13.10.

Die Schneckenhaltung bringt unvorhergesehene Probleme mit sich. Möglicherweise liegt es an der abgeschlossen wirkenden Gestalt der Schnecke, die ihr Haus und somit vermeintlich ihre ganze Welt mit sich bringt, dass ich annahm, es bräuchte darüberhinaus lediglich das Schleimarium und etwas Futter, um sie zufriedenstellen zu können. Doch gegen Mittag zeigte sich die Situation unter der gläsernen Kuppel verändert: Beide Tiere hatten sich unter jeweils andere Salatblätter zurückgezogen und dort wiederum, im Schatten von Löwenzahn und Sauerampfer, wie Träume innerhalb von Träumen, noch einmal zusätzlich in ihre Häuser zurück. Die Moose hatte ich bereits befeuchtet (Methode Briefmarkenkissen), die Innenseite der Kuppel von den Schleimspuren gereinigt — was fehlte ihnen denn noch?

Im Internet fand ich eine Seite aus Österreich, die sich monothematisch mit der Haltung von Schnirkelschnecken, vor allem aber mit der Haltung der exotischen Achatschnecke beschäftigte. Als sämtlichen Arten übergeordnet erschien dort als generelles Problem das der schläfrigen Schnecke. Das nahm ich mit einer Mischung aus Erleichterung und Interesse zur Kenntnis, denn genau dieses Problem schien ja auch bei meinen Schnecken vorzuliegen: Schläfrigkeit. Und das ohne einen für mich ersichtlichen Grund. Wo sie am Vorabend und in der darauffolgenden Nacht noch für Schneckenverhältnisse hyperaktiv sich präsentiert hatten (um sich bei mir einzuschleimen?), ging nun sozusagen gar nichts mehr. Auf geradezu unheimliche Weise abgeschlafft – in einem Werner-Enke-Sinne – schmollten sie mir. Was eventuell, so hatte ich es mir vor dem Studium der Internetseite noch überlegt, an dem von mir unterbrochenen Geschlechtsakt lag. Vielleicht zeigten sich, wie es das Sprichwort behauptete, sämtliche Tiere bis auf den Esel und den Hahn nach dem Geschlechtsverkehr wehmütig. Die Schnecken aber, und davon schwiegen die Römer, waren als einzige im Tierreich zur Erwartung und Hoffnung begabt und daran lag es, dass sie mir nun schmollten — weil es ihnen auf menschenhafte Weise bewusst war, woran ich sie gehindert hatte. (Und der Geschlechtsakt an sich war auf rein technischer Ebene derart schwierig zustande zu bringen mit diesem Kalksporn et cetera, dass sie nun einen sogar für Schneckenverhältnisse ewig langen Anlauf würden nehmen müssten, um einen erneuten Koitus zu organisieren; die schiere Aussicht auf diese Vorbereitungen zum Fest ließ die beiden derartig abschlaffen, dass es nicht auf ein Neues zur Sache gehen konnte.)

Zu weit gedacht, zu kompliziert auch, denn wie aus den Foren zur Schneckenhaltung ganz eindeutig hervorging, hat das dort bekannte Phänomen der schläfrigen Schnecke ihren Ursprung in der Atmung der Tiere. Wie viele Organismen produziert halt auch die Schnecke reichlich Kohlendioxid, das sich am Boden des Schleimariums ansammelt. Die dort sitzenden Schnecken schläfern sich somit allmählich selbst ein. Ich konnte dieses Problem rasch beheben, indem ich zwei Geldstücke unter die Kuppel klemmte, sodass diese ein wenig angehoben wurde. Die durch den schmalen Schlitz zusätzlich einströmende Raumluft genügte anscheinend voll und ganz, um den benötigten Sauerstoff zuzuführen. Bereits nach wenigen Stunden zeigte sich das Weibchen wieder aktiv und sozusagen in alter Frische. Und noch ein wertvoller Hinweis aus dem Schneckenhalterforum setzte ich stante pede um: Schnecken brauchen nämlich Kalk! Bei Kalkmangel – und zumindest mein Männchen müsste allein durch die Hervorbringung des prächtigen Penetrationszapfens bereits am Limit sein – fressen Schnecken nämlich ihr eigenes Haus — eine Horrorvorstellung! Das durfte auf gar keinen Fall passieren. Unter erfahrenen Schneckenhaltern geht der Trend eindeutig zum Einbringen eines Schulpes vom Tintenfisch, wie man es aus den Käfigen von Wellensittich, Kanari und Co kennt. Aber die Schalen vom Viereinhalbminuten-Ei werden ebenso akzeptiert. Faszinierend. Woher die Schnecke wohl weiß, dass es sich bei dem abstrakten hellen Gebilde um eine Kalkquelle handelt — besitzt sie, analog zu den Kryptochromen der Zugvögelarten, einen Mineraliensinn? Das Forum schweigt dazu.