder gebeugt und nahm meine selbst geschriebenen Lieder auf. Meine Oma fand das zwar alles ziemlich merkwürdig, aber immerhin meldete sie mich darauf hin zum Singen in zwei Chören an. Die eine Kirche war in einer ziemlich harten Gegend von South Central L. A., aber der Chor war fantastisch. Dort hat alles angefangen. Letztendlich verdanke ich meine Karriere also Michael Jackson.

Hast du ihm vorgesungen?

Jedes Mal wenn wir uns gesehen haben. Anfangs Gospel, irgendwann Britney Spears.

Für Britney hast du später auch Songs geschrieben.

Ja. Leider hat es noch keiner auf ein Album von ihr geschafft. Ich liebe Britney. Vor allem ihre düstere Seite.

Wenn sie sich die Haare abrasiert?

Nein! Denk nur mal an das krasse Video zu Everytime: Sie stirbt in dieser Badewanne. Das Wasser färbt sich rot von ihrem Blut. Ich dachte nur: Leute, das ist Britney fucking Spears!

Und wie fand Michael Jackson es, dass du ihre Songs für ihn singst?

Er hat gelacht.

Wie war Michael denn so?

Total nett. Sehr schüchtern. Vielleicht haben wir uns deshalb so gut verstanden. Er war nämlich nicht dieser Freak, der ständig in seiner eigenen Achterbahn saß und einem zuwinkte. Eigentlich lebte er sehr zurückgezogen. Man darf nicht vergessen: Michael war einer der engsten Freunde meiner Oma. Ich wusste zwar, dass er irgendwie berühmt ist, verstand aber nicht die ganze Tragweite. Den Popstar Michael habe ich eigentlich erst erlebt, als er gestorben ist. Ich war in London, [84] um mal wieder einen Plattenvertrag zu unterschreiben, und plötzlich lief die Schlagzeile, Michael hätte einen Herzinfarkt gehabt, über den Fernseher in der Lobby. Meine Oma, die mich auf der Reise begleitete, rannte sofort in ihr Zimmer und kam gar nicht mehr raus. Für mich war das Ganze total surreal: Michael war der erste Mensch, der mir nahestand, der gestorben ist. Ich wusste natürlich, was Tod bedeutet, aber nicht, wie es sich anfühlt, jemanden tatsächlich zu verlieren. Während ich noch in London war, ging der Wahnsinn los: Plötzlich liefen seine Songs in jeder Bar, seine Alben besetzten die Top Ten, alle trugen diese Michael-Memorial-T-Shirts. Irgendwann verkaufte die sogar mein Dad.

Dein Vater?

Ja, er hat zwei T-Shirt-Stände am Boardwalk in Venice Beach.

Wenn du nicht in Neverland Achterbahn gefahren bist, hingst du also in Venice Beach bei den Surfern und Bodybuildern rum.

Klar. Als Achtjährige kannte ich dort jeden. Die Surfer, die Skater, die Freaks, sogar die ganzen Junkies und Crack-Süchtigen. Das fand mein Vater allerdings nicht so toll. Ich hingegen mochte sie, weil sie immer Zeit hatten und an derselben Stelle rumhingen. Auf eine Art waren die ziemlich verlässlich. Als ich älter wurde, flitzte ich nur noch auf meinen Rollerskates vorbei und winkte ihnen zu, das fanden die super. Irgendwann konnte ich den ganzen Zirkus dort jedoch nicht mehr ertragen …

… und bist nach New York gezogen.

Andere Mädchen in dem Alter gehen ans College, ich entschied mich für New York. Anfangs war es wirklich hart: Ich kannte niemanden, sprach wochenlang mit keinem Menschen, lief stundenlang ziellos durch die Stadt, schrieb Songs und wurde von Tag zu Tag einsamer.

Lady Gaga saß auch immer in ihrer Wohnung, hörte Bowie, kokste alleine vor ihrem Spiegel und träumte davon, ein Popstar zu werden.

Ich kokse aber nicht allein! Aber hast du meine Christiane-F.-Sammlung bemerkt? Als ich zur Highschool ging, nähte ich mir die Bowie-Jacke nach, die Christiane im Film trug. Sie ist meine Ikone. Ich war total besessen von ihr in der Highschool.

Wie muss man sich denn Sky Ferreira in der Highschool vorstellen?

Unfassbar schüchtern. So schüchtern, dass es wehtat. Ich habe die Schule gehasst und wurde von allen fertiggemacht. Meine einzigen Freunde waren die Immigrantenkinder aus Afrika und China, die kaum Englisch konnten. Mit denen musste ich ja nicht reden. Ich war wirklich der Freak, der nie spricht. Ich war eigentlich stumm. Das habe ich, abgesehen vom Singen im Musikunterricht, drei Jahre durchgezogen. Ich brachte es nicht einmal fertig, zu fragen, ob ich auf die Toilette gehen darf. Das musste ich dann immer auf meinen Block kritzeln. Dementsprechend konnte ich mich auch nicht wehren, wenn die anderen Kids auf mir rumhackten, und wurde noch schüchterner. Es war wirklich die Hölle – und zwar von Anfang an: Als ich eingeschult wurde, weinte ich den ganzen Tag. Das habe ich dann zwei Jahre so gehalten: jeden Morgen weinen. Meine Mum hat irgendwann nicht einmal mehr reagiert, wenn ich losgeplärrt habe, weil ich das ständig tat. Sogar auf den Kinderfotos. Es gibt kaum eins, auf dem ich nicht heule oder verheult aussehe.

Trägt deshalb dein Debütalbum den TitelI’m Not Alright?

Er passt jedenfalls gut.

Aber heute wirkst du so, als ginge es dir ganz passabel.

Heute heißt das Album I’m Alright (lacht). Nein, es geht mir heute besser als früher. Ich sollte immer irgendwelche Medikamente gegen die Depressionen nehmen, wollte dies jedoch nie tun. Ich hatte Angst vor den Nebenwirkungen.

Es gibt Musiker, die aus ihrem Weltschmerz die künstlerische Kraft destillieren.

Ja, ein wenig Blues hilft beim Schreiben. Aber auf Dauer ist es die Hölle. Gott sei Dank sieht man es mir auf Fotos heute kaum mehr an.

Die Fotos zu dieser Geschichte hat Hedi Slimane gemacht.

Ja, wir sind ziemlich eng befreundet. Er ist ein toller Mensch. Wir haben sogar Weihnachten miteinander verbracht.

Wie feiert Hedi Slimane denn Weihnachten?

Mit Elton John. Ich weiß auch nicht genau, wie das kam. Jedenfalls saß ich plötzlich am Mittagstisch von Elton und seinem Mann und musste so tun, als würde ich das Essen mögen.

Was gab es denn?

Irgendet was Englisches mit viel Fleisch. Ich konnte das echt nicht essen, zumal ja auch meine Familie auf mich am gedeckten Tisch wartete. Oh Mann, die waren ziemlich sauer.

Du feierst mit Elton John und Hedi Slimane Weihnachten, Steven Meisel ist ein Fan von dir, Terry schenkt dir ein Video – wie kamst du eigentlich zum Modeln?

Ich weiß nicht genau, wie und warum all das passierte. Zumal ich viel zu klein für den Job bin. Als ich anfing, war ich gerade mal 1,55 Meter groß, jetzt bin ich 1,68 Meter, also immer noch viel zu klein für den Laufsteg. Außerdem dachte ich immer, ich sei hässlich.

Jetzt kokettierst du.

Nein! Die Leute sagen mir das ins Gesicht. Sie sagen: „Sky, du bist zwar nicht schön, aber du siehst auf eine andere Weise gut aus. Wie ein hübscher Zombie.“ Vielleicht wollte mich deshalb Dazed & Confused damals für meine erste Strecke – die dachten sicher auch: „Hm, interessante Augenringe für ein junges Mädchen.“

Vielleicht solltest du mehr schlafen.

Das tue ich. Ich gehe nicht einmal mehr groß aus. Dafür bin ich, wie gesagt, viel zu schüchtern. Und wenn ich es versuche, lassen sie mich nicht rein: Als ich gestern mit meiner Band in eine Karaokebar wollte, wurden wir ständig abgewiesen. Wir zogen wie Maria und Jesus von Tür zu Tür und wurden immer weggeschickt. Ich darf ins Berghain in Berlin, aber nicht in eine Karaokebar in New York. Vielleicht sollte ich mir doch noch mal eine Fake-ID besorgen.

[85] Hat die nicht jeder in Amerika?

Doch, schon. Aber die, die ich mir mit 15 besorgte, hat an keiner einzigen Tür funktioniert. Also habe ich sie weggeschmissen und versucht, mich mit den Türstehern gut zu stellen. Ich hatte irgendwo gelesen, dass Madonna so angefangen hat, also dachte ich, dies sei eine gute Idee.

Immerhin schickte einst Katy Perry ein Bild von dir mit einer Wodkaflasche zwischen den Beinen via Twitter um die Welt. Da warst du 17 und auf Krawall gebürstet. Zumindest sah es so aus.

Danke, Katy! Meine Mutter ist völlig ausgerastet, als sie das Bild gesehen hat. Meine Mum ist nämlich ziemlich streng. Ich durfte früher nicht einmal MTV vor der Schule sehen. Und dann taucht dieses Bild auf – dabei trinke ich fast nie. Ich habe schon gekifft, klar, aber das ist nicht gut für meine Stimme. Die Leute denken, ich würde ständig high sein und Drogen nehmen. Das war schon in der Highschool so. Aber es stimmt nicht.

Es gibt lustige Bilder von dir im Netz, auf denen du mit Snoop kiffst.

Dabei habe ich mich anfangs gar nicht getraut. Als dann jedoch mein Regisseur daran zog, dachte ich mir: „So eine Gelegenheit kommt nie wieder!
Wer kann schon von sich behaupten, mit Snoop gekifft zu haben?“

Und?

Der Joint war viel zu stark für mich. Ich musste sofort auf mein Hotelzimmer. Der Abend war gelaufen.