»2020 – Sing Blue Silver«

»2020 – Sing
Blue Silver«
Tagebuch

2.11.2020

Seidiger Tag, den ich beinahe verpasst hätte. Als ich um kurz nach 16 Uhr vom Schirm aufschaute, flitterte von fern ein Baum mit gelbem Laub. Und ich ließ mich ermutigen von Friederikes Appell. Draußen gab es 20 Grad und glockenklare Luft. Drüben hatte sich eine Taube abgelöst vom Fensterbrett: klang wie zerbrechend Styropor. Ich hatte mir alles viel leerer vorgestellt. Die Leute standen jetzt halt einfach so auf dem Platz herum mit ihren vielen Kindern. Und Brezeln to go. Das Repertoire scheint begrenzt, nicht jeder will sich gleich einen vierbeinigen Lockdown-Kumpel kaufen, aber was anscheinend auch immer geht ist Kicken, Bolzen, Fußballspiel. Und Saufen (in eigens mitgebrachten Liegstühlen, dem Wasserhäuschen gegenüber in der Sonn‘). Menschen ohne Bälle, ohne Kinder, ohne Flaschen oder Hunde sah ich keine. Ich kam mir beinahe selbst schon vor wie ein Polizist.

Der Abglanz der untergehenden Sonne zauberte Umbra-Töne an Fassaden, wo ansonsten keine sind.

1.11.2020

Am Vormittag die letzten Korrekturen am Satz von Hamburg. Sex City — womit jetzt alles daraufhin deutet — oder darauf hindeutet? dass nun gedruckt wird (nicht heute natürlich, never on sunday, aber morgen? Blue Monday übrigens ein Relikt aus den Zeiten bis tief ins 19. Jahrhundert hinein, als noch mit Waid, später auch mit Indigo blau gefärbt wurde. War die Brühe erst angesetzt, die Stoffe darin eingelegt, dauerte es einen Tag lang, bis durch chemische Reaktion mit dem Sauerstoff aus der Luft die Blaufärbung einsetzte. Angesetzt wurde meist am Sonntag, am Montag hatten die Färber frei und machten blau — freilich nur diejenigen, die blau gefärbt hatten).

Ist das jetzt eine unverhältnismäßig lange Dauer gewesen? Womit sind wohl all diese Monate verstrichen bis zum Druck? Zwar steckt man drin, wie es heißt, aber verstehen wird man es trotzdem nicht; nie vermutlich. Da ähnelt das Mysterium der Buchherstellung doch sehr den Gesetzen zum Gelingen von Hefeteig. Eine dichte, beinahe undurchsichtige Masse von Zeit wird auf dem gläsernen Objektträger hauchfein ausgestrichen zu einem zart getönten Film. Das dauert halt. Und dann ist es soweit.

Woraufhin ich heute ziemlich Heimweh nach Jamaika bekommen hatte von der Lektüre. Wird zudem auch am Wetter liegen. Zumindest nach Schottland würde ich doch wollen, nach Anstruther und dort die Fish & Chips.

Stattdessen Flachswickel — auch nicht verkehrt. Vor dem Sonnenuntergang erste Probe der Weihnachtsmusik, The Twelve Days of Christmas. Damals wurde die Amsel noch mit dem Recorder programmiert. Herrliche Melodie!

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