11.2.

Aufgewacht und dann lange herumgelegen mit dem präsidialen Gefühl, mir einen Überblick über die äußere und innere Lage verschaffen zu müssen. Alles schien unklar, mulmig, nicht verwirrt, trotzdem unübersichtlich, vom Erleben in Räumen bestimmt. Vermutlich, so dachte ich, ist das auch das mit Abstand Schlimmste für Dich in diesen Tagen: dass es kein Dazwischen mehr gibt. Du eilst von Raum zu Raum (weil es dort warm ist, hell). Das Unterwegssein aber findest du fruchtbarer als das Angekommensein. Möglicherweise liegt das am Alleinesein.

Die Erinnerung an den Mittag in der Konditorei zu Bonn, wie sich dort der Raum nach und nach mit fremden Menschen gefüllt hat; gemeinsam zu beobachten, was die sich im Einzelnen bestellt haben und wie sie es einnahmen: auch als einzelner Beobachter ist das möglich, die Möglichkeit besteht nicht sogar, sie besteht auch in Berlin, aber es entsteht nicht dieselbe Freude, es macht auf eine andere Art Lust, zu beschreiben, was sich vor mir abspielt, wenn ich es in einen Text einschreiben kann (und nicht in Dich).

Lust am Text, ja, aber. Vor ein paar Abenden, als ich im Zwiebelfisch verwechselt wurde, da saßen an einem erhöht gebauten Tisch neben mir zwei Männer, die sich mit durchdringenden Stimmen unterhielten, sodass ich nicht anders konnte, als sie passiv zu belauschen (falls es so etwas überhaupt gibt analog zum Passivrauchen). Der Modus ihrer Unterhaltung bestand aus dem permanenten Selbstzitat. Das geht ja jetzt ganz leicht, indem man dabei vom Display seines Telefons abliest wie von einem Teleprompter. Und so lasen sie sich gegenseitig im Wechsel ihre jeweiligen Postings vor. Die freie Rede diente der Überleitung zum nächsten Posting, hin und wieder kam es zu Nachfragen der jeweiligen Gegenseite bezüglich spezifischer Re-Postings oder Replyings, woraus dann im wechselseitigen Vortrag ihre Unterhaltung entstand. Höchst intertextuell also. Der eine, offenbar im Lobbying oder bei einer Partei beschäftigt, wechselte dabei zwischen zwei Geräten ab, eins für private Zwecke, das andere dienstlich. Nicht nur deshalb stand ihm eine größere Zahl an Zitaten zur Verfügung. Er war, das stellte sich bald heraus, weil der andere, der zudem noch leicht übergewichtig war, bald beinahe verstummte, auch näher dran an den wichtigen Themen. Ich nahm an, er arbeitete für die CDU, weil es bei ihm ausführlich um schiefgegangene Briefings für Julia Klöckner ging, auf deren Grundlage diese dann in diversen Interviews mit regionalen Fernsehsendern schlecht abliefern konnte. Je weniger der andere ihm entgegenzuhalten hatte, umso dröhnender trug der eine seine Textbausteine vor, um sie dann selbst zu interpretieren. In diesem Vortrag fiel dann der Vergleich des Kanzlerkandidaten Schulz mit dem amerikanischen Präsidenten Trump, den ich an jenem Abend als abstruses Detail nahm, in der ohnehin auf mich abstrus wirkenden Art der Gesprächsführung frischwegs vom Display.

Dann passierte das mit der Verwechslung. Und überdeckte das zuvor Erlebte, weil mich der Gedanke an einen Anderen in Beschlag nahm. Aber als ich zwei Tage später dann eben dieses Argument gegen Martin Schulz als Zitat des Finanzministers in der Zeitung wiedergegeben fand, kam die Erinnerung zurück an die beiden auf ihren Hockern. Sie bedeutet nichts. Auch in der Politik wird gearbeitet und die Arbeiter dort haben auch irgendwann Feierabend und gehen dann noch ein Bier trinken, warum auch nicht.

In der Druckersprache, so steht es in diesem Lokal in der Speisekarte, bedeutet der Zwiebelfisch einen Buchstaben aus einer anderen Schrift, der sich ins Schriftbild des Textes verirrt hat. So war ich an jenem Abend im Zwiebelfisch so einer für die Frau, die mich mit dem Anderen verwechselt hatte. Und das Zitat des Mannes mit den zwei Telefonen wurde zum Zwiebelfisch in meinen Augen, als ich ein paar Tage später die Zeitung las.

Klaustrophobie und Entropie: »it’s a hell of a combination«, heißt es in Coffee and Cigarettes.