Walkabouts – Ortsnamen, Namen überhaupt

Portrait
zuerst erschienen im Juli 1990 in Spex Nr. 7, S. 8
Eine Folk-Band auf SubPop. Endlose Schönheit, große Weite. Carla und Clara (oft verwechselt, nicht dasselbe) balancieren auf endlosen Bahngleisen, die in den endlosen Wortschwall Walt (Chris) Whitmans führen.

„What about this Peckinpah film, the man who destroys his life to find his home? Now that sounds like a Walkabouts song.“
(Postkarte von Chris an Clara)

Amerika. Unendliche Weiten. Manche warm wüst und vielzitiert, bevölkert von Desert-Rockern, deren Blut fließt wie Blei, umflogen von Fliegen… etc. Dann aber - die Regionen der wildreichen Wälder und abenteuerlichen Berge, in denen es nur warm ist, wenn es nicht gerade schrecklich kalt ist… dort leben Männer in Waschbärmützen und einige Hippies, deren Frauen nordische Namen tragen und schwere Cellos mit sich führen, auf dem Rücken oder auf einer Trage aus Ästen weitergezerrt - im Winter kommen sie herunter in die seltsamen Städte, gebaut aus Stahl und Kohle und Matsch, und verdingen sich als Zerstörer und Radikale, die niemals sagen, worauf sie eigentlich aus sind.

Früher waren diese Walkabouts mal vielseitig interessierte Collegemenschen aus Seattle, und ihr Ding   waren mißratener Gang-Of-Four-Funk (schäm) und matschiger freundlicher weißlicher Reggae (schande), ihre einzige Attraktion war, wie sie berichten, ihr weithin berühmtes Sensations-Feedback bei jedem Versuch, ein Cello mit Anstand auf die Bühne zu bringen. Klingt für mich nach einem begnadeten Act, aber die ‘85er EP „22 Desasters“, auf ihrem eigenen Label Neccessity veröffentlicht, erntete nur einen einzigen kurzen Satz lang Aufmerksamkeit: „27 Desasters If You Include The Band“. (schäm) Von der ersten Single „Amy Gram“ haben sie gerade 200 verschollen geglaubte Exemplare wieder „aus dem Boden gegraben“. Im Boden graben, ditch digging, in erdigen Überresten der großen Geschichte scharren, darin fanden sie ihre eigentliche Bestimmung. Folk mit mehr als einem kleinen Kick Artiness, „sensitive hippies with big amps“, die dem donnernden Standard des Seattle-Sounds mit ganz anderen, aber ähnlich eindrucksvollen Standards (vielleicht kann man auch Klischees dazu sagen) begegnen, die etwas schwesterlich-brüderlich abweisende Vocals von Carla Torgetson und Chris Eckman. (Diese Frauen, deren Stimmen bestimmter und kräftiger werden, je kleiner, zierlicher und mausiger sie selbst werden.) „See Beautiful Rattlesnake Gardens“ (klingt wie ein Anagramm, oder?) erschien ‘87 auf PopLIama (und ist   hier   bei   Still   Sane  wiederveröffentlicht), „Cataract“ (klingt ganz normal) und die neue EP „Rag & Bone“ (klingt wie ein Cockney-Reim auf Telephone, oder?) bei SubPop. Pianomann Glenn Slater, seit „Rag & Bone“ neu dabei, malt den Folk etwas hämmernder und dunkler, wolkiger, rußiger, noch ein Schuß Größe, aber auch noch ein Schuß Style.

Die Amerikaner werden, was Fluß und Melodie der Sprache angeht, in aller Welt an erster Stelle liegen und die Wörter am vollkommensten benutzen… welch verborgener, seltsamer Charme im Klang gewisser Wörter! Geographie. Schiffsverkehr, Dampf. Eisenbahnen, die Geldprägestätte, der elektrische Telegraph… Den englischen Bestand, voll genug von Fehlern, aber abgeneigt gegen jeden Firlefanz, unparteiisch, instinktiv gerecht, mit verborgenem Stolz und Melancholie, mit muskulösen Armen bereit, mit freier Rede, mit der Messerklinge für Tyrannen und der dargereichten Hand für Sklaven… die Fülle und Mannigfaltigkeit der grossen Nationen der Union - die Tausende von Siedlungen - die Meeresküste - der Kanadische Norden - der mexikanische Süden - Kalifornien und Oregon - die Binnenseen - die Prärien - die unermeßlichen Flüsse… (und FASEL!!! Walt Whitman läßt sich von grenzenloser Begeisterung davontragen und stirbt kurz darauf im Jahre 1892, aber die rasante Wertschätzung des Volkes und der dazugehörigen Worte überlebt.)

Dirt, Digging, Rivers, Steel…und so weiter. Man sollte ein paar legendäre Gewerkschaften gründen, falls die industrielle Revolution schon stattgefunden hat, oder etwas ähnlich historisches anfangen.

Chris Eckman (Vocals, Gitarre und viele andere Saiteninstrumente): „Earth, Wind, Water and Steel… wir schreiben ja über den WESTEN, wo wir herkommen, den Mythos amerikanischer Folk-Geschichte, ich glaube, das ist bewußt. Es sind mehr die Eindrücke als echte Geschichten, ‘Ahead Of The Storm‘ z.B. - es scheint nur so, als würde da jemand reden, es ist nur stream of consciousness. Für den Song haben wir ein Video gedreht, und ein Freund von mir hat wochenlang versucht, sich da reinzuhören, ohne Erfolg. Es ist über irgendwas… über diesen Typ… aus seiner Sicht…die eigenartige Schilderung einer seltsamen Sache, die ihm zugestoßen ist… und Fragmente davon dringen zu uns durch.“

Undurchsichtige, düstere Geschichten, würde ich sagen, aber reich an ausdrucksvollen Worten.
Chris: „Die Methode ist, Eindrücke stehen zu lassen, Wegweiser, die irgendwohin führen.“

Llano Estacado. Wir kommen hier nie wieder raus.

Chris: „Wie Songtitel z.B. Ich liebe Songtitel und Bands mit guten Songtiteln.“

„Long Black Veil“ war z.B. so ein guter Songtitel, zu gut zum Stehenlassen. Auf „Cataract“ bleibt von Lefty Frizelis Klassiker nur der Titel stehen, aber dafür bedeckt der lange schwarze Schleier eine ganze Stadt.

Chris: „lch schreibe mir gerne Ortsnamen auf, wenn wir unterwegs sind, weil sie gute Songs abgeben, der Westen ist reich an unerhörten Namen und Orten. ‘Medicine Hat‘ z.B. ist ein kleines Kaff in Süd-Dakota - da muß man nicht gewesen sein - im Song gebt es aber um ein tatsächliches Ding, einen Medizinhut, den dieser Mann da ausgräbt…“

So traditionsreich wie der Rückgriff auf vielversprechende Ortsnamen sind Dinge, die sich neben endlosen Bahngleisen abspielen, oder besser noch Folk-Tunes aus den Ozark Mountains (home der gleichnamigen Daredevils) wie „Wreck Of The Old No.9“, bei dem die alte Maschine im Tode noch mehrere Generationen Moderne überwindet und in die von Steve Fisk (der Mann fürs Heikle) regierte, in weiter Zukunft liegende Studiowelt kracht. Transzendental! Das Ereignis wird live in einem europäischen Club nachgespielt von dieser Band, die Carla Torgerson, in einem eher schüchternen Versuch zu scherzen, als „Pianoband aus Berlin“ anbietet, weniger Divine-Horsemen-haft als kräftig melancholisch, verirrt, wie moody Australier, die aus ähnlich diffusen Quellen schöpfen: Band No. 500 in diesem Laden, der Sekt war alle, aber die Musik war gut.