»2020 – Sing Blue Silver«

»2020 – Sing
Blue Silver«
Tagebuch

16.4.

Cord Riechelmann verdanke ich die Einsicht, dass diese seltsam schicken Nebelkrähen – den Nichtberlinern werden sie kaum vertraut sein –, warum, darauf komme ich gleich noch, nämlich jetzt: ihr Vorkommen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland hauptsächlich in Berlin haben. Sie sind, so sei es den nicht in Berlin lebenden Vogelfreunden erklärt, in etwa so groß wie Saatkrähen, allerdings unter der Halskrause in einem, tja: nebelgrauen Ton gehalten, wohingegen dann ihr Federkleid an b e i d e n Flügeln, sowie mit den Schwanzfedern wieder krähentypisch dunkel abgesetzt ist. Hier müsste es ja im Grunde wurde heißen, denn angesichts der Federkleider hübscher Vögel denkt doch im tiefsten Inneren seines Herzens, so man dort denken könnte, jeder gesunde Mensch an einen Schöpfer. An einen Designer. Also man will daran glauben, weil es zwar vernünftig ist, sich der Frisson einer kompletten Zufallsproduktion aller Lebewesen hinzugeben, aber mit dieser Einsicht verhält es sich leider wie mit der Wintersonne: Sie leuchtet, aber wärmen tut sie nicht.

An einem schönen Frühlingsmorgen sorgt das Krähen der Krähen bei mir für ein audiovisuelles Oxymoron: Dann schaue ich aus dem Fenster und Keimendes, Knospendes, Aufblühendes, die vielen Nuancen von Rosa in der Kirschbaumkrone samt daran entlang schwirrenden Bienen und Hummeln füllen das Bild. Dazu höre ich Vogelstimmen, ja, aber auch Krähengekrähe, das naturgemäß lauter schallt als das Zizibäh und Kiwittkiwitt und noch so mancher anderer Tweet. Und so kommt es zu diesem Schillern zwischen Frühlingsbild und Herbstgeräuschen, denn dass die Krähe für den Frühling steht wie Amsel, Rotkelchen und die Meisen, das will mir anscheinend nicht in den Sinn.

In meinem Heimatdorf, dem schönen Heimerdingen, das, in meiner Erinnerung, von goldenen Feldern und solchen mit Mais umgeben, auf einem Hügel gelegen ist, wurden die Krähen, die dort zur Erntezeit einfielen, um von den abgemähten Feldern die Reste aufzuklauben, fälschlicherweise als Raben bezeichnet. Das Schwäbische, ich muss es leider feststellen, produziert ja auf zwei Ebenen Fehler. Zum einen durch eine dem Normdeutschen entgegenarbeitende Grammatik, die sogar in ihrer vor allem in Stuttgart und Tübingen angesagten Lightvariante, dem sogenannten Pfarrfrauenschwäbisch, halt noch immer der schönen deutschen Sprache Gewalt antuen tut. Dazu kommt dann aber noch ein Begriffsmischmasch, der falsche Bilder assoziiert, und ein auf Schwäbisch erzogenes Kind braucht, ich nenne hier empirische Werte: etwa vier Jahre extremer Selbstzucht, um zu den von der Mehrheit der Deutschen geteilten Bildern Zugang zu erhalten. Die dissoziative Wirkung des Schwäbischen darf sich der Digital Native vorstellen wie bei einem Briefwechsel zwischen Liebespartnern, der ausschließlich mit Emojis geführt wird. Der eine bedient eine Tastatur von Apple, der andere aber nutzt Android. Unter Schwaben läuft man, wo der Rest Deutschlands geht; man transportiert die Kranken auf Bahren, in anderen Sprachregionen wäre dann bereits alles zu spät, und die Krähen, wie gesagt, werden unter Schwaben zu Raben.

Ich habe noch im ganzen Leben keinen Raben gesehen. Außer im Kino natürlich. Zuletzt, es war ein 8. Oktober, in dem Film I Spit on Your Grave.

Erster Engtanz zu Telegraph Road, weil das elf Minuten und irgendwas lang war. Der Tempowechsel ab der fünften Minute wurde – ja, das waren Zeiten! – einfach ignoriert. »Then came the Miners, then came the Schools.« Vor allem kam dann die Akne, und dann kam lange nichts.

Nach dem Wolkenbruch rieseln die Kirschblütenblätter, vom Wasser der Regentropfen beschwert, zu Boden. Die Sonne kommt durch, die Krähen krähen. Junges Grün. Sämtliche Jahreszeiten in einem Bild.

15.4.

Als mich mal irgendjemand fragte, wie LSD denn »so wirke«, antwortete ich mit dem, was mir in den Sinn kam (tue ich meistens, denn leider faul): »Du, das fühlt sich halt an, als ob dir jemand mit einer ganz feinen Bürste die Gehirnwindungen sauber gemacht hätte. Davor waren sie verschmaucht, jetzt sind sie blitzrosa und sauber – na ja, zumindest für ein paar Tage.«

Seltsam vielleicht, wie ich damals auf das Bild dieser Bürste im Kopf gekommen sein mochte. Dazu in Ergänzung auf die Vorstellung meiner, und nicht nur meiner, sondern sämtlicher Gehirnwindungen als Rohrleitungen »wie aus Glas«, aber vermutlich erinnerte ich mich bei dem Stichwort LSD an meinen Kosmos-Chemiebaukasten. Das Reinigen der teilweise arg verschmauchten Reagenzgläser mit der Blockflötenbürste gehörte in Kindertagen zu meinen liebsten Beschäftigungen, bevor ich mit Kaliumpermanganat, Schwefel und Eisenpulver sozusagen zu Werke schritt.

Es soll zunehmend Menschen geben, die an Objekten hängen wie ich damals an meinen Reagenzgläsern. Zumindest behauptete das Volkmar Sigusch vor etwa zehn Jahren in Frankfurt, als ich ihn für ein Interview im Auftrag der Neuen Züricher Zeitung am Sonntag traf. Sein Institut für Sexualwissenschaft stand damals kurz vor der Schließung, was kaum jemand in der Öffentlichkeit bedauerlich zu finden schien, er aber schon. Anders als ich damals, mir war die Sexualkultur anderer vor zehn Jahren als eher unproblematisch, uninteressant, pornohaft und von daher auch gähn erschienen, sah er, Volkmar Sigusch, angehender Emeritus ganz neuartige Sonderfälle und -formen im Kommen begriffen. Ihm ging es vor allem um die Phänomene Geschlechtswechselbedürfnis, um Asexualität, um Menschen, die sich gehirnlich aneinander erregen, und um das Geschlecht der mir damals noch vollkommen schleierhaften, geradezu ausgedacht auf mich wirkenden Objektophilen. Personen also, die, wie Alan Turing es einst schon behauptet hatte, auch den Dingen ein Geschlecht zuschreiben können. Um sich daran dann zu erregen. Volkmar Sigusch erwähnte unter anderem den Fall einer Person, die sich in eine Maschine verliebt hatte. Also nicht in eine Maschine, die dazu hergestellt worden war, dass man sich in sie verlieben konnte oder sollte, es war kein Liebesroboter, sondern eine – Maschinenmaschine. Ein unförmiges Riesending, das an den falschen Stellen Knöpfe hatte und grün war, und nicht gerade appetitlich roch und dazu auch noch laut war, weil sie in ihrem Inneren den sogenannten lieben langen Tag – sagen wir: Spaghetti herstellte.

Das konnte ich mir damals gar nicht vorstellen. Ich konnte mir damals ganz schön viel noch gar nicht vorstellen, obwohl ich da bereits schon einmal LSD ausprobiert hatte.

Aber mittlerweile, wenn ich an der Baustelle zum Berliner Stadtschloss vorbeikomme, muss ich an Erika Eiffel denken. Gestern erst wieder. Und das sind schöne Gedanken, denn ich schaue hinauf zu den Kränen, von denen es einige gibt und ich weiß, in einer dieser Kanzeln dort oben sitzt Erika Eiffel und sie hat damit noch eines ihrer Ziele erreicht. Ich kann es mir zwar noch immer nicht vorstellen, wie es sich anfühlen könnte, wenn man sich, wie Erika Eiffel das von sich behauptet, in einen Kran verliebt hat, andererseits aber halt schon. Zumindest ein bisschen. Dann will man den Kran jeden Tag sehen. Ihn besteigen. Dann bedienen. Erika Eiffel kann den Kran, und nicht nur den, sondern, wie es heißt: sämtliche Kräne bedienen. Sie hat Kranführerwettbewerbe gewonnen, bevor man sie in den Kran auf der Baustelle zum Stadtschloss ließ. Es heißt in den Kran, nicht auf. Erika Eiffel, die Kranführerin, die in ihrem Geliebten sitzt und ihn bedient, durfte anlässlich des Richtfestes den vergleichsweise zierlichen Richtkranz aus Tannenzweigen und Stroh auf den Rohbau des Stadtschlosses schwenken. Sie ist ja eine geschiedene Eiffelturm. Dazwischen, also zwischen Turm und Kran – so kam sie aus Paris nach Berlin – ging es ihr darum, sich am Friedrichshainer Ufer in Ruhe an die Mauer schmiegen zu dürfen. Aber Kräne gibt es in dieser Stadt an jeder Ecke.

Ich kann es mir noch immer nicht vorstellen. Es geht einfach nicht.

14.4.

Cornelius Reiber hatte mir eine App zur Identifikation von Vogelstimmen empfohlen. Leider kostenpflichtig. Und dazu noch ein Fehlkauf, wie ich anhand geduldiger und zunächst auch dieser Erfindung wohlmeinend gegenüber eingestellt durchgeführter Testreihen feststellen musste. Dabei behauptete Weblr doch, beim Amselvater handelte es sich um eine Nachtigall. Aber wenn ich eines besser wusste als diese App: Der Amselvater war auf gar keinen Fall eine Nachtigall. Sehr anrührend jedoch war bei jedem Mal dieses Bild, der Anblick, wenn ich das Balkonfenster öffnete, um das iPad hinauszustrecken in diesen großen Raum vor dem Fenster, in dem es manchmal regnete, in dem es sang, denn dann hielten die Vögel auf verschiedenen Ästen sitzend in ihrem Tun augenblicklich inne wie ertappt, und viele von ihnen hielten entweder gerade einen Zweig oder ein paar Grashalme quer in den Schnäbeln. Wie auf einer Großbaustelle. Die singende, klingende Großbaustelle vor meiner Tür.

Für den Rest des Tages dann alles abgesagt und mich ganz dem Editionsprojekt Im tiefen Tal der Superbürste gewidmet. Weil das Wetter so schön war, machte ich Querlüften und drehte zum ersten Mal sämtliche Heizkörper ab. Der Hausmeister betrieb stundenlang seinen Dampfdruckreiniger, um die Terrasse zu reinigen, aber der Lärm war mir recht, denn ich musste beim Editieren beinahe durchgehend lachen, sodass ich in der Mittagspause feststellte, dass ich mich gar nicht mehr erinnern konnte, wann ich zum letzten Mal Seitenstechen bekommen hatte.

Und Lachen ist ja wirklich gesund! Ich konnte es plötzlich kaum mehr erwarten, ich war richtig ungeduldig, wieder zurück an den Split-Screen zu dürfen, um mich weiter durch diese Gedankenwelt zu scrollen, um mir herauszukopieren, was mir gefiel. Und auf der rechten Seite entstand so – eben gar nicht mühsam, sondern auf erbauliche Weise – ein klarer und in seiner Klarheit sogar leuchtender Text. (Klar, da wirkt auch das von sich aus leuchtende Display womöglich trügerisch, wird man sozusagen noch im Endeffekt sehen müssen, aber zuversichtlich bin ich immerhin). Peter Handke hat mal geschrieben, dass er Übersetzen schöner findet als Schreiben. Jan findet Schneiden schöner als Drehen. Ich finde Schreiben schön, aber Editieren macht mir auch große Freude. Ich lerne auch viel dabei. Gestern zum Beispiel, als ich trotz Brille nicht mehr fokussieren konnte, hatte ich vor dem Einschlafen die Erkenntnis: Alles was du sein willst, ist erbaulich, friedlich und lieb.

13.4.

Gestern früh, kurz nach acht Uhr, als wir auf der Danziger Straße im Stau mit Blick auf die Hochbahnstation Eberswalder Straße standen, im Autoradio lief ein Interview mit Gerrit Bartels zum Roman von Maxim Biller, machte ich Jan auf die seltsam graue Lichtstimmung aufmerksam und er sagte: »Wie in Indien.« Wir malten uns aus, eher skizzenhaft, wie das wäre, wenn wir jetzt aussteigen könnten, und dort draußen herrschten sozusagen mehr als 40 Grad Celsius, und Jan wollte bei dieser imaginierten Gelegenheit sogleich einen kleinen Marsala Chai bestellen dürfen, und unter anderem auch deswegen fragten wir uns, warum das hier in Berlin eigentlich nicht möglich ist, dass an jeder Straßenecke jemand auf einen wartet und Hocker mitgebracht hat, um Tee an die Passanten zu verkaufen – würde das erst noch kommen oder war das bereits einmal so gewesen (vor unserer Zeit)?

Dann aber wieder Ablenkung durch das Gespräch aus dem Radio, denn die Moderatorin des Senders Kulturradio befragte Gerrit Bartels, der bei jeder ihrer Fragen loslachen musste, um was es denn ginge in diesem Roman von Maxim Biller. Und anstatt das zusammenzufassen, zählte er die fiktiven Romantitel des Protagonisten Solomon Karubiner auf, die allesamt extrem gewollt klangen, und auch ein bisschen läppisch, so lautete einer sage und schreibe auf »Ihr wollt doch bloß unsere goldenen Eier«. Daraufhin, auch angesichts des Staus und da ich heftigen Druck in meiner Konfirmandenblase verspürte schon seit Minuten, versuchte ich mich in Jans Schulter zu verbeißen, aber das ließ er nicht zu.

N‘ importe quoi. Als wir dann endlich einen Parkplatz gefunden hatten und wenig später schon bei Markus Schädel im Gastraum saßen, holte Jan die Zeitungen raus und da ging es in seinem Tagesspiegel naturgemäß um die Affäre Böhmermann.

– Schau, sagte Jan, hier steht, dass man ihn nun als einen Ersttäter einstuft.

Mir war das unangenehm, weil ich mich mit dem ganzen Schmonzes, auch aus einer frühkindlich durch Matthias Richling geprägten Abneigung gegen das Kabarett heraus, nicht beschäftigt hatte, brachte es aber immerhin noch fertig »Für einen Satiriker ist das aber keine vorteilhafte Beurteilung« hervorzubringen, um zugleich mit einem einleitenden »Wohingegen«, dabei Jan die erste Seite des Wirtschaftsteils der Frankfurter Allgemeinen hinhaltend: »das hier doch ziemlich lustig ist.«

– Stimmt, musste Jan zugeben. Unter der Abbildung eines grauhaarigen Mannes im Pullover, dem von einem anderen in einem anderen Pullover assistiert wurde, stand als Bildunterschrift: »Syrischer Arzt misst Blutdruck«.

Das war, und dazu bestellten wir noch mehr Kaffee, sogar sehr gut.

– Dieses intensive Studium der Comics von Donald Duck in der Übersetzung von Doktor Erika Fuchs hat die Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung halt krisenresistent gemacht, sagte ich.

– Könnte sein, sagte Jan. Und brachte den Leitartikel seines engen Freundes Mathias Döpfner zur Causa Böhmermann ins Spiel. Wir waren beide, obzwar ich da freilich keinerlei Textkenntnis besaß, begeistert von dessen abruptem Einwurf »A propos Ficken«, mit dem er eben dort seine Conclusio eingeleitet hatte sehen wollen.

Da ich ja, wie gesagt, keinerlei Textkenntnis des fraglichen Schmähgedichtes besaß, gleichzeitig aber auch Jan Böhmermann bedauerte, ausgerechnet Ziegen herbeibemüht zu haben, wo doch jeder Hirte weiß, dass es die Schafe sind, um die es sich bei den Zoophilen sozusagen dreht – zum Beispiel bei Woody Allen –, brachte ich nun Enten zur Sprache: Im Sonderheft Donald Duck aus dem Frühling 1988 fand sich nämlich ab der Seite 22 die sozusagen ultrazeichenhaft auf die aktuellen Vorgänge bezogene Geschichte Alte Feindschaft.

– Stimmt, sagte Jan. Ich erinnere mich. Aber eben leider nicht präzise. Das ist doch diese Geschichte mit den Melonen. Worum geht es da noch einmal genau?

– Ich habe jetzt dummerweise das Heft nicht bei mir, da es ja wertvoll ist, aber ich kann dir die Geschichte in groben Zügen wiedergeben: Die Neffen Tick, Trick und Track werden, sie schlafen ja zusammen in einem Bett, von brutal lauten Schlägen geweckt. Es macht BUMS! Und noch einmal BUMS! Die Erschütterungen sind derart stark, dass ein auf dem Nachttisch aufbewahrtes Buch mit dem Titel Trautes Heim, Glück allein im Begriff sich befindet, zu Boden geschleudert zu werden.

Aufgeschreckt und zugleich alarmiert, eilen die Entenkinder ans Fenster und entdecken dort die Szene, in der sich ihr Onkel Donald und dessen Nachbar über den Zaun hinweg, der die Grundstücksgrenze markiert, mit Wassermelonen bewerfen. Die Wassermelonen, die der Nachbar wirft, bersten an der Duckschen Holzfassade. Wir erfahren, dass die Kampfhandlungen bereits die ganze Nacht angedauert haben, anscheinend hatten Tick, Trick und Track aber einen festen Schlaf.

Der Nachbar heißt Zorngibel, er ist um einiges größer als Donald und scheint auch vom Physischen her stärker. Seine schwarzen Augenbrauen sind zu einer Art monobrow zusammengewachsen, sein Bürzelhaft dichtes, schwarzes Haar wächst ihm tief in die Stirn. In einer Feuerpause erklärt Donald seinen Anvertrauten den angeblichen Konflikt: Er, Donald Duck, habe Nachbar Zorngibel einen seltsam gewachsenen Kürbis gezeigt, dessen Geformtheit ihn an Zorngibels Gesicht erinnert habe.

Dieser zorngibelförmige Kürbis liegt auch noch vor, Donald holt ihn und zeigt ihn den Neffen: Die Feldfrucht ähnelt dem Gesicht des Nachbarn tatsächlich. Wobei einer von ihnen, entweder Track, Tick oder Trick auch seine Vermutung zum Ausdruck bringt, Donald habe »doch wohl ein bisschen nachgeholfen«.

Daraufhin aber, so geht die Geschichte weiter, präsentiert Donald Duck eine Kartoffel, deren Form eine Art Schnabel aufweist, mit der wiederum Nachbar Zirngibel ihn, Duck konfrontiert habe: »Und wenn schon. Er hat bei der Kartoffel, die er mir gezeigt hat, auch nachgeholfen.«

Damit, so scheint es, hat es sich mit den kriegerischen Auseinandersetzungen. Aber leider kommt es dann zur Diplomatie.

Während Donald nämlich versucht, ein Fertiggericht für seine hungrigen Neffen zusammenzurühren, bereitet Nachbar Zorngibel eine Attacke vor. Vermittels einer Zwille, an der ein Zielfernrohr befestigt ist, feuert er eine aus Krähenfedern bestehende Ladung in den Kochtopf der Ducks. Die Rauchentwicklung zwingt die Enten, das Haus fluchtartig zu verlassen. Donald entdeckt ein Loch im Zaun, aus dem hämische Rufe auf die Ducksche Seite quellen. Er versucht, durch das Loch hindurch dem dahinter vermuteten Nachbarn in die Augen zu stechen, fasst dabei aber in die heimtückisch präparierte Mausefalle. Die Schmährufe »Stinkekoch, Stinkekoch«, die sich auf das vom Nachbarn vermittels Krähenfedern versaute Fertiggericht beziehen, werden von einem daneben plazierten Schallplattenspieler abgespielt.

Donald Duck eilt zu seinem hydraulischen Rohrreiniger und treibt dessen grünen Schlauch weit unter den Zaun durch das Erdreich und dann wieder empor, dort, auf dem Nachbargrundstück bis unter das Hosenbein Zorngibels. Als dieser vom enormen Wasserdruck hoch in die Luft geschleudert wird, reißt Donald den Schnabel weit auf, um ihm ein »Wasserratte! Wasserratte! Hahaha!« hinterherzurufen.

Es geht dann noch eine Weile hin und her, dabei bringt der Nachbar seinen machtvollen Rasenmäher mit 10 PS zum Einsatz, bei dem der Ducksche Rasenmäher mit seinen 5 PS unterliegt. Irgendwann ist das Haus der Enten bereits demoliert, im Badezimmer klafft ein Loch, da drängen die Neffen ihren Onkel zur friedlichen Lösung: Präsentiert wird ein Konservendosentelefon: »Nimm es, und streite fernmündlich mit ihm!«

Leider missbraucht der Nachbar die Bemühungen und verbindet sein Ende mit der Steckdose, woraufhin Donald einen schrecklichen Stromschlag erleidet. Daraufhin kommt es zu meiner Lieblingsszene: Die Neffen schleppen ein sehr langes violettes Rohr an und bitten Donald, hineinzusprechen: »Hier, Onkel Donald! Das Sprachrohr der Verständigung!« Leider täuscht sich einer der Kleinen mit seiner Vermutung »Damit kann nichts passieren.« Erst schießt der Nachbar einen Pfeil durch das Rohr, dann knallt Donald mit einer Schrotpistole am anderen Ende, um Zorngibel das Gehör zu zermalmen — so kommt es zwangsläufig zur ultimativen Schlacht.

Nämlich zum Dronenkrieg. Während die Neffen, halb blind und taub noch, das Sprachrohr der Verständigung demontieren, um noch Schlimmeres zu verhindern, bringen sowohl Donald als auch Zorngibel jeweils Käfige mit Papageien in Stellung. Zorngibel instruiert sein grün gefiedertes Tier, Donald als Amateurkürbisgärtner zu beschimpfen. Donald versucht seinem roten Papagei einen längeren Schimpf einzutrichtern, wird aber von einem Neffen daraufhingewiesen, er solle sich besser kurz fassen: »So viel auf einmal können Papageien nicht lernen.« Woraufhin Donald den Papagei anpfeift: »Sag einfach: Blödmann!«

So treffen sich nun zwei Papageien, grün der eine, rot der andere, vor einem knallend gelben Himmel. Der eine schreit »Blödmann«, der andere spricht’s ihm nach. Papageien halt. Und irgendwann fangen sie an, sich mit den Flügeln zu hauen. Dabei erscheint der Hintergrund allerdings rosa, und wenn Papageien sich hauen macht es bei Doktor Erika Fuchs KLATSCH! und PATSCH!

Tick, Trick und Track gingen derweil wieder zurück ins Bett.

Draußen war der Himmel noch immer grau. Das blieb auch den ganzen Tag noch so. Der Stereoanlagenreparaturladen, dessentwegen wir eigentlich vom Südwesten bis in den Norden der Stadt gefahren waren, machte noch zwei Stunden später auf als gedacht.

(Für Friederike)

12.4.

Gestern versehentlich in die Ringlinie der S-Bahn eingestiegen. Nach ein paar Stationen bemerkte ich den Fehler, weil die Häuschen auf den Bahnsteigen alle auffallend hübsch kariert aussahen. Das Wetter war schön und ich dachte: »Jetzt steigst du einfach in Schöneberg aus und gehst noch einmal den Weg, den du im letzten Jahr an jedem Tag gegangen bist.« Bevor es Winter wurde.

Dazu machte ich die Playlist an, die damals noch kurz war, und auf der Dominicusstraße setzte das erste Lied ein. Im Vorbeigehen schaute ich in die kleine Seitenstraße, in der damals meine Wohnung, die vor der mit dem Blick auf den Fernsehturm, gewesen war. Vor dem Spätkauf saß der Hausmeister in seinem Rollstuhl, rauchte und schlürfte Milchkaffee aus seinem Thermosgefäß. Er hat nur ein Bein, und einmal, als ich bei ihm klingelte, da sah ich im Hintergrund seine Prothese wie ein Podest für Blumen oder für einen Farn mitten im Raum stehen.

Dann weiter zu auf die Hauptstraße. Auf der Rückseite der Apfelkisten vor dem türkischen Supermarkt stand noch immer Haupt und noch immer nicht Bowie. Birne heißt Armut im Türkischen.

Und jetzt sang George Harrison nicht mehr von der Vergangenheit, sondern von meiner Gegenwart, denn der long cold winter war endlich vorbei.

Der Laden mit den Würsten. Gegenüber, am Anfang der schönen Akazienstraße, das Souterrain IV, um diese Zeit geschlossen. Vernünftigerweise. Wo ich jetzt wohnte, gab es überhaupt keines, was schade war, aber auch interessant. Also dass es solche Gegenden überhaupt gab in Berlin.

Der langgestreckte Fischladen, das schöne Antiquariat, und dann noch immer dieses Schild an dem Kippfenster der Steuerkanzlei: »Bitte führen Sie keine Unterhaltungen vor diesem Fenster, wir hören das hier drinnen lauter als sie draußen« – ein akkustisches Mysterium. Überprüfen ließe es sich schlecht.

Erbaut von Bruno Paul 1929 – 1930: Das schöne Gebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand noch immer leer, aber der Obdachlose, der dort im Eingangsbereich gelebt hatte, verschanzt hinter Müllsäcken und einer Mauer aus leeren Erdnussdosen, war nicht mehr da. Die Tüten auch fort. Selbst seine Dosenmauer war weg, dafür lagen dort vier Hohlblocksteine aufeinandergestapelt. Vielleicht war er in Yton reinkarniert.

Die Galerie war geschlossen, Alfons nicht da, aber im Seifenladen freute man sich, mich zu sehen. Kiefer leider ausverkauft, also Lavendel. Die war von einem anderen Grün. Im Eingangsbereich der Acne Studios war eine hübsche Skulptur aus Megaphonen, viel Kabel und Krokodilklemmen aufgebaut. Bei Fiona Bennett schaute die Modistin melancholisch aus dem Fenster und durch mich hindurch.

Auf der Gedenktafel an der Brücke wurde an den russischen Soldaten erinnert, der hier im April 1945 unter Einsatz des eigenen Lebens ein Kind aus der Feuerzone gerettet hatte.

Leipziger Straße, Leipziger Straße, Leipziger Straße. Die Playlist hielt tatsächlich noch sehr viel länger als nur bis zum Potsdamer Platz.

In der Redaktion alle freundlich, die Art Direktorin hatte Rhabarberkuchen gebacken. Dann Flow, Telefon, E-Mail, »Bis morgen« und auf demselben Weg zu Fuß wieder zurück. Wer durch das rabbit hole reinkommt, kommt nur durch das rabbit hole wieder heraus.

Im panasiatischen Supermarkt Asia – sinds 1986 bei den Jubiläumssonderangeboten beherzt zugegriffen. Auf den Rückseiten der Apfelkisten stand noch immer Haupt.

11.4.

Ich brauche ein Shazam für Vogelstimmen.

10.4.

Nach einem geglückten Tag – Kaffee in der Sonne vor dem brandneuen Café gegenüber (und die können sogar Croissants!!!), dem Megainterview von Carl Jakob Haupt im Magazin der Frankfurter Allgemeinen plus einem sehr schönen Text von Patrick Bahners zur Kristallisation bei Stendhal und Proust im Feuilleton; dann Sonne und Wind durch die geöffneten Fenster, noch mehr Kaffee und erfreuliche Arbeit am Schreibtisch, Flow eben, daraufhin alles gelang, wie es schien. Gelöstes Telefonat mit Jan über das hochinteressante Problem einer Adverbialkonstruktion, dann kurz raus, um bei Kaiser’s einen Messbecher zu kaufen, damit ich, zum Feierabend hin, mir als Belohnung, endelijk endelijk diesen portugiesischen Wackelpudding zubereiten können würde, der mir von Friederike zugeschickt worden war. Alle superfreundlich bei Kaiser’s, die Messbecher waren dort nämlich derart gut versteckt, gleich bei den Würsten, dass ich sie ohne Hilfe wohl niemals – egal. Auf dem Heimweg durch den Park dann hübsche Szenen aus den die Frühlingsszene in sich aufnehmenden Menschen mit Wasserpfeifen und teilweise auch ersten Grills. Alles herrlich, alles wie es sein soll. Der Wackelpudding gelang auch dementsprechend, nachdem mir die Frau des Hausmeisters, der Portugiese ist, geholfen hatte, die Gebrauchsanweisung zu entziffern. Hinter den Kirschblüten hüpften die Kinder auf einem Trampolin und dazu sang eines von ihnen sage und schreibe »I believe I can fly«.

Dann sang die Amsel, dann ging die Sonne unter. Als es dunkel war, saß ich am offenen Fenster. Im kleinen Park nebenan wurden Stimmen sozusagen laut, auch Frauen darunter, die grölten zuerst herum, dann schrien sie: »Vergasen, Vergasen«. Dann rief eine Männerstimme  immer wieder : »Es lebe Adolf Hitler!«, darauf die Frauen: »Ich bin der Führer, ich bin der Führer!«.

Ich wählte die 110.

Netter Polizist am anderen Ende. Ich hielt meinen Apparat aus dem Fenster und übersetzte ihm den Rest. Er versprach, sofort seine Kollegen loszuschicken. Ich hielt die Luft an. Das kann ich echt gut, zwei Bahnen im Schwimmbad sind kein Problem. Zwanzig Minuten später machte ich alle Fenster zu, nahm meinen Walkman und ging ins Bett. »Walls come tumbling down« von Style Council ist Comfort Music für mich. Die zweite Maxisingle, die ich mir gekauft habe. Bei Elektro Dittus in der nahegelegenen Kleinstadt Ditzingen war Vorhören nicht möglich, es kamen auch immer nur ganz wenige neue Platten pro Woche, aber ich fand in dem Fall das Cover so interessant. Hatte 7 Mark 50 gekostet.

Von Marcus Antonius erzählt man sich, dass er im Sitzen geschlafen hat, immer nur kurz, weil er in einer Hand silberne Kugeln hielt und darunter stand eine silberne Schale. Ich mache das mit dem linken Daumen auf der Rückspultaste des iPod.

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