Slash – „Überdosis? Man gewöhnt sich an alles“

Interview
zuerst erschienen im April 2010 in Musikexpress, S.56-59

[57] 100 Millionen Dollar hat Slash ausgeschlagen, weil er nie wieder mit Axl Rose auf einer Bühne stehen will. Slash hat mit dem Guns’n’Dreck abgeschlossen, Drogen und Depressionen besiegt und nebenher noch ein neues Album aufgenommen. Ein Gespräch mit dem Mann, der eigentlich schon tot sein müsste

Herr Hudson, die Welt kennt Sie als Slash. Wann wurden Sie zuletzt als Saul Hudson angesprochen?

Nicht mehr seit der Grundschule. Die einzige Person, die mich so nennt, ist meine Mutter. Allerdings nicht in meiner Gegenwart.

Haben Sie gar nicht darüber nachgedacht, Ihr Album Saul Hudson zu nennen – und nicht SLASH?

Natürlich wäre es clever gewesen, es würde einen Neustart signalisieren, aber warum sollte ich das tun? Ich werde immer Slash sein, der Typ von Guns’n’Roses. Ich stehe zu meiner Vergangenheit. Das Album erscheint im April, es ist ein Solo-Album: Keine Band, kein Velvet Revolver, nichts. Einfach nur Slash – und ein paar alte Bekannte. Ja, ich bin sehr zufrieden. Wie finden Sie es denn?

Es klingt, als hätten Sie seit 1991 nichts anderes gemacht.

Ich weiß nicht, ob ich das gut oder gemein finden soll. Nein, es klingt, wie es klingen muss.

Reflektieren die Stücke den Weg, den Sie in den vergangenen 20 Jahren gegangen sind?

Am ehesten die Nummer mit Lemmy. Wir haben früher oft gemeinsam gefeiert, gesoffen, Drogen genommen. Und jetzt schreibt er einen Text, in dem es darum geht, wie ein Arzt ihm mitteilt, er sterben wird, wenn er so weiterlebt – und der nächste Doktor erklärt ihm, dass er sterben wird, wenn er aufhört so zu leben. Diese Situation kenne ich nur zu gut.

Sie haben alte Helden wie Lemmy, Iggy Pop und Ozzy Osborne ins Studio geladen, Weggefährten wie Izzy und Duffy und ehemalige Fans wie Fergie und Chris Cornell. War es schwer, die Herrschaften zu überreden?

Es klingt vielleicht überheblich, aber das ging sehr schnell. Lediglich zwei Menschen haben abgesagt, aber ich werde Ihnen nicht verraten, wer. Irgendwann sind mir jedoch die Sänger ausgegangen …

Das scheint ein roter Faden in Ihrer Karriere zu sein. Entweder suchen Sie einen Sänger …

… das verfolgt mich schon seit der High School …

… oder Sie finden einen, der sich dann als unzuverlässiger Egomane herausstellt.

… können wir später über Axl reden?

Es kursieren Gerüchte, dass Jack White keine Lust hatte für Sie zu singen.

Sie haben es bereits gesagt, Gerüchte eben. Nein, Dave Grohl konnte aus Gründen, die zu erklären zu weit führen würde, nicht singen. Jetzt spielt er eben Schlagzeug – auf einem reinen Instrumental-Stück.

Wie wichtig sind Verkaufszahlen für jemanden, der mehr Platin-Auszeichnungen eingesammelt hat, als mancher MySpace-Künstler Downloads verbuchen kann?

Natürlich wäre es mir lieber, wenn man heute so viele Platten verkaufen könnte wie früher. Aber die Tatsache, dass die Industrie am Boden liegt, hindert mich nicht daran, Alben aufzunehmen. Mir ist es egal, wie viele Menschen es kaufen.

Wahrscheinlich werden es mehr Leute illegal herunterladen, als dafür zu bezahlen.

Das könnte sein. Aber letztendlich ist das nur fair: Ich habe als Jugendlicher Musik auch nur gestohlen.

Und heute ist Tower Records pleite.

Aber nicht, weil ich dort Kassetten geklaut habe!

Dann stört es Sie nicht, wenn Kids die Musik klauen?

Nein. Man kann die Jugend nicht dafür bestrafen, sich gegen das System aufzulehnen. Das gehört einfach dazu. Ob es der Industrie gefällt oder nicht.

Macht Ihnen der desolate Zustand der Musikindustrie gar nicht zu schaffen?

Es ist, wie es ist. Daran werde ich nichts ändern. Deshalb geht man ja auf Tour. Heute verdienen wir unser Geld mit Konzerten, nicht mehr mit Platten verkäufen. Manchmal frage ich mich, warum die Menschen überhaupt noch Alben aufnehmen…

… um wieder auf Tour gehen zu können.

… und niemand kann das besser als die Stones!

Sie werden mit dem Solo-Album also touren?

Definitiv.

Haben Sie keine Angst davor, wieder jeden Abend in einer anderen Stadt zu spielen? Früher fielen Sie regelmäßig in ein Loch, wenn Sie nach Monaten im Rampenlicht zurück nach Hause kamen.

Sie sprechen einen wunden Punkt an. Das ist eine der großen Berufskrankheiten meines Standes: Man spielt vor Tausenden von Menschen, macht sie für einen kurzen Moment glücklich, das Leben scheint einen Sinn zu haben – dann kommt man heim und plötzlich ist Stillstand, Ruhe, das große Nichts. Aber ich habe dazugelernt: Ich plane immer vor der Tour schon ein Projekt, in das ich mich stürzen kann, um nicht auf dumme Gedanken zu kommen. Früher war das einfacher: Die Tour war vorüber und ich habe mir ein wenig Heroin besorgt, um das Loch zu füllen.

Wenn man Ihre Biographie liest, drängt sich der Eindruck auf, es wäre vielmehr ein Berg Braunes gewesen, ein Berg an einem See Jack Daniels, an dessen Ufern eine Horde Groupies und Stripperinnen breitbeinig bereit liegen.

Es war vielleicht ein wenig mehr, das mag schon sein. Es war jedoch eine andere Zeit – und welcher Mann sagt schon nein, wenn professionelle Sex-Göttinnen mit ihm ins Bett wollen? Aber es geht nicht nur um Porn-Sternchen, selbst die Groupies sind heute nicht mehr dasselbe. Ich kann nachvollziehen, warum sich manche Stars schnell einen blasen lassen und nicht einmal mehr nach dem Namen des Mäd-[58]chens fragen. Früher war das anders.

Ach ja?

Vielleicht ging es auch nur mir so. Ich hatte in meiner wilden Zeit in jeder Region ein Mädchen sitzen, mit dem ich mich immer traf, wenn ich in die Gegen kam. Das waren fast schon Freundinnen. Echte Groupies, die nur Sex mit mir wollten, haben mich nie interessiert. Ich wollte nicht nur ficken, sondern auch reden und abhängen.

War das nicht ziemlich nervenaufreibend?

Klar war es das, ein ständiges Drama. Aber irgendwie auch ehrlicher.

Hat sich Ihr Umgang mit den Damen eigentlich verändert, als Aids ein Thema wurde?

Oh Mann, da sprechen Sie was an: Ich kann mich noch genau an die erste Titelgeschichte in Newsweek oder Time Magazin erinnern. Der totale Schock für jemanden, der eigentlich immer ohne Gummi Sex hatte. Und dann noch das Risiko mit den Nadeln, ich war total fertig. Damals wusste man einfach auch sehr wenig über die Krankheit. Kurz nachdem ich die Geschichte gelesen hatte, tauchten plötzlich diese drei roten Punkte an meiner Hüfte auf, ich konnte mir nicht erklären, woher die kommen. Sie können sich vorstellen, wie panisch ich auf die Testergebnisse
gewartet habe. Gott sei Dank waren diese negativ.

Waren Sie danach vorsichtiger?

Ich habe zumindest meine Spritzen mit niemandem mehr geteilt.

Einer der Höhepunkte des öffentlichen Interesses an HIV war das Freddie-Mercury-Tribute-Konzert im Wembley Stadium.

Zweifelsohne ein Höhepunkt meiner Karriere. Ich kriege heute noch eine Gänsehaut. Aber wissen Sie, an was ich auch denken muss?

Verraten Sie es uns …

An Elizabeth Taylor …

Wieso das denn?

Ich stehe nach der Show in der Umkleide, meine Hose hängt an den Knöcheln. Wie üblich trage ich
keine Boxershorts. Auf einmal geht die Türe auf, herein kommt Elizabeth Taylor. Sie bleibt stehen, steht einfach nur da. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass sie auf meinen Schwanz gestarrt hat.

Und?

Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn sie zehn Jahre jünger gewesen wäre. Ich glaube, ich hätte ihr einen Whiskey angeboten.

Haben Sie eigentlich jemals versucht, die Anzahl der Whiskeyflaschen hochzurechnen, die Sie über die Jahrzehnte leerten?

So genau will ich das auch gar nicht wissen. Ich erinnere mich jedoch an ein Jahr, in dem ich mit ein paar Stripperinnen zusammen wohnte. Damals sammelten wir die leeren Flaschen und dekorierten die Wände des Hauses damit. Als ich auszog, waren alle Wände voll. Und das Haus war nicht gerade klein.

Erinnern Sie sich an das erste Mal, als Sie Heroin nahmen?

Ehrlich gesagt, ging beim ersten Mal gar nichts. Wir rauchten es, aber ich spürte nichts. Was Heroin wirklich so einzigartig macht, kapierte ich erst, als ich es zum ersten Mal spritzte.

Fiel es Ihnen denn schwer, bis unter den Zylinder voll gepumpt vor 60.000 Menschen aufzuspielen?

Das kommt darauf an, was man nimmt. Auf Koks kann man gar nicht spielen. Das geht gar nicht. Aber diese Lektion lernte ich früh: Als ich 16 Jahre alt wurde, schenkte mir meine damalige Freundin ein Gramm Kokain zum Geburtstag. Ich zog ein paar Linien mit ihr, dann musste ich auf die Bühne. Ich stand dort, hatte einen Stock, ach was, einen Knüppel im Arsch, und verzockte mich ständig. Es war ein Desaster. Fast so schlimm, wie wenn man Sex vor einer Show hat, das geht ebenfalls gar nicht. Kids, merkt euch das: No blow or blowjobs before Show-Time.

Wie muss man sich das Leben als Junkie auf Tour eigentlich vorstellen? Jeden Tag eine andere Stadt, ein anderes Stadion. Und trotzdem braucht man jeden Tag seine Ration.

Ich war selten auf Heroin, wenn wir unterwegs waren. Eigentlich habe ich auf Tour meistens gesoffen. Ich war ziemlich verantwortungsbewusst, zumindest fühlte ich mich so. Aber wenn man Heroin braucht, gibt es Wege, dieses mitzunehmen.

Ein Beispiel?

Eigentlich verrät man solche Dinge nicht.

Jetzt kommen Sie schon.

Na, gut. Entweder versteckt man die Drogen am Körper, üblicherweise im Intimbereich. Oder eben in anderen guten Verstecken. Ich hatte früher etliche Geheimtaschen eigenhändig in meine Lederjacke genäht, in denen ich meine Utensilien verstecken konnte.

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Sie etliche Mal einen Schuss zu viel genossen haben.

Ich hatte einige Überdosen, aber was soll ́s? Man gewöhnt sich an alles. Erst fällst du um, dann bekommst du eine Adrenalinspritze ins Herz, wachst auf – und machst trotzdem weiter mit der Scheiße.

Einmal waren Sie acht Minuten lang tot, zumindest schlug Ihr Herz nicht mehr.

Das war selbst für meine Verhältnisse ziemlich abgefuckt. Wir spielten in San Francisco, der Gig war okay, aber meine Verlobte machte Stress. Wir stritten am Telefon, weil ich sie nicht ohne Ehevertrag heiraten wollte. Es ging hin und her. Jedenfalls war ich am Ende des Gesprächs total sauer und dachte mir: Okay, heute Abend belohnst du dich. Also rief ich eine Freundin an, die stand irgendwann vor der Türe meines Hotelzimmers, die Taschen voller Drogen. Ich lange mächtig zu, schließlich hatte ich ja auch dafür bezahlt. Irgendwann stand ich im Flur des Hotels und fragte eine Angestellte, wo der Aufzug sei und dann machte es bam! ich brach einfach zusammen. Die spanische Putzfrau wusste gar nicht, was los war, ich hingegen schon. Wenn man eine Überdosis nimmt, fühlt man sich selbst wie in Zeitlupe, die Welt um einen herum rast jedoch weiter. Ich schlug zu Boden, dann ging das Licht aus.

Sie haben also nicht jenes viel zitierte weiße Licht gesehen, das einem den Weg ins Nirvana leuchtet?

Nein, dafür war ich viel zu high! Das einzige Licht, das ich gesehen habe, war die Lampe im OP-Saal. Und eine Horde Ärzte, die mich anstarrten. Was macht man als erstes, nachdem man acht Minuten tot war? Ich bin unter dem Protest der Ärzte aufgestanden, habe einen Zettel unterschrieben, in dem stand, das ich auf eigene Gefahr hin das Krankenhaus verlasse, dann bin ich ins Hotel gefahren und ein paar Stunden später zum nächsten Gig geflogen. Wie gesagt, San Francisco war nicht meine erste Überdosis, man gewöhnt sich daran (lacht).

Oder stirbt einfach. Es sei denn man heißt Keith Richards.

Der gute alte Keith! Aber natürlich haben Sie Recht: Es war einige Male sehr knapp. Ich kann mich
glücklich schätzen, heute noch hier zu sitzen.

Der Herzschrittmacher, der Ihnen mit 35 Jahren eingesetzt wurde, scheint Ihren Lebenswandel erstaunlich gut zu verkraften.

Anfangs war das die Hölle. Ich hatte vergessen, den Ärzten zu erklären, was ich genau mache, das ich jedes Mal, wenn ich eine Bühne betrete, einen Adrenalinkick bekomme, den andere Menschen niemals erleben. Ich stehe also auf der Bühne, mit Michael Jackson wohlgemerkt, und plötzlich, kurz bevor das Solo losgeht, bekomme ich einen Mega-Stromschlag verpasst. Nicht wie einen Schlag aus der Steckdose, nein, direkt in mein Herz. Ein widerliches Gefühl. Anfangs wusste ich gar nicht, was los ist. Das Ganze passierte dann sechs Mal während der Show – und wenn Sie sich das Konzert auf YouTube anschauen, sehen Sie, wie ich mitten im Solo zusammenzucke …

… und dennoch weiterspielen.

Klar, was hätte ich sonst tun sollen?

Passiert das heute noch, wenn Sie eine Bühne betreten?

Nein, die Ärzte haben das Ding neu eingestellt, jetzt ist alles okay. Außerdem bin ich seit mehreren
Jahren clean. Ich trinke nicht einmal mehr.

Das können Sie Jack Daniels doch nicht antun.

Es ist mir schwer gefallen, ohne Frage.

Rauchen Sie noch?

Auch nicht mehr. Seit drei Monaten schon. Mal sehen, wie lange ich es durchhalte.

Haben Sie eine Ersatzbefriedigung gefunden?

Sie wollen wissen, ob ich golfe oder jogge? Nein, nicht in diesem Leben. Ich spiele Gitarre, das hilft. Wie sind Sie letztendlich clean geworden? Ehrlich gesagt, langweilte mich das ganze Drogen-Ding irgendwann nur noch. Nach all den Jahren hat es plötzlich keinen Spaß mehr gemacht. 2006 hatte ich noch einmal einen kurzen, extrem heftigen Rückfall. Heroin, Kokain, Alkohol. Das war nach der ersten Tour mit Velvet Revolver, auf einmal war die Gier wieder da. Ich bin sogar von Zuhause ausgezogen, um mich so richtig abschießen zu können. Ich nahm immer mehr, aber der Kick blieb aus.

Klingt nach Midlife-Crisis.

Vielleicht war es das. Jedenfalls befriedigten mich die Drogen nicht mehr, egal, wie viel ich in mich hineinpumpte. Das war die Lektion, die ich brauchte. Da merkte ich, dass es an der Zeit ist, den finalen Schlussstrich zu ziehen, dass es keinen Sinn mehr ergab.

Sind Sie in eine Entzugsklinik gegangen?

Das letzte Mal schon, früher nie. Ich war immer der Hardcore-Typ: Kalter Entzug, keine Pillen, nichts. Eine Woche im Bett, leiden wie ein Hund, dann Alkohol gegen den Schmerz. Ich habe mich früher regelrecht vom Heroin runter getrunken. Deswegen musste ich letztendlich auch aufhören, zu trinken: Immer wenn ich dem Alkohol abschwören wollte, fing ich wieder mit Heroin an.

Ihr frühere Schlagzeuger Steven Adler ging stattdessen in die Öffentlichkeit. Er entzog vor laufender Kamera bei „Celebrity Rehab“.

Steven ist ein anderer Sucht-Typ, er braucht Kontrolle von außen, weil er es nicht alleine schafft. Der eigentliche Grund, warum er es nach so vielen Versuchen endlich geschafft hat, sauber zu werden, war jedoch, dass er bei „Celebrity Rehab“ vor laufender Kamera verhaftet wurde. Danach hat es bei ihm Gott sei Dank klick gemacht.

Slash, Sie sind gebürtiger Engländer, aufgewachsen in Stoke-On-Trent. Sie waren elf Jahre alt, als [59] Ihre Mutter die Sachen packte und mit Ihnen nach Los Angeles zog. Erinnern Sie sich noch an die alte Heimat?

An das schlechte Wetter, den Zoo und das Naturkundemuseum.

Ist Ihnen damals in Stoke-On-Trent ein Junge über den Weg gelaufen, der Robbie Williams hieß?

Nein, an den könnte ich mich erinnern. Robbie und ich kennen uns erst, seit er mein Nachbar ist.

Williams ist Ihr Nachbar?

Er wohnt quasi gegenüber.

Und? Belästigt er Sie mit Geschichten von Außerirdischen?

Nein. Wir spielen Poker. Er ist ein ziemlich guter Poker-Spieler.

Spielen Sie um Geld?

Natürlich spielen wir um Geld. Warum sollte man sonst pokern? Außerdem können wir es uns leisten.

War es das Geld, das Sie einst antrieb, Rockstar zu werden? Oder waren es Tommy Lee und Nikki Saxx, die eines Mittags bei Ihnen auf dem Pausenhof aufkreuzten, um die schönsten Mädchen der Klasse mitzunehmen?

Weder noch. Geld, Frauen, all das spielte keine Rolle. Das sind schöne Nebeneffekte. Ich wollte Gitarre spielen. Vor so vielen Leuten wie nur möglich. Sie dürfen nicht vergessen, dass ich in einem Haushalt aufgewachsen bin, in dem es nichts Besonderes war, berühmt zu sein.

David Bowie lebte zeitweise mit Ihrer Mutter.

Ja, aber ich war damals noch ein Kind, mir war es egal, was dieser Typ darstellte, ich fand die Situation einfach nur merkwürdig. David war schließlich der erste Mann im Haus, nachdem mein Vater ausgezogen war. Für mich war er wie ein Alien, das plötzlich auf unserer Couch saß. Aber David war immer nett zu mir, äußerst höflich und anständig, außerdem hat er meine Mum gut behandelt, ich mochte ihn.

Hat er versucht, ein Vaterersatz zu sein, Ihnen Lebensweisheiten mit auf den Weg zu geben?

Erst viele Jahre später, als es um meine Drogenprobleme ging. Er war einer der wenigen, auf die ich gehört habe. Vielleicht, weil David keine Ratschläge von oben herab erteilt, sondern einen an seiner Weisheit Teil haben lässt.

Wenn man Ihre Autobiographie liest, überkommt einen das Gefühl, als hätten Sie eine Kindheit ohne Autoritätspersonen erlebt. Die Eltern tauchen nur
am Rande auf.

Es war ein wenig wie bei den Peanuts, das stimmt. Eigentlich konnte ich machen, was immer ich wollte. Kiffen, klauen, BMX fahren, der erste Sex mit 12, das erste Gramm Koks mit 15 Jahren. Auch wenn das wie ein Klischée klingt: Ich bin ein Kind der Sechziger, es ging um Freiheit, Toleranz, Entfaltung, Kreativität, Liebe. Meiner Mutter war nur wichtig, dass ich weiß, wie man sich benimmt, dass ich in die Schule gehe und lese. Ansonsten durfte ich tun und machen, was ich wollte.

Erziehen Sie Ihre Kinder nach denselben Idealen?

Meine Frau und ich sind viel strenger. Wir lassen unsere Kinder nicht nachts um die Häuser ziehen.

Weil Sie wissen, welche Untiefen dort lauern?

Es ist einfach eine andere Zeit.

Dann sollten Sie tunlichst Ihre Autobiographie vor den Kindern verstecken.

Ich glaube nicht, dass meine Söhne das Buch wirklich interessiert, wenn sie Teenager sind. Das klingt dann wie Geschichten aus einer anderen Zeit, aus einem vergangenen Jahrhundert, Jahrtausend sogar, sie werden es furchtbar altmodisch finden.

Haben Sie das Buch eigentlich geschrieben, um sich den Guns’n’Dreck runterzuwaschen, um endlich abschließen zu können?

Es ging mir nicht um eine Reinigung, wenn Sie das meinen. Ehrlich gesagt hatte ich nicht vor, jemals eine Autobiographie zu schreiben. Doch dann kam eine unautorisierte Slash-Biographie auf den Markt, in der etliche Fakten fehlerhaft waren. Außerdem kochte das Internet über vor Gerüchten über eine angebliche Wiedervereinigung von Guns’n’Roses, zu denen ich Stellung beziehen, die ich kommentieren wollte und musste. Letztendlich war es natürlich doch irgendwie heilsam, meine Sicht der Dinge darzulegen, darüber nachzudenken, sie zu verarbeiten. Dennoch werden all die alten Geschichten meine Kinder nicht interessieren.

Spielen Ihre Kinder Guitar Hero gegen Sie?

Dafür sind sie noch zu jung.

Gelingt es Ihnen eigentlich, „November Rain“ auf Guitar Hero fehlerfrei zu spielen?

Ich kann das gar nicht. Mir ist meine echte Gitarre lieber. Aber es gibt eine lustige Anekdote dazu: Vor ein paar Monaten kam ein Junge auf mich zu und meinte: Hey, bist Du nicht der Typ aus Guitar Hero? Ich antwortete: Ja. Der Junge blieb stehen, starrte mich eine Weile lang einfach nur an, dann fragte er: Spielst Du auch richtig Gitarre? Das fand ich cool.

Er konnte ja nicht ahnen, dass er vor einem der letzten Superstars alter Schule steht. Wenn man sich die Bands von heute anschaut, wird man das Gefühl nicht los, dass Sie Vertreter einer aussterben Spezie sind.

Die Zeiten haben sich geändert. Es gibt keine klassischen Superstars mehr. Das Spiel ist gelaufen.

Lohnt sich der Traum vom Superstar heute noch? Ist er überhaupt noch zeitgemäß?

Die Jonas Brothers gelten hierzulande schon als Superstars, zumindest werden diese Typen von den Medien so gehandelt. Drei Typen, die Ringe tragen als Versprechen, keinen Sex vor der Ehe zu haben.

Ein Glück gibt es noch Pete Doherty, der Ihre alten Ideale hochhält: Heroin, Models, Rock’n’Roll.

Er ist der letzte unserer Art. Amy Winehouse hingegen trägt ihre Sucht so vulgär zur Schau, dass es einer ganzen Generation das Drogen-Nehmen verdirbt. Die Stars heute sind aus einem anderen Holz als es die Helden meiner Jugend waren.

Es scheint beinahe so, als sei in Zeiten von MySpace und Facebook 15 Minutes of Fame gegen 15 Megabytes of Fame ausgetauscht worden.

Wow! Darf ich die Formulierung klauen?

Nur, wenn wir uns jetzt noch ein wenig über Axl Rose unterhalten.

Deal. Was ist mit Axl?

Das wollte ich Sie gerade fragen.

Nichts. Was soll mit ihm sein?

Sprechen Sie mit Ihrem früheren Band-Kollegen? Die anderen Gunners sind auf dem Solo-Album vertreten, haben Sie überlegt, Axl zu fragen?

Nein.

Wann haben Sie zuletzt mit ihm gesprochen?

Das war 1996, glaube ich zumindest.

Sie wohnen beide in Los Angeles und sind sich nie über den Weg gelaufen?

Nein, so komisch das auch klingen mag.

Werden Sie jemals wieder mit ihm sprechen?

Wenn es passieren soll, dann geschieht es. Ehrlich gesagt, spreche ich ungern über dieses Thema.

Sind Sie noch auf ihn sauer?

Warum sollte ich?

Weil er sich den Namen der Band, die Sie mit ihm gegründet haben, einverleibt hat – und er sie mit Hilfe von Anwälten zu einem Angestellten von Guns’n’Roses degradieren wollte.

Das war der Hauptgrund, warum ich ausgestiegen bin. Aber das liegt Jahre zurück, die Rechtsstreitereien sind beendet. Für mich ist die Sache abgeschlossen. Ich habe nicht das Gefühl, irgendetwas falsch gemacht zu haben. Ich bereue nichts.

Stimmen die Gerüchte, dass Sie 100 Millionen Dollar ausgeschlagen haben, die Ihnen geboten wurde, wenn Sie wieder mit Axl auf Tour gehen?

Die Zahl ist eine Übertreibung. Dennoch: Es standen etliche ziemlich hohe Summen im Raum. Vielleicht hat tatsächlich jemand mal gesagt, dass ich mit einer G’n’R-Tour 100 Millionen verdienen würde. Aber das interessiert mich nicht.

Haben Sie sich Chinese Democracy angehört?

Ja, das Album stand vor Veröffentlichung im Internet. Und ehrlich gesagt, Chinese Democracy ist genau das Album, das ich von Axl erwartet habe.

Hat es sich gelohnt, darauf 13 Jahre zu warten?

Bitte fragen Sie mich das nicht.

Von außen betrachtet haben Sie den besseren Weg eingeschlagen: Mit Velvet Revolver bewiesen Sie, dass Sie auch ohne Axl millionenfach Alben verkaufen können, Sie sind clean, glücklich verheiratet, haben zwei Kinder, einen Bestseller, ein Solo-Album. Außerdem kürte Sie das Time Magazin zum zweitbesten Gitarristen aller Zeiten.

Ich bin einfach nur dankbar und froh, dass ich das alles überlebt habe. Und glauben Sie nicht, dass mein Weg einfach war. Ich bin durch sehr dunkle Zeiten gegangen nachdem ich alles hingeschmissen habe, schwere Jahre, in denen ich nur damit beschäftigt war, zu überleben, den Kopf über Wasser zu halten. Axl lebt immer noch in der G’n’R-Blase – aber glauben Sie bloß nicht, dass sein Weg einfach war.

Gab es einen Moment, an dem Sie dachten, dass all dies es nicht wert sei, an dem Sie den Schlussstrich ziehen wollten?

Nicht, nachdem ich die Band verlassen habe, davor schon. Ich glaube, wenn ich länger an Guns’n’Roses festgehalten hätte, säße ich heute nicht hier. Es war einfach zu hart.

Die Kollegen von Metallica haben einen Therapeuten engagiert, um die Differenzen zu kitten. Wäre das für Guns’n’Roses in Frage gekommen?

Niemals, in diesem Fall kann ich auch für Axl sprechen. Wir haben zu unterschiedliche Einstellungen, nehmen Dinge anders wahr. Weder Axl noch ich denken, dass wir irgendetwas falsch gemacht haben – und das wird sich auch nicht ändern.

Was würde der 16-jährige Slash wohl über den Mann sagen, zudem er heute geworden ist? Er wäre mit vielem einverstanden, mit einigem jedoch auch nicht. Der 16-jährige Slash wäre ein Rock-Fan, er würde nicht verstehen, warum ich Guns’n’Roses verlassen musste. Außerdem fände er es mit Sicherheit ziemlich zweifelhaft, dass ich mit Michael Jackson gespielt habe.

Hätte er das Solo für Rihanna für gut befunden?

Auf jeden Fall. Rihanna ist hot! Bei Jamie Foxx hätte er sich schwer getan, das gebe ich gerne zu.

Sie haben vorhin erwähnt, dass Sie nicht gerne Unterwäsche tragen. Heute auch nicht?

Nein, wieso sollte ich?

Was haben Sie denn heute noch vor?

Ich bringe mein Auto in die Werkstatt.