14.5.

Auf dem Küchentisch steht jetzt ein Strauß von kleinen gelben Blüten, die ich heute früh beim Zeitungholen unter dem Felsenbirnenbaum gebrochen habe. Die Rasenflächen sind in Weiß und Gelb getüpfelt, Gänseblümchen, ganze Felder, ringsum ragen Pusteblumen auf. Das in meinem Aug‘ so liebliche Blühen bedeutet in Wirklichkeit die Verbreitungsoffensive der Arten. Das ist mir zum Glück aber erst dann klar, wenn ich daran denke, also lasse ich es gleich wieder und wähle mit Bedacht eine winzige Vase aus Japan, deren eingekerbte Form etwas von einem Fruchtbarkeitskelch hat – aber subtil natürlich, da von japanischem Väsner geformt – und gebe mich meinen Frühlingsempfindungen hin. Die Fenster stehen offen, die Wäsche trocknet, ich lasse mich anwehen von der herrlichen Duftnote von Dash Color plus Sonne plus Wind. Bei den Nachbarn sind die Großeltern zu Besuch, ein Greis wurde in der Früh schon auf einem Stuhl sitzend in den Garten getragen, wo er mit Blick auf die Verkehrsschifffahrtsszene im Halbschatten verharrt. Seine Ohrmuscheln leuchten freundlich. Er schien mir auf Empfang gestellt.

Teller, die auf einen Holztisch ohne Tischtuch abgestellt werden. Das Wetzen des Bestecks an Besteck.

Am Freitag waren mittags auch plötzlich die Computer verschwunden. Dann die Tische. Nie wieder wird eine Wohnung je wieder so schön sein wie vor dem Hineintragen der Möbel. Aber schon halb ausgeräumt wirkte alles viel größer und weiter, und es könnte hier, so schien es mir, so viel mehr noch möglich gewesen sein. Seltsamer Gedanke, dass diese Räume, in denen sich zuvor eine Praxis befunden hatte, davor eine Wohnung mit immer wieder wechselnden Bewohnern bis in die Zeit vor den Zweiten und den Ersten Weltkrieg noch, nun wieder zu einer Wohnung umgebaut würden. Wie wenig Gedanken man sich selbst macht, wie wenig man weiß, worin man da eigentlich wohnt. Wie so ein Einsiedlerkrebs, der von der Muschel ja auch nicht mehr wissen will, auch kapazitätsmäßig bedingt natürlich, als wie hoch, wie breit, wie tief – beziehungsweise: Passt mein des Schattens bedürftiger Hinterleib hier hinein?

Es gab eine große Flasche Helium und zweihundert Ballons aus silberner Folie, die nach den Silver Clouds von Andy Warhol gestaltet waren. Und so verbrachte ich die Zeit bis zum Eintreffen der Gäste mit dem Aufpusten dieser spiegelnden Kissen und ließ sie eins nach dem anderen an die hohe Decke steigen. Es wurde heller und heller im Raum, die Spiegelkissen fingen das schwindende Licht ein, und bei jedem Windhauch machten sie, aneinander reibend, über die Zimmerdecke treibend, ein kraspelndes Geräusch.

Eine befriedigende Tätigkeit übrigens, wie ich herausfand. Man lässt das Gas in den Ballon, man lässt ihn steigen, schaut ihm nach, nimmt den nächsten. Hätte ich tagelang so vor mich hinmachen können. Irgendwann war freilich die Flasche leer. An den letzten band ich eine Karte aus silbernem Karton mit einer Botschaft, trat ein letztes Mal dort auf den Balkon und überließ ihn den Krähen und der Laune des Abendwinds.