»2020 – Sing Blue Silver«

»2020 – Sing
Blue Silver«
Tagebuch

13.2.2019

Es ist mir also doch möglich, an zwei Texten gleichzeitig zu arbeiten. Abwechselnd, aber im selben Zeitraum. Das habe ich bis gestern für mich für nicht möglich gehalten (und wie alles, was ich für mich für nicht möglich halte, auch nie probiert. Aus einer Voreingenommenheit, aus Angst.) War dementsprechend gelöst von der selbstgemachten Verkrampftheit. Heiterkeit. Wenn es gut läuft, gibt es nichts besseres für mich. Na ja. Zumindest auf diesem Feld. 

Abends kehrte ich heim. Und las bei Rainald Goetz im Abfall für Alle, wie er im Sommer 1998 Bücher von Schriftstellern liest, die zu der Zeit, da sie die Texte geschrieben haben, im gleichen Alter waren, wie er jetzt, da er diese Bücher liest. Und entdeckt Ähnlichkeiten in den Perspektiven. Als er wiederum Abfall veröffentlicht hat, war er ein paar Jahre jünger als ich heute, da ich darin lese. Zum soundsovielten Mal. Erinnerung an die Party zum Erscheinen des ersten Buchs von Elke Naters in den Räumen der Agentur von Matthias Landwehr und, damals noch bis zum Split kurze Zeit später: Petra Eggers, am Lietzensee. Ich lernte den Vater Naters kennen, der Vorsitzender war des Vereins der Freunde Herbert Rosendorfers. Oder so ähnlich. Da hatte ich gerade angefangen bei Franz Josef Wagner, BZ, Berlin.

12.2.2019

Die Post kommt früh, hierzulande. Zu den wenigen Besonderheiten des Hauses zählt das Fehlen einer sogenannten Briefkastenanlage: Der Postbote steckt die Neuigkeiten durch einen Schlitz in der Wohnungstür. Dabei sehe ich seine Fingerspitzen.

Also hat er meine Paketsendung gleich, ohne überhaupt zu klingeln oder mich sonstwie zu erreichen versuchen, in einem benachbarten Zigarettengeschäft deponiert. Mir ist das Recht. Es handelt sich um die Belegexemplare des Textes von Oskar Panizza, zig Stück gleich. Danke, lieber Moritz Müller-Schwefe: es ist wirklich sehr schön geworden, das Bändchen, für das ich dieses Vorwort schreiben durfte.

»Cabinet« steht draußen an dem für Werbung vorgesehenen Metallschild des Fahrradständers: »Von Menschen für Menschen«. Stammt das aus Nach-Mauerzeiten, oder war das in der DDR auch schon, wie heute in der Schweiz, so, dass in der Werbung die Produktnamen mit einem bloß noch pflichtschuldig, möglicherweise aus graphischem Grund für notwendig befundenen Zusatz hingedruckt wurden: »einfach gut«, »immer frisch«, oder »beste Qualität«. Totale Langeweile, letzendlich. Vertrauensseligkeit, nach der ich mich sehne.

11.2.2019

Im Aufwachen gestern schon den Regen gehört, beim Blick auf das Telephon dann erfahren, dass sich die Lage, während ich schlief, noch einmal verändert hatte: jetzt wurde die Regenwahrscheinlichkeit für den Tag mit 100% angegeben und somit über den gesamten, mit Stundenstrichen unterteilten Zeitstrahl hinüber. Von allen Wettern hasse ich allein das Regnen. Mir stand ein Tag ohne Ausgang ins Haus. Passenderweise hatte ich eine Arbeit über die Seife zu schreiben. Innen schäumend, außen strömend. Später warfen die Strahler im Innenhof Schatten des Geästs an die Decke. Die sich wiegten. Da hatte ich mich schon wieder abgeregt und wurde versöhnt.

Viel gelesen. Über eine ideale Leselampe nachgedacht (ich hatte schon einmal eine.) Langer, ununterbrochener Schlaf. Mein Gehirn war derweil in einer Phiole von den Anhaftungen gereinigt worden.

10.2.2019

Wenn ich mir drei Spiegeleier mache, ist da ein Auge zuviel.

Mein Freund mag scrollen Komma aber: es gibt hier inmitten Charlottenburgs natürlich eine noch schönere Vielfalt an Vögeln. Wer hat schon einen Buntspecht, direkt vor der sogenannten Tür? Gibt ja auch mehr zu essen, Reste, es wohnen ja sehr viel mehr Menschen hier in der Innenstadt. Die bezaubernde Entenart (vom Grundton her schwarz, mit seidig wippendem Schopf, grauen Flügel, blauem Auge,) die wir vor einer Woche auf der Spree fahrend schauen durften, stammt, laut Google-Reverse-Image-Search: aus Südamerika, dort vor allem an der Küste Perus beheimatet. Ich dachte gleich an Herrn Maschkes »Peru ist ein Langküstenstaat.«

Wie aber, hier dürfte meines Freundes scrollender Finger mittlerweile angelangt sein: diese Entenart nun exakt nach Berlin gelangt ist—dafür interessiere ich mich null (Stoff für Daniel Kehlmann?)

Alles und jeder hinterläßt für mich eine Spur. Ich mag keine Trompeten.

Was ich an meinem Freund habe: seine Unbestechlichkeit. Selten gewordene Ware.

Man sitzt derzeit am geöffneten Fenster (bloß nicht am »offenen«, dafür wurde die kleine Amina vom Vater gewatscht!) Draußen wird es herrlich laut. Ganz auf einmal. Aber traurigerweise frage ich mich, ob ich den Vögeln denn noch trauen darf in ihrer vorhandenen Funktion als Naturanzeiger (vergleichsweise mit Thermostaten)—könnte ja durchaus möglich geworden sein, dass auch sie, die von mir als Natur verstanden und ernstgenommen sind, die sogenannte Umwelt falsch verstehen.

»Selbst«: der Titel ist genial.

Ich bin nicht Made in China. Und je länger ich nachdenke, je älter ich werde, desto mehr bekommt meine Mutter Recht. Mein Vater aber auch. Rief ihn gestern an, weil ich mit meine Aktivboxen nicht mehr weiterwußte: Aus deren klotzigem Netzteil drang seit dem Umzug ein nervtötendes Sirren. Und er sagte, kaum hatte ich es zuende erklärt (was bei mir freilich dauern kann:) »Dreh den Stecker um.« Damit hatte es sich es. Dem Ingenieur ist wahrlich nichts Punktpunktpunkt

9.2.2019

Der Greis, schon wieder.

Was kann das sein, nächtlicher Staub, Abrieb meiner Träume—oder gehört das ganz einfach zum Ritual seiner Tage, dass er den Staubsauger weiden läßt? Mir macht es Freude, die Bettdecken auszuschütteln. Wallend, wie schwebend für einen Moment. In der vergangenen Wohnung war dafür kaum Platz vorgesehen. Fehlt sie mir? Da waren Rasenmähroboter vor dem Fenster (ganz unten.) Ich glaube nicht. Bislang.

Was mir gestern einfiel, als Beda mich röhrend, mit einer Stimme, so als hätte er mit Eiszapfen gegurgelt, aus einem Taxi, angeblich war es »eine Kutsche,«* aus München anrief: Bei all der Perfektion der Schweizer Maschine glauben die dennoch stark an die Kunst und an die Figur eines Künstlers. Gleich als ob man sich die bewahren will. Für die Erinnerung an die Wesenheit des Menschen. Bei allem, was kommt.

Hier ist das mittlerweile schon anders: Wenn es nicht funkelt, throw it away. Auf der Supermarkttüte steht, aufgedruckt: Echte Vielfalt.

*a surrey with a fringe on top

8.2.2019

Im Haus gegenüber bearbeitet ein Greis mit benbeckerhaft gefärbtem Haar den Fußboden seines Balkons mit dem Staubsauger. Seine Beine sind nackt, er arbeitet in dunkler Unterhose, aber aus dem Anglerparka, den er sich für die Arbeit im Freien übergestreift hat, lugen die Zipfel eines weißen Oberhemdes. Ich muß also annehmen, dass er die Tage in seiner Wohnung im Hemd unten ohne zu verbringen gedenkt. Schön wieder hier zu sein, auf meiner Parzelle.

In dem Hotel in Zürich, das in dem rings um die Europazentrale von Google erbauten Retortenquartier zwischen Hauptbahnhof, Bahnhofs- und Langsstrasse hochgezogen wurde in den vergangenen zwei Jahren, gab es kein Zimmermädchen, keine Rezeptionistin, keine Kellnerin, die nicht aus Deutschland angestellt ward. Teils kam es zu herzzerreissenden Szenen—Heidi in reverse—als die Rezeptionistin meiner Bankkarte ansichtig ausrief »Sie kommen aus Frankfurt? Grüßen Sie mir meine Heimat; bitte! Ich war zum letzten Mal an Weihnachten dort. Es ist die beste Stadt.«

»Ja, das ist schon so,« sagten die Schweizer. »Von uns will das keiner mehr machen.« Das war, als ich gerade mit Yves die bißchen lästige Aufgabe absolvierte, aus dem von mir geschriebenen Text, der für Österreichische Leser bestimmt war, die mir eigenen Schreibungen und diejenigen, die viel zu Schweizerisch waren, auf ein allgemein verständliches EU-Deutsch heraufzuvermitteln. Und währenddessen wurde es neben uns, wo bloß eine sehr dünne Türe uns vom benachbarten Bureau trennte, sehr laut. Eine Frau schrie zuerst, es hörte sich für mich an wie Fluchen, dann steigerte sich der Ton ihrer Stimme noch zu Gekreisch. 

»Jaja,« sagte Yves auf meine Nachfrage hin »Das ist die Nachbarin, ein wilder Mensch.« Aber keiner von den umstehenden zeigte sich dennoch bereit, mir, dem Deutschen, den Inhalt dieser Kreischworte zu übersetzen. Stattdessen wurde noch zweimal, dabei stets heiter wiederholt, unisono »Sie ist halt ein wilder Mensch.«

7.2.2019

Zürich, wie herrlich. Markus erzählte mir neulich, wie er mit dem seinem Boot nach Kopenhagen gesegelt war und der Hafenmeister ihn dort begrüßte, mit »Welcome to the first world.«

So fühle ich mich hier. Schnee auf den nächtlichen Wiesen entlang des Rollfeldes. In der Stadt ist er leider getaut. Oder weggesaugt worden? Es hat -3° am Morgen. Der Himmel ist blau. Der Fußabtreter macht Werbung für Käse aus Tilsit (evtl. Ironie?)

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