12.5.

Es war wohl die gemeinsame Lektüre in L‘ art de la comédie von Eduardo De Filippo, einem Stück für zwei Damen und neun Herren, das Brigitte und Emmanuel Macron zusammengeführt hat. Elf Rollen, das ist freilich frugal für eine Aufführung des Schultheaters. Es müssen sehr viel mehr Kinder mitspielen, und so mussten Chöre hinzuerfunden werden, stumme Rollen erfunden (ich selbst war in jungen Jahren auch einmal als Ameise besetzt). Ich las das auf dem Gehsteig vor der Bäckerei, zum ersten Mal in diesem Jahr im Sonnenschein, zum letzten Mal wohl dann vor dieser Bäckerei, denn die Redaktion zieht um, nach Moabit; ausgerechnet jetzt, wo ich mich so langsam eingelebt hatte.

Moabit freilich auch endlos faszinierend, allein schon des schauerlichen Gefängnisses dort wegen, aber auch vom Namen her der beste Stadtteil. Und es gibt diese Legende, dass der Industrielle Borsig dort versucht haben soll, eine deutsche Seidenproduktion anzusiedeln. Es wurden damals ganze Haine von Maulbeerbäumen angelegt, weil die Seidenspinnerraupe diese Maulbeerblätter braucht, aber gescheitert ist es halt am Wetter – wie so vieles. Doch ich kenne eine Backsteinkirche in Moabit, die wird von vorne und von hinten vom Verkehr umströmt, so als stünde sie auf einer Insel, und in deren kleinem Garten sind noch ein paar Maulbeerbäume übrig aus der Ära Borsig. Und in dem Blumengeschäft ein paar Schritte weiter, es ist eines der besten der Stadt, werden im Frühling junge Maulbeerbäume angeboten – aus Tradition.

Ich telefonierte mit Timo Feldhaus, der mich fragte, ob er sich darauf verlassen könnte, dass ich das Tagebuch unendlich fortschriebe, für immer also, und ich sagte ja, versprach es ihm also, woraufhin er sagte, dass er es dann auch nicht mehr schlimm fände, wenn nicht an jedem einzelnen Tag ein Eintrag erscheint. Jetzt, wo er wüsste, dass es dann trotzdem noch weitergeht. Na klar.

Als ich abends über den Kurfürstendamm ging, unbedingt noch einmal über den Kurfürstendamm, denn das macht man ja nie, und von daher würde ich es so bald auch nicht wieder machen, saßen dort die Menschen in Dreierreihen vor den Cafés, und es war tatsächlich warm. Das konnte keiner so richtig fassen, wie es mir schien, ich selbst ja auch nicht, und wahrscheinlich war auch noch ein Misstrauen da, ob es nicht gleich morgen wieder kalt und fürchterlich wird. An der Ecke zur Uhlandstraße standen wieder die beiden Werbebeauftragten des griechischen Restaurants: Die müssen in Ponchos arbeiten, die aus einer Art Wachstuch, aber wattiert zusätzlich, geschnitten sind und bis auf den Boden herunterreichen. Auf die Vorder- und Rückseite dieser Ponchos, deren Grundfarbe einst Dunkelblau war, sind ausgewählte Tellergerichte aufgedruckt. Aber halt wie gesagt: griechisches Restaurant. Und die Farbe ist teilweise schon abgeblättert. Sieht mega aus. Ich prophezeie mal: übernächste Saison (SS 18) Vetements.

Zum Abendbrot gab es Huhn mit Salat und Vladimir saß vor einem Bild von Gilbert und George aus dem Jahr 1996, auf dem die beiden Künstler selbst abgebildet sind, wie sie, nackt und bloß, aber George hat seine Brille auf, von einem unsichtbaren Fingerzeig aus dem Paradies verjagt werden. Klassische Pose. In der rechten unteren Ecke stand »Blood and Piss«.

Als ich nach Hause ging, war es immer noch warm. Kaum Vögel zu hören. Auf den Straßen war es irgendwie lauter als sonst.