13.6.

So dschungelhaft werden die Bahnraine bald schon nicht mehr bewachsen sein. Die Bahn fährt minutenlang durch das Grün zu beiden Seiten. Die Zeit-Leserin liest die Zeit in einem sommerlichen Poncho mit langen Fransen, die Facebook-Leserin öffnet einen längeren Post, der den Bildschirm ihres Senioren-iPhones auf ganzer Länge mit Buchstaben füllt. Die Bleiwüste beginnt mit den Worten »Ich freue mich schon auf heute Abend. Ein Streit ist im Anmarsch« und danach steht zentral ein mir unbekanntes Emoji vor dem ganzen Rest vom Schützenfest.

Auch dass die Bäume so schön rauschen werden wie gestern Nacht, also das Laub an den Ästen und Zweigen der Bäume, beziehungsweise; the wind in the willows, aber bald schon, bald stehen sie wieder nackt und leer. Es ist nichts, wirklich gar nichts mehr übrig in meinem Gedächtnis von Twin Peaks. Auch nicht im Angesichts rauschender Bäume. Was vermutlich vor allem daran liegen wird, dass es in den neuen Folgen kaum noch Waldcontent gibt, auch keinen Sägewerkcontent. Dafür mystische Hubschrauberflüge an nächtlich spiegelnden Hochhäusern vorüber. Leute die rückwärts sprechen, die in Steckdosen leben, und ein Würfel aus Glas. Wie ein englischer Magazinmacher mir einmal die Formel erklärte, mit der man ein erfolgreiches Independent-Magazin macht: »Make it strange. Make it less understandable.« Der hyperstilisierte Hinterwäldlercontent hingegen, den ich in den ursprünglichen Folgen (von denen ja auch lediglich etwa zehn gut waren) so bezaubernd fand, ist ebenfalls weggefallen. Selbst die wunderschönen Innenräume des Great Northern Hotel, in dessen Geheimgängen einst Audrey Horne ihr Unwesen trieb, sollen nun lediglich an ein »abgelebtes Futur« erinnern. Woher hat David Lynch diesen schröcklichen Begriff? Von Botho Strauß (Aus dem Jungen Mann).

Fürwahr mystisch finde ich hingegen den Fall einer von einer Postkarte verschwundenen Briefmarke, von dem mir Friederike berichtet. Es gibt ein Beweisfoto, der Poststempel hängt da nachgewiesenermaßen sozusagen in der Luft, dabei weiß ich genau, dass da eine Marke geklebt hatte, eine kleine, auf der eine Rispe Maiglöckchen abgebildet war, denn schließlich hatte ich diese selbst da draufgeklebt. Und wie auch sonst wäre die Postkarte zugestellt worden. Der Verdacht fällt hierbei zum einen auf die Muhme, doch ist sie ja hauptsächlich in der Wiederverwertung von Pfandflaschen und Kleinstmobiliar aktiv; dass sie gut erhaltene, heißt versehentlich nicht auf dem Motiv bestempelte Briefmarken von fremder Mieter Postkarten schält, kann, aber will ich mir nicht vorstellen. Bleibt, als wahrlich David-Lynch-hafter Kandidat: das Briefzentrum in der Gutleutstraße, das ich ja einst auf meiner Wanderung nach Griesheim und zurück in Augenschein genommen hatte. Als auf der Brachfläche nebenan noch jene im Regionalteil der Zeitung beschworenen Zustände herrschten angeblich, die einer Existenz unseres Sozialstaates zu spotten schienen. Gut, und da hatte ich damals schon den Eindruck eines unguten Brummens, das mir sich subkutan mitzuteilen schien, als ich mich dem fensterlosen und ansonsten komplett schachtelhaft gestalteten Bauwerks gegenüberstehend befand. Um ihre mystisch okkulten Dunkeltaten vor dem allzu Offensichtlichen zu verbergen, besteht der Trick der Post freilich im Einsatz ihrer Markenfarbe Gelb. Selbst das diabolisch fensterlose Briefzentrum in der Gutleutstraße mit seinen heruntergelassenen Läden schaut noch vergleichsweise vertrauenserweckend aus, weil hier und da in freundlichem Gelb verziert. Ganz anders freilich UPS.