10.6.

Gestern saß ich auf der Terrasse des Seesterns neben drei Damen und nach einer Weile bat die eine mich, dem Fahrer des auf der gegenüberliegenden Straßenseite abgestellten Multivans auszurichten, dass er doch bitte den Motor seines Fahrzeuges abstellen möge. Was ich auch tat. Er war einer dieser Männer, die zum Anzug mit Krawatte eine Sonnenbrille tragen und um den Hals einen laminierten Ausweis; ich konnte nicht genau entziffern, was da stand.

»Wir wollen hier schön auf den See schauen«, erklärte sich die Dame, für deren Frisur es nie einen Emoji wird geben können, weil sie auf der Mitte ihres Schädeldaches einfach gar keine Haare mehr hatte, dafür aber die an den Seiten schwarz gefärbt trug. Außerdem, darin stimmten sie alle überein, störten sie sich an der Größe und an der Farbe des lärmenden Multivans, der ja nun nicht mehr lärmte, »das sieht einfach aus wie ein Leichenwagen«. Überflüssigerweise wies ich darauf hin, dass in solchen Fahrzeugen auch Politiker gefahren werden (und an den Wahlsonntagen die Altersheimbewohner ins Wahllokal). Die Antwort »Das sind ja auch bloß noch Leichen«, nahm ich mit einem gewissen Schmerz hin, weil es mir so vorkam, als ob ich jetzt in eine Woche politischer Meinungsumfragen hineingedrängt werden sollte – und es war ja schon beinahe wieder Samstag.

Nun denn, da wir gerade beim Thema waren, handelte das Gespräch an meinem Nachbartisch dann in einer für mich überraschenden, dadurch meine Neugierde bannenden Abfolge von Peter Weck, dem Darsteller aus Ich heirate eine Familie, der als idealer Nachfolger für Joachim Gauck im Amte des Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland befunden wurde. Ich weiß nicht genau, wollte es aber hoffen, dass diese drei Damen sich doch im Klaren darüber waren, dass es der Bundespräsident ist, und nicht etwa die Bundeskanzlerin, die über die Bundeswehr Deutschlands befiehlt. Indessen ging es um mögliche Alternativen für Deutschland. Es fiel der Name Karl-Theodor zu Guttenberg, der ja leider, so die Vermutung, durch eine Scharade Ursula von der Leyens ins Exil verbannt worden war. Dabei, so wusste es die eine zu berichten: heute alle aus dem Internet abschreiben. Sogar Ursula von der Leyen selbst habe das ja nachweislich so gehandhabt, um auf ihren Posten zu kommen. Anders, so einigte man sich schnell, wäre das bei sieben Kindern ja auch gar nicht möglich gewesen. Als Alternative zu Karl-Theodor zu Guttenberg, dessen forstwirtschaftliche Expertise für wichtig empfunden wurde, kam nur noch ein weiterer Kandidat zur Sprache, dessen Namen ich aufgrund des nun wieder angesprungenen Multivanmotors akustisch nicht verstehen konnte. Wohl handelte es sich dabei um einen aktiven Politiker, der allerdings aufgrund eines Krebsleidens nicht wirklich in Betracht zu ziehen war.

»Na, aber der wäre wirklich ideal«, sagte die Dame mit der Frisur. Und darüber, angesichts der Vergeblichkeit kamen sie erst ins Schwärmen. Einmündend in jener, beim Todesporno alles entscheidenden Frage »Was für einen Krebs hat der nochmal?«

Im Hintergrund, also vor dem See, den man von der Terrasse des Seesterns gar nicht sehen kann, weil davor eine Wiese mit lauter Bäumen ist, deren üppig belaubte Kronen die Aussicht auf das Ufer verstellen, nahm ein Paar auf einer der Bänke Platz und ich dachte kurz, ich seh nicht recht, aber der Mann zog sich tatsächlich aus bis auf eine Badehose – seines enormen Leibesumfanges zum Trotz – und setzte sich daraufhin wieder hin neben seine Frau, die dann ungerührt neben ihm so sitzen blieb in ihrem Sommerkleid. War einfach so.

Danach ein Traum von einem ICE aus Gummi, den ich von außen sehen konnte, obwohl ich mich zur gleichen Zeit darin als Reisender befand. Er fuhr nicht wirklich los, sondern dehnte sich Kilometer um Kilometer nur immer weiter bis zum Endbahnhof und ich musste in ihm durch die ganzen Rollkoffer und Brettspielfamilien hindurch, um aussteigen zu können.