So viel Nähe, so viel Unsicherheit

Reportage
zuerst erschienen am 23./24. April 2016 in taz am Wochenende, S. 18-19
Farsi-Psycho: Im Iran während der Endphase der Sanktionen – wegen eines falschen Visums viel Angst vor einer Geheimagentin, die dann zu einer Sekretärin wird

Ihr springt Panik in die Augen. Im Norden Teherans auf dem Messegelände an Stand 24 in Halle 35 sagt sie, Monshi sei kein korrektes Wort. Sie studiere und helfe am Stand der Firma. Ferienjob also. Kein Monshi? Sie: nein. Früher ja. Aber jetzt nicht mehr. Ihre Augen hetzen hin und her unter ihrem Kopftuch. Sie will, sie muss das aus der Welt schaffen: sei Studentin der Außenwirtschaft. Kein Monshi! In einer der riesigen Hallen am Rand Teherans auf der Irantex & Iran Mode am Stand von Texofin reagiert sie panisch auf die Fragen ob sie guten Gewissens in den Spiegel schauen könne als Monshi. Ob sie eine Pistole habe. Sie lächelt hilflos.

Lächelt zu viel. Verteilt Prospekte, vermittelt Termine, verkauft Schmierölkanister. Ist wie alle Iraner neugierig, will viel über Deutschland erfahren. Dass sie Monshi sei, hat wer erzählt, als wir den Stand aufbauten. Monshi? Lange Pause, seltsamer Blick, etwas leiser zwischen den Zähnen durchgezischt beim Stemmen gegen die wackelige Trennwand, die wir festschrauben: „Security“. Panik in meinen Augen. Weil ich mit einem erlogenem Visum in den Iran kam. Als „Consultant“ der Firma Interspare aus Reinbek bei Hamburg, die Maschinen in 268 Firmen im Iran betreut, begleite ich einen Kaufmann der mit Ersatzteilen für Textilmaschinen handelt. Business- statt Journalistenvisum. Bin aufgesprungen. Ein Journalistenvisum hätte zu lange gedauert und es bestand die Gefahr, keines zu bekommen. Security? Geheimdienst? Der Iran hat ein autoritäres Regime, revolutionäre Garden, Religionspolizei, öffentliche Hinrichtungen, Auspeitschungen, religiösen Eifer, Schleier. Ich Angst.

Vorsichtig, unwissend, anfällig für Gerüchte irren Europäer umher in dieser Farsi-Psycho-Geschichte in einem Land mit 80 Millionen Einwohnern, von denen die Hälfte jünger als 25 Jahre ist. Auch die haben Orientierungsprobleme, jetzt wo neue Zeiten anbrechen. Sie litten lange unter dem Embargo. Erlebten heftige Inflation. Entwickelten einen kollektiven Minderwertigkeitskomplex und ein starkes Verlangen nach: Wir gehören auch dazu, unterschätzt uns nicht, nehmt uns ernst, wir sind mehr als Religion.

Also brodelt nun ein Mischmasch aus übertriebenem, protzigem Selbstbewusstsein und einem Minderwertigkeitskomplex. Die Iraner sind nahe an etwas, das meiner Definition von Schizophrenie entspricht. Haben bei allem Optimismus Angst und bei aller Angst Vertrauen zu einzelnen. Immer vorsichtig und gleichzeitig vertrauensvoll dem einzelnen gegenüber. Sie sind ständig auf der Suche nach Rückzugsräumen. Haben dabei aber diesen Zusammenhalt, der in einem autoritären Staat gegen das System entstehen kann.

Es ist das Jahr 1394 nach der Flucht Mohammeds aus Mekka als ich auf der Messe stehe. Das Jahr, in dem sich das Ende der Handels-Sanktionen gegen den Iran andeutet. Das einen Monat später tatsächlich kommt. Gerade hat es in eine Annäherung im Atomstreit gegeben. Hab es im Hotelfernseher gesehen und gehört. Leider auf Farsi. Die Lobby des 15-stöckigen Homa Hotels in der Khoddami Street im Zentrum Teherans ist bereits voller Männer in Business-Anzügen. Gierig lauernde Männer aus dem Westen. Italiener in schicken Anzügen. Amis mit Fitnessstudio-Muskeln und lauten Stimmen. Deutsche, viele davon mit putzigem Teddy-Bär-Auftreten. Franzosen, elegant und arrogant. Lebende Klischees vor meinen Augen. Alle bestellen Milch-Shakes. Bier, Whiskey, Wein darf es nicht geben in der Islamischen Republik Iran. Die Kellnerinnen tippen auf flache Handhelds die Bestellung: Aprikosen- oder Mandel- oder Erdbeershake.

Bezahlen außerhalb des Hotels ist schwer. Karten funktionieren nicht. Am Morgen stehen Schlangen am Hotelcounter. Alle wollen Dollars und Euros in Rial tauschen. Oft aber kann das niemand, alle werden auf morgen und übermorgen vertröstet. Irgendwer organisiert irgendwie iranisches Geld. Eine Inflationswährung. Der Einfachheit halber gibt es eine Zweitwährung. Neben dem offiziellen Rial auf der Straße den Toman. Das sind 10 Rial. Wer ein Preisschild, auf dem 100 steht, sieht, muss klären, ob es 1000 oder 100 sind. Eigentlich sind es immer 1000. Es gibt keine Toman-Scheine, es gibt nur Rial-Scheine, von denen man im Kopf eine Null streichen muss je nachdem was der Verkäufer sagt. Was anfangs billig schien, kostet das Zehnfache. Auf dem Heimweg hieß es in Dubais Wechselstuben „Schmeiß es weg“, als ich mit den Resten meiner iranischen Rial kam. Niemand nimmt iranische Währung.

Davor: Nach der Messe besuche ich in Teheran, Karaj, Kashan und Yazd Firmen, die Stoffe und Teppiche herstellen mit alten deutschen Textilmaschinen aus dem Jahr 1969 oder 1958. Ich sehe sogar eine aus dem Jahr 1938, die noch arbeitet. Das ist auch eine Geschichte über deutsche Wertarbeit. Die Firmenchefs sind alte Männer mit großen Armbanduhren und bunten Hemden, die von Vätern und Großvätern erzählen. Sie berichten, wie sie mit Koffern voll Geld über die Grenzen gingen wegen der Sanktionen. Dreimal hörte ich so eine Geschichte. Wie sie clever tricksten, die alten stolzen Helden.

Ein anderes, ihnen wichtiges Thema ist die deutsche Abwrackprämie von 2008. Gilt als Politik in Perfektion, „wie wir sie im Iran nie hinbekommen“. Da wollen sie alles zu wissen. Was, man konnte auch einen Toyota oder einen Fiat kaufen, bekam dennoch 2500 Euro Umweltzuschuss? Auch für ausländische Autos? Einer der drei Brüder, denen Payabaf gehört, hier gibt es viele Familienbetriebe, kriegt sich nicht mehr ein, er verschüttet Tee. Der Chef von Yazdbaf fragt zweimal nach. Sie sitzen ja alle hier und warten auf Autos aus dem Ausland. Eine der beiden staatlichen Autofirmen ist insolvent. Garantien gelten nicht mehr. Die Autos hier seien so schlecht wie die Luft der Städte. Jeder erzählt eine Horrorgeschichten über die schlechte Qualität der Autos von Ikco und Saipa. Wobei, einer der Firmenchefs hat einen Porsche, erzählt er. Mit dem er aber zurzeit nicht fahre. Zuviel Neid. Daimler gibt es oft. Der Iran mag ja eine Revolution gehabt haben, aber er ist ein kapitalistisches Land. Business ist alles hier.

Business-Visa kriegt man in Teheran am Iman-Khomeini-Airport nach der Landung wenn man eine Einladung einer iranischen Firma hat. Wegen der bekommt man vom Iran Ministry of Foreign Affairs eine Mail mit einer Folge von sieben Zahlen und muss innerhalb von drei Tagen am IKAP auftaucht. Was ich lerne: Wer „cool“ ist und „cool“ wollen alle sein, sagt IKAP und meint den Flughafen. Wie wir früher „Malle“ sagten. IKAP bedeutet, man war mal draußen.

Jeder um mich herum weiß inzwischen, dass ich Journalist bin. Weil die Iraner, auf deren Stand ich stehe, mich oft als Journalisten vorstellen. Das Wort wird als Code benutzt. Mit ihm teilen sie anderen mit, dass sie ihnen vertrauen. Pssst, Du und ich, wir haben jetzt ein Geheimnis, der Typ neben mir ist Journalist. Komm, schüttle ihm die Hand. Ich bekomme ein Feeling auf der Messe, das, so vermute ich, Säuglinge in Kinderwagen haben, wenn sich, „oh ist der süß“, fremde Menschen rüber beugen.

Das hätte eine langweilige Geschichte werden können. Jedoch, sie spielt im Iran und enthält Comedy-Elemente. Wochen später fahre ich mit einem Iraner und seiner Frau, die ich am Messestand kennengelernt habe zur Hochzeit ihrer Cousine. Die Fahrt dauert sieben Stunden, führt durch die Wüste auf achtspurigen vollen Autobahnen. Kilometerweit immer gerade aus. Links und rechts nichts. Wie in Arizona, nur breitere Straßen. Ich erkundige mich nach dem Geheimdienst, nach Monshi. Wie? Wir benötigen Stunden das zu klären und sie lachen ihr Auto nass. Da hat wer bei der Übersetzung gepatzt. Monshi heißt Secretary. Nicht Security.

In den folgenden Tagen genügt das Wort „Monshi“ und alle grölen. Iraner sind kommunikativ. Überhaupt, sie wirken italienisch. Mit viel eindrucksvoll vorgetragener Sprache, Wohlklang mit nicht ganz so viel Inhalt. Stil. Stolz. Eitelkeit. Esskultur. Speiseeis. Unpünktlichkeit. Mama. Übergroßer Respekt vor Mama. Immer die beste aller Köchinnen, die beste aller in Allem. Männermode ist extrem wichtig. Die Frisur des Mannes muss sitzen, die Haare sind hinten eher länger. Die Gestik ist lebhaft, die Standard-Mimik besteht aus einem netten Lächeln, das ein bisschen herablassend wirken kann. Sonnenbrillen sind entscheidend und das Mobiltelefon, immer das neuste.

Es gibt viele Kommunikationsprobleme, weil die Codes sich unterscheiden. Das Parade-Beispiel: Frauen, alle mit Hijab, das Kopftuch ist vorgeschrieben, haben oft Pflaster auf der Nase. Das bedeutet, denkt man doch, Schönheitsoperation und fragt sich, warum denn überhaupt, wo die Frauen doch verschleiert sind. Gerade deshalb, habe ich gelernt. Da sind nur ein paar Zentimeter Gesicht, die eine Frau zeigen darf, also sind die wichtig. Der Fokus der Betrachter wird aufs Gesicht gezwungen. Also auf Kosmetik und eben kosmetische Operationen.

Aber ein Pflaster auf der Nase bedeutet nicht unbedingt Schönheitsoperation. Ist eher ein Kosmetik-Ding. Der weiße Streifen über dem Nasenrücken gilt als modische, provokante Botschaft, entspricht in etwa einem Minirock im Stuttgart der 70er-Jahre oder einem Pelzkragen heute. Hinzu kommt: das Pflaster gilt als Status-Botschaft: Ich kann mir eine OP leisten. Sollte dem nicht so sein, musst du das erst mal nachweisen.

Es gibt noch eine Botschaft per Nasenpflaster: Ich bin nicht tiefenreligiös. Keine Religionspolizei kann da was gegen sagen, meine Haare sind bedeckt, ich habe die geforderte Hose an. Korrekt nach Vorschrift. Meine Botschaft aber klebt in meinem Gesicht. In der Endphase der Sanktionen habe ich viele Pflaster mit roter Farbe gesehen. Dachte anfangs, Blut! Doch Operation. Falsch. Das ist Kosmetikfarbe, um den Pflastereffekt zu steigern.

Wenige tragen das Tuch so, dass man die Haare nicht sieht. Meistens so, dass man sie gut sieht. Der Trick: ein Zopf wird so gebunden, dass er waagrecht nach hinten zeigt, den Kopf verlängert. Manche nehmen kleine Stoffkissen, um Dutts zu zaubern. Auf den Haaren hängt das Tuch, der Kopf ist sichtbar, das vorgeschriebene Tuch auch, nach hinten verschoben. Wirkt wie Futur. Die Frauen haben verlängerte Köpfe. Wie Aliens in Science-Fiction-Filmen. Auf der Messe sehe ich Frauen mit pinkem Haar. Mit blauem. Schrille Strähnen. In Lokalen gibt es das Ritual, den Hijab zu richten: Abnehmen. Haare zeigen. Ordnen. Tuch wieder aufziehen. Dabei lächeln. Botschaften wie Pflaster rot-weiß.

Die Interspare-Mitarbeiterin in Reinbek, die meine Einladung organisierte, sagte, man dürfe offiziell nicht mit Apple-Produkten in den Iran. Die Monteure der Firma, die dort Maschinen reparieren, würden ihre jedoch mitnehmen. Ohne sie könnten sie nicht auf Montage. Alle Daten, die man für so eine bis zu 40 Meter lange Maschine braucht, seien da drauf. Monteure nehmen Macs mit. Mir riet sie ab. Ich nahm Mac und IPhone mit.

Als ich der Ankunft tief nachts im Taxi vom IKAP ins Hotel fuhr sah ich zweimal Apple-Werbung. Groß. Beleuchtet. Eindeutig. In den folgenden Wochen überall IPhones. Noch nie erlebte ich so eine Ballung. Visitenkarten interessieren keinen. Alle sind, obwohl sie eigentlich nicht dürfen, bei What’s App, Facebook, Instagram, vor allem aber Telegram. Sie wollen sofort Kontakt. Oder Coca Cola, amerikanischstes aller Getränke. Gibt es im Iran nicht. War ich überzeugt. Gibt es by authority of The Coca Cola Company by Khoshgovar Tehran Company, Imam Khomeini Boulevard, Caspian Industrial City, Qazvin, Iran. Gleiches Geschäftsprinzip wie in Deutschland: lokale Firmen, die von Coca Cola Formel und Lizenz kaufen. Schon immer.

Es ist ein journalistisches Muss, die Namen der Interviewten zu nennen. Soll ich? Die Iraner sagen „ja klar, kein Problem“. Aber ich will sie nicht schreiben, um sie zu schützen. „Ach was“, mailen sie. Monshi heißt Mozhgan Khanali, 26. Abdul Mashadi, 46, ist der Besitzer von Texofin. Nashme, 42, seine Frau. Mohsen Fatuhi, 28, arbeitet für ihn. Dessen Frau, Mahsa, 26, in einer Fabrik, die IKEA-Teppiche produziert. Die beiden nehmen mich mit zur Hochzeit ihrer Cousine. Die alten Firmenlenker, die als einziges deutsches Wort „Abwrackprämie“ kennen und zappeln, wenn man davon erzählt, sind Abdul Peidayesh Fard, 70 und Astane Dari, etwas jünger. Wie viel will er nicht sagen.

Im Kino. Wegen „Mohammed Razul“, dem teuersten und aufwendigsten Film, der im Iran je gedreht wurde. Ein Monster von einem Film, dreieinhalb Stunden lang. Schildert die jungen Jahre des Propheten. Gut, er fängt mit dem Großvater von Mohammed an und über den Vater lerne ich auch viel. Tolle Kamera, tolles Licht, tolle Ausstattung, opulent, epische Landschaft, so viel davon hab ich noch in keinem Hollywood-Film gesehen. Jedoch, „Mohammed Razul“ hat Probleme. Man darf als Moslem sich kein Bildnis von Mohammed machen. Das ist auch der Grund des Karikaturen-Streits.

So sehe ich dreieinhalb Stunden ein Kind, einen Jüngling, einen Mann von hinten, von der Seite, hinter einem Kamel, so in der Sonne, dass sein Gesicht unsichtbar ist, von vorne, aber mit wem davor, der das Gesicht verdeckt. Wahnsinnsleistung des Regisseurs, eine Abfolge von Zaubertricks, immer wieder kommt wer ins Bild, stellt sich vor Mohammed, in letzter Millisekunde. Das war spannend, ein ganz besonderer Aspekt. Ich wusste, dem sehe ich nie ins Gesicht und trotzdem hoffte ich drauf. War wie wenn ich den Mörder am Anfang erahne und trotzdem weiterschaue. Das Kino riesengroß und voll. Viele Familien mit Babys, schreiend, heulend. Popcorn. Softdrinks. Pärchen, die Händchen halten. In der Reihe vor uns sah ich … ich würde sagen, da waren Hände unter fremder Kleidung.

Auf dem Burj Milad, dem Fernsehturm, laut dem großen Schild am Eingang der achthöchste Turm der Welt, da sind sie stolz drauf, kam ein junger Mann auf mich zu und fragte woher ich komme und „Do you love Jesus?“ Ich zucke mit den Schultern. Er: „Do you love Jesus?“ Gegenfrage: „You?“ Er: „Yes. Do you love Jesus?“ Ich auf Englisch: „Kann ich nicht sagen.“ Er bettelt fast: „Do you love Jesus?“ Ich, hilflos: „Nein.“ Er, drängend: „Do you love Jesus?“ Ich auf Englisch: „Genug, ich gehe.“ Ich eile. Später erklärt Monshi, „Do you love Jesus?“ sei ein Code, die Frage, ob ich mit ihm ins Bett will. „Gay-Talk“ sagt sie. Im Iran? Für Homosexualität gilt die Todesstrafe.

Monshi, für mich zu dem Zeitpunkt vom Geheimdienst sagt, im Iran gebe es alles. Der Iran sei nicht anders als die Welt. Eine wichtige Botschaft, hoffend, beschwörend gesprochen. Mozhgan Khanali will wissen, wie ich wohne. Ob ich ein Auto habe. Was für eines. Ob ich schon mal in New York war. Autos sind ein großes Thema im Iran. Was ich so arbeite? Consultant halt. Wohin ich in Urlaub fahre. Sie will wie ich Alltag lernen. Ich frag wieder nach ihrer Pistole. Sie schaut wütend.

Ich führe Interviews mit Funktionären und Firmenchefs. Über allem schwebt: Wir wollen endlich Business machen, ernst genommen werden. Oft höre ich: „Unterschätzt uns nicht, wir sind nicht so blöd wie die Araber am Golf“. Mohammad Moravej Hosseini, der Chef des iranischen Textilarbeitgeberverbands, sagt das wortwörtlich. Zweimal. Er ist klein, hat ein Doppelkinn, einen runden Kopf mit Haarkranz. Besitzt vier Teppichfabriken in Shiraz und Kashan. Sein Büro in Teheran ist ein Palast mit einem fünfstöckigen neuneckigen Foyer.

Moravej hat seit 20 Jahren ein Apartment in Mönchengladbach. Dort gibt es große Textilmaschinenhersteller, Montforts und Karl Mayer, also sei er oft dort. Gestern habe er mit dem Minister gesprochen. Der wolle der Textilindustrie 450 Millionen US-Dollar zur Verfügung stellen. Für Investitionen. Der Iran hat so was wie eine kapitalistische Planwirtschaft. „Wir müssen unsere Kapazitäten verdoppeln. Wegen der hohen Arbeitslosigkeit.“ Die nächsten vier Jahre gingen 4,5 Millionen Menschen von Unis in die Arbeitslosigkeit. Niemand investiere, keiner kaufe neue Maschinen. Stillstand. Jetzt aber: „Hunger for new machines“.

Moravej erzählt beim nächsten Glas Tee „der Iran war immer an Deutschland orientiert. Wir mögen die Engländer nicht, die Amis nicht, die Russen nicht. Historisch bedingt. In den 20 Jahren kamen die Deutschen und halfen uns mit Brücken, Schienenstrecken, Elektrizitätswerken, Stahlwerken.“ Er habe an der Technischen Hochschule seinen Abschluss gemacht. „Deutsche Gründung, deutsche Lehrer.“

Auf der Hochzeit saßen die Männer in einem Raum. Ich dachte immer, wir Deutschen schlingen. Nein, im Iran wird Essen geschaufelt. Weltrekordtempo. Sie reden über Reis-Sorten wie Deutsche über Weinreben, es geht um Feinheiten. Der Bräutigam freut sich, mich zu sehen. Ich bin auf die Hochzeit geschleust worden. Der Bräutigam sagt, er sei soooo stolz, mich auf dem Fest zu haben. Stellt mich vielen vor. Wieder dieses Baby-im-Buggy-Gefühl. Die Frauen sind in einem anderen Raum. Kein Kontakt während der Feier. Junge Männer fragen unabhängig voneinander, dreimal, ob ich im Krieg gekämpft habe. Langes Gespräch mit dem ersten, bis klar wird er meint den Zweiten Weltkrieg. Bei den anderen kann ich das dann schneller klären.

Die Frauen haben getanzt, erzählt Mahsa. Nach dem Fest fahren wir im Korso durch Yazd. An roten Ampeln springen die Männer aus den Autos, tanzen zu Musik aus Autoradios. Es wird gehupt, Menschen klopfen Rhythmen auf Autodächer. Ich hatte gelesen, es gehöre zum Protest junger Iraner mit verdeckten Nummernschildern an einer Stelle mit Überwachungskamera zu tanzen. Männer und Frauen. Bis Polizei kommt. Zuvor, per Mobiltelefon gewarnt, zischen die Tänzer ab. Sei das Wildeste, was man hier machen könne. In Yazd kommt die Polizei. Ein Polizist tänzelt mit, andere gratulierten dem Bräutigam.

Am Ende der Reise übernachte ich bei Mohsen und Mahsa. Ihre Wohnung liegt näher am IKAP als das Hotel. Wenn ich was gelernt habe in Teheran, dann Stau, Smog und Straßenchaos. Wir waren sieben Stunden in ihrem Auto nach Süden gefahren. Sieben zurück. Stopps an vielen Autobahnraststätten. Sie immer mit Hijab. Wir kommen in die Wohnung. Mohsen schaltet den Fernseher an und zappt. Auf dem Großbildschirm laufen Videos, alle auf Ibiza gedreht. Tanzende schwitzende zuckende Haut jeden Geschlechts in Großraumdiscos. Die Sender sind türkisch und russisch. Geht es da so zu, fragte er? Schon, aber dürft ihr das schauen, frage ich? Er schaut als hätte ich ihn gefragt, ob er Monshi sei.

Unterdessen nimmt Mahsa ihren Hijab ab, fängt an, ihre langen schwarzen glänzenden Haare zu kämmen. Lächelt. Verrückte Situation für einen Fremden im Iran. Wahrscheinlich nur für den. Soviel Nähe, soviel Vertrauen, soviel … Unsicherheit. Willst Du Tee? fragt Mohsen.