12.9.

Am Morgen saß ich vor dem Café und las in der Sonntagszeitung ein Portrait des französischen Gewerkschaftsführers. Sein Gesicht war groß vor einem strahlend blauen Hintergrund abgebildet. Mit einem Mal fand ich mich umringt von jungen Männern, die sich im Café mit Energydrinks versorgt hatten. Sie deuteten über meine Schulter hinweg auf das Foto in der Zeitung und skandierten den Namen Abdullah Öcalans.

Später dann, auf dem Balkon, ließ ich mir das Haar vom Abendwind trocknen. Die Sonne ging unter, ein großer Punkt, wie ausgestanzt aus einem Grau, so licht, wie Dieter Rams es gerne sah und sieht. Ich hielt meinen Blick darauf, so entstanden durch Blendung zwei dunkle Flecken oberhalb des orangefarbenen Punktes, der diesen violetten Flecken zu einer Nase wurde. Der Waldrand stieg dem Gesicht entgegen, die Helligkeit der Sonne nahm dadurch ab, ihre Färbung schien sich einzudunkeln, so auch das Grau des Himmels über ihr und kurz vor ihrem Verschwinden, sie war an ihrem unteren Ende nur noch halb, erschienen jetzt, sie waren zuvor ausgeblendet, die Wolken, wie verschwommen, wie mit Rauch gemalt, es zeigten sich Strukturen, die, so lange die Sonne noch mit ganzer Kraft die Szenerie des eigenen Untergangs ausgeleuchtet hatte, in dem breiten Grau wie Zaubertinte eingetrocknet, die auf diesen Moment des Einbruchs der Dämmerung schlafend wie gewartet hatten.

Hässlich durcheinanderschreiend lösten sich die Krähen aus dem Wipfel des höchsten Baums am Ufer, dessen starke Äste dadurch in Bewegung kamen. Nach einem langen Tag des Streitens und des Klapperns, des Butterbrotrindenwegtragens und Muschelnaufhackens und Eichelnußknackens und Aufeinandereinhackens flogen sie nun einigermaßen geordnet, dabei aber weiterhin vor sich hinschreiend, wie ein Schwarm in das vergehende Licht.

Falls alles schiefgeht, hatte ich mir am Nachmittag noch überlegt, eröffne ich in meiner Küche ein extrem teures, aber extrem beliebtes Restaurant für ultraorthodox regionale Küche. Also eines, das selbst dem Nobelhart & Schmutzig, das sogar dem Fäviken Magasinet und Magnus Nilsson das Fürchten lehren wird. An heißen Tagen wie diesen sind die Stockenten und Blässhühner träge und dümpeln kraftlos nahe am Steg vorbei. Mit gezielten Kopfsprüngen, so dachte ich, müsste es mir möglich sein, einzelne davon zu ergreifen und noch im Wasser zu erdrosseln. Wie man Geflügel abhängt, rupft und zubereitet, hatte ich einst von Janosch von Beöthy gelernt. Mitten in der Nacht war ich auf seinem unbeleuchteten Gehöft etwas außerhalb der Samtgemeinde von Engelshoff am Arsch der Welt eingetroffen. Von hier aus belieferte er in der ungefähren Nachfolge Archibald Tuttles (ideologisch gesehen), die deutschen Großköche mit seinem Geflügel. In einer spiegelnd mit Stahl ausgekleideten Kammer hingen die wie grün und blau geschlagenen Fasane. Es stapelten sich die Gänse, denen dünne Fäden Blut aus den Schnäbeln rannen, so, als trielten sie schlafenderweise auf ein Kopfkissen (doch das war der daunenweiche Hinterleib eines Artgenossen). In seiner Küche war es warm, ich hatte ihn kurz vor dem Martinstag besucht. Es handelte sich um eine krumm auseinandergefallene SieMatic-Zeile mit grünen Fronten. Noch nicht einmal ein Gasherd. Emaillierte Töpfe mit Blumenmuster. Ich war underwhelmed.

»Hier hat jeder schon gekocht«, sagte Janosch von Beöthy, »Siebeck, Witzigmann, Wohlfarth, Dollase, Ducasse. Alle.«