14.12.2019

Ob eine neue Stadt nun wirklich gut für einen ist, oder eventuell doch nicht ganz so gut wie gedacht, lässt sich doch im Grunde bloss herausfinden, wenn es einem dort gesundheitlich nicht gut geht.

In etwa in dem Masse unvorbereitet, wie andere wiederum sich vorbereiten lassen auf zum Beispiel eine drohende Infektion mit Grippeviren, indem sie sich mit toten Viren von bis zu vier verschiedenen Stämmen impfen lassen, wurde ich von wundersamen Händen tief in ein Etui hinein geschoben, in dem ich bis heute Nachmittag verbleiben sollte; fiebernd, dämmernd, vor allem still. Auf dem Plateau jenseits der Gesundung und noch vor dem grossen Schmerz drückt sich die Krankheit unwütend und untosend, dabei durchaus belastend aber alles in allem von unsäglicher Mittelmässigkeit geschrieben aus. Ich konnte das nicht lesen, was sie mir damit sagen wollte. Also blieb ich still.

Begonnen hatte das, ganz plötzlich, aber auch bezeichnenderweise während unseres Besuches am Colloquium von Professor Allert. Lorenz Jäger war zu Gast und unterrichtete die Studenten von den Fortschritten an seiner nun schon allmählich mit Ungeduld erwarteten Biographie Martin Heideggers, die 2020 im Herbst erscheinen wird. Es ging, das kündigte Jäger durch sein unnachahmliches Lächeln hindurch an, dabei auch um «Gadamer, wie der die Heidegger’sche Provinzen urbanisiert hat». Professor Allert, sonst nicht um eine Pointe verlegen, begnügte sich im Angesicht dieser Steilvorlage mit einem Griff in die Haribo-Tüte der ihm zugewandt plazierten Studentin. 

Jäger biss von einem Spekulatius ab.

Genau dort, also in diesem Augenblick, durchfuhr es mich wie von dessen Wimpernschlag getroffen. Auf dem Heimweg, der uns natürlich entlang des herrlichen Hauptgebäudes der Universität führte, das, wie jedermann in Deutschland weiss, einst als Firmenzentrale für die IG Farben errichtet ward, ging es mir zunehmend schlechter. Daheim angelangt, brachte ich es gerade noch fertig, unter die bestickte Decke zu sinken. Die nächsten Tage vergingen wie im Tran (Robert Smith hat das unnachahmlich gut beschrieben auf dem Konzeptalbum zum Thema Fieber The Head On The Door): Lesen ging kaum, allenfalls vertrautes; an das Schreiben war nicht zu denken.

Heute früh nun aber, nach dem Besuch in einer dubiosen Zahnarztpraxis, wurde ich in kompetente Hände am Universitätsklinikum überstellt. Schon nach wenigen Stunden verliess ich diesen herrlichen Ort als ein gänzlich wiederhergestellter Mann. Im Vollbesitz meiner Sprache. Pastos in Öl geschmotzte Wolken trieben in rascher Folge über den Main.

Jäger übrigens, das fiel mir auf dem Heimweg ein, hatte den Studenten zum Abschied mit auf ihren Heimweg gegeben, dass Heidegger fest in seinem Gefühl stand, dass ihm von den Nationalsozialisten keine Gefahr drohen konnte — er sah sich durch das Sein beschützt.