Wie man vom Krieg erzählen kann

Tagungsbericht
zuerst erschienen am 26. Februar 2014 in Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 48, S. N3
Eine Tagung im Berliner „Haus der Kulturen der Welt“ fragte nach Bildern aus bewaffneten Konflikten – anhand einiger großartiger Filme.

Wenn man einmal davon ausgeht, dass es sich herumgesprochen hat, dass jeder Krieg zuerst ein schreckliches Gemetzel an Land und Menschen ist und nicht eine humanistisch eingehegte Veranstaltung, in der Professoren sich das Wort Gerechtigkeit auf der Zunge zergehen lassen, dann ist die Frage, wie man von den Kriegen der Gegenwart erzählen kann, im besten Sinn auch eine der Ästhetik. Der Regisseur Romuald Karmakar gab am vergangenen Samstag im „Haus der Kulturen der Welt“ (HKW) in Berlin für diese Tatsache folgendes Beispiel. Er habe für seinen Film „Warheads“ die porträtierten Söldner natürlich „gecastet“, wenn auch nicht im Sinn von heutigen Fersehproduktionen. Karmakar hatte sich mit verschiedenen Söldnern getroffen und dann die ausgewählt, die ihre Arbeit in einen weiten Reflexionsbogen spannen konnten. Solche Söldner fand er filmisch interessanter als den Typ, der gleich von seinen Bordellerfahrungen in Djibouti erzählt.

Man kann aus Karmakars Auswahlkriterien für seine Darsteller eine Formel ableiten, die für die gesamte dreitägige Veranstaltung mit dem Titel „Krieg erzählen“ den Maßstab setzte: Komplexitätsreduktion, in welcher Form auch immer, ist heute kein brauchbares Mittel mehr, wenn man einen Bericht vom aktuellen Kriegsgeschehen liefern will, der sich der Wahrheit verpflichtet fühlt. Die Thementage waren dabei dem Paradox gewidmet, dass extreme Ereignisse und Gewalterfahrungen als „unbeschreiblich“ gelten, dennoch aber Beobachter und Betroffene von ihnen berichten. Das geschah in einer auf eine wirkliche Totalität zielenden Weise, in dem Kriegsberichterstatter, Fotografen, Wissenschaftler, Menschenrechtler, Filmemacher und Zeugen aus Kriegs- und Krisengebieten zu Wort und miteinander ins Gespräch kamen.

Zu einem in seiner unglaublichen Stringenz kaum zu fassenden Höhepunkt wurde das in die Tagung integrierte Filmprogramm, das sich in den sechs gezeigten längeren Filmen vor allem durch einen Mangel auszeichnete: durch das Fehlen ästhetischer Fehlentscheidungen der Filmemacher. Man rieb sich irgendwann nur noch die Augen, weil einem – mit einem Wort Michel Foucaults – das „Licht des Krieges“ in den Bildern einer Serie exzellenter Filme aufgegangen war. Kuratiert hat die Filmreihe Christina Nord, Filmredakteurin der „taz“, und Karmakars dreistündiger Dokumentarfilm „Warheads“ von 1992 bildete in jeder Beziehung den Mittelpunkt der Reihe. Indem Karmakar einen deutschen Soldaten, der zwanzig Jahre in der französischen Fremdenlegion diente, und einen britischen freischaffenden Söldner unkommentiert von ihren Erfahrungen und Gedanken berichten ließ, hat er ein entscheidendes Kriterium der aktuellen Nachrichten in Fernsehen, Journalen und leider auch der Wissenschaft suspendiert: das Kriterium der Glaubwürdigkeit.

Die Wahrheit des Krieges, sagen die Akteure dieses Films in jeder Einstellung und mit jedem Blick, hängt nicht von der Glaubwürdigkeit ihrer Beteiligten ab, sondern von der unzensierten Darstellung ihrer Arbeit, zu der auch die Lüge und das Lügen gehören. Oder in einer ethischen Maxime ausgedrückt: Wenn man Zeitgenosse von Schrecken ist, dann ist es nie wahr, dass man sie nicht kennt. Man versteht heute sofort, warum sich 1993, als der Film noch frisch war, die Wiesbadener Filmbewertungsstelle (FBW) weigerte, dem Film ein Prädikat zu verleihen. Damit wäre nämlich auch ein Film über die Wahrheit des Krieges schul- oder nur bildungswertvoll geworden, was es etwas schwieriger gemacht hätte, den Krieg als Gegensatz unseres Alltags darzustellen, weil bei Karmakar der Krieg auch ein „normaler“ Arbeitsplatz ist. Trotzdem gelingt es seinen Bildern, sich jeder populärkulturellen Ästhetik, die immer auch zur Ästhetik der Unternehmenswerbung werden kann, zu entziehen, weil er die Bilder genauso wie die Söldner ausreden lässt.

Wobei die Frage, inwieweit Bilder vom Krieg durch ihre Motivauswahl und Nachbearbeitung nicht auch zu Werbe- oder Eventdokumentationen werden können, die sich hervorragend in den Lauf der Dinge einordnen lassen, die gesamten Thementage durchzog. Eine Fotografie von einer Kinderbeerdigung im Gazastreifen, mit Fotoshop zu einer kontrastreichen Abendlichtzeremonie aufbereitet, fügt sich sehr gut in die abendländische Bildgeschichte von Prozessionen und anderen Opfergängen. Auch Karmakar wurde damit konfrontiert. Christina Nord hatte den Film mit einer persönlichen Bemerkung eingeleitet, in der sie feststellte, das einer der Darsteller in „Warheads“ sie an Brad Pitt in Tarantinos „Inglourious Basterds“ erinnere. Verena Lueken, Filmredakteurin dieser Zeitung, die das Gespräch nach dem Film mit Karmakar führte, griff den Gedanken auf und fragte, ob ihm klar sei, das populärkulturelle Bilder die Bilder des Krieges überlagern können.

Karmakars Antwort war eine unaufgeregte Beschreibung seiner Arbeit, eine Konzentration auf einen Bericht von seinen Quellen und der Geschichte ihrer Umsetzung im Film. Kulturelle Überlagerungen sind nicht sein Anliegen, die Wahrheit der Bilder gibt es für Karmakar nur am lebhaften Brennpunkt der Zeitgenossenschaft – und diese fasst er kurz. Wir lebten in einer Zeit, in der man nicht lange nach dem Krieg suchen müsse: „Wenn der eine endet, fängt der nächste an.“ Und was bei Karmakar das ehemalige Jugoslawien war, ist heute Afghanistan. Ein Krieg, der Gegenstand von zwei Filmen ist, die unterschiedlicher kaum sein könnten und Karmakars Söldner rahmen: „Restrepo“ (2010) und der „Tag der Spatzen“ aus demselben Jahr.

„Restrepo“ ist ein Dokumentarfilm von zwei „eingebetteten“ amerikanischen Journalisten, die ein Platoon der amerikanischen Armee ein Jahr lang auf ihrem Außenposten in Afghanistan begleiten. Es wird geschossen, Maschinengewehre werden in Stellung gebracht, Dörfer werden „durchkämmt“, und eines ihrer Fahrzeuge wirft Minen aus der Bahn. Es sind Bilder eines physischen Kinos, die die Körper der Soldaten bei der Arbeit zeigen. Es fehlen nur auf eklatante Weise die Feinde, vielmehr werden sie als solche nicht sichtbar. Diesem Krieg ist der sichtbare Feind abhandengekommen, was in den kargen Gebirgslandschaften Afghanistans den Zuschauer in das Geschehen einbettet, weil man andauernd denkt, dass der Feind da doch jetzt endlich mal auftauchen müsste. Tut er aber nicht, so wenig, wie der Grund für die Kämpfe dieser Soldaten gegen unsichtbare Gegner, die sie mit ihren Präzisionswaffen aber trotzdem über Kilometer erledigen können, jemals auftaucht. Was auch gar nicht sein kann, weil es hier keinen tieferen Grund gibt als die Verteidigung des Vorpostens, den sie gerade selbst aufbauen und halten.

Wie wenig aber der Begriff der Sinnlosigkeit hinreicht, um solche Gefechte in ihrer Wirklichkeit zu fassen, davon handelt der „Tag der Spatzen“. Ein Film ohne Gefechte, der nur in Deutschland und Holland spielt, wunderbare Landschaften wie das Hochplateau der Vulkaneifel aus der Luft zeigt und eine sehr schöne Dokumentation zum Verhalten von Spatzen unter anderem beim Baden ist. Der Regisseur Philip Scheffner stellt eine einfache Frage. Befindet sich mit dem Einsatz deutscher Soldaten in Afghanistan auch Deutschland im Krieg? Woran kann man das an der Heimatfront erkennen? Die Antwort gibt im Film ein Presseoffizier der Bundeswehr. Er erklärt am Telefon, dass es für die Bundeswehr unmöglich und auf keinen Fall von Vorteil wäre, wenn sie sich im Kontext seines Filmes „Tag des Spatzes“ wie unkommentiert auch immer darstellen würde. Das würde schließlich auch kein großes Unternehmen machen. Woraus folgt, das man Kriegszeiten daran erkennt, dass ein Film, der Spatzen ernst nimmt, schon als Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Unternehmens der Armee begriffen wird.