12.4.

Zwei Tage energisches Wehen und sämtliche Kirschblütenblätter liegen abgerissen, vom kalten Regen durchweicht und unansehnlich geworden im Gras. Was soll das? Bei Magnolien ist es dasselbe: Wenn die schönen Blüten sich erst entfaltet haben, darf es nie regnen, sonst ist der Zauber nach wenigen Tagen vorüber. Bei den Magnolien sind sogar die großen Knospen schon empfindlich. Sie bekommen von im falschen Winkel auf die Dolde knallenden Regentropfen und auch schon vom zu hart Angewehtwerden in Windeseile Druckstellen, die sich zu hämatomartiger Fäulnis verbreitern. In Köpenick neulich, die junge Magnolie dort, die ich in einem Vorgarten sah, an der ist jetzt alles hin.

Der Kirschbaum hält hier nun wenigstens büschelweise junge Blätter bereit, die, gerade entrollt auf ihrer Oberfläche, schillern zwischen rötlich und grün. Und es gibt noch einen Trost: Die Sonnenuntergänge sind derzeit besonders schön. Gestern beispielsweise, das Tageslicht schien einzig noch durch einen langen Schlitz, der quer über dem Waldsaum sich spannte wie eine goldene Kette, wie ein Faden aus flüssigem Glas, der immer dünner wird und doch niemals reißt; am Himmel zerliefen die in Tusche notierten Wolken.

Und freilich die Vögel. Nun singen sie nicht mehr nur, sie tirillieren. Auch dass es schlimm weht und kaltes Wasser regnet, kann ihnen keinen Einhalt gebieten. Es sind simpel konstruierte Apparaturen, die hüpfen, äugeln und tirillieren. Es geht vor Sonnenvorgang, vier Uhr fünfzig los, wenn in die winzigen Äuglein die ersten Wellen des blauen Spektrums eindringen. Dann sind sie eingeschaltet. Das Vogelfrühlingsprogramm spult sich ab und am Abend, wenn die blauen Wellen wieder überhandnehmen, legt der Amselhahn den lyrischen Gang ein und bringt das lange Lied. Stand ja am Sonntag in der Zeitung im Text von Cordt Riechelmann, dass die Amselmännchen das im Frühling regelrecht üben müssen (nicht im Keller, aber unter Bäumen oder hinterm Busch), bevor sie ihre Arie in gewohnter Qualität zur Aufführung bringen können. Abendliedsänger: für den apparathaft hüpfenden, äugelnden, pickenden Vogel, für Nestbaumaterialspediteure und Nestbaumaterialflechter ein Zweitberuf.