13.10.

Herrlicher Abend im etwas abgelegenen Schloß von Renate von Metzler. Am Mittwoch, zu Beginn jener Nacht, in deren weiterem Verlauf in Frankfurt der Goetheturm abbrennen sollte, was ich als Nichtfrankfurter übrigens nicht ganz so schade fand wie die Frankfurter, denn der Goetheturm war doch im Grunde ein nur wenig schönes Holzgerüst.

In den das Schloß umgebenden Straßen war es bereits dunkel, so dunkel, wie es halt auf dem Land abends wird. In der Ferne blinkten zwei rote Lichter am Nachthimmel: Dort flogen wohl Flugzeuge über den Türmen der Stadt. Im Schloß selbst waren die Wände in diesen altertümlichen Pastellfarben verziert, mit aufgemalten Blumensträußen und Schäferszenen und all dem. Die Gastgeberin stellt in ihrer Begrüßungsansprache die in diesem Jahr neu hinzugekommenen Gäste vor, es sind vergleichsweise wenige, hier trifft sich die Gelehrtenrepublik. In Berlin wäre eine solche Einladung undenkbar. Ich wüsste auch gar nicht, wer in Berlin über ein Schloß verfügt. Vor allem müsste man die meisten dieser Gäste eigens einfliegen. Hier in Frankfurt reisen sie aus ihren Wohnungen an. Bis auf Robert Menasse, der gerade mit dem Buchpreis ausgezeichnet worden war, und dementsprechend in Feierlaune, die sich zu späterer Stunde vor allem auch in einer detaillierten Kritik des zeitgenössischen Regietheaters äußern sollte – ein Klassiker, man kennt die Argumente zwar zur Genüge, aber wenn ein Österreicher sie vorträgt, werden sie halt sozusagen von sich aus noch einmal ganz anders interessant. Unter anderem weil Österreicher ja so wunderbar imitieren können, das ist vermutlich genetisch bei denen, oder es wird zur Matura gelehrt. Jedenfalls imitierte Robert Menasse dann lange und intensiv einen mir unbekannten Schauspieler der sogenannten Burg, der angeblich Oskar Werner hieß und wahrscheinlich schon seit Jahrzehnten tot ist, aber der, wie Menasse vormachte, seine rechte Augenbraue ganz wunderbar anheben konnte, um damit bis in die dritte Logenreihe hinauf für Entzückung zu sorgen.

Gut, aber wann versammelt man sich auch sonst unter einer Esse, um Schokoladencreme zu löffeln? Zuvor gab es Wiener Schnitzel mit Kartoffelsalat, die an den diversen, es müssen dreißig gewesen sein, mindestens fünfundzwanzig, auf sämtliche Räume verteilten Tischen serviert worden waren. Andy Warhol hat in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts festgestellt, dass sich Menschen mit viel Geld von denen ohne viel Geld vor allem dadurch unterscheiden lassen, dass es bei den Menschen mit viel Geld, bei denen Andy Warhol viel und das auch gern zu Gast war, immer ganz kleine Lebensmittel zu essen gibt. Also nur die zierlichsten Böhnchen, Mini-Hamburger und Möhrchen so fein und kurz wie Säuglingsfinger. Die Schnitzel waren auch appetitlich fein und dünn und dabei so zierlich, dass sie kaum größer wirkten als die münzgroßen Kartoffelscheiben des fruchtig marinierten Salats. Mit Vittorio E. Klostermann, der mir gegenüber saß, sprach ich aber weder über die Schnitzelchen, die inhalierten wir nonstop nur so weg, und auch nicht über Martin Heidegger, dessen Herausgeber er in der Nachfolge seines Vaters Vittorio Klostermann ohne E. ist. Es ging, leider wie ich sagen muss, um das Thema Urheberrechte. Da hatte auch Marion Tiedtke, die auch mit am Tisch saß, kaum etwas dagegenzuhalten, denn das Thema Urheberrechte drückt den Verlegern aufs Gemüt; es ist schon beinahe zum Schreien. Allerdings traf ich dann später, da hatte ich den Platz unter der Esse noch nicht entdeckt, im Rauchzimmer einen berstend gut gelaunten Verleger, der dort der glamourösen Antje Kunstmann einen Vortrag hielt. Es handelte sich offenbar um den Verleger des sogenannten Deutschen Fachverlages, der branchenspezifische Zeitschriften verlegt wie zum Beispiel für die Deutsche Fleischerinnung das Magazin afz, aber auch die gute alte Textilwirtschaft. Und die Geschäfte dieses hochspezialisierten Fachverlages gehen wohl glänzend. Der Mann war kaum mehr zu bremsen in seinem Enthusiasmus. Frau Kunstmann, die einen funkelnden Ring trug, floh bald schon ins Freie. Das war an der Stelle, als der Fachverleger die Größe seines Verlagsgebäudes mit groben Strichen skizzierte. »Unser Haus ist so hoch«, rief er der Entfleuchenden durch die geöffneten Terrassentüren in die Dunkelheit des Schloßhofes hinterdrein »Viel höher als das der FAZ — Wir schauen auf die FAZ herunter!«

Auch undenkbar in Berlin: dass alle Gäste sich schon um Mitternacht verabschiedeten. Am Ausgang stand derweil noch immer Robert Menasse und ahmte vor ständig wechselndem Publikum, dabei umringt von den Getreuen, einen anderen Burgschauspieler nach.